Artikel - chinnotopia
Chinas großer Sprung zum Quantencomputer

In China arbeiten Konzerne und Forschungseinrichtungen mit staatlicher Förderung daran, Quantencomputer zur Einsatzreife zu bringen. In diesem Longread finden Sie Antworten auf Fragen wie: Was sind die Besonderheiten des Quentencomputings und wie ist der derzeitige Entwicklungsstand? Was sind die Strategien von Konzernen und Politik – insbesondere in China –, die Entwicklung voranzutreiben? Wer sind die Stars der Forschungsszene? Woran arbeiten sie und wo werden die praktischen Einsatzbereiche von Quantencomputing sein? Die Autor*innen dieses Beitrags, Josie-Marie Perkuhn, Tania Becker, Nancy Wilms und Sven Pabis, sind eine Gruppe von Wissenschaftler*innen verschiedener deutscher Universitäten, die gemeinsam am Online-Format „chinnotopia – Future designed by China“ arbeiten, in dem die verschiedensten Aspekte von chinesischer Innovationskultur vorgestellt werden. Mit ihrer umfassenden Darstellung zum Quantencomputing gewähren sie uns einen Einblick in eine Entwicklung, die die Welt von Grund auf verändern könnte.

Die Entwicklung von Quantencomputern steht derzeit weltweit im Fokus der Wissenschaft, Politik sowie der interessierten Öffentlichkeit. Die Global Player im Bereich Forschung sind vor allem in den USA, China und Europa zu finden. Da die Entwicklung und Implementierung von Industrienormen in diesem Stadium der Forschung noch nicht vereinheitlicht ist, wird es in der baldigen Zukunft nicht nur einen universellen Quantenrechner geben, sondern auch viele weitere Ansätze mit unterschiedlichen Technologien und Anwendungsfeldern gleichzeitig entstehen. Wann es zu einem einsetzbaren Quantencomputer kommen wird, ist noch nicht absehbar. Der Sprung in das Quantum-Stadium steht noch aus. Robustheit und Stabilität sind eine Voraussetzung für die möglichst vielfältige Einsetzbarkeit eines Quantencomputers. Das Potenzial ist gewaltig, jedoch mangelt es an stabiler Hardware und zuverlässiger Software sowie an Algorithmen, die für eine genaue Anwendung des Quantencomputers noch geschrieben werden müssen.

Heutiger Forschungsstand und Besonderheiten von Quantencomputern

Bei einem Quantencomputer handelt es sich um eine mikroelektronische Anwendung quantenmechanischer Prinzipien zur Lösung komplexer mathematischer Aufgaben mithilfe der quantenphysikalischen Mehrdeutigkeit. Diese Aufgaben sind für die heutigen stärksten Supercomputer, wie den japanischen Fugaku, der eine Rechenleistung von fast einer halben Million TeraFLOPS aufweist, nicht lösbar oder sie würden dafür eine astronomisch lange Zeit benötigen. Quantencomputer können auch Lösungen finden, die uns bislang trotz der hohen Leistungen der klassischen Computer unzugänglich bleiben und damit eine neue Dimension der Digitalisierung einleiten. Mit der Zahl der Qubits wächst exponentiell die Stärke der Rechenleistung.
 

Was sind Qbits?

Qubit ist die gängige Abkürzung für Quantenbit, die grundlegende Informationseinheit eines Quantencomputers. Klassischen Computern liegt das Bit zugrunde, das exakt zwei Zustände einnehmen kann (0 oder 1). Ein Qubit, hergestellt zum Beispiel aus einem Atom oder Photon, kann aber nicht nur 0 und 1, sondern gleichzeitig jeden Zustand annehmen, der ein Vektor des Betrags 1 ist, also eine Superposition.

