Interview mit Video-Künstler Omer Fast  The Invisible Hand

Screenshot von The Invisible Hand
The Invisible Hand © Omer Fast 2018

Der Video-Künstler Omer Fast erzählt mit seinen bewegten Bildern „Geschichten, die symbolisch die Machtstrukturen unserer Gegenwart offenlegen“, heißt es in seinem Künstler-Profil für die 12. Berlin Biennale. Seinen ersten VR-Film hat Omer Fast 2018 gedreht, und zwar hauptsächlich finanziert vom Times Museum in Guangzhou, das vor kurzem aus politischen und finanziellen Gründen seinen Ableger in Berlin schließen musste. Ein guter Anlass also, um nochmal über The Invisible Hand zu sprechen.

The Invisible Hand (2018) ist Omer Fasts erster VR-Film. Er wurde geplant und produziert von Nikita Yingqian Cai, der Chefkuratorin des Times Museums in Guangzhou, und vollständig in Guangzhou gedreht, zum Teil sogar im Times Museum selbst. Der Film wurde unter anderem im Rahmen einer Reihe von Filmen gezeigt, die Omer Fast seit 2011 gedreht hat, darunter 500 Feet Is the Best (2011), Continuity (2012) und August (2016).

In der Ausstellung waren die Filmvorführungen in die Inszenierung des Wohnviertels eingebettet, in dem sich das Times Museum befindet. Die Korridore und Wartebereiche im Krankenhaus sowie andere sich wiederholende Räume wurden ebenfalls inszeniert. Insofern ist der virtuelle Raum im Film mit dem Ausstellungsraum verflochten und es ist schwierig, zwischen wahr und falsch oder zwischen reell und virtuell zu unterscheiden.
 
Die Geschichte basiert auf einem mittelalterlichen jüdischen Mythos und wurde nach Omer Fasts Besuch in Guangzhou 2017 und seinen Gedanken über die geographische und soziale Umgebung des Times Museum überarbeitet. Sie passt sehr gut zu dem Hintergrund der sich rasch wandelnden Stadtlandschaft in Guangzhou. Im Mittelpunkt steht eine gewöhnliche chinesische Familie, die mithilfe übernatürlicher Kräfte in die Mittelklasse aufsteigt. Ihre Wohnungen werden immer größer und befinden sich in immer besseren Gegenden, doch als der Geist einer früheren Bekanntschaft plötzlich auftaucht, weigert sich die Familie sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen. Dies alles wird von einem achtjährigen Mädchen beobachtet, das erzählend durch den Film führt.

Das 360-Grad-Panorama scheint das Bild frei zu lassen, dient hier jedoch dazu, eine Art geschlossenen und unbesiegbaren Zustand darzustellen. Omer Fast benutzt verschiedene Medien, um den Raum zu verlegen und neu zu ordnen, und er drückt den Verlauf der Zeit durch den Raum aus. Dahinter stehen seine Überlegungen zu den verschiedenen Ebenen der geographischen und materiellen Welt sowie die moralischen und spirituellen Bestrebungen, die zusammenspielen und ineinandergreifen.

yì magazìn: Wie bist du auf diese Idee gekommen?
 
Omer Fast: Das ist eine lange Geschichte. Das Times Museum in Guangzhou ist von einer Immobilienfirma auf dem Dach von einem riesen Wohnprojekt, Wohnkomplex gebaut worden. Das Museum ist eher später dazu gekommen. Es gab eine Biennale, glaube ich, und unter anderem haben sie sich entschieden das Museum dort zu bauen.

Das heißt, da wohnen tausende Leute in so einer Gated Community, Mittelstand, am Rand der Stadt. Das bedeutet, diese tausenden Leute, die unterhalb des Museums wohnen, haben eher weniger mit dem Museum zu tun. Die wohnen da. Es gibt einen Park, einen riesen Garten inzwischen. Die Besucher*innen des Museums zahlen ein Ticket und benutzen einen speziellen Fahrstuhl, womit sie hochrasen, um aufs Dach zu kommen und die Ausstellung zu sehen. Dann gehen sie weg. Sie dürfen nicht in den Hof, in den Garten und natürlich nicht in die Wohnungen hineingehen.

