Karmische Irrwege  Warum die buddhistische Lehre nichts mit Fatalismus zu tun hat

Buddhistische Statue umgeben von Baumwurzeln
Buddhistische Statue umgeben von Baumwurzeln © Jessica Rigollot via unsplash.com

Der buddhistische Begriff Karma ist mittlerweile nicht nur unter Yoga-Anhängern zum Schlagwort geworden: „Hey, das gibt sicher gutes Karma“, witzelt man gerne, oder: „Oh-oh, Mücke erschlagen, schlechtes Karma...!“ Viele stellen sich dabei eine Art spirituelles Payback-Punktesystem vor, nach dem Motto: gute Tat – Belohnung; schlechte Tat – Strafe, ähnlich wie in anderen Religionen, die guten Menschen das Paradies und schlechten die Hölle verheißen.

Tatsächlich teilen auch viele Buddhisten in Asien diese Vorstellung und organisieren zum Beispiel per WeChat Großeinkäufe von Fischen, Schildkröten und Vögeln, die man dann gemeinsam freilässt – Tiere freilassen gilt als „gute Tat“, doch leider wird oft weder daran gedacht, dass sie nicht in jeder Umgebung überleben können noch dass die oft geschwächten Tiere erst einmal Pflege bräuchten, um eine realistische Chance zu haben. Es soll sogar Fälle geben, in denen Tiere buddhistischen Käufern angeboten und nach dem Freilassen von den Händlerinnen wieder eingefangen werden… wahrscheinlich hat der Buddha sich unter ahiṃsa (gewaltfreier Umgang mit allen Lebewesen) ursprünglich etwas anderes vorgestellt.

Eigentlich bedeutet Karma (Pali: kamma) „Handlung“ und dahinter steht kein metaphysisches Bewertungssystem, sondern ein Ursache-Wirkungs-Prinzip: Die Art, wie wir handeln, macht uns zu dem, was wir sind – und dies manifestiert sich als Mensch, Tier, oder Bewohner einer der anderen Sphären, die es in der buddhistischen Kosmologie noch so gibt, zum Beispiel „hungrige Geister“ oder „devas“ (göttliche Wesen). Ob es jedoch „gut“ oder „schlecht“ ist, etwa als Tier wiedergeboren zu werden – das entscheidet einzig und allein man selbst, wobei sich die Mehrheit wahrscheinlich einig ist, dass eine Wiedergeburt in der untersten Sphäre – der Hölle – tendenziell eher schlecht ist.

Übrigens stellen sich viele „Nirvana“ als Gegenstück zur Hölle vor, analog zum christlichen Paradies: Das ist ebenso ein Missverständnis wie das mit den Payback-Punkten. Zu erklären was Nirvana ist, würde den Rahmen dieses kleinen Texts sprengen, es sei aber angemerkt, dass es vereinfacht gesagt einen Geisteszustand beschreibt und man auch nicht erst sterben muss, um ihn zu erreichen.

Selbstverständlich greifen die buddhistischen Sutren das bekannte Höllen-Narrativ auf, denn seien wir ehrlich: Als erzieherisches Mittel kann es funktionieren. Doch wie das obige Beispiel zeigt, sind auf Halbwissen basierende Interpretationen von Karma sehr gefährlich, wovor der Buddha im Maha Kammavibhanga Sutta (The Great Exposition of Kamma) deshalb ausdrücklich warnt.
Mandala, Tibet, 19. Jahrhundert Mandala, Tibet, 19. Jahrhundert | Quelle: Rubin Museum of Art via Wikimedia Commons Zunächst ist wichtig, dass „kamma“ zwar „Handlung“ bedeutet, aber vor allem die innere Einstellung entscheidend ist, mit der man diese ausführt. Das bedeutet: Wer Tiere nur in der Hoffnung auf ein spirituelles Upgrade freikauft, dem bringt das leider gar nichts. Umgekehrt jedoch generiert eine Person, die aus ehrlichem Mitleid mit Tieren Vegetarierin werden möchte, dies aber vielleicht nicht immer durchhält, sehr positives Karma. Vereinfacht könnte man also zusammenfassen: Karma bringt das wahre Gesicht der Handelnden zum Vorschein. Wer stets gütig, mitleidvoll und großzügig ist, der darf hoffen, irgendwann als besonders schöner und begabter Mensch oder sogar als deva durchs Universum zu wandeln. Aber es wäre fatal daraus den Schluss zu ziehen, dass alle nicht so schönen, schlechter gestellten, oder kranken Menschen im vorherigen Leben böse waren und ihre Situation deshalb „verdient“ hätten.

