Menschen sind über die Jahrhunderte aus vielerlei Gründen nach Ägypten gekommen. Sei es auf der Flucht vor Besatzungsmächten, Kriegen oder Missständen im eigenen Land, als Asylsuchende, nicht zu vergessen als Arbeitssuchende, Studierende oder zur Eheschließung. Man würde vermuten, all diese Erfahrungen haben Ägypten in seiner Akzeptanz und Integrationsfähigkeit gestärkt, jedoch sieht die Realität anders aus.
Vor drei Jahren kam Rose Kuku aus dem Südsudan nach Kairo. In den ersten Tagen gingen ihr viele Fragen durch den Kopf: Wie würde ihr Leben hier in Ägypten wohl aussehen? Würde sie sich gut einleben und wie geplant bleiben oder gezwungen sein, sich ein anderes Land zu suchen? Die Antworten, die sie sich selbst gab, waren nicht mehr zuversichtlich, nachdem ihr eines Nachts ein Tuk-Tuk-Fahrer einen Ziegelstein an den Kopf warf. Ihre Tante, die schon seit acht Jahren in Ägypten lebte, kommentierte den Vorfall nur trocken: „Du hast doch noch gar nichts gesehen!“ Roses Zweifel wuchsen.In dieser Nacht änderte sich alles für Rose. Vor ihrem Umzug nach Ägypten hatte sie an nichts anderes denken können als endlich in dieses Land zu kommen, das so viele Dinge mit ihrem eigenen gemeinsam hatte. Nicht nur war Rose arabische Afrikanerin; Sudan und Ägypten waren einst sogar ein Land gewesen. Außerdem waren die Ägypter ja richtig lustig und freundlich, sodass ihr die Eingewöhnung leichtfallen würde. Diesen Eindruck erhielt sie zumindest von den arabischen Dramen, die im sudanesischen Fernsehen rauf und runter liefen.
Doch das Geschehnis jener Nacht und die Worte ihrer Tante waren nur der Anfang einer schwierigen Zeit, die sie vollständig umdenken ließ. In den folgenden Jahren fühlte sich Rose zunehmend fremder in ihrem Umfeld. Sie bekam den Eindruck, dass selbst ein ganzes Leben in Ägypten nichts daran ändern würde, dass die ÄgypterInnen sie nicht akzeptierten, sondern sie als Fremde oder Gast sahen, da sie zu anders aussah, da „ihre Farbe anders war als deren Farbe,“ wie Rose sagt.
Rose Kuku aus Südsudan mit ihrem Sohn Youssef | ©Goethe-Institut/Aya Nabil Lange Zeit versuchte sie sich an das alles zu gewöhnen. Doch mit der Geburt ihres Sohnes Youssef kamen die Zweifel, denen sie versucht hatte zu entfliehen, doch zurück: Würde denn ihr Kind bessere Chancen auf Integration in dieser Gesellschaft haben, in die er hineingeboren worden war, deren Staatsbürgerschaft er jedoch nicht besaß? Oder müsste sie nun wieder über Auswanderung nachdenken, um ihren Sohn vor den Gefühlen des Fremdseins, wie sie es erlebte, zu bewahren?
Der Gedanke verblüfft, dass Menschen anderer Nationalitäten wie Rose Ägypten auf diese Weise erleben und sich wie Fremde fühlen, wenn man bedenkt, dass Ägyptens Geschichte maßgeblich von Einwanderung geprägt ist. Menschen sind über die Jahrhunderte aus vielerlei Gründen nach Ägypten gekommen, sei es auf der Flucht vor Besatzungsmächten, Kriegen oder Missständen im eigenen Land, als Asylsuchende, nicht zu vergessen als Arbeitssuchende, Studierende oder um zu heiraten. Man würde vermuten, all diese Erfahrungen haben Ägypten in seiner Akzeptanz und Integrationsfähigkeit gestärkt und nicht das Gegenteil, wie Rose und so viele andere es erlebt haben.
Auch auf offizieller Ebene ist die Lage schwierig für MigrantInnen in Ägypten. Der politische Kurs der Regierung stellt ihrer Integration in die Gesellschaft Hürden in den Weg. So erlaubt das ägyptische Gesetz Asylsuchenden weder eine permanente Aufenthaltsgenehmigung noch Staatsbürgerschaft.
