Phu-Bao-Gin-Maew

Der Thai-Isan-Sound

Von Pisitakun Kuantalaeng, 2020
Eines Abends im Garten von Opa Nhu und Oma Aon schaltete Nhu das Radio ein, bevor er sich auf dem Weg zu seiner Nachtschicht als Sicherheitsmann am Flughafen machte. Der Mo-lam-Song „Ku-Lharb-Daeng“ von Somjit Borthong lief. Aon war drinnen und sang ein Schlaflied auf Mon.

Die Menschen in der Nachbarschaft brachten ihre Kinder oft zu Nhu und Aon, damit sie auf sie aufpassten. Ich war eins der Kinder, um die sie sich wochentags kümmerten. Am liebsten mochte ich aber die Wochenenden, denn da kam mein Vater zurück in meinen Heimatort Wang Noi in der Provinz Ayutthaya. Er spielte immer Countrymusik von Dao Bandon, Waiphot Phetsuphan, Pornsak Songsaeng, Banyen Rakgan und weiteren Musiker*innen. Jedes Mal, wenn ich diese Art von Liedern höre, erinnere ich mich an die Fahrt zurück nach Hause mit meinem Vater, an die Felder neben der Straße und die roten Rücklichter, die nachts leuchteten.


„Ku-Lharb-Daeng“ von Somijit Borthong.


Ein Lied auf Mon.

Von Budots hörte ich zum ersten Mal Anfang 2016. Zwei Erinnerungen kommen mir direkt in den Sinn, auch wenn ich nicht mehr weiß, welche davon sich zuerst ereignete. Ein paar Freund*innen begannen, in sozialen Netzwerken die fünf Jahre alten Budots Dance-YouTube-Videos zu teilen. Zur gleichen Zeit etwa wurde auch das „Hala Mahulog“-Meme extrem populär. Das Meme zeigt einen Mann, der am Rand eines Schwimmbeckens steht. Als ein Freund ihn anstößt, beginnt er zu wanken und droht ins Wasser zu fallen. Sein verzweifelter Versuch, die Balance zu halten, verwandelt sich schnell in einen zuckenden, gewundenen  Tanz. Namensgebend für das Meme ist das, was eine Person in dem Video vermeintlich aus dem Off ruft – eine reflexartige Reaktion aus Sorge, die Person könnte ins Wasser fallen. Der Ausruf wird dann in einen treibenden Beat verwandelt und mit einer eiernden Bassline und einem laserartigen Synth unterlegt.


„Ku-Lharb-Daeng“ von Somijit Borthong.

Obwohl ich Mo lam (auch Mor lam oder Molam geschrieben), Mon und thailändische Countrymusik von klein auf kenne, ist mir erst viel später aufgefallen, dass Mo lam lange, gedehnte Noten verwendet, die wie Country in einem langsamen Tempo gesungen werden – und dass sowohl Mor Iam als auch Country sich stark von Mainstream-Popmusik wie Somchai Kemglads Hua-Joke-Album (1993) unterscheiden, die sich durch einen außerordentlich aufgeregten und scheinbar aggressiveren Rhythmus auszeichnet. Nur ein bisschen früher, etwa zu der Zeit, als das 1986er Album Sao-Chan-Kung-Kobe der Musikikone Pornsak Songsaengs berühmt wurde, entwickelten sich Mo lam, Country und die populäre „String Music“ alle rapide.

