© Foto by Fatha K.
Ein Interview mit Nguyễn + Transitory
Scheitern am Unmöglichen: Versuche zur Verkörperung des Matriarchats
Von Kamila Metwaly, Wiederveröffentlicht 2021Das in Berlin lebende Duo Nguyễn + Transitory (Nguyễn Baly und Tara Transitory) durchkreuzt die Grenzen zwischen Sound, Synthese, Noise, Rhythmus und Performance, um verschiedene südostasiatische + diasporische, queere Existenzen und Geschichten zu erkunden. Im Vorfeld der Premiere ihrer Arbeit »Bird Bird, Touch Touch, Sing Sing« beim CTM Festival 2019 sprachen sie mit der Journalistin und Kuratorin Kamila Metwaly und diskutierten eine breite Auswahl an Themen, wie beispielsweise die Neubewertung einer ›Politik der Sinne‹, kollektiver intersektionaler Feminismus und die Herausforderungen und Schwächen ihrer Praxis.
Kamila Metwaly: Lasst uns mit »Bird Bird, Touch Touch, Sing Sing« beginnen, der Arbeit, die ihr beim CTM Festival performen werdet.
Nguyễn + Transitory: Es ist noch ein ›work in progress‹ – den wir seit Anfang 2018 entwickeln, als wir erstmals die Möglichkeiten von Berührungen, Nähe und Feedback als zentrale Elemente in einer Soundkomposition/Performance erforschten. Zur gleichen Zeit entschieden wir uns, ein modulares Synthesizer-System zu bauen und zu nutzen, welches es uns ermöglicht, einen gewissen Grad an Flexibilität in der Regulierung von dem zu erreichen, was wir gerne kontrollieren würden. Auf eine Art war das direkter und unmittelbarer, als wenn wir einen Computer genutzt hätten. Neben dieser Unmittelbarkeit ist die Soundpalette von analogen Synthesizern sowohl einschränkend, als auch befreiend. Das hört sich etwas widersprüchlich an, aber es ergibt irgendwie Sinn an diesem Punkt in unserer Praxis. Während wir dieses Stück entwickelten, versuchten wir auch dieses System zu verstehen, das wir bauten. Als »Kollateralschaden« haben wir einige Soundarbeiten nebenbei komponiert. Wir planen sie irgendwann in der Zukunft zu veröffentlichen und suchen momentan nach einem passenden Label dafür.
KM: Ich habe diese Arbeit im Juni 2018 erlebt, als ihr sie das erste Mal in Berlin präsentiert habt. Als Zuschauerin fühlte ich mich als wäre ich Teil eines kollektiven Gebildes, das aus vielen Körpern, Maschinen und Drähten besteht. Ihr berührt euch gegenseitig, um Sound zu produzieren und ihr berührt uns – das Publikum – durch Vibrationen. Mit einem scheinbar so abstrakten Medium wie Sound habt ihr mich an das Urbedürfnis erinnert, sich zu (wieder)vereinen, sich anzuheften, zu berühren, unsere jeweiligen Verletzlichkeiten, Abhängigkeiten, Nähe und Desorientierung ineinander zu verweben. Ihr habt erwähnt, dass Gesellschaften dafür unempfindlich geworden sind, was Berührung bedeuten könnte oder nicht. Aus welchen anderen Gründen habt ihr euch noch auf Berührung konzentriert?
N+T: Wir haben uns dafür interessiert zusammen mit unseren Körpern Musik zu machen, mit Berührung zu arbeiten, unsere physischen Körper mit Teilen des Instruments zu verschmelzen und miteinander auf dem direktesten Wege zu arbeiten – mehr als nur auf das zu reagieren, was der andere klanglich produziert. Wir wollten Teil des Instruments werden und in diesem Prozess das Individuum auflösen. Und oft scheitern wir an diesem Versuch am Unmöglichen.
