„Zu kompliziert“, „Da geht zu viel Zeit verloren“ oder „Ich habe keine Kontrolle mehr darüber, was meine Schülerinnen und Schüler dort machen“ – das könnten die spontanen Reaktionen von Lehrkräften sein auf die Anregung, handlungsorientierte Aufgaben in digitalen Kontexten umzusetzen. Zu Recht, denn die Schülerinnen und Schüler sollen bei der Bearbeitung in der Regel nicht nur auf ihre Sprachkompetenzen zurückgreifen, sondern auch mediale, soziale und demokratische Kompetenzen einsetzen.
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Auch Bildungsplaner*innen haben die Wichtigkeit digitaler Lernwelten erkannt und Schlüsselkompetenzen wie
Digital Literacy oder
Digital Citizenship in die Lehrpläne aufgenommen.
Digital Literacy
Digital Literacy bezeichnet die Kompetenz, mit digitalen Medien umzugehen, diese fachgerecht zu nutzen und auf digitalen Wegen zu kommunizieren. Digitale Medien kritisch lesen, verstehen und nutzen zu können, stellt in einer Zeit, in der Technologie nahezu jeden Aspekt unseres Lebens durchdringt, eine unerlässliche Fähigkeit dar.
Digital Citizenship
Digitale Bürgerschaft lehrt Empathie, den Schutz der Privatsphäre und Sicherheitsmaßnahmen, um Datenverletzungen und Identitätsdiebstahl zu verhindern. Sie ist ein Schlüssel zur aktiven Teilnahme an der digitalen Welt und zur Förderung einer inklusiven, demokratischen Gesellschaft.
Die Bearbeitung solcher Aufgaben kann jedoch schnell zur Überforderung führen, bei den Lernenden wie auch bei der Lehrkraft: Wie viel Handlungsorientierung kann ich in solchen komplexen digitalen Welten einräumen, ohne die Kontrolle zu verlieren und den Zeitrahmen zu sprengen?
Ein Fundus digitaler handlungsorientierter Aufgaben
Mit dieser Frage beschäftigte sich eine Gruppe von Fremdsprachendidaktiker*innen im Rahmen des europäischen Projekts
Lingu@num. Das Projekt wurde mit Unterstützung der Europäischen Kommission finanziert. Es handelt sich um ein strategisches Partnerschaftsprojekt für digitale Pädagogik im Rahmen des Erasmus+-Programms und wurde kürzlich mit dem Siegel „Gute Praxis“ ausgezeichnet. Es bietet einen Katalog von handlungsorientierten Aufgaben sowie einen Leitfaden mit Informationen und Tipps für Lehrkräfte. Bevor man sich aber auf den Katalog stürzt, empfiehlt es sich, einen Blick auf die verschiedenen Aufgabentypen zu werfen.
Das Projekt unterscheidet zwischen Zielaufgaben, sozialen handlungsorientierten Aufgaben und im Leben verankerten Aufgaben. Da diese Aufgabentypen qualitativ unterschiedliche soziale Interaktionen verlangen, misst man ihnen auch einen unterschiedlichen Grad an Handlungsorientierung bei.
Schauen wir uns folgende drei Beispiele an:
Zielaufgabe: Stellen Sie sich vor, Sie möchten ein internationales Kochbuch schreiben. Wählen Sie ein typisches Gericht aus Ihrem Land aus und schreiben Sie das Rezept auf.
Soziale handlungsorientierte Aufgaben: Gehen Ihnen auch manchmal die Ideen aus, wenn es darum geht, etwas zu kochen? Wählen Sie ein einfaches Gericht aus Ihrem Land aus und schreiben Sie das Rezept für eine Rezeptsammlung auf, die an alle Gruppenmitglieder verteilt wird.
Im Leben verankerte Aufgaben: Sie wählen ein Kochrezept aus Ihrem Land aus und schreiben es auf, um es im Kochforum der Chefkoch-Website mit interessierten Internetnutzer*innen zu teilen.
Quelle:
www.linguanum.eu
Damit wird sofort klar, dass Zielaufgaben zwar einen konkreten Adressaten haben, jedoch die sozialen Interaktionen dort simuliert werden. Soziale handlungsorientierte Aufgaben und im Leben verankerte Aufgaben hingegen sehen echte soziale Interaktionen vor: Im ersten Fall ist die Schüler*innengruppe die adressierte Gruppe, während im zweiten Fall reale Adressat*innen außerhalb des Unterrichtskontexts angesprochen werden.
Wenn man berücksichtigt, dass Spracherwerb vor allem dann stattfindet, wenn das Gelernte für das Handeln in konkreten Situationen relevant ist (Roche et al. 2012, S. 32), dann lohnt es sich, die Anwendung in echten digitalen Kontexten anzustreben. Der
Lingu@num-Katalog bietet Lehrkräften eine breite Auswahl an Aufgaben für die Niveaustufen A1 bis B2 (siehe Abb. 1).
Hinter jeder Überschrift finden Lehrkräfte Handreichungen zu jedem Typ: als Zielaufgabe, soziale handlungsorientierte Aufgabe und im Leben verankerte Aufgabe (Abbildung 2). Die Handreichung enthält jedoch viel mehr: Didaktische Informationen (Themenfelder, Fertigkeiten, Lernziele etc.), möglicher Ablauf der Sequenz, mögliche digitale Ressourcen und Tools sowie Empfehlungen zur Umsetzung der Aufgabe im Präsenz-, Online- oder Blended-Learning-Unterricht.
Ein besonderer Schwerpunkt liegt außerdem auf der Förderung der
Digital Literacy und
Digital Citizenship. Die Handreichungen enthalten einen Abschnitt dazu, wie diese beiden Kompetenzen in die Aufgabe integriert ist. So werden Schülerinnen und Schüler beispielsweise in der Aufgabe „Ein Reiseziel auf einer Plattform bewerben“ dazu angehalten, nicht nur den Registrierungsprozess zu bewältigen, sondern auch Bilder und Text situationsgerecht zu kombinieren, eine für die Plattform adäquate Sprache zu verwenden und letztendlich Verantwortung für die Richtigkeit der Informationen zu übernehmen.
Selbstlernmodul für Lehrkräfte
Lehrkräfte haben zwei weitere Möglichkeiten, das eigene Wissen zu erweitern und zu vertiefen:
Sie können relevante Grundkonzepte und Ansätze, wie etwa die
Digital Literacy oder den sozio-interaktionalen Ansatz, durch interaktive Übungen in einem Selbstlernmodul genauer kennenlernen bzw. vertiefen. Alternativ können sie in die Rolle der Entwickler schlüpfen und mehr über die Erstellung und Implementierung neuer Aufgaben erfahren.
Ein Leitfaden beleuchtet die Vorteile des Sprachenlernens auf partizipativen Webseiten im Hinblick auf den Erwerb von
Digital Literacy und
Digital Citizenship. Die Website
Lingu@num bietet Lehrkräften in verschiedenen Unterrichtskontexten und mit unterschiedlichen Erfahrungshintergründen vielfältige Anregungen, um digitale Aufgaben handlungsorientiert in ihren Unterricht zu integrieren.
Literatur
Roche, J.; Reher, J. & Simic, M. (2012), Focus on Handlung. Münster: Lit.