Wie motiviert man Jugendliche beim Fremdsprachenlernen am Ball zu bleiben? Wie kann Schule zur Persönlichkeitsbildung beitragen? Erfahrungen mit der Durchführung von Planspielen zeigen: Planspiele bieten Lösungen für beide Fragen und können außerdem das Verständnis für demokratische Abläufe stärken.
„Du musst in der Lage sein, die Gedanken anderer zu verstehen. Den anderen wirklich zuhören. Die Entscheidungen müssen gut analysiert und diskutiert werden, bevor sie getroffen werden“, fasst die 17-jährige Anna Helēna Markova vom Englischen Gymnasium Riga ihre Eindrücke vom Online-Planspiel "Klimaneutrale Stadt" zusammen, das das Goethe-Institut 2021 an 15 Schulen in Mittel- und Osteuropa sowie in Russland durchgeführt hat.
Planspiele ermöglichen erfahrungsbasiertes Lernen, das heißt Lernen über die Auseinandersetzung mit (und Lösung von) realen Problemstellungen. Die Lernenden übernehmen dabei eine aktive Rolle. Erfahrungsbasiertes Lernen gilt als besonders nachhaltig, d.h. besonders wirkungsvoll. Jugendliche machen in Planspielen Erfahrungen und entwickeln Kompetenzen, die im regulären Unterricht in der Regel nicht so zum Tragen kommen, aber fürs Erwachsenwerden sehr wichtig sind wie z.B. eigene Meinungen und Positionen entwickeln, Interessen vertreten, konstruktiv mit Konflikten umgehen, diskutieren, Verhandlungsgeschick entwickeln, sich in andere hineinversetzen und Entscheidungen treffen. In einem Planspiel erfahren Jugendliche wie schwierig und zugleich wie wichtig es ist, in einer demokratischen Gesellschaft, unterschiedliche Interessen zu berücksichtigen und Kompromisse zu erarbeiten.
Was ist ein Planspiel?
Den Kern eines Planspiels bildet ein reales oder fiktives Problem, von dem verschiedene Akteure mit teils widersprüchlichen Interessen betroffen sind. Zum Beispiel: Wie kann eine Stadt ihren CO2-Ausstoß verringern? Oder: Wie kann man ein Schul-Café einrichten? Oder: Wie kann man die Vermüllung von öffentlichen Parks verhindern?
Die Teilnehmenden schlüpfen in die Rollen von Interessenvertreter*innen und betrachten die Herausforderung aus verschiedenen Blickwinkeln. Sie präsentieren ihre Lösungsvorschläge und diskutieren diese. Das Ergebnis des Spiels ist nicht vorgegeben. Daher können die Teilnehmenden verschiedene Lösungen suchen, an einem Runden Tisch zusammenkommen um zu einem Ergebnis zu gelangen, das alle akzeptieren. Sie arbeiten sich daher nicht nur in eine Thematik ein und sprechen nur ÜBER diese und die damit verbundenen Herausforderungen, sondern erleben und gestalten sie selbst.
An einem Planspiel sollten mindestens 10 Personen teilnehmen, damit verschiedenen Rollen mit gegensätzlichen Interessens entwickelt werden und eine lebendige Diskussion entstehen kann.
Planspiele sind geeignet für Jugendliche ab 14 Jahren.
Potentiale von Planspielen für den Fremdsprachenunterricht
Die Erfahrung, sich in der Fremdsprache nicht altersadäquat und entsprechend den Kenntnissen, über die man verfügt, ausdrücken zu können, ist für viele Jugendliche frustrierend. Sie zu motivieren, sich auf diese Erfahrung dennoch einzulassen, fordert Lehrkräfte besonders heraus. Planspiele sind eine Methode, mit der man Schüler*innen dafür gewinnen kann, ihr Deutsch zu verbessern, – selbst wenn sie das Spiel nicht (durchweg) auf Deutsch spielen.
Der Stadtplan der fiktiven Stadt Fonta aus dem Planspiel „Klimaneutrale Stadt“ enthält Angaben zur Infrastruktur und Maßnahmen für den Klimaschutz auf Deutsch.
| Planpolitik.de
1. Die Rolle der Fremdsprache
Um wirklich diskutieren zu können, muss man eine (Fremd)-Sprache auf Niveau B2 beherrschen. Sind Planspiele also für DaF-Lernende mit einem niedrigeren Sprachniveau gar nicht geeignet? Doch! Man kann sie in der Landessprache durchführen und fremdsprachliche Elemente einbauen. So können die Schüler*innen zum Beispiel die Ergebnisse der Diskussion auf Deutsch präsentieren. Dafür reicht bereits das Niveau A2 aus.