Mo lam setzt sich aus zwei Wörtern zusammen: „Mo“ bedeutet „Expert*in“ und „lam“ in etwa „viele Erzählungen mit wunderschönen Melodien“. In anderen Worten: Mo lam bezeichnet eine Person, die besonders gut darin ist, Geschichten mithilfe von Melodien zu erzählen. Und diese Geschichten werden auf laotisch gesungen – von der thailändischen Regierung derzeit Isan-Sprache genannt – und behandeln häufig das Leben im Isan, der Nordostregion Thailands, sowie gesellschaftspolitische Probleme der jeweiligen Zeitperioden. Die politische Tendenz des Mo lam lässt sich auf die Chao-Anuvong-Ära zurück führen (1826 – 1828), in der der laotische König Chao Anuvong gegen die Herrschaft Siams rebellierte und versuchte, sein Reich wieder zu alter Größe zu verhelfen, die es während der Herrschaft von König Rama III. von Siam hatte – dem heutigen Königreich Thailand. Die laotische Rebellion wurde niedergeschlagen, was eine Zwangsmigration in den Isan und dessen Thaiisierung zur Folge hatte. Später beschrieb das Lied „Lao Pan“ das vielfältige Elend der Kriegsgefangenen in Siam und wie sie zur Arbeit in der Hauptstadt gezwungen wurden. Mo-lam-Musik entwickelte sich in dieser Zeit zu einem Mittel der Kommunikation und des Widerstands gegen die Staatsgewalt und wurde dementsprechend beliebt in- und außerhalb des laotischen Königspalastes. Während der Herrschaft von Rama IV. und Rama V., als die Pi-Bun- oder Phu-Mi-Bun-Rebellionen niedergeschlagen werden mussten, versuchten die herrschenden Könige die Bevölkerung mit Maßnahmen wie einem Verbot von Mo lam und Khaen (einer im Isan verbreiteten Mundorgel) unter Kontrolle zu kriegen. Die Herrscher befürchteten nämlich, dass sich die Menschen aus dem Isan weiter auflehnen würden. Am Ende von König Ramas VI. Regentschaft tauchte Mo-lam-Musik langsam wieder auf und begann, wieder eine wichtige Rolle in Alltag und Politik zu spielen.


Das Lied „Lao Pan“

Was für den Isan Mo lam ist, ist für das restliche Thailand Luk Thung - eine ebenfalls unter der Landbevölkerung verbreitete Musik. Und wenn man über Luk Thung spricht, sollte man auch Luk Krung erwähnen. „Luk Krung“ bedeutet übersetzt „Musik für Stadtmenschen“, seine sanften und langsamen Melodien verkörpern das Stadtleben. Luk Krung entstand während der Herrschaft von König Rama VI. und wurde nach 1932 zunehmend populär, als die Siamesische Revolution stattfand (der Übergang von einer absoluten Monarchie zu einer konstitutionellen Monarchie, der von der Khana Ratsadon angestoßen worden war). Zu jener Zeit war Luk Krung sehr beliebt, da die Stadtbevölkerung anfing, ihren Blick auch ins Ausland zu richten und zunehmend internationale Einflüsse in Siam integrierte. Luk Krung verwendet häufig westliche Streich- und Blasinstrumente. Die große und bekannte Luk-Krung-Band Suntaraporn wurde 1939 gegründet.

Später wurde Luk Krung auch in Clubs und Bars gespielt und dadurch bei der urbanen Bevölkerung immer beliebter. Die Musik repräsentiert Stadtmenschen, Luk Thung repräsentiert im Gegensatz dazu die Landbevölkerung und ihr Leben. Luk Thung erfuhr nach dem Zweiten Weltkrieg einen Schub und zwischen 1963 bis 1970 sein Goldenes Zeitalter, welches sich mit dem Kalten Krieg überlappte. Der Stil entwickelte sich aus traditionellen thailändischen Gesängen, Volkstheater und einer Wechselgesangstechnik namens Lamtat, vermischt mit moderner Musik. Wichtige Vertreter*innen des Genres waren Musiker*innen wie Suraphol Sombatcharoen, Kan Kaewsuphan, Chai Muengsingh und Pongsri Woranuch. Ab 1973 nahm die Popularität von Luk Thung stetig ab, während moderner Thai-Folk und „Musik fürs Leben“ – ein Musikgenre, das von Hoffnung, Liebe und Alltagsproblemen erzählt – immer beliebter wurden. Ursache dafür war vor allem der Einsatz dieser Musik bei den Studentenprotesten am 14. Oktober 1973 und 6. Oktober 1976.


Mo lam Sunthrapirom von 1965


Khan-Thong, eine der ersten Mo-lam-Künstlerinnen, von der es Aufnahmen gab.


Tong-Kam-Peng-Di, eine weitere sehr frühe Mo-lam-Aufnahme.