Zu den Kernthemen, mit denen wir uns sowohl im Privaten, als auch im Professionellen auseinandersetzen mussten, gehören Vulnerabilität, gegenseitige Abhängigkeit, Nähe, Vertrauen und Intimität. Wir versuchten, diese Themen in unsere Kollaboration und unseren kreativen Prozess einfließen zu lassen. Wir entwickeln eine Arbeit, die diese Eigenschaften, die uns so nahe sind, adressiert, erkundet und verkörpert. Wir haben das Gefühl, dass das Stück auf seine eigene Art und Weise eine Reaktion auf die Frustrationen ist, die wir gegenüber den Mängeln der normalisierten Strukturen haben, denen es heute, mehr denn je, möglich ist ihre zerstörerischen Wertesysteme über nahezu alle Facetten unseres gemeinsamen Zusammenlebens zu verhängen. Der Akt der Berührung wurde in letzter Zeit mehr oder weniger verunglimpft, mehr mit Negativem als mit Positivem assoziiert. Ihn zurückzugewinnen war eines der zentralen Elemente in »Bird Bird, Touch Touch, Sing Sing«. Berührung, zusammen mit der Nutzung von gemeinsam erzeugten Feedbacks, der Distanz zwischen uns und dem Instrument, beeinflusst den Klang, was wiederum die Komposition beeinflusst, was wiederum unsere Bewegungen beeinflusst. Das erschafft unbeabsichtigt einen weiteren Feedback-Loop, der die Bereiche des Physischen, Himmlischen und Magischen transzendiert.
KM: Während des Auftritts habt ihr die Energien im Raum durch eine Übermittlung von Wissen ineinander gewebt, fast als ob ihr das Singular im Plural zerlegt. In dem Moment, wenn ihr als zwei Körper auf der Bühne seid, fragt ihr uns da ganz bewusst, ob wir euch nahe und verletzlich sein wollen? Um unsere Sinne zu öffnen und die Möglichkeit anzunehmen, dass es eine andere Sprache geben könnte?
N+T: Oft hoffen wir, diese bestimmte kollektive Erfahrung zusammen mit dem Publikum im Raum teilen zu können. Die kollektive Erfahrung in diesem Fall würde die physische Form und das Setting einer Performance annehmen, die irgendwie versucht jene Themen durch Übermittlung und Kommunikation zu verkörpern, sowohl zwischen uns (den Künstler*innen) als auch euch (dem Publikum),. Vielleicht ist das der Ort, an dem Kunst zustande kommt – jenseits der Ästhetiken des Klangs, Präsentation, Szenographie und Präsenz – in einem immateriellen, bisweilen bewussten, manchmal zufälligen Austausch. Wir kommunizieren außerhalb von Sprache, in Stille und mit Stille, trotz der Geräuschkulisse, die um uns dröhnt. Obwohl wir nur über unsere Körper kommunizieren, verraten wir recht viel über uns selbst. Wir kollaborieren nicht nur künstlerisch, sondern auch in unserem Alltag. Wie und was wir auf der Bühne performen repräsentiert auch unsere Beziehung zueinander, wie wir uns fühlen und was uns verletzlich macht – all das wird unweigerlich übertragen. Das Setting für diese Performance, das für sich eigentlich recht neutral ist, verliert seine Neutralität sobald die Körper, die diese Erfahrungen in sich tragen, dazukommen und Hintergründe, Stimmungen, Erinnerungen und Interpretationen mit sich bringen. Sie beeinflussen die kollektive Erfahrung und berühren jeden einzelnen von uns mit der üblichen Mischung aus Unsicherheiten, Stolz, Schmerz, Aufregung und Ambiguitäten. Vielleicht war manches davon das, was du empfunden hast.
KM: Baly, als Solokünstlerin arbeitest du vor allem in den darstellenden Künsten, aber auch mit Sound Art und Musik. Wie überschneiden sich diese Felder in deiner künstlerischen Praxis?
Nguyễn Baly: Ich arbeite vor allem als Musikerin und Performerin in verschiedenen Konstellationen mit Choreograf*innen und Künstler*innen aus dem Bereich der darstellenden Künste. Je nachdem, mit wem ich arbeite, kann ich mehr oder weniger frei sein in dem, was ich mache, obwohl ich mich manchmal eher wie eine Dienstleisterin fühle als wie eine Künstlerin. Deswegen entschloss ich mich, nur noch mit Künstler*innen zu arbeiten, die wirklich an Kollaborationen auf Augenhöhe interessiert sind, Kollaborationen, in denen unsere Visionen und politischen Überzeugungen mitschwingen, oder in denen wir zumindest bereit sind, uns gegenseitig zu verstehen. Ich versuche auch zu vermeiden, leicht kategorisierbare Arbeiten zu produzieren – Arbeiten, die hübsch in durch die Industrie definierte Genres passen. Die Art von Soundarbeiten, die ich produziere, hängt stark vom Kontext der Performance oder des Theaterstücks ab, dessen Teil sie sind. Mit jeder Kollaboration versuche ich, neue Wege des Musikmachens auszuprobieren, zumindest soweit möglich.