Die Entwicklung von Quantencomputern vollzieht sich schon seit geraumer Zeit in den Tech-Laboren der USA. Die dort ansässigen Großkonzerne wie Microsoft, Amazon, Google, Apple, Meta (Facebook), IBM oder Intel unterstützen verschiedene Projekte, die als Ziel die Erschaffung eines fehlerfrei funktionierenden Quantencomputers haben. Der Wettlauf in der Forschung läuft auf Hochtouren: Private Konzerne aber auch viele universitäre Einrichtungen wie das Massachusetts Institute of Technology (MIT) entwickeln zurzeit Rechner mit immer stärkerer Leistung, die schon jetzt im Bereich von hunderten von Qubits enorme Potenziale entfalten können. Auch eine große Zahl von Start-ups, mit reichlich Wagniskapital ausgestattet, arbeitet an den quantentechnologischen Aufgaben. Am Ende des Jahres 2021 wurde von IBM der neue Quantenchip „Eagle“ als erster Quantenprozessor der Welt mit insgesamt 127 Qubits angekündigt. Dieser IBM-Quantencomputer wäre somit ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zur praktischen Anwendung von Quantentechnologie. Denn seine rechnerische Kraft übertrifft die klassischen Supercomputer um ein Millionenfaches. IBM plant schon als Infrastruktur für neue leistungsfähigere Prozessoren das „System Two“ für ungefähr 300 Qubits. Ein Beispiel für europäische Ansätze zum Quanten-Computing bietet das Forschungszentrum Jülich (FZJ). Hier entstand unter dem Namen Jupsi (Juelich Pioneer for Spin Interference) ein Quantencomputer der neusten Generation als Pionierprojekt. Die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen diskutieren schon jetzt über die technischen Möglichkeiten, einen Quantenrechner mit mehreren Millionen Qubits zu bauen. Die Vorstellungen von einer Zukunft, die durch solche leistungsfähigen Computer gestaltet werden wird, liegt außerhalb unserer Fantasie.

Volksrepublik China und das Humankapital

Der Vorsprung der USA gegenüber China schwindet in der letzten Zeit. Das lässt sich am souveränen Auftreten der chinesischen Internet-Industrie beobachten. Die „Drei Großen“, Baidu, Alibaba und Tencent (BAT), investierten zunehmend in die Forschung mit solcher Quanten-Technik und befinden sich auf ständiger Suche nach innovativen Köpfen. Neben diesen und anderen großen Firmen-Investoren gehen auch staatliche und halbstaatliche Institutionen gezielt und verstärkt auf dem Heimatmarkt sowie im westlichen Ausland auf Talentsuche. Es werden beispielsweise Ableger chinesischer Think Tanks, Innovation-Hubs, Akzeleratoren und Inkubatoren gegründet. Hier werden eine klare Zieldefinition und eine stringente Umsetzung als komparative Stärke Chinas deutlich:
Schon seit Ende 2008, vor dem Hintergrund der globalen Finanzkrise, läuft das „Rekrutierungsprogramm für Experten“, auch bekannt als „Tausend-Talente-Plan“ (Qianren jihua 千人计划). Dabei sollen gezielt ausländische Spitzenkräfte angeworben und gleichzeitig auch im Ausland exzellente, an den westlichen Eliteuniversitäten ausgebildete chinesische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zur Rückkehr in die Heimat bewegt werden. Diese Maßnahmen der Regierung und die vorteilhaften Angebote, im Heimatland gute Jobs finden zu können, zeigen Erfolg: Viele Tech-Talente, insbesondere im Bereich von Künstlicher Intelligenz, Maschinellem Lernen, Software-Entwicklung sowie Quantum-Computing, kommen nach China. Dieser Trend ist nicht zu übersehen: Der Untersuchung Chinese Returnees from Overseas Study zufolge kehren mittlerweile über 70 Prozent der chinesischen Studierenden und Forschenden, die ins Ausland gegangen sind, zurück. Gemäß der sprichwörtlichen Regierungsdirektive „Im Ausland Blumen ernten, um in der Heimat Honig herzustellen“ (Yiguo caihua, Zhonghua niangmi 异国采花,中华酿蜜) begünstigt Chinas Regierung gezielt die Vorteilsaneignung intellektuellen Eigentums für strategische Zwecke. Das Knowhow der Rückkehrer kommt China zugute. Und das entspricht einer Strategie, die bis 2030 eine globale Überlegenheit in der Anwendung und Erstellung von Künstlicher Intelligenz (KI) auch mithilfe von Quantentechnologie erreichen soll.