Parallel zu der Entwicklung des Luk Krung und Luk Thung passte sich auch die Mo-lam-Musikindustrie weiter dem Zeitgeist an. Bis 1932 wurde Mor lam sehr formell und von sitzenden Musiker*innen gespielt, aber nach 1932 begannen die Künstler*innen, stehend zu spielen, Bands zu gründen und generell ihre Ausdrucksformen zu erweitern. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die berühmte Mo-lam-Band Suntaraphirom gegründet. Um 1947 herum fand Mo lam seinen Weg in die Musikstudios und es wurden Mo-lam-Platten gepresst. Die ersten Künstler*innen, von denen es Aufnahmen gab, waren Kahn-Thong, Tong-Kam-Peng-Di und Chaweewan Dumnern. In dieser Zeit bestanden Mo-lam-Bands ausschließlich aus Meister*innen ihres Fachs, Mo lam (Meistersänger*innen) und Mo-khaen (Meisterinstrumentalist*innen). Während des Kalten Kriegs wurde Mo lam gleichermaßen von der thailändischen Regierung und der Opposition als politisches Werkzeug eingesetzt. Weil Mo lam das wichtigste Mittel für die Menschen des Isan war, um dem restlichen Thailand ihre Ansichten und ihre Kultur zu präsentieren, verwendete die Regierung Mo lam, um im Isan Propaganda zu verbreiten. Zum Beispiel wurde 1963 im Propagandastreifen „Pattanakorn“ („Entwicklung“) mithilfe von Mo lam die Staatspolitik, ein Entwicklungsprogramm fürs Land und antikommunistische Einstellungen kommuniziert, um Solidarität zwischen der thailändischen Zentralregierung und den Menschen im Isan zu kreieren, während die meisten Nachbarländer bereits zum Kommunismus gewechselt waren.



„Pattanakorn“ war einer von vielen Propagandafilmen der thailändische Regierung, mit denen sie die Solidarität der Menschen des Isan gewinnen wollte. Er verwendete aus Propagandazwecken auch auch Mo lam.

2017 initiierte das Jim Thompson Art Center unter dem Namen „Molam Mobile Bus Project“ ein interessantes Ausstellungsprojekt. Umgesetzt wurde es vom Forscher Arthit Mulsarn, der die Bedeutung von Mo lam während des Kalten Krieges untersucht hatte. Weil Mo lam in der Regel bei buddhistischen Verdienst-Zeremonien in Dörfern, Gemeinden und Unterbezirken gespielt wird, reist das mobile Projekt durch die verschiedenen Regionen des Isan und präsentiert die Geschichte des Mo lam. Es ist als mobile Ausstellung organisiert, um die Geschichte des Mo lam während des Kalten Krieges zu erzählen und darzustellen. Der Bus wird von einem Lastwagen begleitet, der zu einer mobilen Bühne umgebaut wurde, auf der lokale Künstler*innen Mo-lam-Lieder singen können. Die Fahrzeuge reisen zusammen an verschiedene Orten im Isan, um Verdienst-Festen wie Tempelmärkten, Einweihungszeremonien, Weihe-Zeremonien oder Kathin-Zeremonien beizuwohnen.

Was diese mobile Ausstellung interessant macht, ist ihr Ziel, Geschichten aus der Zeit des Kalten Krieges zu beleuchten, welche die Regierung versucht hatte, aus der thailändischen Geschichte zu tilgen. Während dieser Zeit mussten die Menschen in den Dörfern des Isan, insbesondere die Männer, in die Wälder fliehen, weil sie beschuldigt wurden, Kommunisten zu sein. Viele Mo-lam-Lieder, die zu dieser Zeit entstanden sind und gesungen wurden, sind abhanden gekommen, weil sie sich gegen die Regierung richteten. Alle diese Geschichten wurden vorsätzlich von der Regierung ausgelöscht. Das „Molam Mobile Bus Project“ zeigt also einen neuen Blick auf die politische Seite der Mo-lam-Musik unter der Herrschaft des thailändischen Staates. Dazu sind Fahrzeugparaden typisch für den Isan und Mo lam wird auch heute noch auf Lastwagen oder Bussen und bei traditionellen Zeremonien gespielt.


Der Song „Zerng-Isaan“ (moderner Thai-Folk).

