Die Zeit zurückdrehen für Hollywoods alternde Filmstars

Robert De Niro spielt die Hauptrolle in dem Netflix-Film "The Irishman" Photo Credit: Landmark Media / Alamy Stock Photo

Die Zeit an der Ruhmesspitze Hollywoods kann für die Stars nur von kurzer Dauer sein. Künstliche Intelligenz treibt jedoch die digitale De-Aging Technologie voran und kann sogar lebensechte digitale Menschen erzeugen, was die Filmproduktion für immer verändern könnte.

Peter Griffin

Meine liebste Filmszene aller Zeiten spielt in einem Restaurant in Heat, Michael Manns Kriminal-Thriller, der in der Woche vor Weihnachten 1995 in die Kinos kam.
 
Es war das erste Mal, dass wir Al Pacino und Robert De Niro, die wohl größten Hollywoodstars ihrer Generation, gemeinsam auf der Leinwand sahen. Interessanterweise spielten beide auch in einem anderen meiner absoluten Lieblingsfilme mit: Der Pate - Teil II.
 
Doch erschien De Niro in diesem Kino-Klassiker nur in Rückblenden, nie zeitgleich mit Pacino. Hier saßen sie sich dann 20 Jahre später in einem schwach beleuchteten Café in Los Angeles gegenüber, der Bankräuber und der Polizist, und schlossen einen halbherzigen Waffenstillstand, um herauszufinden, wie jeweils der andere tickte.
 
Umgeben von ahnungslosen Gästen nehmen sich die beiden Männer einen Moment Zeit, um die Träume, die sie verfolgen, zu beschreiben. Es ist filmisches Gold. Zwei 'Method-Actors' - bereits in ihren Fünfzigern, aber immer noch auf der Höhe ihres Erfolgs - zeigen, was für Meister ihres Faches sie wirklich sind.
 
Die meisten A-Lister haben das Glück, eine, vielleicht sogar zwei solcher Kult-Szenen in ihrer Karriere spielen zu dürfen, bevor ihre Tage gezählt sind und sie von jüngeren, mehr Geld einbringenden Gesichtern verdrängt werden.
 
Aber was wäre, wenn Pacino und De Niro noch bis weit in ihre 70er, 80er Jahre oder sogar weit über ihre irdische Zeit hinaus gemeinsam in neuen Filmen auftreten könnten? Genau das ist jetzt dank unseres technologischen Fortschritts eine zunehmend realistische Perspektive.

Jugendlicher Ehrgeiz

Wir haben letztes Jahr einen Hinweis auf diese Zukunft in The Irishman bekommen, Martin Scorseses 140 Millionen US-Dollar schwere Netflix-Veröffentlichung über den verstorbenen amerikanischen Gewerkschaftsführer und Mafioso Jimmy Hoffa.
 
Scorseses aufwändige Produktion erforscht die Beziehung zwischen Hoffa (gespielt von Pacino) und seinem Freund Frank Sheeran - dem Mafia-Killer, der sowohl Hoffas Freund, aber, wie der Film suggeriert, auch sein Mörder war. De Niro's Auftritt als Sheeran stielt ohne Übertreibung allem die Show. 
 
Doch der Film stellte den siebzigjährigen Filmemacher Scorsese vor ein Dilemma. Die realen Ereignisse, die er schildert, erstrecken sich nämlich über Jahrzehnte von 1940 bis 1970. Seine Lieblingsstars waren bereits Mitte siebzig, als die Produktion von The Irishman begann. Kein noch so gutes Make-up oder digitale Nachbesserungen konnte sie in Hoffa und Sheeran der 50er Jahre verwandeln.
 
Stattdessen wandte sich Scorsese der neuesten De-Aging Technologie zu. Solche Techniken wurden bereits zuvor schon angewendet, insbesondere in The Curious Case of Benjamin Button, der 2008 veröffentlicht wurde und in dem Brad Pitt in der Hauptrolle rückwärts alternd von einem schrumpeligen alten Mann zu einem Kind wird.
 