Ich bin vor allem daran interessiert, wie wir uns von bestimmten Wissensständen zu verschiedenen Formen von Musik lösen können. Für mich fühlt sich Musik so an, als hätte sie schon immer bestimmtes Wissen, Abstammungslinien, Erinnerungen, Emotionen und Gedanken in sich getragen. Aber trotz der Globalisierung wird nicht-westliche Musik, wenn wir sie überhaupt so nennen können, vor allem mit ihren angeblichen geographisch-ethnischen Ursprüngen assoziiert. Ich glaube, Musik in dieser essentialistischen Weise zu verstehen hat mit einer herrschenden eurozentrischen, patriarchalen Perspektive zu tun. In meiner Arbeit versuche ich die Beziehungen zwischen diesen Vorgängen und meiner Musik/Sound/Kunst aus einem etwas postkolonialeren Standpunkt zu untersuchen. Ich versuche im Kleinen andere Methoden zu erarbeiten, die weniger von diesem dominanten Ansatz geprägt sind. Normalerweise sind diese Methoden ziemlich subtil und nicht sehr definiert, weil ich mich oft frage ob aktives Dekolonisieren dieser Prozesse immer so intellektuell sein muss.
KM: Tara, in früheren Arbeiten warst du sehr feinfühlig wenn es darum ging, mit Samples zu arbeiten. Woher kam das und wie hat sich das entwickelt?
Tara Transitory: Meine Meinung zum Sampling hat sich auf jeden Fall über die Jahre verändert, davon, es unbekümmert und im Übermaß zu nutzen hin zu sehr seltenem Einsatz und nur Samples, die ich selbst generiere. Ich glaube, meine damalige politische Position verleitete mich dazu zu glauben, dass alles gesampled und neu genutzt werden könnte, um künstlerische Visionen zu verwirklichen. Aber dann fing ich an zu glauben, dass ich durch Sampling, selbst wenn es nur Field Recordings eines Ortes sind, nicht nur die akustische Identität eines Ortes nehme, sondern auch Teil seiner Seele. Ich glaube, dass diese Aneignung der Seele wesentlich offensichtlicher ist, wenn man die Stimme von jemandem sampled, weil wir nicht nur deren Stimme nutzen, sondern auch, was diese Person vermitteln will, ihr emotionaler Zustand, ihre Geschichten, ihre Narrative, ihr Herzblut. Und zu welchem höheren Zweck habe ich das gemacht? Um ein Archiv zu bewahren auf das künftige Generationen zugreifen können? Um es mir für mein Werk neu anzueignen und es dann meine Kunst zu nennen? Ich hatte keine Ausreden mehr und konnte es nicht länger ertragen, mir etwas als Verdienst anzurechnen, was nicht meiner war.
Ich glaube daran, dass manche Dinge auf der Welt nicht dazu gedacht sind, gesehen, gehört, erfahren oder gar dokumentiert zu werden. Ich finde es absolut in Ordnung, dass manches für immer im Geheimen existiert oder verschwindet. Ich habe kein Bedürfnis danach, alles aufzudecken, was es aufzudecken gibt – und noch weniger, wenn ich an den Schaden denke, der diese eigennützigen Neugierde anrichten kann.
Tara Transitory (oben) und Nguyễn Baly (unten). Fotos von Fatha K.
KM: Eure letzte Kollaboration stellte unsere Auffassung und Kategorisierungen von dem, was für gewöhnlich als zeitgenössische Musik und Tanz gilt, infrage. Fließend nehmt ihr uns mit zu einem Ort jenseits von solchen Konstrukten wie Form und Genre. Ihr tanzt und bewegt euch, um Sound zu kreieren und durch den Klang bewegt ihr euch und tanzt. Wie findet ihr euch zwischen diesen zwei Welten zurecht und schafft es trotzdem noch, eure Rechnungen zu bezahlen?