Politische Strategie

In China stehen Quantentechnologien schon lange im Fokus der politischen Strategien. Das wird auch durch die strikte Regierungsplanung deutlich: Im aktuellen 14. Fünfjahresplan (2021–2025) werden „große Durchbrüche“ angekündigt. Diese sollen unter anderem in Technologiesektoren wie Quanteninformatik, Künstlicher Intelligenz, Halbleitern oder Raumfahrt entstehen. Durch einen gezielten „Brain Gain“ sowie durch zahlreiche nationale Innovationsprojekte, Ausbildungslabs und staatliche finanzielle Hilfe erhofft man sich, wesentliche Entwicklungsfortschritte bei den Quantentechnologien zu erzielen und die chinesische Tech-Industrie auf den Kurs zur Weltmarktführerschaft zu bringen. Dieses Ziel soll durch eine im Westen schwer vorstellbare konzertierte Strategie von Staat und Wirtschaft erreicht werden, wobei den privaten und staatlichen Forschungsinstitutionen optimale Finanz-, Forschungs- und Vermarktungsbedingungen geboten werden.

Wie ist dieses Ziel zu erreichen? China setzt vor allem auf evidenzbasierte Forschungsansätze, wissenschaftliche Publikationen und strategische Patente. Während europäische Patentanmeldungen im quantentechnologischen Bereich zurückliegen, werden aus den USA und China hohe Zahlen verzeichnet: Eine Recherche im Jahr 2019 hat ergeben, dass die USA und China die Hälfte der Patente in der Quantentechnologie halten. Dieser Erfolg ist auf die Fördermittel zurückzuführen: In den USA werden hauptsächlich von den Tech-Megakonzernen Gelder für eine aggressive Patentenpolitik ausgegeben; in China stellt vor allem der Staat die Förderung bereit und sie kommt meistens der Forschung an staatlichen Institutionen und Universitäten zugute. Große Summen werden für die Kommerzialisierung von Quantentechnologien im Bereich von Quantenkommunikation sowie für die Weiterentwicklung von Quantum Key Distribution (QKD,Verfahren der Quantenkryptografie) und der Kaltatominterferometrie (genutzt unter anderem bei Quantensensorik und -metrologie) ausgegeben. Ein besonderer Fokus chinesischer Aktivitäten liegt auch auf der militärischen Nutzbarkeit von quantenmechanischen Prozessen, die mit der zivilen Forschung stark verknüpft werden. Obwohl die genauen Zahlen intransparent gehalten werden, wird eine elfstellige Summe in Euro zusätzlich zu den laufenden staatlichen Förderungen kolportiert.

In Hefei, Hauptstadt der chinesischen Provinz Anhui, entsteht ein 10 Milliarden Euro teures Forschungszentrum, ein nationales Laboratorium für Quantenkommunikationstechnologien. Auch die ostchinesische Stadt Jinan will ein Quantum-Valley aufbauen, in welcher bis 2025 Projekte in Milliarden-Euro Höhe entstehen sollen. 

Aber nicht nur vom Staat, sondern auch von den chinesischen Online-Riesen fließt viel Geld in die Erforschung von Quantentechnologie. So hat beispielsweise das Unternehmen Alibaba angekündigt, einen Teil seiner geplanten Ausgaben für Forschung und Entwicklung in Höhe vonungefähr 13 Milliarden Euro in die Entwicklung vom Quantum-Computing zu investieren.

