Im Fokus: Die Post-2000er-Generation  Ich bin eine Außenseiterin, die nicht der privilegierten Klasse angehört

Chen Mutong © Chen Mutong

Daten aus dem Juli 2023 zeigen, dass die Jugendarbeitslosigkeit in China mit 21,3 Prozent einen Rekordwert erreicht hat. Im Internet kursieren jede Menge karikaturhafter Klischees rund um die „Post-95“- und „Post-00“-Jugendlichen: Sie werden z. B. als die Generation, die lieber „flach liegt“, bezeichnet, die den Markt mit seinem Wettbewerb, die Fließbandarbeit und die 72-Stunden-Woche hasst; es herrscht Enttäuschung und Hilflosigkeit angesichts der Verfestigung der Klassen sowie Pessimismus gegenüber der Zukunft.

Chen Mutong, geboren 2002, wuchs in Hefei in der Provinz Anhui auf und absolviert jetzt ihr drittes Studienjahr in den Vereinigten Staaten, wo sie Wirtschaft und Soziologie studiert. Davor war sie an Start-ups in der Blockchain-Branche sowie an Projekten zur Investition in Kryptowährung in Singapur beteiligt. Was sind ihre Perspektiven und speziellen Lösungsansätze angesichts der aktuellen Krise? Was ist ihre Haltung zur Berufswahl, zum Aufstieg innerhalb der gesellschaftlichen Klassen und zum emotionalen Management?

Eine Selbsterzählung auf Grundlage eines Interviews mit dem Goethe-Institut China. 

Ich habe immer gesagt: Ich bin eine Außenseiterin, die nicht der privilegierten Klasse angehört

Seit ich ein Teenager war, hatte ich immer diesen Außenseiterstatus. Obwohl unsere Heimatstadt nicht Hefei ist, arbeiteten meine Eltern dort. Ich lebte also seit dem Kindergartenalter in Hefei. Ich habe auch nicht besonders lange in einer anderen Provinz oder Stadt gelebt, und ich dachte immer, Hefei sei das Zentrum des Universums, das Ende der Welt. Erst in der Oberstufe habe ich gemerkt, dass Hefei am Rande des Universums liegt. Als ich in die Oberstufe ging, fragten mich die Leute überall, wo ich an Wettbewerben teilnahm, woher ich denn komme. Ich sagte dann „Hefei“, und sie hatten wirklich keine Ahnung, wo dieses Hefei liegt. Inzwischen habe ich mich daran gewöhnt.

Ich studiere in den Vereinigten Staaten, und alle meine Kommiliton*innen kommen aus Peking und Shanghai, einige wenige aus Shenzhen und Guangzhou, darunter auch meine jetzigen Arbeitskolleg*innen. Die privilegierten Menschen, die ich kenne, kommen alle aus Peking oder Shanghai, und wenn sie nach China zurückkehren, werden sie wieder nur in diese beiden Städte gehen.

Die Soziologie hat mich dazu inspiriert, das Konzept der Machtstrukturen zu nutzen, um soziale Beziehungen zu verstehen

Dies ist eine der größten Inspirationen, die mir die Soziologie gegeben hat, nämlich das Konzept der Machtstrukturen zu nutzen, um viele Beziehungen in der Gesellschaft zu verstehen.

Aber im Moment ist der Web-3.0-Journalismus sehr schlecht gemacht. Es handelt sich im Wesentlichen um das gleiche Modell wie beim Web 2.0, es wurden nur eine Web-3.0-Umgebung und ein entsprechender Rahmen hinzugefügt. Ich habe für einige der bekannten Web-3.0-Nachrichtenunternehmen gearbeitet, aber sie stecken in der Krise. Später hatte ich auch ein Start-up mit einem Freund, ein Web-3.0-to-B-Infrastrukturprojekt, und ich übernahm die Leitung des Unternehmens. Dann habe ich mich wegen interner Probleme mit dem Start-up-Team zurückgezogen. Im Moment bin ich noch ziemlich pessimistisch, was das Web 3.0 angeht, aber vielleicht bringt ja die nächste Generation ein marktfähigeres Projekt hervor.

Redaktion von ifeng.com Redaktion von ifeng.com | © Chen Mutong Ich werde meine Prinzipien nicht aufgeben

Nachdem ich das Start-up verlassen hatte, machte ich ein Praktikum bei einem Fondshaus in Singapur. Ich bewarb mich ursprünglich bei einer USD-Fondsgesellschaft, und nach vier Runden Bewerbungen und Vorstellungsgesprächen bekam ich dieses Praktikum. Aber dann verlor ich die Stelle aufgrund von „Beziehungen“ wieder. Die Angehörigen der privilegierten Klasse müssen sich eigentlich nicht besonders anstrengen, sondern können direkt in einem guten Unternehmen unterkommen.