Der einzige legale Weg für Flüchtlinge, eine temporäre Aufenthaltsgenehmigung zu erhalten, geht über das UN-Flüchtlingshilfswerk in Kairo. Die Organisation hat das Mandat, den Aufenthalt von Asylsuchenden zu registrieren, bis ein anderes Land für ihre Auswanderung zur Verfügung steht. Bei der letzten Zählung im Juli 2017 vermeldete die Organisation, dass sich die Zahl der Registrierten auf 210 000 belief.
Das UN-Flüchtlingshilfswerk kann jedoch nicht allen angemeldeten Personen eine Aufenthaltsgenehmigung in einem anderen Land verschaffen, denn die Zahl der Menschen, die auf der Flucht vor Unruhen und Kriegen in arabischen und afrikanischen Ländern sind, wächst. Viele Menschen haben schon seit sehr langer Zeit einen Flüchtlingsstatus, leben jedoch bereits seit Jahrzehnten in Ägypten oder wurden hier gar geboren und haben nie den Himmel eines anderen Landes gesehen. Die Möglichkeit auf Staatsbürgerschaft besteht allein für die Kinder flüchtender Frauen, die einen ägyptischen Mann heiraten. Die Frauen selbst erhalten jedoch nicht die Staatsbürgerschaft, genauso wenig wie ausländische Männer, die Ägypterinnen heiraten, und auch nicht deren Kinder, die lediglich den Namen der ägyptischen Mutter auf der Geburtsurkunde erhalten.
Viele Flüchtlinge und MigrantInnen treibt diese Chancenlosigkeit dazu, sich um andere Arten von Aufenthaltsgenehmigungen zu bemühen, wie z. B. im Rahmen von Studien- oder Investorenvisa. Letztere sind am weitesten unter Angehörigen anderer arabischer Nationalitäten, die über genügend Mittel für eine Geschäftstätigkeit verfügen, verbreitet. Beziehungsweise suchen sich viele von ihnen trotz allem eine Arbeit. Die ägyptischen Behörden schätzten im Jahr 2015 die Zahl der in Ägypten verweilenden AusländerInnen auf etwa fünf Millionen.
„Wir sind alle Brüder!“ Diese Worte hört man immer wieder von Ägyptens Entscheidungsträgern. Sie wirken wie eine leere Floskel und lebensfremd vor dem Hintergrund der eigentlichen Realitäten, mit denen sich AusländerInnen in Ägypten konfrontiert sehen; besonders diejenigen, die Ägypten als Heimat betrachten, auch wenn sie auf dem Papier eine andere Staatsbürgerschaft haben.
„Ich fühle mich minderwertig“
Vor der U-Bahnstation Hada’iq al-Ma’adi, auf der ärmeren Seite dieses gehobeneren Viertels, traf ich Rose und sie führte mich zu ihrer derzeitigen Wohnung. Mit schnellen Schritten durchdrang sie die Schlangen Wartender, die sich an den kleinen Marktständen auf den Straßen um ihr Haus gebildet hatten. Die Gesichter der Menschen verrieten mir, dass in diesem Viertel vor allem Menschen aus Afrika lebten, die hier ihrer finanziellen Situation entsprechende Unterkünfte finden konnten. Je dichter es auf den Straßen wurde, desto schneller wurden Roses Schritte und als ich sie nach dem Grund fragte, antwortete sie: „Damit uns keiner belästigt.“
Rose hat die Erfahrung gemacht, dass, auch wenn sie ägyptische Kleidung trägt und den HändlerInnen und AnwohnerInnen ihrer Gegend mittlerweile bekannt ist, sie wegen ihrer Hautfarbe in den Augen aller immer eine Fremde oder ein „Gast“ ist. Auf den Straßen war sie daher schon mehrfach Belästigung ausgesetzt.