Quantenschlüsselaustausch, Quantenkryptographie und das QNet

Quantenschlüsselaustausch (Quantum Key Distribution, QKD) ist das bekannteste Verfahren in der Quantenkryptograpfie. Die Anwendung von quantenbasierter Kryptografie macht es möglich, Nachrichten abhörsicher zu übertragen. Zurzeit ist die Verbreitung der terrestrischen QKD-Netze in China weltweit am weitesten fortgeschritten. China betreibt schon eine 2.000 Kilometer lange Quantenleitung zwischen den Städten Shanghai, Hefei, Jinan und Peking. Aufgrund der maximalen Übertragungslänge der Quantenzustände von rund 100 Kilometern in den Glasfasern müssen die Nachrichten an 32 trusted nodes (vertrauenswürdigen Relaisstationen) entschlüsselt und wieder verschlüsselt werden, um weitergeleitet werden zu können. Die Entdeckung von Quantenrepeatern machte das Quantennetz (QNet) erst möglich. Die Attraktivität einer immanent sicheren Quantenverschlüsselung macht ihre Benutzung nicht nur für das Militär und die Regierungen, sondern auch für zahlreiche kommerzielle Anwendungen interessant. Es finden schon virtuelle Arzttermine oder auch geheime Projektbesprechungen über das QNet statt.

Das QNet könnte drei Anwendungen anbieten, die es im herkömmlichen Internet bislang nicht gibt: abhörsichere Kommunikation, sicheres Quantenrechnen in der Cloud und spurloses Suchen im Netz. Für die nächsten Jahre planen China und die USA den Aufbau von großen Netzwerken für Quantenkryptographie, die zum Ursprung eines allgemeinen QNetzes werden könnten. Solche ambitionierten Infrastrukturprojekte umfassen schon heute die Planung von quantenfähigen terrestrischen Glasfasern, Unterseekabeln sowie vor allem Kommunikationssatelliten. 

Quantensatellit und Quantencomputer

Im August 2016 hat China den quantenbasierten Satelliten „Micius“ gestartet. Der Satellit, der nach Mozi 墨子, einem Philosophen aus der Zeit der Streitenden Reiche (480–221 v. Chr.) benannt wurde, war der Auftakt für die erste erfolgreiche Übertragung eines Quantenschlüssels und einer darauf basierenden verschlüsselten Kommunikation. Der Leiter des Projektes, der chinesische Physiker Pan Jianwei 潘建伟, führte von China aus einen quantenverschlüsselten Videochat mit seinem ehemaligen Doktorvater, Anton Zeilinger, der in Wien saß. Die Entfernung zwischen den zwei Quantenphysikern betrug etwa 8.000 Kilometer. Es gelang ihnen also, einen Schlüsselaustausch per Satellit zwischen China und Österreich durchzuführen und dadurch einen sicheren Kommunikationskanal aufzubauen. Der Satellit fungierte dabei als trusted node. Die so über QKD verschlüsselte Videokonferenz wurde dann über eine normale Internetverbindung geführt. China plant bis 2030 ein flächendeckendes QNet aufzubauen.

Pan Jianwei ist der führende Quantenwissenschaftler des Landes. Er wird „Chinas Einstein“ genannt und gehört zur Riege der chinesischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die ihre Ausbildung auch im Ausland genossen haben. Pan promovierte in Wien bei Anton Zeilinger, einem der bekanntesten Quantenwissenschaftler der Welt. Pan forschte in Heidelberg und kehrte dann nach China zurück, wo er heute als „Vater der Quanten“ verehrt wird. Er ist so hoch angesehen, dass sein Labor an der University of Science and Technology of China (USTC) in der Stadt Hefei gelegentlich vom Staatspräsident Xi Jinping besucht wird. Pans Ziel ist es, ein Langstrecken- und Hochgeschwindigkeits-Quantenkommunikationssystem zu bauen, das mit klassischer Kommunikationstechnik kompatibel sein wird und bis zu zehn Milliarden Mal schneller ist als Sycamore, Googles Quantencomputer von 2019.

Im Mai 2021 entwickelte das Forschungsteam um Pan Jianwei einen programmierbaren supraleitenden Quantenprozessor mit 62 Qubits und nannte ihn Zu Chongzhi 祖沖之, nach einem bekannten chinesischen Mathematiker und Astronomen aus dem 5. Jahrhundert. Das Ziel des Systems ist es, die Anzahl integrierter Qubits synchron zu erhöhen und die Leistung supraleitender Qubits zu verbessern, um die Verarbeitungsgeschwindigkeit bestimmter Probleme exponentiell zu beschleunigen und schließlich in der Praxis anzuwenden.

