„The Tinikling Dance” 1954 Öl auf Leinwand, Gemälde von Fernando Amorsolo. The Tinikling Dance” 1954 Öl auf Leinwand, Gemälde von Fernando Amorsolo. | Foto: National Commission for Culture and the Arts (NCCA), lizenziert unter CC BY-NC-SA 2.0.
Technophobie und philippinischer Nationalismus

Die Pfeiler der Bahay Kubo - Teil 1

Von Tad Ermitaño, 2020

In den frühen 1980er Jahren stieß ich auf das Mowelfund Film Institute, das damals seine Hochphase der experimentellen Film-Workshops erlebte. Ich war gerade vor der Wissenschaft geflüchtet, hatte eine Vorliebe für außergewöhnliche Musik und fühlte mich sofort zum experimentellen Film hingezogen. Dieser förderte und vereinte meine vermeintlich gegensätzlichen Affinitäten zum Technischen und zum Transzendenten. Während allerdings die Mowelfund-Gemeinschaft Versuche der radikalen Gesten zu schätzen wusste, kamen zu den Vorführungen unserer Arbeiten vor allem Kunstliebhaber*innen mit konventionellen Geschmäckern. Es war nicht unüblich, anschließend Teile des Publikums (also Philippiner*innen) sagen zu hören, dass sie als Philippiner*innen diese Art von Filmen nicht mögen. Immer wieder fielen im Zusammenhang mit den Filmen Adjektive wie „westlich”, „amerikanisch” oder „europäisch”.

Philippinische Filme, so schien es, sollten Filme mit „Seele” sein. Etwas, das am Herzen zerrt, oder alternativ über einen ausgeprägten Sinn für Humor verfügt. Ich bekam wiederholt zu hören, dass alles, in das ich involviert war – egal, ob experimentelle Musik, Videoinstallationen oder interaktive Installationen mit Sensoren, Computern und Programmierung –, sehr „westliche” oder zumindest „Erste Welt“-Kunst sei. Diese solle man doch besser den Ländern überlassen, die sie erfunden haben. Die Bemerkungen implizierten, dass diese Kunstformen simpel und/oder stumpf den Modetrends im Westen folgten, und dass die involvierten philippinischen Künstler*innen so etwas wie die Punks aus wohlhabenden Familien seien, die in der tropischen Hitze Manilas teure Lederjacken trugen.

Angesichts des Respekts, den experimentelle Videos heute genießen, können einem solche Erinnerungen wie ein schlechter Traum vorkommen. Es ist schwer, die damals herrschende Stimmung in Worte zu fassen. Andererseits erinnere ich mich daran, wie ich in bestimmten Situationen wusste, was ich besser für mich behalte, wenn ich nicht beschuldigt werden wollte, „amerikanisch“ zu sein. Was natürlich ein Synonym für unphilippinisch war. Es hatte nicht nur damit zu tun, Englisch zu sprechen. Es galt als „amerikanisch” über die Beschaffenheit von Musik zu reden.

Zumindest im Bereich der Kunst gingen fast alle Bekenntnisse zur Unwissenheit über bestimmte technische Angelegenheiten unweigerlich mit einer Rhetorik einher, die alles Technische negiert und als unwichtig oder fehlgeleitet abtut.

Etwas im Detail zu diskutieren war “amerikanisch”. Selbst so etwas Einfaches, wie nach Beweisen für eine Aussage zu fragen, konnte diese Beschuldigung nach sich ziehen. Zweifellos war die Motivation hinter dem Vorwurf auch, dass analytische Bestrebungen einer ungezwungenen Unterhaltung tendenziell im Weg stehen. Diese wiederum ist Voraussetzung für die sehr geschätzte philippinische Eigenschaft des Pakikisama – ein Wort, das viel mit dem japanischen Wa gemein hat, welches gemeinhin mit „Harmonie” übersetzt wird. Das Hinterfragen gewohnter Gebräuche untergräbt die Gemeinsamkeiten, die die Voraussetzung für eine lockere Unterhaltung sind. Es sei denn, das Hinterfragen IST die Gemeinsamkeit. „Pilosopo” – Philosoph – ist ein Schimpfwort auf den Philippinen, das Äquivalent zu „Klugscheißer”. Es ist kein Problem, sich Grundlegendem zuzuwenden, wenn deine Gesprächspartner*innen nach Antworten suchen. Gar nicht gern ist es allerdings gesehen, wenn dein Gegenüber keine Fragen erwartet oder diesen gegenüber sogar feindlich gestimmt ist. Aber auch wenn Pakikisama zumindest teilweise die Logik erklärt, nach der das Sonderbare und Befremdliche als unphilippinisch verstanden werden kann, so erklärt es noch lange nicht alles. Ich würde das Manila, in dem ich aufgewachsen bin, als einen Ort bezeichnen, der von einer umfassenden und instinkthaften Technikfeindlichkeit durchdrungen war. Zumindest im Bereich der Kunst gingen fast alle Bekenntnisse zur Unwissenheit über bestimmte technische Angelegenheiten unweigerlich mit einer Rhetorik einher, die alles Technische negiert und als unwichtig oder fehlgeleitet abtut. Es wurde als unwichtig oder fehlgeleitet abgetan. Warum diese Ablehnung? Und was hatte das alles mit Amerika zu tun? 