N+T: Es war und ist schwierig von Institutionen und Festivals Unterstützung für unsere Arbeit zu erhalten. Wir glauben, dass dies teilweise an genau dem hängt, was du beschreibst, dass unsere künstlerische Praxis in die Lücke zwischen klar abgegrenzten Kategorien fällt. Viele Institutionen und Kulturmanager*innen scheinen immer noch keine Ahnung davon zu haben wie man mit Werken umgehen soll, die von Natur aus multidisziplinär sind und nicht klar in die gängigen Kategorien fallen oder die nicht einfach reproduzierbar, präsentierbar und vorhersehbar sind. Das ist ziemlich schockierend. Als ob der Kanon der westlichen Avantgarde des letzten Jahrhunderts nie existierte, vielleicht weil sich irgendwelche Bewegungen einer institutionellen Aneignung verweigerten, oder aufgrund der Logik des Marktes. Aber diese Auslöschung durch heutige Kulturinstitutionen verrät recht viel über das gegenwärtige kulturelle Klima. Im Gegensatz zu dem, was viele denken, fühlt sich das kulturelle Klima 2019 in manchen Belangen so konservativ an wie vor einem halben Jahrhundert, wenn nicht noch mehr. Nichtsdestotrotz ist es definitiv nicht leicht, sich beruflich in dieser Randposition zu befinden, zumal wir beide einen Arbeiter*innenhintergrund haben. Bislang haben wir es geschafft zu überleben, vielleicht auch durch ein bisschen Glück und die Unterstützung einiger, aber wir haben auch das Gefühl, dass dieser Zustand endlich ist und uns die unvermeidliche Abrechnung in Form von Kollaps und Burnout bevorsteht.
KM: Sowohl einzeln als Solokünstlerinnen, als auch kollektiv als Duo scheint eure Arbeit sich gegen Produktion und gegen den Reiz des Neuen zu stellen. Schließt ihr euch diesen Positionen an?
N+T: Es ergibt für uns nur wenig Sinn, ein Projekt nach dem anderen zu zu produzieren, wir glauben, dass es beim Entwickeln von Ideen viel wichtiger ist in die Tiefe zu gehen und Hingabe zu zeigen. Normalerweise brauchen diese Vorgänge für uns auch Zeit, zustande zu kommen und sie funktionieren auch nicht nach der Logik des Marktes. Wir sehen unsere Arbeit eher als fortlaufenden Prozess – in dem wir nur Schritt für Schritt sehen können, wie es weitergehen soll. Ein Prozess, der nicht klar definiert ist und auch absichtlich kein klares Ergebnis hat. Das läuft leider der Marktlogik entgegen und nicht verstanden zu werden ist mittlerweile gleichbedeutend mit diesem Prozess.
Nguyễn + Transitory. Fotos von Fatha K.
KM: Als queere Künstlerinnen mit südostasiatischem Hintergrund habt ihr über eure Zukunftsängste gesprochen und beschrieben, wie eure Identitäten angeeignet und als vermeintlich „fremd“ markiert wurden, oft als Konsequenz vorherrschender Kurationspraktiken und der Booking-Richtlinien von Institutionen. Könnt ihr diese Sorgen näher ausführen?
N+T: Wenn eine Branche auf Oberflächlichkeiten aufbaut, wie zum Beispiel ausschließlich »Neues« und aktuelle Trends zu entdecken und zu präsentieren, dann ist es kaum überraschend, dass das Hochhalten progressiver Überzeugungen nichts weiter ist als leere Pose. Aktuell scheint das Bedürfnis, Inklusion in der Diversität des Programms zu zeigen, ein Trend in vielen Kultureinrichtungen zu sein, und mit genau diesem eingeschränkten Blick sehen wir Frauen, queere Meschen, Indigene, afrikanische, arabische, asiatische Personen und so weiter. Wir fragen: wem kommen diese Inklusions-/Diversity-Vorzeigeprojekte zugute? Einerseits kann man sagen, ja, es verleiht den bislang Unterrepräsentierten Sichtbarkeit und eine Plattform, aber andererseits haben nur eine Handvoll das Glück diese Möglichkeit zu erhalten. Die Meisten werden für eine Weile ausgenutzt und dann ersetzt, wenn das Thema kein Trend mehr ist. Mit so einem Programm erscheinen viele traditionell konservative Institutionen progressiv, was ihnen Unterstützung von den Teilen der Bevölkerung einbringt, die sie bislang nicht unterstützten, also zeigen sie sich öffentlich als progressiver, als sie in Wahrheit sind. Es ist quasi eine Win-Win-Situation für sie. Wir haben nichts dagegen, wenn unterrepräsentierte Identitäten öfter in Programmen erscheinen, aber wir stellen die Intentionen dahinter in Frage. Weil bis mehr unterrepräsentierte, weniger privilegierte, subalterne, aus der Unterschicht stammende Leute in Führungspositionen im Kunstbetrieb und anderen Bereichen sitzen und bis die Kultureinrichtungen selbst sich von den Logiken des Kapitalismus und des Patriarchats lösen, wird sich der Kulturbetrieb nicht fundamental verändern
KM: Ist Persistenz Teil eurer Praxis?