In Roses Leben gibt es keinerlei soziale Kontakte mit ÄgypterInnen. Selbst unter den NachbarInnen wird sie nur von wenigen gegrüßt, wenn sie ihnen begegnet. Auch Schule und Kirche bieten keine Möglichkeiten, sich unter die Einheimischen zu mischen, da SudanesInnen und ÄgypterInnen zu unterschiedlichen Zeiten lernen und beten. Rose denkt, dies liege daran, dass Menschen mit dunkler Hautfarbe von den ÄgypterInnen als minderwertig angesehen werden. Ihr Beziehungsnetzwerk beschränkt sich deshalb auf ansässige Verwandte, deren Kontakte wiederum auf Bekannte begrenzt sind. Die Mitglieder ihrer Gemeinde kennen sich alle untereinander und wohnen in ähnlicher Lage. Auf diese Weise, erklärt Rose, können „wir die Gesellschaft der anderen genießen und wenn einer oder einem von uns etwas passiert, sind wir zur Unterstützung da.“
Stereotypisierung
Nur wenigen NichtägypterInnen ist es möglich, aus diesem Kreislauf auszubrechen, mit besseren Chancen für diejenigen, die den ägyptischen Dialekt sprechen und den Einheimischen in Hautfarbe, Sitten und Traditionen am meisten ähneln. Ohne Zweifel können diese Aspekte irrelevant werden, je weiter oben man sich auf der Vermögensskala befindet. Und auch zwischen Stadt und Land gibt es Unterschiede. Gerade ländliche Gebiete sind noch immer von traditionellen Erwartungen und Maßstäben in Bezug auf Herkunft, Eigentum und Traditionen beherrscht, die die Integration von AusländerInnen dort sehr schwierig machen.
Rose konnte solchen Ansprüchen nie gerecht werden, denn obwohl sie viele Aspekte des ägyptischen Lebens angenommen hat, war sie nicht bereit, sich von ihrer Heimatkultur vollständig zu trennen. Auch ist es ihr unmöglich an einen Ort zu ziehen, wo ihre Nationalität und Unterschiedlichkeiten keine Rolle spielen. Sie steckt in der Mitte fest: Den ÄgypterInnen, die sie nicht anerkennen, kann sie sich nicht nähern und in ihr Heimatland, aus dem sie vor Krieg, Unruhen und Spannung floh, kann sie nicht zurückkehren.
Dunkle Haut, asiatische Gesichtszüge oder westliche Erscheinung – die Kluft zwischen den Einheimischen und Menschen anderer Nationalitäten wächst. Das gilt auch für Kinder aus binationalen Ehen, die in Ägypten geboren sind, wie den 17-jährigen Ali Hassan. Da er einen ägyptischen Vater, aber eine malaysische Mutter hat und äußerlich nach ihr kommt, sieht er sich ständig mit Fragen über seine Identität konfrontiert. „In der Schule hatte ich deshalb schreckliche Probleme. Immer habe ich das Gefühl, doppelte Leistungen bringen zu müssen, um die Leute von meiner ägyptischen Identität zu überzeugen.“
Wirtschaftlicher Druck
Im Gegensatz zu Rose und Ali hatte die Jemenitin Fatima el-Mutahar weniger Probleme im Umgang mit den ÄgypterInnen. Durch ihre Hautfarbe und das Kopftuch ist sie von den meisten ägyptischen Frauen nicht zu unterscheiden und wird als vertraut wahrgenommen; selbst den ägyptischen Dialekt beherrscht sie perfekt. Daher hält sie sich, außer im Umgang mit Behörden, zu ihrem ausländischen Hintergrund weitgehend bedeckt.
Als sie nach Ägypten zog, verriet ihr Dialekt manchmal noch ihre Herkunft. Doch die Einheimischen schienen sie herzlich aufzunehmen, schließlich kam sie ja aus einem „Bruderland“, wie ihr immer wieder beteuert wurde. Doch während Kriegsflüchtlingen aus dem Jemen, Syrien, dem Irak, Libyen und Palästina diese Gastfreundschaft zumindest scheinbar entgegengebracht wird, bleibt sie SudanesInnen gänzlich verwehrt, obwohl diese ebenso aus arabischsprachigen Ländern kommen.
Fatima el-Mutahar mit ihrem Sohn | ©Goethe-Institut/Sandra Wolf Fatima lebt nun seit mehreren Jahren in Ägypten und auch sie musste ihre Ansichten revidieren. Die Gastfreundschaft der ÄgypterInnen ihr gegenüber hält sie für oberflächlich und erreiche besonders dann ihre Grenzen, wenn es ums Geld ginge. Infolge der Verschlechterung der ägyptischen Wirtschaft konnte Fatima einen Wandel im Verhalten der ÄgypterInnen ausmachen. Immer häufiger wurde AusländerInnen wie ihr vorgeworfen, eine Konkurrenz zu sein, wenn es um die begrenzten Ressourcen für den Lebensunterhalt ging und gleichzeitig für steigende Miet-, Transport- und Ladenpreise verantwortlich zu sein. Diese Anschuldigungen richten sich am stärksten gegen wirtschaftlich schwache ImmigrantInnen, die keine eigenen Unternehmen haben.
