Interview  Stimmen des Dazwischenseins

Li Cheng schaut in die Kamera. Ein paar Haare fallen Li durch den Wind ins Gesicht. Sie hat lange, glatte dunkle Haare und einen schwarzen Pullover an. Der hellgraue Hintergrund ist durch die Tiefenschärfe verschwommen. Dazwischen lassen sich ein paar kleine beige Stäbe erahnen.
Li Cheng © Pavlo Odnonozdriev

ZhongDe ist ein neues Online-Magazin der chinesisch-deutschen Diaspora, gegründet von Menschen aus der Community. Die erste Ausgabe zum Thema Familie erschien Ende 2021. Ein Gespräch mit der Initiatorin Li Cheng.

Bei Li Cheng ist es schon mittags, während ich gerade erst aufgestanden bin. Li ist in Köln und Düsseldorf aufgewachsen. Aktuell studiert sie Politikwissenschaften an der New York University in Abu Dhabi. In diesem Jahr hat sie das Magazin ZhongDe gegründet und mit mehr als 20 Mitstreiter*innen die erste Ausgabe zum Thema Familie veröffentlicht. ZhongDe ist ein ehrenamtliches Projekt und bedeutet „Chinesisch-Deutsch“. Das Team schafft einen Raum für Stimmen der chinesisch-deutschen Diaspora, die 20 Mitstreiter*innen vereint die Vision, mehr Sichtbarkeit für die Erfahrungen und Gedanken ihrer Community zu schaffen.

yì magazìn: Wann und wie ist ZhongDe entstanden?

Li Cheng: Die Sehnsucht für eine eigene Community war aufgrund verschiedener rassistischer Situationen, die ich selbst in Deutschland erlebt habe, immer präsent. Die konkrete Idee zum Magazin ist erst im Juni 2021 enstanden. 

Ich habe aufgrund der Pandemie 2020–2021 etwas Zeit in Berlin verbracht. Dort haben mich zwei selbstorganisierte Veranstaltungen zur Gründung des Magazins inspiriert. Auf einer Veranstaltung von MSG&Friends, Erklärmirmal und Soydivision habe ich auf einer Panel-Diskussion verschiedenen postmigrantischen Perspektiven zum Thema gesellschaftliche Teilhabe und Selbstorganisation von politischen, pädagogischen und künstlerischen Projekten und Initiativen zugehört. Ein weiteres Ereignis war eine Gedenkfeier in Berlin zu den Anschlägen in Atlanta. Am 16. März 2021 wurden sechs asiatische Migrantinnen aus China und Korea sowie zwei weiße Klient*innen in verschiedenen asiatischen Massagesalons von einem weißen Mann umgebracht. Mehrere Communitys haben eine öffentliche Gedenkfeier vor dem „Trostfrauen“-Mahnmal in Berlin-Moabit organisiert. Eine Freundin von mir engagiert sich außerdem bei tiger.riots, was eine Initiative ist, die sich ebenfalls gegen anti-asiatischen Rassismus positioniert.

All diese Räume haben mich dazu inspiriert, mit ZhongDe auch einen selbstorganisierten Raum zu schaffen. Und ja, wir stecken immer noch in einer Pandemie. Medial wurden in Deutschland vor allem ostasiatisch gelesene Personen dafür verantwortlich gemacht. Die Pandemie hat den anti-asiatischen Rassismus in Deutschland verstärkt. Unser Teammitglied Maike hat erwähnt, sie nehme die Pandemie so wahr, dass sie die Vereinzelung von uns spürbar macht. Es gibt dadurch wieder diese Sehnsucht nach Gemeinschaft und gleichzeitig das Bedürfnis, dass diese Gemeinschaft jedes Mitglied wahrnimmt und schätzt. Ich habe Anfang Juli einen Instagram-Post veröffentlicht und gefragt, ob jemand mitmache möchte. Vier Monate später sind wir ein Team aus über 20 Personen und haben bereits unsere erste Ausgabe veröffentlicht. Dass jetzt alles so gut gelaufen ist, hätte ich mir nicht erträumen können.

Wir sind anti-rassistisch, anti-ableistisch, wir sind gegen Bodyshaming – wir teilen eine Basis an Werten, auf die wir gemeinsam aufbauen. Dadurch schaffen wir uns eine Art Safer Space, in dem wir uns wohl fühlen.

Es gibt einige Gruppen, die asiatisch-deutsche Perspektiven ganzheitlich repräsentieren. Warum ist gerade ZhongDe als eigene Stimme wichtig?

Es gibt kulturelle Nuancen, die ich gerne repräsentieren möchte. Es ist wichtig, dass wir uns als asiatische Community gemeinsam positionieren, Werte teilen und voneinander lernen. Wir sollten aber auch das, was uns unterscheidet, reflektieren – gerade weil die weiße Mehrheitsgesellschaft nicht differenziert, ob du Vietnames*in, Koreaner*in oder Chines*in bist.
Illustration von Christina Zhu Illustration von Christina Zhu | @cszhu_art Die Artikel aus eurer ersten Ausgabe sind sehr vielseitig. Zhu erzählt von ihrer chinesischen Familie, Shu erinnert sich an ihren verstorbenen Opa, Juli Zhu teilt einen Chatauszug aus einem Gespräch. Wie kann ich mir eine so intime, aber auch geografisch distanzierte Zusammenarbeit vorstellen?