Mich hat damals diese spezielle Situation interessiert. Ich wollte ganz am Anfang die unterschiedlichen Wohnungen unterhalb des Museums überall zeigen. Das hat nicht geklappt. Wenn ich nicht in die Wohnungen gehen kann, dann will ich die Geschichte meines Films in eine dieser Wohnungen ziehen. Ich will den Besucher*innen die Erfahrung des Besuchs in der Wohnung bieten. Daher ist diese massive Verbindung entstanden und die Ausstellung hatten wir tatsächlich räumlich auf dem Dach.

In der Arbeit einen Geist zeitgenössisch zu erzählen ist eine Art Tabu gewesen

Wir haben diesen ganze White-Cube umgebaut und das Treppenhaus von der unteren Etage nachgebaut, so dass die Besucher*innen aufs Dach kommen und plötzlich diese gewöhnliche Situation haben. Es sieht genauso aus wie eine Etage unterhalb des Museums. Es gibt viele Türen, anhand der ausgewählten Tür gelangen man in eine jeweils andere räumliche Situation.

Es gibt viele Filme, die wir gezeigt haben. Das Museum ist eine riesige Halle in Weiß, riesiger White-Cube. Wir haben alles so kreiert, die Decke, die Türen, die Böden, das Gelände hier. Alles wurde von uns inszeniert. Die Besucher*innen können dann entscheiden, welche Tür sie öffnen. Dann gehen sie hinein. Hinter der Tür von der rechten Seite, wenn man die Tür aufmacht, gibt es so einen Krankenhausflur. Es gibt natürlich so einen Geruch räumlich und ganz am Ende gibt es ein kleines Gerät an der Wand und man zieht eine Wartenummer. Und dann kann man warten.

Die Geschichte fängt in der Wohnung an und endet in der Wohnung. Am Ende des Films guckt man die Ausstellung. The Invisible Hand ist also ein Teil der gesamten Ausstellung, der ganzen Inszenierung. Zwei Tage nach der Eröffnung hat das Kulturministerium oder das Zensurministerium dann die Arbeit zensiert, deswegen entstand eine Sackgasse, damit das Publikum nicht weiter gehen konnte. Es gab ein Schild. Diese Arbeit ist also nach zwei Tagen nicht mehr öffentlich gezeigt worden.
The Invisible Hand (Installation) The Invisible Hand (Installation) | © Omer Fast 2018, mit freundlicher Genehmigung des Guangdong Times Museum Gab es eine Begründung dafür?
 
Die Begründung war lustig. Der Staat denkt, dass es keine Geister gibt, weil es Aberglaube ist. Man darf keine Geister inszenieren. Darum ging es den Zensoren. In der Arbeit einen Geist zeitgenössisch zu erzählen ist eine Art Tabu gewesen. Das war die Begründung. Hinter der Begründung gibt es natürlich noch eine ganz andere Dynamik und das hat vielleicht ein bisschen mit der Geschichte des Films zu tun.

In der Inszenierung ging es um den Raum und die Räumlichkeit und in The Invisible Hand geht es auch um die Dimension der Zeit, Veränderungen wie Gentrifizierung in der chinesischen Gesellschaft. Wie bringst du die beiden Dimensionen zusammen?
 
Das ist relativ simpel, das ist ein Märchen. Das fängt in einem Raum an und hört in dem gleichen Raum auf. Dazwischen hat man die Erzählungen, eine Art Reise, Zeitreise, die im Grunde eine Familie porträtiert. Gemeint damit ist auch eine gewisse Porträtierung der Gesellschaft. Gesehen werden Generationen einer Familie, die vorher relativ gescheitert war, erfolgreich und reicher wird, sozial und wirtschaftlich aufsteigt und in einer wohlhabenden Situation endet. Das hat ein bisschen weniger mit den Ausstellungsräumen zu tun.

Die Ausstellungsräume bieten dagegen etwas anderes an, hat ein bisschen mit Exorzismus zu tun. Der Film erzählt, wie diese dämonische Präsenz viel mit der Vergangenheit der Familie zu tun hat. Es geht nicht um Dämonen als solche, sondern die Botschaft dieser übernatürlichen Präsenz in dem Film, die mit der Vergangenheit zu tun hat. Durch das Schicksal sind sie mit etwas konfrontiert, was die Geschichte um den Aspekt der Wahrheit und Ablehnung der Wahrheit erweitert und was mit den Räumen des Krankenhauses zu tun hat.