Aus heutiger Sicht glaube ich, in diesem Gewirr vermeintlich ungleicher Phänomene eine Reihe von Symptomen zu erkennen. Das heißt als Manifestationen einer einheitlichen und grundlegenden Ursache, die ihre Wurzeln in der historisch gewachsenen Assoziation von Technologie mit den Kolonialherrschern der Philippinen hat.


Geschichte und Technologie 

Anshin Reiskocher. Anshin Reiskocher. | Foto: Khindmis, lizenziert unter CC BY-SA

Nehmen wir diesen Klassiker asiatischer Küchentechnologie, den Reiskocher. Er wurde in Japan erfunden, um das Kochen von Reis zu optimieren, das Grundnahrungsmittel dieser Kultur. Er macht diese eine Sache und nichts anderes. Das alte Modell in meiner Küche hat nur einen einzigen Schalter.

Die koloniale Vergangenheit der Philippinen bedeutet auch, dass fast jede massenproduzierte Technologie importiert ist und Spuren der Gewohnheiten, der Umgebung und der Kultur seiner Erfinder*innen trägt.


Es ist ein Werkzeug, das perfekt zu den Gewohnheiten der Menschen passt, die ihn erfunden haben; ein Werkzeug so nüchtern in seinem Design, dass es fast schon Zen ist. Am anderen Ende dieses Spektrums befände sich ein beliebiges Auto auf den Straßen Manilas – importiert allein wegen seines Preises –, das zwangsläufig mit sinnlosen und unpassenden Funktionen ausgestattet ist wie Heckscheibenheizungen, einem Lenkrad auf der rechten Seite oder einer unzureichenden Klimaanlage. Die koloniale Vergangenheit der Philippinen bedeutet auch, dass fast jede massenproduzierte Technologie importiert ist und Spuren der Gewohnheiten, der Umgebung und der Kultur seiner Erfinder*innen trägt.

Es ist verständlich, dass die Alltagserfahrungen von Menschen, die ständig mit den Inkongruenzen der importierten Maschinen konfrontiert werden, die Vorstellung stärken, dass Technologie an und für sich etwas Fremdes ist. Ich würde allerdings sagen, dass sich hinter dieser Einstellung tiefer reichende und heimtückischere Mechanismen verbergen. 


Eine kleine Einführung in den philippinischen Nationalismus 

„<a href="https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Espana_y_Filipinas_by_Juan_Luna.jpg" target="_blank">España y Filipinas</a>” 1886 Öl auf Leinwand, ein Gemälde des philippinischen Malers Juan Lunas. España y Filipinas” 1886 Öl auf Leinwand, ein Gemälde des philippinischen Malers Juan Lunas. | Foto mit freundlicher Genehmigung des Lopez Museum

Die Philippinen sind ein Gewirr ethnischer Gruppen, die durch das historische Unglück der Kolonisation vereint sind (ich möchte fast schreiben „kaum vereint“). Zuerst waren es die Spanier, später die USA. Wir sprechen über 80 verschiedene Sprachen, die gegenseitig kaum verstanden werden. Unsere gemeinsame Geschichte ist vor allem eine Geschichte der kolonialen Unterdrückung, eine Geschichte, die uns vor die beiden Aufgaben stellte: 1) Besagtes ethnisches Gewirr als Menschen mit einer gemeinsamen Geschichte und einem gemeinsamen Schicksal zu begreifen und 2) Eine existenzielle Ordnung zu entwerfen, in der die Kolonialherren nicht die Spitze und/oder Vorbild und/oder Lehrer sind.

