Deutschlernende wollen und sollen mit Menschen und Gegebenheiten aus den deutschsprachigen Ländern und Regionen (DACH) in Kontakt kommen. Vielfältige Einblicke sind von überall auf der Welt durch das Internet möglich. Einige Anregungen dafür bietet dieser Praxistipp.
Was ist kulturelles Lernen?
Kulturelles Lernen im Rahmen des Fremdsprachenunterrichts ist weit mehr als das Auswendiglernen von Fakten über das Land, wo die Zielsprache gesprochen wird. Es ist das Eintauchen in neue Lebenswelten, das Kennenlernen und Einordnen unterschiedlicher Lebensentwürfe und damit vor allem auch das Nachdenken über sich selbst. Durch die Begegnung mit bisher Unbekanntem werden möglicherweise eigene Überzeugungen infrage gestellt. Man muss sich zu bisherigen Wahrheiten neu positionieren. Dies geschieht über und mit (der neuen) Sprache. Man braucht die Fremdsprache, um sich diese neuen Welten zu erschließen, aber vor allem auch um mitzureden und sich selbst einzubringen. Die folgenden Tipps zeigen beispielhaft, wie der Deutschunterricht die Beschäftigung mit neuen Deutungen und entsprechende Aushandlungsprozesse auch außerhalb der deutschsprachigen Länder anregen kann.
Eintauchen trotz Distanz?
Natürlich ist das Erleben mit allen Sinnen aus der Distanz nicht leicht, aber einiges ist dank moderner Technik trotzdem möglich. Auf der Webseite virtualvacation.us kann man beispielsweise Spaziergänge an vielen Orten der Welt miterleben. Das Erraten der Orte setzt genaues Beobachten von Einzelheiten voraus. Kulturelle Lernprozesse können außerdem dadurch unterstützt werden, dass Lernende ihre persönlichen Beobachtungen auch versprachlichen, sich untereinander darüber austauschen und vor allem Fragen formulieren, die dann wiederum Ausgangspunkt für weitere Recherchen sein können. Das ist aufgrund der vielfältigen Bildimpulse bereits mit relativ geringen Sprachkenntnissen möglich und lässt sich je nach thematischem Schwerpunkt für unterschiedliche Zielgruppen anpassen.
Eine beispielhafte Didaktisierung von 360°-Fotos für Lernende in A2/B1-Kursen bietet das Material „Leipzig entdecken“ von der Universität Leipzig. Ein übergreifendes Lernziel für dieses als Stationenarbeit konzipierte Material ist das Wahrnehmen von Räumen. Die Lernenden reflektieren dabei ihre individuellen Eindrücke, sie äußern und vergleichen Meinungen zu verschiedenen Themen. Dabei stehen immer wieder Fragen zum persönlichen Erleben im Mittelpunkt: Was siehst du? Was interessiert dich? Was möchtest du an diesem Ort machen? Was denkst du über…? Das immersive Eintauchen in die komplexen 360°-Bilder kann mit Hilfe von VR-Brillen (z. B. einfachen Cardboard-Brillen, in die ein Smartphone eingelegt wird) erfolgen.
Auch viele Museen bieten solche virtuellen Rundgänge an und können je nach Unterrichtsthema und Interessen der Lernenden neue Einblicke geben. Einen Überblick findet man auf der Webseite
museum-virtuell.com.
Virtuell begehbar: Die Museumsinsel in Berlin | © Adobe Stock
Wie spricht man über …?
Beim kulturbezogenen Lernen geht es nicht darum, wie etwas in den deutschsprachigen Ländern „ist“, sondern wie man darüber spricht und schreibt. Wichtig sind nicht (scheinbar) objektive Fakten, sondern die Themen und Diskurse, die die Menschen bewegen. Wichtig sind die kulturellen Muster, bestimmte Konzepte und Vorstellungen, die im Austausch darüber herangezogen werden. Aber wo findet man solche Debatten aus dem deutschsprachigen Raum, wenn man nicht vor Ort ist?
Eine sehr reichhaltige Quelle sind soziale Netzwerke, vor allem öffentliche Kommentare zu anderen Medienprodukten, wie beispielsweise auf Videoportalen. Diese Reaktionen, z. B. auf Youtube, enthalten oft in sehr kurzen Textfragmenten persönliche Aussagen zu unterschiedlichen Themen. In diese Aussagen fließen auch gesellschaftliche Debatten ein. Unterschiedliche Meinungen werden ausgedrückt und auf eine authentische Art und Weise verhandelt. Deutschlernende erhalten damit einen direkten inhaltlichen Zugang zu diesen Diskursen. Sie lernen außerdem sprachliche Formen kennen, wie man daran selbst teilhaben kann.
In einem Video untersucht beispielsweise die junge Wissenschaftsjournalistin Mai Thi Nguyen-Kim, ob die Frage „Woher kommst du?“ ganz normal oder rassistisch ist. In den Kommentaren erzählen Nutzerinnen und Nutzer der Plattform eigene Erlebnisse und Beobachtungen. Trotz aller Spezifik der beschriebenen Situationen ähneln sich manche Erfahrungen. Eine mögliche Aufgabe dazu könnte darin bestehen, diese Aussagen zunächst zu kategorisieren und die jeweiligen Besonderheiten zu analysieren: Welche Nutzerinnen und Nutzer empfinden die Frage nach der Herkunft als verletzend? Wer sieht in dieser Frage vor allem ein authentisches Interesse? Und wie werden die verschiedenen Ansichten begründet?
Was muss, was kann, was darf?
Dieser Beitrag kann nur einige wenige Beispiele für Materialien und Aufgaben für das kulturbezogene Lernen vorstellen. Beispiele – nicht mehr und nicht weniger. Kulturelles Lernen muss und kann nur exemplarisch sein. Vielleicht konnte der Beitrag Lust machen auf die Entdeckung unendlich vieler solcher Beispiele.