Die Forschung an den Quantencomputern läuft in China zurzeit auf Hochtouren weiter: Einige Monate nach der ersten Version von Zu Chongzhi wurde ein Nachfolger mit 66 Qubits vom Team um Pan Jianwei in der Kooperation mit dem Shanghaier Institut für technische Physik (Chinesische Akademie der Wissenschaften) vorgestellt. Die vier zusätzlichen Qubits können sowohl eine qualitative als auch quantitative Verbesserung der Rechenleistung erreichen. Der Zu Chongzhi 2.0 ist somit zehn Millionen Mal schneller als der schnellste herkömmliche Supercomputer und eine Million Mal höher als der supraleitende Quantencomputer Sycamore von Google. Aber auch ein anderer chinesischer Quantencomputer, Nine Chapter 2, verdient hier eine Erwähnung: Ende 2021 vorgestellt, ist er ein Produkt der Forschungsteams aus Hefei, Shanghai und Wuxi. Seine auf bestimmte Probleme zugeschnittene Verarbeitungsgeschwindigkeit ist Hundert Billiarden (1017) Mal schneller als der herkömmliche Supercomputer. Nach den USA ist China also das zweite Land der Welt, das Quantenüberlegenheit erreicht hat.

Quantenüberlegenheit: Das Fundament der Zukunft

Da es sich bei der Quantentechnologie um eine Basistechnologie handelt, wird die Geschwindigkeit der künftigen technischen Revolution sehr stark von der Kompetenz auf diesem Gebiet abhängen. Die europäische Industrie spürt das bereits schmerzhaft bei der momentanen Abhängigkeit von importierten Hochtechnologien aus Asien, wie Computerchips, pharmazeutischen Chemikalien und Vorprodukten zur Herstellung von weiteren Hochtechnologien (zum Beispiel Batterien). Die technologische Überlegenheit über die bisherigen, konventionellen Produktionsverfahren ist auch für die künftige politische Souveränität Europas kritisch. Obwohl dies mittlerweile in Politik und Medien thematisiert wird, ist die Erlangung der notwendigen technischen Kompetenzen noch nicht weit fortgeschritten. Es ist auch fraglich, ob die europäischen Verbraucherinnen und Verbraucher die unausweichlich höheren Preise zu zahlen bereit sind – beispielsweise für mobile Geräte, Netzwerktechnologie, Auto- und Unterhaltungselektronik. Man kann durchaus sagen: Europa hat den Trend zur Digitalisierung des Alltags verschlafen.

Die globalen Megakonzerne bestehen heute ausschließlich aus technologie- und internetbasierten Geschäftsmodellen. Sie haben die Riesen der „alten Industrie“, wie Big Oil, Big Steel und Aerospace längst hinter sich gelassen. Die Börsenwerte der Tech-Giganten sind heute höher als das Bruttoinlandsprodukt großer Industriestaaten. Allein diese Zahlen zeigen die ungeheure Finanzmacht der neuen Quantentechnologie, die bislang hauptsächlich von Internetriesen entwickelt wird. China spielt durch eine geschickte Politik zur Förderung der einheimischen Megakonzerne in dieser Liga problemlos mit. Europa ist dagegen nur in der zweiten Reihe anzutreffen. Auch wenn die Kommunistische Partei Chinas mittlerweile gegen einige Konzerne wie Alibaba oder Didi rigoros vorgeht, hat auch die Volksrepublik noch kein Konzept gegen die Bildung von Monopolisten in der Internetindustrie gefunden. Die Abhängigkeit von Europa besteht gegenüber den USA in der E-Commerce-Wirtschaft, gegenüber China aber in der Produktion technisch hochwertiger Artikel, die unsere Gegenwart und Zukunft bestimmen. Will Europa an der immensen Wertschöpfung solcher Produkte und Dienstleistungen für Alltag und Industrie teilhaben, führt an einer forcierten Förderung des europäischen Quanten-Technologiesektors kein Weg vorbei. Nur durch eine geschickte Unabhängigkeit von dem dominierenden China wird Europa auf diesem entscheidenden Gebiet als Impulsgeber für technische Perspektiven überleben.

