Künstler-Porträt  Die Stadt an der Küste

Aussichtsplattform im Park Yantai
Aussichtsplattform im Park Yantai Foto (Ausschnitt): Aussichtsplattform im Park Yantai © Hang Su

Hang Su sammelt im Internet Fotografien aus seinem Heimatort Yantai, um eine Ästhetik der Vergangenheit aufzugreifen und zu verstehen. Der Leipziger Komponist erarbeitete zudem 2018 eine Hommage Performance an Ren Hang im Museum der bildenden Künste Leipzig. Wir sprachen mit ihm über den Klang der Städte, die Leipziger Eisenbahnstraße als kulturellen Brückenbauer und die AfD.

yì magazìn: Du bist gebürtig aus Yantai, Shandong und hast in Peking und in Leipzig Komposition studiert. Welchen Klang hat Yantai?

Ich bin in der Hafenstadt Yantai im nordöstlichen China geboren - einer Stadt mit zwei Millionen Einwohnern. In der Kolonialzeit war die Stadt bis 1917 Mittelpunkt konsularischer Angelegenheiten von Großbritannien, Frankreich, und Deutschland. Einige Gebäude wie zum Beispiel das kaiserliche deutsche Postamt sind heute noch zu sehen. Spaziert man entlang der Küste, fühlt man sich mit dem Rauschen der Wellen, den spielenden Kindern am Strand und den Pärchen unter den Sonnenschirmen wie am Mittelmeer. Von der Intonation her hat die Stadt an der Küste immer eine ähnliche Dynamik - viel Heiterkeit, Freude und Gelassenheit.

Klingt Leipzig für Dich auch so heiter und gelassen?
 
Müsste ich meinen ersten Eindruck von der deutschen Stadt in Worte fassen, dann ist es leise und klein. Selbst in Köln oder Berlin hat man während der Feiertage ein paar ruhige Stunden auf der Straße. Es war ein Zufall, dass Leipzig meine erste Station in Deutschland war, denn ich bin nicht wegen J.S. Bach hierhergekommen. Wie Leipzig klingt? Ich mag die Sommernachmittage, wenn der Wind durch die Blätter weht, das kann man hier wirklich gut hören.
  Häufig umhüllt ein Nebel die Küstenstadt Yantai. Welche Rolle spielt das Nebelige in Deiner Musik und Performance?
 
2015 änderte sich mein Musikstil, nachdem ich die chinesischen Schriftzeichen näher untersucht habe. Seitdem ist mir ein wiederkehrender schlichter Ausdruck mit Schichtung von Mikrotonalität im Vordergrund wichtig. Das ist eine musikalische Geste, die ich mit meiner Heimat verbinde. Wenn man ein bisschen weiter interpretieren darf, dann ist es eine Schichtung von Instabilität wie eine Mirage. Die Wirklichkeit wird in einer irrealen Fläche verspiegelt.
 
In der Realität gilt sie als eine der kriminellsten Straßen Deutschlands – die Leipziger Eisenbahnstraße. Was ist Deine persönliche Erfahrung mit der Straße und dem Leipziger Osten und warum hast Du das Vary als Ort für ein Treffen ausgewählt?
 
Ich finde es ist gut, dass die Künstlerinnen und Studierenden das Viertel seit vielen Jahren mitgestalten. Seit 2012 wird die Eisenbahnstraße immer beliebter. Das Vary ist ein Laden mit einem einmaligen Konzept in Leipzig, es ist nämlich ein Plattengeschäft und Café in einem. Dieser Ort hat einen Mischcharakter, denn man muss nicht unbedingt Platten kaufen oder Kaffee trinken. Es ist auch ein Treffpunkt für Kultur und Soziales. Am wichtigsten ist mir der Ladenbesitzer, der ist cool und entspannt und die Atmosphäre ist auch angenehm.

Wie Leipzig klingt? Ich mag die Sommernachmittage, wenn der Wind durch die Blätter weht, das kann man hier wirklich gut hören.

Die Straße runter befindet sich das "Japanische Haus e.V.", das ein Brückenbauer zwischen den verschiedenen Kulturen ist und Dich inspiriert. Wie sähe für Dich ein "Chinesisches Haus" aus?
 
