Chinabilder im Geschichtsschulbuch  Einblicke oder nur ein Blick?

Boxerkrieg-Darstellung vom deutschen Maler Fritz Neumann
Boxerkrieg-Darstellung vom deutschen Maler Fritz Neumann Public Domain

Die Stärkung von Chinakompetenz in Deutschland wird seit einigen Jahren von staatlicher Seite gefordert und gefördert. Nach einer Definition des Bundesbildungsministeriums umfasst Chinakompetenz nicht nur die Felder Sprache und Austausch mit Chines*innen, sondern auch die Beschäftigung mit Politik, Gesellschaft, Kultur und Geschichte Chinas.

Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit China bedeutet dabei immer auch eine Auseinandersetzung mit geläufigen Chinabildern. Denn unsere Sichtweise auf andere Länder und ihre Bewohner*innen ist geprägt von sogenannten Bildern (Images oder auch Frames): Diese entstehen, wenn verschiedene Medien in ähnlicher oder teils gleicher Form, was Sprache oder Bewertungen angeht, über einen Gegenstand berichten.

Diese Beschreibungen zum Beispiel eines Landes und seiner Bevölkerung werden durch die häufige Wiederverwendung als „normal“ verstanden und so weiterverbreitet. In mehreren Studien wurde bereits die deutsche Medienberichterstattung über China von Wissenschaftler*innen untersucht. Doch nicht nur Zeitungen und Zeitschriften prägen Chinabilder.

Auch im deutschen Schulunterricht und den entsprechenden Schulbüchern kommt China vor. Welche Chinabilder, welche Vorstellungen von China sind darin zu finden? Das vom Bundesbildungsministerium geförderte Projekt China-Schul-Akademie an der Universität Heidelberg versucht sich aktuell einen Überblick über die Stellung von China in deutschen Curricula und über Schulbuchinhalte mit Chinabezug zu verschaffen. Die Situation ist dabei je nach Bundesland und Fach unterschiedlich.
Auch im deutschen Schulunterricht und den entsprechenden Schulbüchern kommt China vor Auch im deutschen Schulunterricht und den entsprechenden Schulbüchern kommt China vor | © Jonas Schmid

China im Geschichtsunterricht

Gerade im Geschichtsunterricht haben in den letzten Jahren mehr und mehr Bundesländer Teile der chinesischen Geschichte in ihre Curricula (meist für die Schulform Gymnasium) aufgenommen: Seit 2020 wird chinesische Geschichte verpflichtend in Klasse 10 in Baden-Württemberg an Gymnasien unterrichtet, 2024 wird die chinesische Geschichte im 19. Jahrhundert Pflichtthema im niedersächsischen Abitur sein und auch in Berlin, Bayern, Saarland, Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen wird China in den Curricula und in den Schulbüchern für das Fach Geschichte namentlich erwähnt.

Zu diesen Vorgaben haben verschiedene Verlage bereits Schulbücher und andere Unterrichtsmaterialien zur chinesischen Geschichte veröffentlicht. Eine erste – noch nicht abgeschlossene Erhebung – hat bereits in über sechzig im Jahr 2022 für deutsche Schulen zugelassenen und verwendeten Geschichtsschulbüchern Materialien zu China gefunden.

Der Umfang dieser Materialien zur chinesischen Geschichte in den Schulbüchern reicht dabei je nach den Vorgaben des jeweiligen Curriculums von kurzen Erwähnungen auf einer Doppelseite bis hin zu ganzen Kapiteln. Auf den Doppelseiten werden beispielsweise Themen wie die Han-Dynastie im Vergleich zum römischen Reich oder die Seidenstraße als Exkurs zum hauptsächlich eurozentrischen Geschichtsunterricht behandelt.

In den längeren Kapiteln, die sich ausführlicher mit der Geschichte Chinas beschäftigen, geht es dann um Themen wie die Geschichte Chinas im 19. Jahrhundert und die Beziehungen zum Ausland (Stichwort Imperialismus und Kolonialismus) oder die Geschichte der Volksrepublik China seit 1949 (mit einem Fokus auf Mao Zedong und die Reform- und Öffnungspolitik). Screenshot einer Schulbuchauswertung in der Zotero-Datenbank Schulbuchauswertung in der Zotero-Datenbank | Bild: Screenshot

Blick in Geschichtsschulbücher

Für die meisten Geschichtslehrer*innen stellt die chinesische Geschichte ein neues Thema dar, das in ihrer Ausbildung kaum eine Rolle gespielt hat. Umso wichtiger sind daher Schulbücher für sie. Welche Chinabilder finden sich in diesen Schulbüchern?