N+T: Bei Persistenz denken wir eher an das Worte »bestehend« und seine Beziehung zu uns. Wir bestehen weiter, obwohl die Umstände prädestiniert dazu sind uns verschwinden zu lassen. Aber angesichts dieser Umstände, unserer professionellen Arbeit, der Art unserer Arbeit, dem Medium, den politischen Überzeugungen, die ihr zugrunde liegen, und die Werte, nach denen wir versuchen zu leben, ist das ewige Prekarität unser Schicksal. Aber trotz solch widriger und ungünstiger Umstände, beharren wir auf unserem Bestreben, das Matriarchat zu verkörpern, und scheitern am Unmöglichen.
Nguyễn + Transitory: Es ist noch ein ›work in progress‹ – den wir seit Anfang 2018 entwickeln, als wir erstmals die Möglichkeiten von Berührungen, Nähe und Feedback als zentrale Elemente in einer Soundkomposition/Performance erforschten. Zur gleichen Zeit entschieden wir uns, ein modulares Synthesizer-System zu bauen und zu nutzen, welches es uns ermöglicht, einen gewissen Grad an Flexibilität in der Regulierung von dem zu erreichen, was wir gerne kontrollieren würden. Auf eine Art war das direkter und unmittelbarer, als wenn wir einen Computer genutzt hätten. Neben dieser Unmittelbarkeit ist die Soundpalette von analogen Synthesizern sowohl einschränkend, als auch befreiend. Das hört sich etwas widersprüchlich an, aber es ergibt irgendwie Sinn an diesem Punkt in unserer Praxis. Während wir dieses Stück entwickelten, versuchten wir auch dieses System zu verstehen, das wir bauten. Als »Kollateralschaden« haben wir einige Soundarbeiten nebenbei komponiert. Wir planen sie irgendwann in der Zukunft zu veröffentlichen und suchen momentan nach einem passenden Label dafür.
KM: Ich habe diese Arbeit im Juni 2018 erlebt, als ihr sie das erste Mal in Berlin präsentiert habt. Als Zuschauerin fühlte ich mich als wäre ich Teil eines kollektiven Gebildes, das aus vielen Körpern, Maschinen und Drähten besteht. Ihr berührt euch gegenseitig, um Sound zu produzieren und ihr berührt uns – das Publikum – durch Vibrationen. Mit einem scheinbar so abstrakten Medium wie Sound habt ihr mich an das Urbedürfnis erinnert, sich zu (wieder)vereinen, sich anzuheften, zu berühren, unsere jeweiligen Verletzlichkeiten, Abhängigkeiten, Nähe und Desorientierung ineinander zu verweben. Ihr habt erwähnt, dass Gesellschaften dafür unempfindlich geworden sind, was Berührung bedeuten könnte oder nicht. Aus welchen anderen Gründen habt ihr euch noch auf Berührung konzentriert?
N+T: Wir haben uns dafür interessiert zusammen mit unseren Körpern Musik zu machen, mit Berührung zu arbeiten, unsere physischen Körper mit Teilen des Instruments zu verschmelzen und miteinander auf dem direktesten Wege zu arbeiten – mehr als nur auf das zu reagieren, was der andere klanglich produziert. Wir wollten Teil des Instruments werden und in diesem Prozess das Individuum auflösen. Und oft scheitern wir an diesem Versuch am Unmöglichen.
Zu den Kernthemen, mit denen wir uns sowohl im Privaten, als auch im Professionellen auseinandersetzen mussten, gehören Vulnerabilität, gegenseitige Abhängigkeit, Nähe, Vertrauen und Intimität. Wir versuchten, diese Themen in unsere Kollaboration und unseren kreativen Prozess einfließen zu lassen. Wir entwickeln eine Arbeit, die diese Eigenschaften, die uns so nahe sind, adressiert, erkundet und verkörpert. Wir haben das Gefühl, dass das Stück auf seine eigene Art und Weise eine Reaktion auf die Frustrationen ist, die wir gegenüber den Mängeln der normalisierten Strukturen haben, denen es heute, mehr denn je, möglich ist ihre zerstörerischen Wertesysteme über nahezu alle Facetten unseres gemeinsamen Zusammenlebens zu verhängen. Der Akt der Berührung wurde in letzter Zeit mehr oder weniger verunglimpft, mehr mit Negativem als mit Positivem assoziiert. Ihn zurückzugewinnen war eines der zentralen Elemente in »Bird Bird, Touch Touch, Sing Sing«. Berührung, zusammen mit der Nutzung von gemeinsam erzeugten Feedbacks, der Distanz zwischen uns und dem Instrument, beeinflusst den Klang, was wiederum die Komposition beeinflusst, was wiederum unsere Bewegungen beeinflusst. Das erschafft unbeabsichtigt einen weiteren Feedback-Loop, der die Bereiche des Physischen, Himmlischen und Magischen transzendiert.