Während der Aufstände von Studierenden und Bevölkerung am 14. Oktober 1973 und dem 6. Oktober 1976 wurde Mo-lam-Musik ständig von den Student*innen verwendet und mit der „Musik fürs Leben“ gemischt, wie man es zum Beispiel in dem Lied „Zerng-Isaan“ hören kann. Die Regierung hatte die Studentenproteste in Bangkok ausgewählt, um an ihnen ein Exempel für das restliche Land zu statuieren. Die Student*innen wurden beschuldigt, Waffen zu besitzen und Kommunisten zu sein, und auf dem Campus massakriert. Sie wurden kaltblütig niedergemetzelt. Viele Student*innen mussten sich in den Wäldern in Sicherheit bringen. Zur gleichen Zeit flohen auch die Dorfbewohner*innen in die Wälder.

Die Spannungen nahmen gegen Ende des Kalten Krieges 1988 allmählich ab. Die Menschen begannen, aus den Wäldern zurückzukehren. In dieser Zeit tauchten auch die Musik des Isan und die „Musik fürs Leben“ wieder auf. Manche Songs wurden aufgenommen, andere, die politisch zu heikel und dementsprechend gefährlich zu spielen waren, konnten nicht eingespielt werden. Während des Kalten Kriegs hatten Mo lam und Luk Thung sich weiterentwickelt, Mo lam war modernisiert worden: Früher waren nur ein oder zwei Instrumente zum Einsatz gekommen, später spielten Bands Mo lam mit westlichen Musikinstrumenten. Irgendwann begannen Mo lam und Luk Thung, sich zu vermischen – einige Teile eines Songs wurden im Mo-lam-Stil gesungen, andere im Luk-Thung-Stil. Die Welten von Mo lam und Luk Thung verschmolzen und verwandelten sich in zahlreiche neue Werke wie den Song „Isaan-Lam-Plearn“ von Surin Paksiri (1973), der beide Stile nahtlos miteinander kombiniert.



„Isaan-Lam-Plearn“ von Surin Paksiri ist ein Beispiel für die Fusion von Mo lam und Luk-Thung.


Interview mit Surin Paksiri.

Trotz dieser Verschmelzung hat sich Mo lam auch alleine weiterentwickelt und den heutigen Geschmäckern angepasst, wie man an dem alternativen Genre Mo-lam-cing („cing“ ist eine Kurzform von „Racing“ und steht für etwas Schnelles, Cooles, Modernes) sieht, das sich durch ein schnelleres Tempo sowie eindeutigere und prägnantere Texte auszeichnet. Diese Entwicklung spiegelt den Generationenwechsel wider und den damit einhergehenden Wandel des Mo-lam-Publikums. In der Vergangenheit hatten die älteren Generationen über das meiste Geld verfügt. Als die jungen Menschen dann allerdings in Scharen in die Städte zogen, um zu studieren und zu arbeiten, wurden sie zu einer wichtigen Kund*innengruppe mit größerer Kaufkraft. Mo lam musste sich zu einer Zeit weiterentwickeln, die vor allem von Luk Thung und „String Music“ dominiert wurde. Als Konsequenz versuchten Bands wie Soontorn Chairoongrueng und Künstler*innen wie Ratree Srivilai (die Königin des Mo-lam-cing), Volkserzählungen mit den Rhythmen westlicher Musikinstrumente zu kombinieren und prägnantere Begriffe und Inhalte zu verwenden. Es gibt viele Künstler*innen in Isan, die sowohl Mo lam als auch Luk-Thung-Lieder singen, wie Dao Bandon, Waipjhot Phetsuphan, Pornsak Songsaeng und Banyen Rakgan, die ich hier zuvor bereits erwähnt habe. Als ich auf die Welt kam, waren Mo lam und Luk Thung miteinander vermischt und schwer auseinanderzuhalten. Da beide Genres immer offen für neue gesellschaftliche Strömungen gewesen sind, haben sie sich über die Zeit auf interessante Weise angepasst.


Soontorn Chairoongrueng mischte Volkserzählungen mit westlichen Musikinstrumenten.


Das Konzert „Song-Kon-Song-Kom“ war ein Wettstreit zwischen dem Popstar Thongchai McIntyre und Pornsak Songsaeng, welche ihr sehr verschiedenes Publikum für einen spannenden Kontrast zusammenbrachten.