Der Blick der Geschichtsschulbücher auf China ist meist nur ein Blick statt verschiedener Einblicke, verschiedener Perspektiven: Einer europäisch-westlichen Sichtweise wird eine chinesische Sichtweise gegenübergestellt. Unterschiedliche Meinungen und Debatten innerhalb Chinas werden so ausgeblendet. Ein Beispiel hierfür ist die Darstellung des sogenannten „Boxeraufstandes“ um das Jahr 1900 in den Schulbüchern. Die sich selbst als „in Rechtschaffenheit vereinte Fäuste“ bezeichnenden Chines*innen – im Ausland wurden sie „Boxer“ genannt – erhoben sich damals nach Jahrzehnten kolonialer Politik in China gegen das Ausland.

Dabei zerstörten sie nicht nur ausländische Symbole wie Eisenbahnlinien und Telegraphenlinien, sondern verfolgten und töteten auch ausländische Missionare und chinesische Christ*innen. In den Schulbüchern finden sich jedoch meist nur  Quellen aus der Perspektive der Boxer. Die kritische und ablehnende Haltung der damaligen chinesischen Bildungselite gegenüber den Aufständischen oder das Schicksal chinesischer Christ*innen wird nicht erwähnt. Wie kommt es zu diesen teils einseitigen Darstellungen in den Schulbüchern?

Geschichtsschulbücher werden oft von Lehrer*innen neben ihrem Hauptberuf als Lehrer*in oder Ausbilder*in von Referendar*innen unter teils knappen Deadlines erstellt. In unbekannte Themen wie die chinesische Geschichte muss sich daher erst eingearbeitet werden – ein hoher Zeitaufwand. Aktuelle Forschungsdebatten finden so selten Eingang in die Schulbücher und oft werden dieselben historischen Quellen in den Schulbüchern wiederholt abgedruckt. Denn die Schulbuchautor*innen greifen aus Zeitgründen meist auf deutschsprachige und nicht auf englischsprachige Materialien zurück. Auf Deutsch mangelt es wiederum noch an Anthologien, die für Lehrer*innen wesentliche Quellen zur chinesischen Geschichte zusammenstellen. Die daraus folgende Reduktion auf eine chinesische Sichtweise ist problematisch, da im Fach Geschichte in Deutschland eigentlich verschiedene Perspektiven durch verschiedene historische Quellen im Unterricht präsentiert und diskutiert werden sollen.

Mehr Perspektiven wagen

Die Tendenz in den Schulbüchern, oft nur eine chinesische Perspektive – den einen chinesischen Blick auf ein historisches Ereignis – wiederzugeben hat womöglich auch mit dem beschränkten Platz in Schulbüchern zu tun. Andererseits braucht es aber vor allem mehr fachliche Beratung von Wissenschaftler*innen – die die Quellenlage und den Forschungsstand in verschiedenen Sprachen (neben Deutsch im Idealfall auch Englisch und Chinesisch) überblicken – bei der Erstellung von Schulbüchern. Einseitige oder teils veraltete Darstellungen in Schulbüchern würden so zurückgehen. Dieses Problem existiert nicht nur bei der chinesischen Geschichte – auch das europäische Mittelalter wird in den Schulbüchern unter Verwendung von in der Forschung kritisierten Bildern dargestellt.

Doch im Falle Chinas ist eine einseitige Sichtweise, die China und das chinesische Volk homogenisiert, angesichts der weiter zunehmenden wirtschaftlichen und politischen Bedeutung der Volksrepublik China problematischer. Studien zur deutschen Medienberichterstattung über China betonen, dass China zu oft als eine Einheit dargestellt wird. Als Akteure werden hauptsächlich Politiker genannt, während gesellschaftliche Akteure aus der Volksrepublik China oder dem chinesischsprachigen Raum wenig Gehör finden.

Chinakompetenz muss daher auch die Bereitschaft umfassen, nach verschiedenen chinesischen Perspektiven Ausschau zu halten und sich mit diesen auseinanderzusetzen. Kurz: Chinakompetenz meint ein differenziertes Chinabild. Hierzu kann auch der Geschichtsunterricht einen wichtigen Beitrag leisten, indem er beispielhaft immer wieder die Vielfalt chinesischer Perspektiven in Vergangenheit und Gegenwart aufzeigt.

Um die bisherige Darstellung Chinas in den Geschichtsschulbüchern langfristig vielfältiger werden zu lassen, bräuchte es unter anderem eine engere Zusammenarbeit zwischen Wissenschaftler*innen und Schulbuchautor*innen sowie Sammlungen von ins Deutsche übersetzten Quellen zur chinesischen Geschichte – die im Idealfall auch digital verfügbar und aus Urheberrechtsaspekten unproblematisch im Unterricht verwendbar wären. Im Tandem mit Fortbildungen würden Lehrer*innen so die Werkzeuge an die Hand bekommen, nicht nur einen Blick auf China und die chinesische Geschichte zu werfen, sondern den Schüler*innen unterschiedliche, differenzierte Einblicke anbieten zu können.

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