Mir wurde erzählt, dass das Japanische Haus e.V. Leipzig lange Zeit um Existenz bangte. Die Gründer entschieden daraufhin den Laden vom Leipziger Stadtteil Gohlis in die Eisenbahnstraße umzusiedeln. Langsam aber stetig wurde es ein beliebter Ort auf der Eisenbahnstraße. Sie initiierten eine Volksküche und ab und zu bieten sie kleine Ausstellungen oder Kurse über Japan und die japanische Sprache an. Mir fiel in den Jahren 2016 und 2017 auf, dass ein paar Geschäfte von chinesischen Betreibenden in Leipzig öffneten, diese jedoch nach ein oder zwei Jahren wieder schlossen. Ich finde, dass viele dieser Konzepte von chinesischer Seite aus nicht langfristig geplant waren. Ein "Chinesisches Haus" in Leipzig würde vermutlich zunächst einmal der chinesischen Community dienen. Die Besucher haben immer unterschiedliche Gründe dieses Haus zu betreten, vielleicht sind sie aber auch einfach nur neugierig. Die Idee eines chinesischen Hauses muss aus der Fantasie der Besucher heraus entstehen und das Projekt sollte einen nachbarschaftlichen Zweck erfüllen.

Von der Intonation her hat die Stadt an der Küste immer eine ähnliche Dynamik - viel Heiterkeit, Freude und Gelassenheit.

Seit elf Jahren lebst du in Deutschland und seit einiger Zeit in Leipzig. Während der Bundestagswahl am 24.09.2017 holte die AfD in manchen Bezirken 20,5% der Erststimmen (CDU 27,5%). Wie nimmst Du diese Veränderungen in Deiner näheren Umgebung seit Deiner Ankunft wahr?
 
Ich habe einmal von einem Bekannten meines Freundes gehört, dass er seine Erststimme für die Grünen und die Zweitstimme der AfD im Jahr 2017 abgegeben hat. Damit zeigt er auf, dass seine Meinung irgendwo in der Mitte dieser beiden Parteien steht. Ich fürchte mich vor solchen Wählern. An einige Dinge im Alltag habe ich mich gewöhnt, wie etwa auf einer Party kaum angesprochen zu werden und unfreundliche Kommentare auf der Straße zu bekommen. Das passiert aber auch in unterschiedlichen Stadtteilen. Generell hat Leipzig ein sehr starkes Engagement und Statement gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit. Vor ein paar Jahren waren große Demonstrationen gegen „Pegida“, sodass immer montags keine Menschen mit rechter Gesinnung im Zentrum von Leipzig laufen konnten.
 
Punks, Skater, tanzende Menschen und Männer auf Motorrollern. Es häufen sich immer mehr Fotografien in Deiner Sammlung, die Chinas Gesellschaft der 80er und 90er Jahren zeigen. Woher kommt das Interesse und was fällt Dir auf?
 
Seit dem Chinesischen Neujahr 2019 häufen sich auf der Webseite Douban immer mehr Fotos zu alternativen Lebensstilen in den 80er und 90er Jahren. Ich versuche eine Ästhetik der Vergangenheit aufzugreifen und zu verstehen. Die Zeit von 1980 bis 2000 hatte viele politische und gesellschaftliche Turbulenzen in meiner Heimat. Ich war zu klein, um alles zu verstehen. Jetzt durch diese Sammelaktion kann ich die Geschichte wieder erleben. Mit Hilfe der Fotografien kann ich herausfinden, welche gesellschaftlichen, ästhetischen und kulturellen Ereignisse mich und meine Eltern prägten. Man sieht wie die wirtschaftliche Liberalisierung die kommerzielle Kultur sehr verstärkt und somit das Leben und dessen Wertschätzung der Chinesen rasant verändert hat. Subkulturelle Prägungen waren nicht so gängig, so haben Punks auch keinen antifaschistischen Charakter wie in Deutschland. Skater war niemand in meiner Schulklasse. Bis ich China verließ, gab es auch keine große Graffiti-Szene. Breakdance und Discobesuche wurden in den 80er auf einmal sehr populär sowie Straßenkaraoke in den 90er Jahren. Die Chinesen waren in der Zeit sehr verträumt, die Bevölkerung war jung, ihr Leben glänzte von dem wirtschaftlichen Wachstum.

Die Fragen stellte Silvan Hagenbrock.
 

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