Wenn wir zurück in das Jahr 1986 gehen, als Pornsak Songsaengs Album Sao-Chan-Kung-Kobe berühmt wurde, sehen wir eine weitere Periode, in der Mo lam und Luk Thung aufblühten. Das Stadtbevölkerung lernte die Lieder und Künstler*innen der beiden Stile kennen und mit ihnen das volle Spektrum der dazugehörigen Aufführungsformen. Am 1. Mai 1987 wurde ein Konzert mit dem Titel „Song-Kon-Song-Kom“ als Wettstreit zwischen den berühmtesten Popsängern der Zeit veranstaltet, Thongchai McIntyre und Pornsak Songsaeng. Es war ein sehr interessantes Konzert, weil die Fans beider Künstler sehr verschieden waren. Pornsak hat mal einen Witz gemacht: „Meine Musikfans sind recht nationalistisch und ehrlich. Wenn sie nach vorne vor die Bühne kommen, tanzen sie einfach zusammen und haben Spaß.“ Natürlich unterscheiden sie sich von Thongchais Fans in Bangkok, die größtenteils Stadtmenschen waren und sanftere Melodien und moderates Tanzen zu Popmusik mochten. Und so stellte das Konzert den ersten Schritt zum modernen Mo lam dar. Danach sangen viele Künstler*innen sowohl Mo-lam als auch Luk-Thung-Lieder, zum Beispiel Künstlerinnen wie Tai Orathai, Jintara Poonlarp, Honey Sri-Isan und Noknoi Uraiporn.


Die bekannte Band Siang-Isan (Ja) singt „Lam-Lueng-Tor-Klon“.


„Phu-Bao-Gin-Maew“ von Yai-Jin íst ein Beispiel für modernen Mo lam, in dem das Leben im heutigen Isan auf humorvolle Weise dargestellt wird.


Wenn man über modernen Mo lam spricht, darf auch die Band Siang-Isan nicht unerwähnt bleiben, die 1981 von der Künstlerin Noknoi Uraiporn gegründet wurde, welche sie auch bis heute leitet. Die Auftritte der Band kombinieren verschiedene Darbietungsformen wie Mo-lam-Gesang, Lam-Lueng-Tor-Klon und Comedy-Einlagen miteinander. Siang-Isan sind bekannt als die größte Mo-lam-Gruppe im Isan und sie deckt fast alle Facetten der Kunstform ab. In ihr spielen viele renommierte Künstler*innen wie Poyfai Malaiporn, Maithai Huajaisin und Yai-Jin. Von 1999 bis 2006 wurde aus dem Isan ohne Unterbrechung Musik veröffentlicht. Viele Mo-lam-Songs drehten sich um das Leben in der Region. Die Fröhlichkeit der Menschen im Isan und ihre Kultur erlauben uns, zahlreiche Geschichten zu hören und sie mit großer Freude zu genießen. Das unterschied sich stark vom früheren Mo lam, in dem es um den Alltag ging, die Reisfelder und die Schwierigkeiten des Lebens. Moderner Mo lam erzählt gerne vom Teenagerdasein und konzentriert sich auf die lustigen Aspekte mit Texten voller Doppeldeutigkeiten oder sarkastischen Anspielungen, die sich über das moderne Leben und die Gesellschaft lustig machen oder sie kritisieren. Zum Beispiel erzählt der Song „Phu-Bao-Gin-Maew“ von Yai-Jin die Geschichte von einer Gruppe Jugendlicher, die gerne nach der Arbeit Reis-Whisky trinken. Wenn sie betrunken sind, haben sie Lust auf etwas Herzhaftes und gehen im Tempel auf Katzenjagd. „Hey schönes Mädchen, es wäre fantastisch, wenn ich jeden Abend gegrillte Katze essen könnte“, heißt es in dem Text. Ein anderes Beispiel ist der Song „Dao-Mahalai“ von Saomat Megadance. Darin geht es um Mädchen aus dem Isan, die zum Studieren nach Bangkok geschickt werden. Als sie zurückkommen, sind sie total hochnäsig und können anscheinend nicht länger akzeptieren, eine Person aus dem Isan zu sein. „Kha-Def-Heavy“ von Yai-Jin, welches übrigens einer meiner Lieblingssongs ist, beschreibt das Leben von Jugendlichen im Isan, ihre Leidenschaft für Heavy Metal, alles Moderne und dafür, ganz vorne direkt vor der Bühne tanzen. „Findest du nicht, dass Skinny Jeans super aussehen, Mädchen. Ein Mann muss cool sein, zu jeder Party gehen, vor der Bühne tanzen, bis er zertrampelt wird … vor der Bühne tanzen, bis er von den Füßen zerdrückt ist.“ Ich liebe die moderne Musik des Isan mit ihrer Mischung aus „String Music“ und Luk Thung/Mo lam – und ich liebe, dass beide Genres kaum noch voneinander unterschieden werden können. Dieser Hybrid-Charakter hat auch zum Entstehen des modernen Isan-Sounds geführt, „Isaan Indie“ genannt.