Die Entwicklung und die Anwendungsmöglichkeiten der Quantentechnologie stehen noch am Anfang. Ihre Potenziale scheinen schon deshalb magisch, weil in dieser Wissenschaft der Elementarteilchen die Grenzen von Raum und Zeit unscharf werden. Die Chancen für disruptive Innovationen, die sich angesichts der schnell aufkommenden Veränderungen auf diesem Gebiet auftun, liegen jenseits der Grenzen empirischer Prognosen. Durch den grundsätzlichen Charakter der quantenmechanischen Effekte werden – ähnlich wie bei der Einführung der Digitalisierung und des Internets – alle Lebensbereiche von radikalen Innovationen betroffen sein. Insbesondere komplizierte Prozesse unterliegen dann einer algorithmischen Verarbeitung. Dazu zählen medizinische Anamnese, Erstellung juristischer Schriftsätze, Konstruktionslösungen in Technik und Architektur, Kontroll- und Leitfunktionen in der Logistik und dem öffentlichen Verkehr, und nicht zuletzt die Planung, Kalkulation und Durchführung politischer und militärischer Strategien. Die möglichen Disruptionen werden vor keiner kulturellen Tradition, keinem gesellschaftlichen Bereich und keiner Berufsgruppe Halt machen.

Doch vor dem ambivalenten Zauber, der diesen Anfang begleitet, stehen gewaltige technologische und wissenschaftliche Anstrengungen. Schon die Möglichkeit der völlig abhörsicheren Quantenkryptographie und eines darauf basierenden Quanteninternets setzen technologische Fähigkeiten voraus, die nur wenige Staaten und Gesellschaften besitzen: Einen höchstentwickelten Wissenschafts- und Forschungsbetrieb, eine high-end Elektronikindustrie und ein ebenso hochentwickeltes Engineering. Auch der Schritt von der labormäßigen Forschung zum robusten Einsatz der Quantenverschränkung ist nur mit ungeheurem finanziellen Aufwand sowie Wissenstransfer zu leisten. Im Vergleich zur Entwicklung herkömmlicher Rechner befinden wir uns ungefähr auf dem Niveau von 1975. Es bleibt für die nächste Zukunft eine große Herausforderung, einen voll fehlerkorrigierten und universell einsetzbaren Quantenrechner zu entwickeln.

Der globale Wettlauf um Quantentechnologien wird täglich härter und die Ungewissheit über die Zukunft der Gesellschaft gewinnen immer mehr an Bedeutung. Es bleiben in diesem Zusammenhang viele Fragen offen: Wofür werden diese enormen Rechenleistungen eingesetzt? Wird die Geschwindigkeit der Forschung schon in der nahen Zukunft unser Leben völlig anders aussehen lassen? Wohin wird uns die Entwicklung im Bereich der Quantencomputer bringen? Wird sich die Spaltung zwischen den auf diesem Gebiet führenden Nationen und dem Rest der Welt noch mehr vertiefen?
Wer das Rennen um den Großen Sprung in das Quantencomputer-Zeitalter gewinnen wird, ist also noch offen; es steht jedoch fest, dass die neuen Technologien das Potenzial haben, unsere zukünftige Lebenswelt gigantisch zu verändern.
 

Weiterführende Literatur

Kagermann, H./Süssenguth, F./Körner, J./Liepold, A. (2020): Innovationspotenziale der Quantentechnologien der zweiten Generation; (acatech IMPULS), München. https://www.acatech.de/publikation/innovationspotenziale-der-quantentechnologien/

Mainzer, Klaus (2020): Quantencomputer. Von der Quantenwelt zur Künstlichen Intelligenz; Springer Nature, Berlin.

Meier Christian J. (2021): Eine kurze Geschichte vom Quantencomputer; (TELEPOLIS), Heidelberg 2021.

Patel N.V. (2020): China: Überholmanöver bei der Quantenkryptographie, in: Technology Review. Das Magazin für Innovation. https://www.heise.de/tr/artikel/China-Uebe-rholmanoever-bei-der-Quantenkryptografe-4623639.html

Zhang Q./Xu F./ Li L.`/Liu N.L. (2019): Quantum Information Research in China, in: Quantum Science and Technology 4, 40503.