KM: Während des Auftritts habt ihr die Energien im Raum durch eine Übermittlung von Wissen ineinander gewebt, fast als ob ihr das Singular im Plural zerlegt. In dem Moment, wenn ihr als zwei Körper auf der Bühne seid, fragt ihr uns da ganz bewusst, ob wir euch nahe und verletzlich sein wollen? Um unsere Sinne zu öffnen und die Möglichkeit anzunehmen, dass es eine andere Sprache geben könnte?
N+T: Oft hoffen wir, diese bestimmte kollektive Erfahrung zusammen mit dem Publikum im Raum teilen zu können. Die kollektive Erfahrung in diesem Fall würde die physische Form und das Setting einer Performance annehmen, die irgendwie versucht jene Themen durch Übermittlung und Kommunikation zu verkörpern, sowohl zwischen uns (den Künstler*innen) als auch euch (dem Publikum),. Vielleicht ist das der Ort, an dem Kunst zustande kommt – jenseits der Ästhetiken des Klangs, Präsentation, Szenographie und Präsenz – in einem immateriellen, bisweilen bewussten, manchmal zufälligen Austausch. Wir kommunizieren außerhalb von Sprache, in Stille und mit Stille, trotz der Geräuschkulisse, die um uns dröhnt. Obwohl wir nur über unsere Körper kommunizieren, verraten wir recht viel über uns selbst. Wir kollaborieren nicht nur künstlerisch, sondern auch in unserem Alltag. Wie und was wir auf der Bühne performen repräsentiert auch unsere Beziehung zueinander, wie wir uns fühlen und was uns verletzlich macht – all das wird unweigerlich übertragen. Das Setting für diese Performance, das für sich eigentlich recht neutral ist, verliert seine Neutralität sobald die Körper, die diese Erfahrungen in sich tragen, dazukommen und Hintergründe, Stimmungen, Erinnerungen und Interpretationen mit sich bringen. Sie beeinflussen die kollektive Erfahrung und berühren jeden einzelnen von uns mit der üblichen Mischung aus Unsicherheiten, Stolz, Schmerz, Aufregung und Ambiguitäten. Vielleicht war manches davon das, was du empfunden hast.
KM: Baly, als Solokünstlerin arbeitest du vor allem in den darstellenden Künsten, aber auch mit Sound Art und Musik. Wie überschneiden sich diese Felder in deiner künstlerischen Praxis?
Nguyễn Baly: Ich arbeite vor allem als Musikerin und Performerin in verschiedenen Konstellationen mit Choreograf*innen und Künstler*innen aus dem Bereich der darstellenden Künste. Je nachdem, mit wem ich arbeite, kann ich mehr oder weniger frei sein in dem, was ich mache, obwohl ich mich manchmal eher wie eine Dienstleisterin fühle als wie eine Künstlerin. Deswegen entschloss ich mich, nur noch mit Künstler*innen zu arbeiten, die wirklich an Kollaborationen auf Augenhöhe interessiert sind, Kollaborationen, in denen unsere Visionen und politischen Überzeugungen mitschwingen, oder in denen wir zumindest bereit sind, uns gegenseitig zu verstehen. Ich versuche auch zu vermeiden, leicht kategorisierbare Arbeiten zu produzieren – Arbeiten, die hübsch in durch die Industrie definierte Genres passen. Die Art von Soundarbeiten, die ich produziere, hängt stark vom Kontext der Performance oder des Theaterstücks ab, dessen Teil sie sind. Mit jeder Kollaboration versuche ich, neue Wege des Musikmachens auszuprobieren, zumindest soweit möglich.
Ich bin vor allem daran interessiert, wie wir uns von bestimmten Wissensständen zu verschiedenen Formen von Musik lösen können. Für mich fühlt sich Musik so an, als hätte sie schon immer bestimmtes Wissen, Abstammungslinien, Erinnerungen, Emotionen und Gedanken in sich getragen. Aber trotz der Globalisierung wird nicht-westliche Musik, wenn wir sie überhaupt so nennen können, vor allem mit ihren angeblichen geographisch-ethnischen Ursprüngen assoziiert. Ich glaube, Musik in dieser essentialistischen Weise zu verstehen hat mit einer herrschenden eurozentrischen, patriarchalen Perspektive zu tun. In meiner Arbeit versuche ich die Beziehungen zwischen diesen Vorgängen und meiner Musik/Sound/Kunst aus einem etwas postkolonialeren Standpunkt zu untersuchen. Ich versuche im Kleinen andere Methoden zu erarbeiten, die weniger von diesem dominanten Ansatz geprägt sind. Normalerweise sind diese Methoden ziemlich subtil und nicht sehr definiert, weil ich mich oft frage ob aktives Dekolonisieren dieser Prozesse immer so intellektuell sein muss.