„Dao-Mahalai“ von Saomat Megadance erzählt die Geschichte / handelt von einer jungen Frau aus dem Isan, die nach ihrem Studium in Bangkok zurückkehrt und voller Vorurteile gegenüber ihre Heimat und ihrer Kultur ist. Der Kontrast zwischen dem Leben im Isan und der Hauptstadt wird hier auf humorvolle Weise dargestellt.


„Kha-Def-Heavy“ von Yai-Jin ist eine Ode an die Jugendlichen im Isan und ihre Vorliebe für Partys und alles Neue und Moderne.


Um die heutige Musik aus dem Isan zu verstehen, müssen wir einen Blick auf die Mainstream-Musikindustrie und die Indie-Szene werfen. Gegen Ende der 1990er, als Mainstream-Pop in Thailand seinen Sättigungspunkt erreichte, entstand ein neuer Radiosender für Independent-Musik, 104.5 Fat Radio. Dieser hauchte dem Alternative Rock neues Leben ein, der nach dem Beben, das er Anfang der 90er in Musikindustrie ausgelöst hatte, etwas schal geworden war. Die Rückkehr von Musik jenseits des Mainstreams brachte eine Bewegung von „Indie Kids“ hervor, Jugendliche, die gerne Indie-Musik hörten. Interessant an dieser Periode ist die Unabhängigkeit der Jugendlichen und ihre Bemühungen, inmitten der verschiedenen Genres einen eigenen Platz zu finden. 1999 wurde das kleine Musiklabel Smallroom gegründet, das unbekannten und bekannten Künstler*innen gleichermaßen ermöglichte, unabhängig Songs jenseits der Popstandards zu schreiben. Mit Smallroom 001-009 veröffentlichte das Label eine Serie von Compilations mit verschiedenen Künstler*innen. Die Songs, die auf diesen Alben veröffentlicht wurden, wurden mit der Zeit populär. Auch wenn die Genres, die auf diesen Alben vertreten sind, bis dahin nicht von vielen Menschen gehört worden waren, wurden sie später Mainstream.

Ein umfassendes Bild von Thailands Indie-Industrie ergibt sich durch Zines, den Radiosender Fat Radio, das Label Smallroom und frühe soziale Netzwerke wie Myspace und hi5. Als die sozialen Netzwerke in unser Leben traten, erlaubten sie es uns, uns zu öffnen und die Welt schneller kennenzulernen. Wir waren begeistert von Songs aus verschiedenen Ländern, von Ästhetiken und Klängen, die wir noch nie gesehen oder gehört hatten und die weit über unser physisches Territorium hinaus gingen. 2007 gründete Nattapon Siangsukon, auch bekannt als DJ Maft Sai, das Label Zudrangma Records und brachte dem thailändischen Publikum familiäre, aber irgendwie bereits vergessene Stimmen wieder nahe. DJ Maft Sai hört gerne Musik und sammelt Vinyl aus zahlreichen Ländern. Irgendwann fiel sein Interesse auf Mo lam und er fing an, Schallplatten aus vielen Teilen des Isan zu sammeln. Daraufhin gründete er das Label und die Band Paradise Bangkok Molam International, durch die Jugendliche Mo lam in einem neuen Licht sahen, als etwas Neues und Relevantes für diese Ära.


„Hoh-Mhok-Huag-Pai-Fak-Pa“. 


 Ein Lied im Stil von „Ngad-Tang-Ngad“.