Wer die Schüler*innen die auf Deutsch gesprochene Präsentation auf Video aufzeichnen lässt, wie im Planspiel-Wettbewerb "Klimaneutrale Stadt", ermöglicht ihnen zudem ihre Medienkompetenzen auszubauen und kreativ zu werden. Das so entstandene "Produkt" hält die Ergebnisse des Spiels fest und lässt sich gut sichtbar auf der Homepage der Schule und in den sozialen Medien präsentieren.
2. Die Durchführungsform: Online oder analog?
Von der didaktischen Konzeption her unterscheiden sich Online-Planspiele und analoge-Planspiele nicht grundsätzlich voneinander. Online-Planspiele können rein online durchgeführt werden (auch von zuhause aus) oder hybrid, z.B. auf digitalen Endgeräten in der Schule. Sie erfordern eine entsprechende Ausstattung und eine stabile Internetverbindung. Online-Planspiele können die Medienkompetenz von Lernenden fördern. Untersuchungen haben ergeben, dass Teilnehmende analoger Planspiele die direkte, persönliche Interaktion als besonders motivierend hervorheben. Bei analogen bzw. hybrid durchgeführten Online-Planspiele kann man sich zudem eher spontan äußern, was wiederum zu lebendigeren und emotionaleren Diskussionen führt.
Zwei Schülerinnen bei der Durchführung des Planspiels „Klimaneutrale Stadt“
| Petra Vachalova
3. Die Themenauswahl
Eigentlich eignet sich jedes Problem, für dessen nachhaltige Lösung Akteure mit divergierenden Interessen einbezogen werden müssen, als Thema für ein Planspiel. Die Themenvielfalt von Planspiel-Szenarien ist dementsprechend sehr groß. Die Nähe des Themas zur unmittelbaren Alltagswelt der Schüler*innen ist dabei nicht unbedingt entscheidend. Gerade die Möglichkeit, in eine Rolle zu schlüpfen und eine Welt einzutauchen, die mit der eigenen Lebenswirklichkeit nicht unmittelbar zu tun hat und sich in dieser zu entfalten, kann sehr attraktiv sein. Um Schüler*innen für eine Teilnahme gewinnen, ist natürlich wichtig, dass sie selbst das Thema als relevant wahrnehmen. Sie in die Themenauswahl einzubeziehen, empfiehlt sich daher. Auf diese Weise bereitet man sie auch schon auf das im Planspiel praktizierte Verfahren der Partizipation vor.
4. Der Durchführungszeitraum
So variabel die Themen, so unterschiedlich lang können Planspiele sein. Es gibt Planspiele, die zwei Stunden dauern, andere eine Woche. Die Entscheidung, ob ein Planspiel "zu lang" ist, steht und fällt mit der Wirkung, die man mit einem Planspiel erreichen möchte und für wie relevant man diese Wirkung erachtet.
Wählt man ein für die gesamte Schule interessantes Thema und führt es in wesentlichen Teilen in der Landessprache durch, eignen sich Planspiele sehr gut für die fächerübergreifende Zusammenarbeit, zum Beispiel im Rahmen einer Projektwoche
Wirksamkeit von Planspielen
„Ich habe gelernt und verstanden, dass es mir gefällt, an der Macht zu sein“ – antwortete ein Schüler auf die Frage, was er beim Planspiel „Klimaneutrale Stadt“ gelernt habe. Die Antwort dieses Teilnehmers ist in mehrfacher Hinsicht aufschlussreich. Offenbar spielte das Thema des Planspiels für diesen Schüler keine so zentrale Rolle. Er reflektiert vielmehr, dass die Teilnahme für ihn sowohl mit einer kognitiven als auch einer positiven emotionalen Selbsterfahrung verbunden war. Die Freude, im Spiel "Macht" gehabt zu haben, mag eine indirekte Reaktion auf die Lebenswirklichkeit von Jugendlichen sein, die in ihrem Alltag sehr wenige Handlungsspielräume erleben. Die Aussage dieses Schülers führt vor Augen, wie wichtig es ist, mit den Teilnehmenden nach dem Planspiel über ihre Erfahrungen und Eindrücke zu sprechen. Macht, Machtmissbrauch und Verantwortung sind wichtige Themen in jeder Gesellschaft. Demokratie steht und fällt mit dem verantwortungsbewussten Umgang mit Macht.
89 Prozent der Schüler*innen, die teilgenommen haben, würden wieder an einem Planspiel teilnehmen. 77 % konnten sich vorstellen, ihre Deutschkenntnisse so zu verbessern, dass sie in der Lage wären, an einem Planspiel auf Deutsch teilzunehmen. Das Planspiel hat sich demnach sehr positiv auf ihre Motivation ausgewirkt, diese Sprache zu lernen. Fast 90% erklärten, sie könnten sich vorstellen, an einem realen Runden Tisch teilzunehmen, d.h. sich gesellschaftlich-politisch zu engagieren. In Zeiten sinkender Wahlbeteiligungen und schwindenden Vertrauens in das System der repräsentativen Demokratie ist das Feedback der Schüler*innen ein hoffnungsvolles Zeichen.