Die erste dieser beiden Aufgaben erhielt einigen Anschub durch den Roman Noli Me Tangere (Latein für „Rühre mich nicht an“) des philippinischen Nationalhelden und Universalgelehrten Dr. José Rizal. Der Roman erzählte vom Unrecht, das unter der spanischen Kolonialregierung verübt wurde. Die anschließende Verfolgung des Autors und letztendlich seine Hinrichtung durch das Kolonialregime bestätigten die Annahmen seines Werks. Die zweite Aufgabe konnte Noli Me Tangere allerdings nicht erfüllen. Rizal lehnte die bewaffnete Revolution ab, die vom Geheimbund der Katipunan befürwortet und schließlich auch ausgeführt wurde. Rizal glaubte, dass der Pfad zur Genesung vom kolonialen Missbrauch in einer angemessenen Repräsentation innerhalb der spanischen Cortes lag, der Ständeversammlung. Seine Schriften sind voller Verweise auf "Mutter Spanien" und lassen vermuten, dass er Spanien in der gleichen Weise wie sein Landsmann, der Künstler Juan Luna, verstand.

Dessen Gemälde España y Filipinas (der alternative und eindeutigere Titel lautet: España Guiando a Filipinas, Spanien führt die Philippinen) zeigt die beiden Länder als Frauen auf der Treppe des Fortschritts: Das große, hellhäutige, breitschultrige Spanien in einem roten Kleid zeigt seiner kleineren, dunkelhäutigen Begleiterin etwas in der erleuchteten  Ferne – die aufgehende Sonne?


Technologie als Kolonialmacht

„<a href="https://commons.wikimedia.org/wiki/File:School_Begins_1-25-1899.JPG" target="_blank">School Begins</a>” von Louis Dalrymple. Das Bild erschien im Puck Magazin am 25. Januar 1899. School Begins” von Louis Dalrymple. Das Bild erschien im Puck Magazin am 25. Januar 1899. | Gemeinfrei.

Die Macht des Kolonisators ist nicht nur eine der Gewalt oder der militärischen Überlegenheit. Die heimtückische und viel tiefer reichende Macht zieht er daraus, als Vorbild oder Ziel zu erscheinen. Der Kolonisator erscheint als jemand, der auf dem natürlichen Pfad des Fortschritts schon weiter ist. Der einzige Weg vorwärts ist der Pfad, der zu ihm führt. Diese Lesart erhielt einige Unterstützung vom Ethos des Darwinismus, dessen Biologismus von kolonialen Wissenschaftlern gekapert wurde, um Ethnien und Kulturen innerhalb der Hierarchien und Narrativen des linearen Fortschritts zu gruppieren und einzuordnen, die die kolonialen Vorhaben rechtfertigten und begünstigten.

Der Kolonisator erscheint als mächtig und rechtmäßig, und seine Technologie und seine Wissenschaften (im Sinne von Systemen organisierten Wissens) sind das Destillat dieser beiden Aspekte. Seine Technologie vollbringt Unglaubliches in einer unglaublichen Größenordnung. Seine Wissenschaften offenbaren die Schlüssel zu seinen Wundern und zu den Geheimnissen einer unsichtbaren Welt. Auch wenn sich weiterhin darüber diskutieren lässt, ob die Naturwissenschaften letzten Endes wertneutral sind, so lässt sich heute nicht von der Hand weisen, dass 1) Technologie (wie unser Reiskocher gezeigt hat) von Kultur beeinflusst ist und dass 2) Das koloniale Bildungssystem, in dem die Wissenschaften schließlich gelehrt werden, fast immer den Studierenden die Sitten des Kolonisators einimpft. Der Pfad zu den Wissenschaften des Kolonisators beinhaltet auch, dass der/die Indigene lernen muss, sich wie der Kolonisator zu kleiden, wie er zu sitzen, wie er zu essen, wie er zu schreiben, wie er zu sprechen und letztendlich wie er zu denken. Die indigene Kultur gilt in fast allen Punkten als minderwertiger oder primitiver als die koloniale Kultur. Die indigene Kultur ist die Schülerin und die Kultur der Kolonialherren die Lehrerin.

Der Autor von Noli Me Tangere war, bei all seinen Tugenden, der Aufgabe nicht gewachsen, diese Weltanschauung zu überwinden. Rizal, ein in Europa ausgebildeter Intellektueller, sah die kolonialen Missstände als ein Problem der fehlerhaften Implementierung eines an sich richtigen – gar lobenswerten – Systems. Er verstand seine Aufgabe darin, Spanien zur Verantwortung zu ziehen und einzufordern, dass es seine Rolle als Vorbild und Mentor auch für das Volk wahrnimmt, das es unter seine Fittiche genommen hatte.


