Da Musik in der Zeit verläuft – und sogar „die Zeit selbst“ zum Thema haben kann –, eignet sie sich natürlich gut dazu, Vorstellungen einer anbrechenden Zukunft zu vermitteln. So sind die immer wieder neuartigen Klangwelten elektronischer Musik eng verbunden mit Diskursen über das sich verändernde Verhältnis von Menschen zu der von ihnen gebauten Umwelt und insbesondere zu Maschinen. Das gilt vor allem für „Techno“.
Bei dieser Spielart elektronischer Tanzmusik wird das Potential der namensgebenden „Technologie“ nicht nur klanglich und rhythmisch ausgelotet, sondern zugleich hinsichtlich seiner utopischen und auch dystopischen sozialen Dimension. Techno ging vor ungefähr 30 Jahren aus den urbanen Subkulturen Nord-Amerikas und West-Europas hervor und wurde bald weltweit populär. Die Entstehungsgeschichte wurde auf vielfache Weise erzählt:In Detroit grenzten sich afroamerikanische Musiker vom Ideal des Soul ab, indem sie nicht mehr den Ausdruck der menschlichen Stimme oder das individuelle instrumentale Spiel ins Zentrum ihrer Ästhetik stellten, sondern die automatisierten Abläufe von Klangmaschinen. Auch in Berlin, Frankfurt am Main und vielen anderen Orten entstand Musik, für die die Sounds und Wiederholungsfunktionen von Drum Machines charakteristisch waren und bei der sich die Tracks nahtlos ineinander mischen ließen. Die oftmals im Hinblick auf nationale (Musik-)Geschichtsschreibung gestellte Frage, wer wo und wann Techno „zuerst erfunden“ habe, lenkt jedoch davon ab, dass Techno Mitte/Ende der 1980er Jahre an verschiedenen Orten nicht nur nahezu gleichzeitig aufkam, sondern dabei auch an bereits existierende transnationale musikalische Phänomene anschloss.
Auch wenn sich die Geschichten über Ursprung und Vorläufer von Techno hinsichtlich der Bedeutung von Orten und Personen unterscheiden, ist der zentrale Stellenwert von Musiktechnologie unbestritten.
Auch wenn sich die Geschichten über Ursprung und Vorläufer von Techno hinsichtlich der Bedeutung von Orten und Personen unterscheiden, ist der zentrale Stellenwert von Musiktechnologie unbestritten. Dabei geht es weniger um die rein technischen Eigenschaften der Klangerzeugung, als vielmehr um den spezifischen manuellen Umgang mit den Geräten. Was banal ist, gerät in der Rede über „Maschinenmusik“ bisweilen aus dem Blick: Auch Techno wird nicht von Maschinen allein produziert, sondern nur dann, wenn Menschen diese in Gang setzen, spezifische Einstellungen vornehmen und derart akustische Signale zu Gehör bringen. Die kreative Auseinandersetzung mit den maschinellen Möglichkeiten fließt dann wieder in die Konstruktion neuer Modelle ein. Technische und ästhetische Probleme gehen insbesondere beim Phänomen der „Quantisierung“ von klanglichen Abfolgen ineinander über. Quantisierung bedeutet, dass beispielsweise eine per Hand in eine Drum Machine eingegebene Rhythmus-Sequenz automatisch an einem Raster ausgerichtet wird, so dass die Sound-Impulse bei der Wiedergabe der Sequenz nur zu bestimmten Zeitpunkten, aber nicht „dazwischen“ erklingen können.
Bis in die 1990er Jahre führte dies aufgrund der beschränkten Kapazitäten der Sequenzer-Speicher vielfach zu „starr“ oder „künstlich“ wirkenden Rhythmen. Eine künstlerische Strategie bestand nun darin, eine roboterhafte Klangästhetik gewollt zu verstärken und musikalisch herauszustellen – teilweise wurden dazu derartige „starre“ Rhythmen sogar einfach ohne automatisierten Quantisierungseffekt von menschlichen Drummern eingespielt. Andererseits wurde fortlaufend an technischen „Humanizing“-Verfahren gearbeitet. Dabei sollten einfache „Swing-“ oder „Shuffle-“Funktionen maschinelle Abweichungen erzeugen, die „lebendig“ klangen, also nach menschlichem Ausdruck. Auch wenn heutzutage aufgrund von leistungsfähigen Mikroprozessoren sehr hochauflösende zeitliche Raster möglich sind, bleibt das Quantisierungsproblem aktuell und betrifft einen Kern der Ästhetik von Techno, nämlich, wie sich das Verhältnis von Mensch und Maschine in der musikalischen Zeit gestaltet. Dies wird etwa an der im Kontext gegenwärtiger elektronisch produzierter Musik sehr verbreiteten Software „Live“ der Berliner Firma Ableton deutlich. Während die Programmatik von „Live“ darin besteht, Musik in Echtzeit manuell zu erzeugen und fortlaufend verändern zu können, stehen andererseits ausgerechnet bei der automatischen Ausrichtung von Ereignissen an zeitlichen Rastern hochkomplexe Algorithmen zur Verfügung, die sich nicht einfach intuitiv bedienen lassen. Auch mit diesem Paradox wird nun wieder auf verschiedene Weise umgegangen. Dies führt insbesondere im Bereich von Techno oder Electronic Dance Music zu entweder stereotypen Musikformen oder zu einer Ästhetik, die ihren Reiz gerade aus der Reibung zwischen manuellen Eingriffen und automatisierten Verfahren bezieht. Diese Ästhetik verweist bisweilen in ihrer Unfertigkeit auch auf eine möglicherweise erst zukünftig zu realisierende Musik.