KM: Tara, in früheren Arbeiten warst du sehr feinfühlig wenn es darum ging, mit Samples zu arbeiten. Woher kam das und wie hat sich das entwickelt?
Tara Transitory: Meine Meinung zum Sampling hat sich auf jeden Fall über die Jahre verändert, davon, es unbekümmert und im Übermaß zu nutzen hin zu sehr seltenem Einsatz und nur Samples, die ich selbst generiere. Ich glaube, meine damalige politische Position verleitete mich dazu zu glauben, dass alles gesampled und neu genutzt werden könnte, um künstlerische Visionen zu verwirklichen. Aber dann fing ich an zu glauben, dass ich durch Sampling, selbst wenn es nur Field Recordings eines Ortes sind, nicht nur die akustische Identität eines Ortes nehme, sondern auch Teil seiner Seele. Ich glaube, dass diese Aneignung der Seele wesentlich offensichtlicher ist, wenn man die Stimme von jemandem sampled, weil wir nicht nur deren Stimme nutzen, sondern auch, was diese Person vermitteln will, ihr emotionaler Zustand, ihre Geschichten, ihre Narrative, ihr Herzblut. Und zu welchem höheren Zweck habe ich das gemacht? Um ein Archiv zu bewahren auf das künftige Generationen zugreifen können? Um es mir für mein Werk neu anzueignen und es dann meine Kunst zu nennen? Ich hatte keine Ausreden mehr und konnte es nicht länger ertragen, mir etwas als Verdienst anzurechnen, was nicht meiner war.
Ich glaube daran, dass manche Dinge auf der Welt nicht dazu gedacht sind, gesehen, gehört, erfahren oder gar dokumentiert zu werden. Ich finde es absolut in Ordnung, dass manches für immer im Geheimen existiert oder verschwindet. Ich habe kein Bedürfnis danach, alles aufzudecken, was es aufzudecken gibt – und noch weniger, wenn ich an den Schaden denke, der diese eigennützigen Neugierde anrichten kann.
Tara Transitory (oben) und Nguyễn Baly (unten). Fotos von Fatha K.
KM: Eure letzte Kollaboration stellte unsere Auffassung und Kategorisierungen von dem, was für gewöhnlich als zeitgenössische Musik und Tanz gilt, infrage. Fließend nehmt ihr uns mit zu einem Ort jenseits von solchen Konstrukten wie Form und Genre. Ihr tanzt und bewegt euch, um Sound zu kreieren und durch den Klang bewegt ihr euch und tanzt. Wie findet ihr euch zwischen diesen zwei Welten zurecht und schafft es trotzdem noch, eure Rechnungen zu bezahlen?
N+T: Es war und ist schwierig von Institutionen und Festivals Unterstützung für unsere Arbeit zu erhalten. Wir glauben, dass dies teilweise an genau dem hängt, was du beschreibst, dass unsere künstlerische Praxis in die Lücke zwischen klar abgegrenzten Kategorien fällt. Viele Institutionen und Kulturmanager*innen scheinen immer noch keine Ahnung davon zu haben wie man mit Werken umgehen soll, die von Natur aus multidisziplinär sind und nicht klar in die gängigen Kategorien fallen oder die nicht einfach reproduzierbar, präsentierbar und vorhersehbar sind. Das ist ziemlich schockierend. Als ob der Kanon der westlichen Avantgarde des letzten Jahrhunderts nie existierte, vielleicht weil sich irgendwelche Bewegungen einer institutionellen Aneignung verweigerten, oder aufgrund der Logik des Marktes. Aber diese Auslöschung durch heutige Kulturinstitutionen verrät recht viel über das gegenwärtige kulturelle Klima. Im Gegensatz zu dem, was viele denken, fühlt sich das kulturelle Klima 2019 in manchen Belangen so konservativ an wie vor einem halben Jahrhundert, wenn nicht noch mehr. Nichtsdestotrotz ist es definitiv nicht leicht, sich beruflich in dieser Randposition zu befinden, zumal wir beide einen Arbeiter*innenhintergrund haben. Bislang haben wir es geschafft zu überleben, vielleicht auch durch ein bisschen Glück und die Unterstützung einiger, aber wir haben auch das Gefühl, dass dieser Zustand endlich ist und uns die unvermeidliche Abrechnung in Form von Kollaps und Burnout bevorsteht.