Das Krankenhaus ist natürlich weiß und sauber und das Personal ist auch weiß und sauber. Seit Beginn der Hygiene in der Medizin gibt es eine Faszination und eine Obsession mit der Gesundheit. Viren und unerwünschte Elemente sollen fernbleiben, außerhalb des Krankenhauses bleiben, sozusagen exorziert werden. Wir haben das Krankenhaus so gestaltet, um das symbolisch zu zeigen. Wir hätten natürlich auch eine andere Farbe benutzen können und es wäre trotzdem bakterienfrei gewesen.

Ich wollte dann für diese Ausstellung in Guangzhou parallel räumlich und filmisch über diesen Exorzismus erzählen. Welche Botschaften und Elemente der Gesellschaft wollen wir nicht wahrnehmen? Welche Elemente wollen wir exorzieren, ablehnen, unterdrücken? Und warum? Ich wollte die Geschichte auch durch die räumliche Inszenierung erzählen, die eindeutig mit dem Exorzismus, der Sauberkeit und der Unterdrückung der unerwünschten Elemente zu tun hat.
The Invisible Hand (Installation) The Invisible Hand (Installation) | © Omer Fast 2018, mit freundlicher Genehmigung des Guangdong Times Museum Es geht auch um Realität vs. Irrealität, Gegenwart vs. Vergangenheit ...
 
Ein Junge entdeckt etwas im Wald, so ein Ground-Zero für ein Film-Märchen. Im Wald sind die Wesen, die nicht im Dorf, nicht in der Gesellschaft sind. Es geht in diesem Teil natürlich um Wahrheit, aber es geht auch um die Anerkennung der Wahrheit. Sind wir in der Lage, die Wahrheit zu erzählen? Das ist die erste Frage. Sind wir als eine Familie, eine Gesellschaft in der Lage, die Wahrheit anzuerkennen? Das ist eine weitere Frage in diesem adaptierten Märchen.
The Invisible Hand (Filmdreh) The Invisible Hand (Filmdreh) | © Omer Fast 2018, mit freundlicher Genehmigung des Guangdong Times Museum Der Dämon wurde als Peking-Opernsänger verkleidet ...

In dem ursprünglichen Märchen ist der Dämon eine Frau. Ich wollte diese Präsenz geschlechtsneutral porträtieren, besonders im Rahmen von geschlechtsneutralen Sänger*innen in der Peking-Oper, und das sehr reflektiert und künstlich. Das heißt, der Geist zwischen den Geschlechtern ist aber auch nicht komplett ein Opernsänger, nur zum Teil so geschminkt und zum Teil so verkleidet. Eigentlich hat er so ein Unterkleid an mit einem Basis-Makeup. Er ist ein bisschen eine Zwischenfigur, zwischen den Zeiten, zwischen den Geschlechtern und auch auf eine Art zwischen Opfer und Richter am Ende, der ein strafendes Urteil fällt.
 
Was ist der Unterschied für dich, einen Raum in einer Inszenierung darzustellen und einen Raum in einem VR-Film zu schaffen?
 
Ich mag diese massive Erfahrung, wie Räume so echt werden und auf der anderen Seite so künstlich bleiben können. Aber die Erfahrung der Besucher*innen ist leider ziemlich asozial. Im Gegensatz zu einem normalen Film kann man die Arbeit nur privat so sehen. Das ist interessant, da es so eine komplett asoziale Erfahrung ist. Beim Drehen ist es auch interessant, weil die Kamera wie eine Art Panoptikum ist. Die Kamera sieht alles. Das ist nicht wie eine normale Filmkamera, die im Grunde die Welt zwischen vor und hinter der Kamera immer teilt. Diese Topographie ist durch diese VR-Kamera total anders wahrgenommen.

Nämlich ist alles, was da ist, die Schauspieler*innen und das Team und so weiter, alles ist im Bild. Das heißt, entweder nehmen wir uns ganz weg und versuchen uns irgendwie zu kaschieren oder zu verstecken oder wir müssen die Welt teilen und in Abschnitten drehen und später zusammennähen, zusammen komponieren. Aber noch interessanter ist, dass die Kamera ein bisschen wie eine übernatürliche Präsenz, eine dämonische Präsenz ist, die alles sieht. Die auf jeden Fall bestraft, wenn man es nicht gut genug macht oder wenn man die Konzeption der VR-Räume nicht im Kopf hat. Ich bin von der Erfahrung begeistert, aber so schnell muss ich das erstmal nicht wieder machen.