Die Ergebnisse waren allerdings nicht ganz so überzeugend. Effektiver waren die Techniken, die bei der Darstellung von Will Smith als 23-Jährigen in Ang Lees Sci-Fi-Thriller Gemini Man angewendet wurden, der im letzten Jahr einige Monate vor The Irishman herauskam. Will Smith im Film „Gemini Man“ Will Smith spielt im Film „Gemini Man“ seinem 23-jährigen Ich gegenüber | Foto: Jerry Bruckheimer Films / Album / Alamy Stock Photo

 
Von Alt auf Jung schließen

In diesem Film geht es um Henry, einem alternden Auftragsmörder, der gezwungen ist, sich einem Klon seines jüngeren Ichs zu stellen. Das Filmstudio, das die De-Aging Technologie für Smith entwickelt hat, ist Weta Digital. Ich wohne nur ein paar Kilometer von den Studios in Wellington in Neuseeland entfernt, wo Meister der visuellen Effekte versuchen unterzutauchen, vor allem wenn es um Big-Budget-Filme geht.
 
Das Weta-Team verwendete eine Mocap-Bühne, um Smith - ausgerüstet mit Tracking-Punkten im Gesicht - zu filmen und so die gesamte Mimik und Bewegungen des 49-jährigen Schauspielers einzufangen. Dabei setzte Weta eine Technologie ein, die vor über 20 Jahren, als das Drehbuch zum Gemini Man geschrieben wurde, noch nicht verfügbar war.
 
Es wurden Clips aus Smiths frühen Auftritten wie der TV-Show Fresh Prince of Bel Air verwendet, um eine Datenbank mit Referenzbildern zu erstellen. Von diesen Bildern abgeleitete digitale Repliken wurden dann mit den Bewegungen und Ausdrücken, die während der Dreharbeiten zu Gemini Man aufgenommen wurden, kombiniert und mit Software so manipuliert, dass ein volldigitaler Henry entstand, der etwa 40 Minuten lang auf der Leinwand erscheint.
 
Dies war ein riesiger Sprung nach vorn, jedoch hat der Gemini Man diesen Sci-Fi-Style, der mit effektlastigen Filmen einhergeht. Würde der Effekt auch in den Händen eines Regisseurs der alten Schule wie Scorsese funktionieren, der eine naturalistische Ästhetik bevorzugt? Er schloss sofort aus, sich auf eine Mocap-Bühne zu stellen, auf der seine Schauspieler „Golfbälle im Gesicht“ tragen müssten, um die erforderlichen Gesichtsausdrücke einzufangen.

Der De-Aging Prozess

Stattdessen schlug der Designer für visuelle Effekte, Pablo Helman vom US-Spezialeffektstudio Industrial Light and Magic (ILM), eine andere Lösung vor. The Irishman könnte mit verschiedenen Kameras aufgenommen werden - eine Hauptkamera, um die Szene einzufangen, und zwei Infrarotkameras, um alle strukturellen Daten zu erhalten, durch die ältere Versionen von Pacino, De Niro und Joe Pesci, ein weiterer Veteran der Scorsese-Klassiker wie Goodfellas und Casino, erstellt werden können.
 
Dies bedeutete jedoch die Verwendung sperriger Geräte und trug erheblich zu den Kosten des Films und einer längeren Postproduktionsphase bei. Eine Software namens Flux wurde entwickelt, um die Infrarot-Informationen mit Bildern der jüngeren Charaktere zu kombinieren. Künstliche Intelligenz wurde auch verwendet, um Kataloge mit Referenzbildern aus den früheren Filmvorführungen der Schauspieler zu scannen, um geeignete Bilder zu finden die für den De-Aging-Prozess verwendet werden konnten. Die KI beschleunigte die mühsame Arbeit, überzeugende ältere Schauspieler in einem dreieinhalbstündigen Film zu präsentieren.
 
Scorsese erfüllte seinen Wunsch, mit seinen Schauspielern ohne die Ablenkung durch Green Screens und etlichen blauen Punkte im Gesicht zu arbeiten. Das Ergebnis ist das bisher überzeugendste Beispiel dafür, dass Schauspieler das Aussehen ihres viel jüngeren Ichs erhalten können.
 
Die von Weta und ILM verwendeten Techniken werden mit Sicherheit eine neue Welle des Filmemachens auslösen, die zunehmend von KI-Algorithmen und -Software beeinflusst wird. Sie ermöglichen alternden Schauspielern es nicht nur, für immer ein junges Gesicht zu bewahren, sondern könnten auch bereits verstorbene Ikonen wieder zum Leben erwecken, indem deren digitalisierten Auftritte verwendet werden, um Referenzdatenbanken zusammenzustellen und ihr Abbild zusammenzusetzen.
 