Die für Techno konstitutive Spannung zwischen maschineller Automatisierung, manueller Bedienung und futuristischen Verweisen steht vielleicht nirgends so offensichtlich im Vordergrund wie bei Jeff Mills. Er ist einer der prägendsten DJs und Produzenten des „Detroit Techno“. Seine haptischen Fähigkeiten im Umgang mit Schallplatten, Mischpulten und Drum Machines sind nahezu legendär. Bei fotografischen Ausstellungen wurden seine Hände im Großformat gezeigt. Die Nahaufnahmen von den Linien seiner Haut können an die Rillen von Schallplatten und an poröse planetarische Oberflächen erinnern. Derartige Assoziationen werden nahegelegt durch Mills’ konzeptionelle Kunst. Viele seiner Platten-Cover sind mit Bildern von Planeten, wie Saturn und Jupiter, oder eben von Händen illustriert. Mills bringt außerdem Video-Serien heraus, die seinen fingerfertigen Umgang mit Plattenspielern und Drum Machines der Marken Technics bzw. Roland zeigen. Das ganze Szenario wirkt wie eine mehrfach verwobene Fetischisierung: mythenbeladene Planeten – die Hände eines Virtuosen – sagenumwobene Musikgeräte. Die Zukunft erscheint hier einerseits greifbar nah, andererseits jedoch tendenziell ins ferne Weltall verschoben.
In der Geschichte von Techno gibt es auch profanere Konstellationen. Während der Hochphase der Rave-Kultur wurden insbesondere in Großbritannien um 1990 große Partys in der Stimmung gefeiert, die Zukunft „hier und jetzt“ in den eigenen Händen – oder vielmehr in den Füßen zu haben. Im kollektiven ekstatischen Tanz wurden leerstehende urbane und ländliche Flächen zumindest temporär belebt und angeeignet. Angesichts der Propagierung von Sex und Drogenkonsum wurde, angelehnt an die Hippie-Kultur der 1960er Jahre, vielfach vom „Second Summer of Love“ gesprochen. Bevor sich die Bewegung immer mehr kommerzialisierte, geregelte Veranstaltungen, international erfolgreiche Star-DJs und auch eine gesteigerte Fetischisierung von Musiktechnologie hervorbrachte, stand „Techno“ für die Möglichkeit, Synthesizer, Plattenspieler und Sound Systems auf vergleichsweise einfache Weise einzusetzen. Es sollten nicht nur neue Sounds, sondern auch andersartige soziale Events kreiert werden. Die Gruppierung, mit der Jeff Mills in Detroit bekannt wurde, heißt nicht grundlos „Underground Resistance“. Auch dass in Berlin in den Jahren nach dem Mauerfall oftmals von „Tekkno“ anstelle von Techno gesprochen wurde, kann als Ausdruck von subkultureller Unangepasstheit verstanden werden. Dass derartige Aktionen und Propagierungen nicht reibungslos verliefen, erscheint wenig überraschend. Eine historische Rekonstruktion dessen ist aber schwierig. Eine besondere Quelle, die Aufschluss geben kann über die Kreativität von Teilen der Techno-Bewegung angesichts der zunehmenden Reglementierung, ist ein auf den ersten Blick unscheinbar wirkender Aufkleber von 1994: Im gleichen Jahr, in dem das englische Duo Autechre mit Veröffentlichungen auf einer Kompilation namens Artifical Intelligence zur Ikone eines in Feuilletons hymnisch besprochenen „Kunst-Technos“ wurde, versah es seine Schallplatte Anti EP mit einem Warnhinweis. Zwei der Tracks, so hieß es, enthielten repetitive Beats, die bei subkulturellen Events aufgrund der restriktiven Gesetzgebungstendenzen zu Problemen mit staatlichen Sicherheitskräften führen könnten. Der dritte Track, „Flutter“, könne allerdings gefahrlos gespielt werden, da jeder Takt anders programmiert sei und kein Beat dem anderen gleiche – es sei aber sicherer, eine*n Musikwissenschaftler*in und ein*e Anwält*in dabei zu haben, die dies im Ernstfall bestätigen könnten. Was als sarkastischer Kommentar erscheint, hat einen ernsten Hintergrund: Die Ästhetik von Techno ist tief geprägt nicht nur von technischen Bedingungen, sondern vor allem auch von den Umständen der Produktion und Konsumtion. Wie die Zukunft klingt, entscheidet sich also insbesondere in der sozialen Auseinandersetzung über Musik.