Ich mag diese massive Erfahrung, wie Räume so echt werden und auf der anderen Seite so künstlich bleiben können

In der Szene der Hochzeit zum Beispiel wollte ich, dass der Dämon um die Kamera läuft. Das war aber nicht möglich, weil wir nicht genug Gäste für die Hochzeit hatten. Die Halle war einfach sehr groß, das war alles gesponsert. Wir hatten nur genug Gäste, um die Hälfte des Raums zu inszenieren. Daher musste der Dämon auf einer Seite der Kamera bleiben. Und dann mussten alle Hochzeitsgäste aufstehen, um auf die andere Seite des Raums zu gehen. Dann haben wir sie total vermischt untereinander, dass sie weniger erkennbar sind. Dann haben wir so eine Art Hintergrund gedreht, dann haben wir die Abschnitte zusammengenäht.
 
Wie war deine Erfahrung, in China zu arbeiten?
 

Das kann ich nicht wirklich allgemein sagen. Wir haben im Januar gedreht und die Eröffnung war schon im März 2018. Das war unglaublich schnell. Und die Idee für die Arbeit hatte ich schon im Oktober 2017, nach meinem ersten Besuch. Ich habe am Anfang versucht mit einer professionellen Produzentin zu arbeiten, die in Hongkong war. Sobald sie unseren Zeitplan gesehen und mitbekommen hat, dass wir keine offizielle Drehgenehmigung hatten, meinte sie, ich macht nicht mit.

Ihr seid ein bisschen verrückt und könntet verhaftet werden, meinte sie zu uns, das darf man in China nicht. Deshalb hat Nikita Yingqian Cai, die tolle Kuratorin vom Times Museum die Produktion übernommen. Das war das erste Mal, dass sie sowas produziert hat. Wir sind zu den Drehorten gegangen und irgendeine Frau in irgendeinem Parteibüro hat uns die Hände geschüttelt und die Genehmigung mündlich erteilt. Als wir gedreht haben, tauchte nach einer Stunde plötzlich eine große Menge Polizisten auf. Mein deutscher Kameramann und ich dachten, das Projekt ist jetzt wohl erstmal zu Ende, aber wir mussten nur den Namen dieser Partei-Frau nennen und die ungefähr zehn Polizisten sind plötzlich wie in einem Märchen verschwunden.
The Invisible Hand (Filmdreh) The Invisible Hand (Filmdreh) | © Omer Fast 2018, mit freundlicher Genehmigung des Guangdong Times Museum Das Mädchen im Film ist ein Kind, das wie eine Erwachsene spricht ...
 
Sie ist sehr begabt und sehr frühreif und ich glaube, sie hat gut durch das chinesische Schulsystem trainiert, öffentlich zu sprechen, sehr deutlich zu sprechen, sie hat den Text unglaublich gut rezitiert. Es gibt zwei Szenen, die wir uns entschieden haben spontan zu drehen, und sie hat den Text in ein paar Minuten drauf gehabt und wiedergegeben. Aber natürlich war das auch für sie merkwürdig. Es passierte sehr oft, dass sie vor der Kamera auftrat und es niemanden sonst gab, weil wir uns verstecken mussten. Und dann musste sie einfach so ganz brav in die Kamera schauen und den Text aufsagen.
 
Es gibt eine schwindelerregende Szene, in der wir Zuschauerinnen in einer Ecke auf dem Dach von diesem großen Gebäude positioniert werden. Was für ein VR-Effekt ...
 
Genau, das kommt gut, also die Kamera ganz prekär, hoch positioniert und diesen Blick nach unten. Aber mit dem Blick erzählt man natürlich etwas, das mit der Geschichte ganz viel zu tun hat, nämlich Guangzhou auf dem Dach. Durch diesen VR-Blick kann man die Ruine eines Dorfes sehen, auf der anderen Seite der Straße. Nebenan gibt es diesen Bau, der vor zehn, höchsten zwanzig Jahren entstanden sind.

Und man sieht diese rasante und gewaltige Entwicklung, die dort stattfindet, wie die Topographie dort stand, wie sie sich verändert, wie die Vergangenheit hinausgejagt. Das hat natürlich ganz viel mit der Geschichte der urbanen Umgebung und des Films zu tun.

Bilder freundlicherweise bereitgestellt vom Guangdong Times Museum. Die Fragen stellte Chen Yun-hua.

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