Im Internetzeitalter werden wir nicht länger nur in eine Richtung geführt. Das Internet bringt nicht nur neue Musik von außerhalb Thailands rein, sondern verbreitet Mo lam auch im Ausland. Selbst große Plattenfirmen müssen die Veränderungen der Moderne akzeptieren, in der wir alle die Möglichkeit haben, mit unserem Zielpublikum zu kommunizieren und zu interagieren – oder unsere Zielgruppe sogar direkt zu erweitern. Genau wie moderner Mo lam oder „Mo lam Indie“ das Internet als sein wichtigstes Verbreitungsmedium nutzt, ist YouTube eine wichtige Plattform für moderne Mo-lam-Bands geworden. Jugendliche aus dem Isan benötigen nicht länger ein Plattenlabel; im Gegenteil, die Musiklabel müssen sie jetzt kontaktieren. Heute gibt es im Isan zahlreiche kleine Labels wie Sing Music, Guitar Record Channel oder TSir Sound, die viele berühmte Tracks mit Millionen Views produzieren – zum Beispiel „Hoh-Mhok-Huag-Pai-Fak-Pa“, „Ngad-Tang-Ngad“ und „Malong-Kong-Kaeng“. Dazu gibt es viele Filme über das moderne Leben im Isan wie PBTB E-San Indy, Thai-Baan the Series und Nah-Han. Als Resultat kann sich die Stärke des Mo lam und der Kultur des Isan weit über ihre Heimatregion hinaus entfalten.


„Malong-Kong-Kaeng“.

 
 
 
1) Mon ist eine indigene Sprache, die in Thailand und Myanmar geprochen wird https://de.wikipedia.org/wiki/Mon_(Sprache)
2)  „String Music“ ist ein umgangssprachlicher Ausdruck für moderne Musikarten, der davon kommt, dass viele dieser Stile auf der Gitarre gespielt werden.
3) Isan im Nordosten Thailands ist die größte Region des Landes. Die Mehrheit der Bevölkerung in Isan ist ethnisch laotisch, aber grenzt sich vom Nachbarland ab, indem sie sich Thai-Isan nennen. Isan wird in Thailand auch die laotische Sprache genannt, auch wenn die meisten Menschen in der Region die Sprache selbst Laotisch nennen. https://de.wikipedia.org/wiki/Isan
4) Phu-Mi-Bun oder Pi-Bun (Der Aufstand der heiligen Männer) waren beliebte Bewegungen, die sich damals gegen die totale Kontrolle der Region zur Wehr setzten. Formen des Widerstands waren sarkastische Gesten oder Kommentare, die Erschaffung neuer übernatürlicher, religiöser Erzählungen sowie die Erfindung neuer Gesichter oder „Heiliger Männer“ für diesen Glauben. Während dies von Historiker*innen vor allem als Rebellionen gegen den Staat interpretiert wurde, zeigen neue Erkenntnisse, dass Mitglieder des Königshauses wichtige Rollen bei der Unterstützung der Revolten spielten, um ihre Macht zu vergrößern.
5) Die Revolution geschah in einem beinahe ohne Blutvergießen stattfindendem Übergang, der von einer Gruppe ziviler und militärischer Amtsinhaber angeführt wurde, die in Europa studiert hatten, und von dort den Wunsch nach einer demokratischen Reform nach westlichem Vorbild mitgebracht hatten, während sie mächtige Positionen in der Regierung und im Militär einnahmen. https://de.wikipedia.org/wiki/Khana_Ratsadon 
6) Kathin ist eine buddhistische Zeremonie am Ende der Regenzeit, die von Dankbarkeit und Gaben geprägt ist. Ortsgemeinden bringen Spenden, wie zum Beispiel neue Mönchsroben, zu den Tempeln. https://de.wikipedia.org/wiki/Kathina-Zeremonie
7) Songsaengs Witz war ein Wortspiel des thailändischen Begriffs für Nationalismus. Damit implizierte er einen Stolz auf die lokale Kultur, während er sich sarkastisch über Klassizismus und Lokalpatriotismus lustig machte.
8)  Lam-Lueng-Tor-Klon ist eine Form der Gegen-Narration, die alternative Geschichten und Fabeln als Teil des Auftritts präsentiert.