Die Generation der Post-00er sind vielleicht rebellischer in ihrer Haltung, aber auch ich werde meine Prinzipien nicht aufgeben. Allerdings nutzt es im Moment nichts, sich mittels konkreter Taten abzureagieren, es würde nichts an diesem Problem verändern. Ich warte, bis wir es uns wirklich leisten können, einige praktische Änderungen vorzunehmen, zum Beispiel, wenn ich General Partner eines Fonds werde, dann kann ich alle „Privilegien“ ablehnen.

Ich neige zu Depressionen, aber ich stelle mich ihnen

Ich glaube, ich habe mehr Dinge getan, als meine Eltern hätten verkraften können. Meine Eltern blieben zu Hause, sie arbeiteten und lebten an einem Ort, während ich mich in verschiedene Länder wagte und viele mutige Dinge tat, und das alles unter Druck. Ich wollte nie auf das Geld meiner Eltern angewiesen sein, denn verglichen mit den Eltern meiner Klassenkamerad*innen mussten sie doch härter arbeiten. Während meiner Zeit in den USA passierte es immer wieder, dass ich meine Miete nicht bezahlen konnte, weil mein Lohn zu spät kam. Es gab Zeiten, in denen ich kein Geld mehr für Essen hatte, ich hatte nur mehr zehn Dollar auf meiner Karte.

Wenn ich mit meinem derzeitigen Zustand der Depression konfrontiert bin, nehme ich Medikamente, um ihn zu verbessern. Gleichzeitig kontrolliere ich mich selbst, zum Beispiel esse ich nicht zu viel. Die Post-00er und Post-90er sind mehr Informationen ausgesetzt, und das kann dazu führen, dass sie auch öfter unter Depressionen leiden. Andererseits denke ich, dass die Post-00er und Post-90er eher in der Lage sind, mit Phänomenen wie Stimmungsschwankungen umzugehen. Ich hatte immer das Gefühl, dass meine Mutter an einer psychischen Krankheit litt, ich war immer der Meinung, sie hätte zum Arzt gehen und Medikamente nehmen sollen. Aber sie hat das nie getan, sie hatte das Gefühl, sie könnte es allein bewältigen. Ihre Generation hat noch immer Vorurteile, wenn es um Depression geht.

Ich würde mich nicht als Weltbürgerin bezeichnen

Obwohl ich in verschiedenen Ländern unterwegs war und gearbeitet habe, würde ich mich nicht als Weltbürgerin bezeichnen, aber ich denke, ich habe eine globale Sichtweise, ich sehe nicht nur diesen Ort, sondern wahrscheinlich mehrere Dimensionen. Gleichzeitig bin ich sehr offen, was meinen zukünftigen Lebensstil und die Wahl meines Lebensmittelpunktes betrifft. Ich kann überall hingehen.

Was die „Methode“ betrifft, so muss man sich zuerst in die lokale Kultur integrieren. Ich kann überall meine eigenen sozialen Kontakte knüpfen, denn sowohl unser Bildungsniveau als auch unser kognitives Niveau sind sehr gleich, so dass es keine Barriere für die Kommunikation gibt. Es spielt keine Rolle, ob man Ausländer*in ist oder nicht, es geht vor allem darum, dass man miteinander reden kann. Man wird feststellen, dass man eigentlich viele Gemeinsamkeiten hat, und jede*r wird die einzigartigen Dinge am Anderen mögen. Bei Menschen aus der privilegierten Schicht ist das vielleicht anders.

Ich bin nicht eine Person, die blindlings dem Geld nachjagt. Ich weiß, dass das wirklich Wichtige am Geld das ist, was dahinter steckt

Ich glaube nicht, dass ich, oberflächlich betrachtet, besonders unkonventionell bin. Ich trage keine besonders ausgefallenen Klamotten und tue auch nichts besonders Ausgefallenes. Aber ich bin überzeugt, dass meine Denkweise eine andere ist; ich glaube, dass das erst die wahre Individualität darstellt. Nach außen hin sehr extravagant zu sein und die Leute auf eine sehr egozentrische Art zu behandeln, das ist nicht wahre Individualität. Es sind die individuellen Erfahrungen, die persönlichen Entscheidungen, die jeden Menschen einzigartig machen. In der Schule habe ich viele Denksysteme kennengelernt, vor allem in der Soziologie und Wirtschaft, die mir helfen, viele Beziehungen zu klären.

Ich bin nicht eine Person, die blindlings dem Geld nachjagt. Ich weiß, dass das wirklich Wichtige am Geld das ist, was dahinter steckt. Es bedeutet, viele Dinge kontrollieren und diktieren zu können. Auf diese Weise habe ich mehr Klarheit darüber, was ich will und was ich im Moment tun soll.

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