Wir sprechen uns alle zwei Wochen per Videocall. Am Anfang machen wir oft eine Fragerunde, in der jede Person erzählt, wie es ihr geht und was sie umtreibt. Danach sprechen wir über organisatorische Themen, Arbeitsstände oder zu erledigende Aufgaben. Die Atmosphäre in den Calls war von Anfang an entspannt, weil niemand uns zwingt, im Call zu sein zu müssen. ZhongDe ist unser gemeinsames ehrenamtliches Anliegen. Wir haben außerdem direkt am Anfang ein Selbstverständnis definiert. Wir sind anti-rassistisch, anti-ableistisch, wir sind gegen Bodyshaming – wir teilen eine Basis an Werten, auf die wir gemeinsam aufbauen. Dadurch schaffen wir uns eine Art Safer Space, in dem wir uns wohl fühlen.

Anti-Rassismus und Anti-Ableismus hängt beispielsweise beides mit Entfremdung und Entmenschlichung zusammen. Wenn wir das eine bekämpfen wollen, sollten wir auch das andere bekämpfen wollen.

Ihr seid den Schritt gegangen, mit euren Haltungen und Geschichten an die Öffentlichkeit zu gehen. Wie war es, damit live zu gehen?

Vor der Veröffentlichung lief nicht immer alles rund. Es gab einen Fall, wo ein Teammitglied im privaten Umfeld rassistisch angefeindet wurde, was uns verdeutlicht hat, dass jede Information, die wir preisgeben, als Angriffsfläche dienen könnte. Auch ich war mir unsicher, welche Dinge ich über meine Familie schreibe, da das Thema an sich sehr intim ist. Was wir letztendlich preisgeben, sind Texte, mit denen wir uns wohl fühlen. Das ist mir wichtig. Sollten unsere Texte irgendwann als Angriffsfläche dienen, wissen wir, dass wir so eine Situation gemeinsam durchstehen. Die Veröffentlichung war deswegen für mich auch ein mulmiges Gefühl. Wenn jemandem aufgrund dieses Magazins etwas zustoßen sollte, hätte ich das Gefühl, ich bin dafür verantwortlich, weil ich das Magazin angestoßen habe. Das mulmige Gefühl ist dem Glücksgefühl aber irgendwann gewichen. Unser Teammitglied Bella sagte einmal, dass die Arbeit bis hierhin anstrengend war, sie aber jede Minute genießen würde. Den Launch haben wir sogar kurz gefeiert, virtuell, aber mit ein paar Snacks. Nach dem Launch haben wir viele positive Rückmeldungen erhalten. Die Rückmeldungen kamen nicht nur von der chinesischen Community, sondern auch von weißen Personen, die dankbar für die Einblicke in unsere Gedanken sind. Andere wiederum haben sich nicht angesprochen gefühlt.

Siehst du größere Herausforderungen in der weißen Mehrheitsgesellschaft?

Ich finde, dass es zu wenig Miteinander gibt. Anti-Rassismus und Anti-Ableismus hängt beispielsweise beides mit Entfremdung und Entmenschlichung zusammen. Wenn wir das eine bekämpfen wollen, sollten wir auch das andere bekämpfen wollen. Ich würde mir wünschen, dass wir Kämpfe miteinander verbinden, um effektiver sein zu können. Diskurse über Diskriminierung finden meistens innerhalb von Communitys statt. Ich wünsche mir, dass diese Diskurse ihren Weg nicht nur in andere Communitys, sondern auch in die breite Mehrheitsgesellschaft finden.

Gibt es Wünsche, die nicht aus der asiatischen Community, sondern speziell aus eurer chinesischen Community kommen?

Ich würde gerne einen Wunsch von unserem Teammitglied Zhu wiedergeben. Sie wünscht sich unter anderem, dass sich das mediale Framing über China verändert. Es geht in der medialen Repräsentation inhaltlich oft um eine Weltmacht, die visuell fremd und feindlich dargestellt wird. Das beeinflusst nicht nur das Denken der westlichen Gesellschaft über China, sondern wirkt sich auch auf die Menschen aus, die einen Bezug zu China haben und in Deutschland leben. Ich werde in Deutschland beispielsweise oft zum Thema Repressionen befragt, obwohl ich in keiner Weise mit diesem Thema zu tun habe. Der Zusammenhang zwischen meiner Person und den medialen Narrativen über China entsteht im Gegenüber anscheinend trotzdem. Dies führt zu einem eindimensionalen Verständnis von China und zeigt sich auch in der täglichen Interaktion mit Chines*innen in Deutschland. Wir wünschen uns stattdessen das Anerkennen anderer historischer Entwicklungen und Denkweisen, das bedeutet weniger Eurozentrismus. Ganz wichtig ist uns auch zu betonen, dass es nicht das eine Chinesischsein gibt und wir keine homogene Masse sind.
Li Cheng Li Cheng | © Pavlo Odnonozdriev Wie können unsere Leser*innen ZhongDe unterstützen?

Ihr könnt unsere Artikel lesen und mit euren Freund*innen teilen. Wer einen Bezug zu chinesicher Identität hat, kann gerne bei ZhongDe mitmachen. Wir suchen immer Autor*innen, Illustrator*innen oder Webdesigner*innen. Für alle, die uns finanziell unterstützen möchten, starten wir in naher Zukunft eine Spendenkampagne, um unsere Fixkosten decken zu können.

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Links zum Thema

ZhongDe – Chinesisch Deutsches Magazin
Familienchat von Juli Zhu
Bittersüße Gefühlsolympiade von Zhu
阿义 A Yi von Shu
Anti-asiatischer Rassismus – Femizide in Atlanta

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