KM: Sowohl einzeln als Solokünstlerinnen, als auch kollektiv als Duo scheint eure Arbeit sich gegen Produktion und gegen den Reiz des Neuen zu stellen. Schließt ihr euch diesen Positionen an?
N+T: Es ergibt für uns nur wenig Sinn, ein Projekt nach dem anderen zu zu produzieren, wir glauben, dass es beim Entwickeln von Ideen viel wichtiger ist in die Tiefe zu gehen und Hingabe zu zeigen. Normalerweise brauchen diese Vorgänge für uns auch Zeit, zustande zu kommen und sie funktionieren auch nicht nach der Logik des Marktes. Wir sehen unsere Arbeit eher als fortlaufenden Prozess – in dem wir nur Schritt für Schritt sehen können, wie es weitergehen soll. Ein Prozess, der nicht klar definiert ist und auch absichtlich kein klares Ergebnis hat. Das läuft leider der Marktlogik entgegen und nicht verstanden zu werden ist mittlerweile gleichbedeutend mit diesem Prozess.
Nguyễn + Transitory. Fotos von Fatha K.
KM: Als queere Künstlerinnen mit südostasiatischem Hintergrund habt ihr über eure Zukunftsängste gesprochen und beschrieben, wie eure Identitäten angeeignet und als vermeintlich „fremd“ markiert wurden, oft als Konsequenz vorherrschender Kurationspraktiken und der Booking-Richtlinien von Institutionen. Könnt ihr diese Sorgen näher ausführen?
N+T: Wenn eine Branche auf Oberflächlichkeiten aufbaut, wie zum Beispiel ausschließlich »Neues« und aktuelle Trends zu entdecken und zu präsentieren, dann ist es kaum überraschend, dass das Hochhalten progressiver Überzeugungen nichts weiter ist als leere Pose. Aktuell scheint das Bedürfnis, Inklusion in der Diversität des Programms zu zeigen, ein Trend in vielen Kultureinrichtungen zu sein, und mit genau diesem eingeschränkten Blick sehen wir Frauen, queere Meschen, Indigene, afrikanische, arabische, asiatische Personen und so weiter. Wir fragen: wem kommen diese Inklusions-/Diversity-Vorzeigeprojekte zugute? Einerseits kann man sagen, ja, es verleiht den bislang Unterrepräsentierten Sichtbarkeit und eine Plattform, aber andererseits haben nur eine Handvoll das Glück diese Möglichkeit zu erhalten. Die Meisten werden für eine Weile ausgenutzt und dann ersetzt, wenn das Thema kein Trend mehr ist. Mit so einem Programm erscheinen viele traditionell konservative Institutionen progressiv, was ihnen Unterstützung von den Teilen der Bevölkerung einbringt, die sie bislang nicht unterstützten, also zeigen sie sich öffentlich als progressiver, als sie in Wahrheit sind. Es ist quasi eine Win-Win-Situation für sie. Wir haben nichts dagegen, wenn unterrepräsentierte Identitäten öfter in Programmen erscheinen, aber wir stellen die Intentionen dahinter in Frage. Weil bis mehr unterrepräsentierte, weniger privilegierte, subalterne, aus der Unterschicht stammende Leute in Führungspositionen im Kunstbetrieb und anderen Bereichen sitzen und bis die Kultureinrichtungen selbst sich von den Logiken des Kapitalismus und des Patriarchats lösen, wird sich der Kulturbetrieb nicht fundamental verändern
KM: Ist Persistenz Teil eurer Praxis?
N+T: Bei Persistenz denken wir eher an das Worte »bestehend« und seine Beziehung zu uns. Wir bestehen weiter, obwohl die Umstände prädestiniert dazu sind uns verschwinden zu lassen. Aber angesichts dieser Umstände, unserer professionellen Arbeit, der Art unserer Arbeit, dem Medium, den politischen Überzeugungen, die ihr zugrunde liegen, und die Werte, nach denen wir versuchen zu leben, ist das ewige Prekarität unser Schicksal. Aber trotz solch widriger und ungünstiger Umstände, beharren wir auf unserem Bestreben, das Matriarchat zu verkörpern, und scheitern am Unmöglichen.