Die Treppe des Fortschritts verlassen


Aus heutiger Entfernung können wir sagen, was notwendig wäre, um dieses Lehrer-Schüler-Bild der kolonialen Realität zu überwinden. Um die fest in dieses Weltbild eingebettete Hierarchie zu diskreditieren, müsste man Wege finden, die indigene Kultur als in mancher Hinsicht überlegen zu verstehen, oder zumindest einen Pfad in ihre Zukunft oder eine Rolle für sie in der Welt zu ersinnen, der oder die sich von denen des Kolonisators unterscheidet.

In seinem Buch Pasyon and Revolution zeigt der Historiker Reynato C. Ileto, dass eine solche Kritik tatsächlich in den Cofradias ausgearbeitet wurde – den religiösen Bruderschaften, die während der spanischen Kolonialzeit eine wichtige Rolle bei den Aufständen der indigenen Bevölkerung spielten, wie auch während der Philippinischen Revolution von 1896. Die Cofraidas beriefen sich auf christliche Themen und Vorstellungen, um Bilder einer armen, aber tugendhaften Existenz und eines rechtschaffenen Lebens zu zeichnen, das zwangsläufig mit der ungerechten kolonialen Realität kollidierte.

Um die fest in dieses Weltbild eingebettete Hierarchie zu diskreditieren, müsste man Wege finden, die indigene Kultur als in mancher Hinsicht überlegen zu verstehen, oder zumindest einen Pfad in ihre Zukunft oder eine Rolle für sie in der Welt zu ersinnen, der oder die sich von denen des Kolonisators unterscheidet.

Das führte immer wieder zu Protesten und bewaffneten Aufständen unter den Massen der, wie die spanische Bildungselite sie nannte, pobres y ignorantes, den Armen und Ungebildeten.
 
„The Tinikling Dance” 1954 Öl auf Leinwand, Gemälde von Fernando Amorsolo. The Tinikling Dance” 1954 Öl auf Leinwand, Gemälde von Fernando Amorsolo. | Foto: National Commission for Culture and the Arts (NCCA), lizenziert unter CC BY-NC-SA 2.0.

Der Nachhall dieses Denkens lässt sich auch in Fernando Amorsolos Gemälden aus den 1950er Jahren sehen. Amorsolo ist berühmt für seine kitschigen, dörflichen Idyllen: romantische Szenen, in denen idealisierte Indigine in einem ländlichen Garten Eden lebten. In seinen Gemälden beschwört er eine Art unkomplizierte Harmonie herauf, getaucht in provinzielle Farben. Oft sind die Menschen barfuß und leben in Nipa-Hütten oder Bahay Kubo, wie man sie auch nennt – Pfahlbauten aus Bambus mit Strohdächern. Die Kubo-Bewohner*innen verkaufen Früchte, bestellen Land oder tanzen den Tinikling, einen Werbetanz, bei dem die Tanzenden mit den Füßen geschickt zwischen Bambusstangen manövrieren, die im Walzer-Rhythmus zusammengeschlagen werden. Die Gemälde sind überschwemmt mit einer Ikonografie, die das Wesen der Philippiner*innen als das einer Art edler Provinzialität begreift und präsentiert, ein einfaches Leben umgeben vom Überfluss der Natur.

Diese Vorstellung traf eindeutig den Nerv der Zeit. Insbesondere Amorsolos Tinikling-Serie war so etwas wie ein Hit. Schon eine schnelle Google-Suche liefert mindestens zehn Versionen des Gemäldes. Dieses Bild der Tinikling tanzenden edlen Provinzler mit ihren Bahay Kubo findet sich überall dort, wo die Philippinen repräsentiert sind – von der Tourismuswerbung, über die Inneneinrichtungen philippinischer Restaurants, bis hin zu Aufführungen philippinischer Gemeinden im Ausland. Ich würde sogar sagen, dass sich die Logik der noblen Provinzler in der Musik und den Schriften des Komponisten Jose Maceda manifestiert. Besonders interessant wiedergegeben finde ich diese Manifestationen allerdings in den Filmen von Eric de Guia, besser bekannt als Kidlat Tahimik.
 
Bahay Kubo und Noble Provinzler auf alten Werbepostern für die Philippinen. Bahay Kubo und Noble Provinzler auf alten Werbepostern für die Philippinen. | Screenshot einer Google-Suche