Denn Karma wirkt sich, so heißt es in der buddhistischen Lehre, keinesfalls immer sofort aus. Es kann „reifen“ und erst im übernächsten oder einem noch späteren Leben Früchte tragen. Außerdem kann sich Karma aus vergangenen Taten mit Karma „mischen“, das im Hier und Jetzt generiert wird. Gerade dies ist ein extrem wichtiger Punkt, wie der amerikanische Mönch Thanissaro Bhikku betont. Denn wäre alles im Leben nur von in der Vergangenheit generiertem Karma bestimmt, wären wir unserem Schicksal hilflos ausgeliefert. Doch dadurch, dass wir in jedem Moment erneut Einfluss auf die karmischen Früchte nehmen können, bekommt der Mensch nach buddhistischem Verständnis einen freien Willen.

Außerdem kann uns das Karma anderer Personen in die Quere kommen. Wer zum Beispiel fürchtet, ein zu Lebzeiten besonders geiziger Angehöriger könne bei den „hungrigen Geistern“ gelandet sein, deren winziger Mund es ihnen nie erlaubt sich satt zu essen, der kann dem Armen helfen, indem er ihm ein bisschen eigenes „gutes“ Karma abgibt. Wie das geht? Ganz einfach: Indem man sich nach einer guten Tat ehrlich und nicht nur als Lippenbekenntnis wünscht, dass die karmische Frucht einem anderen Menschen zugute kommen möge. Da Karma wie gesagt weniger durch die eigentliche Handlung, sondern vor allem durch Intention entsteht, ist das ohne weiteres möglich und bei buddhistischen Zeremonien Gang und Gäbe. Durch aufrichtiges Teilen guten Karmas generiert man sogar gleich noch weiteres gutes Karma für einen selbst.

Doch dadurch, dass wir in jedem Moment erneut Einfluss auf die karmischen Früchte nehmen können, bekommt der Mensch nach buddhistischem Verständnis einen freien Willen.

Es ist also nicht angebracht auf Menschen herabzusehen, die schlechter als man selbst gestellt sind. Denn nach buddhistischem Verständnis haben wir alle in unzähligen früheren Leben schon mal negatives Karma generiert, wer weiß also, was bei uns selbst noch so alles heranreifen wird! Und nicht zuletzt ist Karma nur eines von fünf niyamas („Naturgesetzen“) im Buddhismus, die unser Leben beeinflussen. Karma ist also ein wichtiger Faktor – aber eben nur einer. Doch je mehr gute Absicht und je weniger Selbstsucht unser Handeln prägen, desto günstiger wird das Verhältnis zwischen „negativen“ und „positiven“ karmischen Samenkörnern und über einen langen Zeitraum von vielen Wiedergeburten steigt somit die Wahrscheinlichkeit für bessere „Rahmenbedingungen“. Gutes Karma alleine jedenfalls ist kein Garant, dass man mit fünfunddreißig Millionärin wird.

Ganz so einfach ist es also doch nicht mit den spirituellen Payback-Punkten. Klingt alles ein bisschen kompliziert? Am besten nicht zu viel drüber nachdenken. Denn, wie sagt der Buddha im Acintita Sutta: Es gibt vier Probleme, über die nachzudenken einen nur unnötig verrückt macht. Die karmischen Wirrungen verstehen zu wollen ist eines davon.
 

Auch interessant

Failed to retrieve recommended articles. Please try again.

Empfehlungen der Redaktion

Failed to retrieve articles. Please try again.

Meistgelesen

Failed to retrieve articles. Please try again.