Fatima lebt von freiberuflicher Arbeit, die ihr jedoch nicht das stabile Leben ermöglicht, das sie so dringend für sich und ihren vierjährigen Sohn braucht. Mit seiner Geburt begannen in Fatima die Zukunftsängste zu schwelen. Sie erzählt: „Einmal sagte er in der Schule vor seinen Freunden ein paar Wörter im jemenitischen Dialekt, da drehten sie sich um und meinten, er sei kein Ägypter. Und sie fragten ihn, wieso bist du hier? Und als er mich das fragte, wusste ich nicht, was ich antworten sollte. Ich will doch nicht, dass er das Gefühl hat, seine Identifikation mit dem Land, in dem er lebt, stünde im Konflikt mit seinem Herkunftsland. Ich weiß nicht, wie lange ich ihn davor bewahren kann und ob er beim Lernen und Arbeiten die gleichen Chancen wie seine ägyptischen Brüder bekommen wird. Ich will ihn jetzt für die Grundschule anmelden und das erfordert eine Menge komplizierter Schritte, die zu erfüllen ich mir kaum leisten kann. Und wenn ich mir die anderen Migranten mit Kindern um mich herum anschaue, die schon länger hier leben, dann ist es sehr unwahrscheinlich, dass ich die Anforderungen erfüllen kann.“
Das schwächste Glied
Fatima Idris, Geschäftsführerin bei „Tadamon – The Egyptian Refugee Multicultural Council“, meint, dass der wirtschaftliche Druck auf das Leben in Ägypten die ImmigrantInnen zum schwächsten Glied gemacht und ihre gesellschaftliche Marginalisierung verschärft habe.
Fatima arbeitet jedes Jahr mit etwa 30.000 Flüchtlingen. Sie war vor 18 Jahren selbst eine Geflüchtete, als sie aus Nordsudan hierherkam, um ihren ägyptischen Wurzeln nachzugehen, die sie von ihrem Großvater aus Qena in Oberägypten geerbt hat. Sie erhielt schließlich die ägyptische Staatsbürgerschaft und entschied sich zu bleiben. „Der Druck war damals geringer“, erzählt sie. „Die ÄgypterInnen waren anderen gegenüber offener. Und meiner Meinung nach haben sie nicht so sehr ein Problem mit den anderen, sondern vielmehr mit sich selbst.“
Fatima Idris, Geschäftsführerin bei Tadamon – The Egyptian Refugee Multicultural Council | ©Goethe-Institut/Aya Nabil
Sie fügt hinzu: „Ich habe die Integration geschafft, obwohl ich den nubischen ÄgypterInnen ähnlicher sehe. Meine Kinder haben weiße Haut und deshalb wenig Probleme. Aber wenn wir alle zusammen sind, gehen die Fragen an uns los – als wären das nicht meine Kinder. Einmal ging eine Lehrerin an ihrer Schule so weit, zu einem Freund meines Sohnes zu sagen: ‚Du bist weiß und schön.‘ Da musste ich eingreifen. Ich will nicht, dass sie die weitverbreitete Meinung übernehmen, dass helle Haut überlegen ist.“
Fatima meint, dass das Leben in Ägypten von Stereotypisierung beherrscht wird und die Probleme immer dann beginnen, wenn sich jemand davon unterscheidet: „Ich kenne viele Frauen, die gezwungen waren, ein Kopftuch aufzusetzen, damit sie in ihrem Wohngebiet nicht länger in Schwierigkeiten kamen, weil sie anders aussahen.“
Gefühl der Fremde
Während Rose aus Südsudan darüber nachdenkt, in ein anderes Land auszuwandern, um den Gefühlen der Fremdheit zu entfliehen und Fatima aus dem Jemen noch nicht weiß, ob sie diese ertragen kann, steht Ali in der Mitte: Er fühlt sich als Ägypter, aber sein Aussehen bereitet ihm Probleme und er hat das Gefühl, dass seine Mitmenschen ihn nicht akzeptieren. Noch weiß er nicht, wie er damit umgehen soll: „Ich habe das Gefühl, ich werde immer ein Fremder bleiben, sodass auch ich schon darüber nachgedacht habe wegzugehen."
September 2018