All dies wurde 2002 in Simone angedeutet- ein Film, der vom neuseeländischen Filmemacher Andrew Niccol geschrieben und inszeniert wurde und ebenfalls Al Pacino in der Hauptrolle zeigt. Al Pacino und Rachel Roberts in "Simone" Al Pacino und Rachel Roberts in "Simone" | Foto: AF archive / Alamy Stock Photo

Virtuelle Filmstars

Pacino spielt den Filmregisseur Viktor Taransky, der vor einer potentiell karrierebeendenden Krise steht, als sein Star Nicola Anders, gespielt von Winona Ryder, das Set verlässt und sich weigert, zurückzukommen.
 
Aufgrund vertraglicher Vereinbarungen durfte Taransky das Filmmaterial mit Anders nicht verwenden und er verfügte auch nicht über das Budget, den Film mit einer neuen Schauspielerin erneut zu drehen. Glücklicherweise wird ihm jedoch eine Rettungsleine zugeworfen, als er von einem Bekannten ein Computerprogramm erbte. Die hochentwickelte Animationssoftware, Simulation One, ermöglicht es ihm, eine vollständig computergenerierte Frau zu erschaffen - Simone.
 
Ihr Debüt im Film erregt Aufsehen - alle wollen wissen, wer diese junge, schöne Schauspielerin ist, und Taransky muss sich eine wasserdichte Ausrede ausdenken, um die anhaltende Abwesenheit seiner Hauptdarstellerin zu erklären.
 
Es ist kein besonders erfolgreicher Film und die Ironie ist, dass Simone von der Schauspielerin Rachel Roberts gespielt wird und keine hochmodernen visuellen Effekte eingesetzt wurden. Dafür aber hat der Autor uns mit Gattaca und The Truman Show zwei großartige Filme geschenkt hat, die vor ihrer Zeit eine Vision davon vermittelten, wie Technologie die Gesellschaft formen kann.
 
Jetzt ist diese Realität zum Greifen nah. Fortschritte in der KI werden es zunehmend ermöglichen, Simone-ähnliche Schauspieler aus Big-Data-Katalogen mit menschlichen Eigenschaften - Nasen und Münder, Augen und tätowierte Arme - zu generieren. Eine ähnliche KI ermöglicht es dann, diese mit Stimmen zu paaren, die aus jahrzehntelang aufgezeichneten Dialogen stammen.

Eine Illusion kreieren

Diese Fortschritte haben jedoch eine potentiell große Kehrseite - den Aufstieg der Deepfakes. Wir haben bereits einen unheimlich lebensechten Barack Obama gesehen, der mit ähnlichen Techniken kreiert wurde, wie sie von den Visual-Effects-Studios verwendet werden.


In einer Welt, die mit Fehlinformationen überflutet ist, stehen wir vor der Aussicht, in den sozialen Medien mit authentisch aussehenden Versionen unserer Führer bombardiert zu werden. Werden wir überhaupt noch wissen, wem wir vertrauen können?
 
Auf der anderen Seite werden bereits KI-Prädiktionsanalysen, die auf demografischen Daten und Daten aus sozialen Medien basieren, um zu bestimmen, was das Publikum auf dem Bildschirm sehen möchte. Der Empfehlungsalgorithmus von Netflix ist nur eine Manifestation davon.
 
Die Filmstars der Zukunft könnten durchaus vollsynthetisch sein. Ihre Körperform, ethnische Zugehörigkeit und Alter werden durch Algorithmen des maschinellen Lernens bestimmt, die auf das Publikum zugeschnitten sind. Aber welche Filme überhaupt grünes Licht erhalten, wird durch Algorithmen bestimmt, die den 'Hollywood-Prozess' entzaubern und den Faktor Glück herausnehmen. 
 
Sogar die Skripte können computergeneriert sein, wobei die OpenAI-Sprache Generative Pre-trained Transformer 3 (GPT-3) Deep-Learning-Modelle generiert, die seit kurzem überzeugende Kurzgeschichten und Essays mit nur wenigen Prompts als Ausgangspunkt produzieren.
 
Wem das alles ein bisschen manipulativ und unwirklich klingt, dem sei versichert: das ist es auch. Diese Technologie ist nicht ohne Risiken. Aber wenn es bedeutet, dass wir sehen können, wie Pacino und De Niro das Altern besiegen, um uns weiterhin zu unterhalten, dann ist es das vielleicht wert.
 
Wie der Auftragskiller Frank Sheeran in The Irishman sagt: „Oh Mann, man weiß gar nicht, wie schnell die Zeit vergeht, bis man ihr gegenübersteht.“ 

Weitere Stichworte von Peter Griffin über die Zukunft kreativer KI gibt es hier.

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