„Ting bu dong.“ Diesen Satz sollte jeder Ausländer in China beherrschen. „Ich verstehe Dich nicht.“ Und damit ist eine der größten Herausforderungen für Expats im Reich der Mitte bereits umrissen: die Sprache. Beim Versuch, sich in einer neuen Heimat zurechtzufinden, spielt Sprache eine entscheidende Rolle. Ist sie komplex, so wie Mandarin, und lebt man in einem Land, in dem wenig bis kaum Englisch gesprochen wird, fällt es besonders schwer, sich einzugewöhnen, Netzwerke aufzubauen und Freunde zu finden. All das aber sind wesentliche Grundlagen, um sich in der ungewohnten Umgebung heimisch und wohl zu fühlen. Wer sich zugehörig fühlt und sozial integriert ist, kommt auch mit den Momenten der Einsamkeit besser klar. Und die gibt es: Laut Studien fühlen sich fast 40 % der Expats regelmäßig einsam – trotz beruflichem Erfolg und sozialem Ansehen. Gründe dafür gibt es viele: erwähnte Sprachbarrieren, kulturelle Unterschiede oder die Schwierigkeit, tiefere Freundschaften zu schließen.
Netzwerken gegen Einsamkeit
Barbara lebt seit elf Jahren in China. Als Designerin ihres eigenen Kindermodelabels leitet sie ein Team vonacht Näherinnen. „Ich bin und war im Ausland nie einsam. Ich mag mich und bin gern mit mir allein. Außerdem habe ich gelernt, die Zeit, die ich habe, optimal und erfüllend zu nutzen. So habe ich hier in China einen Sprachkurs gemacht, weil es ohne Kommunikation und Austausch nicht funktioniert. Wenn man sprachlich isoliert ist, fühlt man sich besonders fremd.“
Da die Freunde in Deutschland zwölf Flugstunden entfernt sind, sei es besonders wichtig, eine Community aufzubauen und zu pflegen. „Man muss aktiv werden, auf Menschen zugehen. Und man muss erkennen, dass Einsamkeit als Problem entstehen kann“, sagt Barbara.
Die 50-Jährige, ihr Mann und die zwei Töchter haben es nie so weit kommen lassen. Wie sie das geschafft haben? „Mit viel Struktur im Alltag, Liebe und Verständnis. Wir sind noch immer neugierig auf das Neue und haben Lust am Abenteuer.“ Ein altes, chinesisches Sprichwort habe ihr besonders beim Ankommen geholfen: 入乡随俗(ruxiangsuisu) – mach es wie die Römer! Orientiere dich an deinem Umfeld. Schau nach rechts und links und hole dir die Inspiration von deiner Umgebung.
Wie ein Ort zu einem Zuhause wird
Juane aus Südafrika zog vor einem Jahr nach Ungarn. „Ich war neugierig auf die Kultur und freute mich auf das Abenteuer“, erzählt sie. Anfangs fühlte sie sich isoliert. „Die Sprache machte es schwer, direkt Anschluss zu finden. Aber ich wusste, dass ich selbst aktiv werden muss.“ Ihre Strategie? Freunde finden, die ähnliche Erfahrungen teilen. „Ich habe Sprachkurse besucht und schnell gemerkt, wie sehr die Sprache Menschen verbindet. Sie erweitert den Horizont und hilft, Barrieren zu überwinden.“
Juane betont, wie wichtig ein stabiles soziales Netzwerk für das Ankommen ist. „Heimat wird für mich immer Südafrika bleiben. Unsere Kultur und Sprache – das ist meine DNA. Mittlerweils ist Heimat aber auch dort, wo Familie und Freunde sind. Für mich sind es die Verbindungen, die einen Ort zu einem Zuhause machen.“
Für viele Expats besteht die Herausforderung darin, über den beruflichen Kontext hinaus soziale Kontakte zu knüpfen. Oftmals bleiben Freundschaften auf der Ebene von Small Talk und oberflächlichen Begegnungen. Juane ergänzt: „Ich habe versucht, an verschiedenen Events teilzunehmen, aber es ist schwer, echte Verbindungen herzustellen, besonders wenn man die Sprache nicht spricht.“
Isolation verstärkt sich häufig durch den Druck, stark und unabhängig zu wirken. Viele Expats vermeiden es, über ihre Gefühle zu sprechen – aus Angst, als schwach wahrgenommen zu werden. „Es wird erwartet, dass man als Expat selbstbewusst und abenteuerlustig ist“, so Juane. „Aber niemand spricht darüber, wie einsam es sein kann.“
Heimat ist mehr als ein Ort
Subash aus Malaysia ist Expat aus Leidenschaft und mit viel Erfahrung. Er hat bereits in Chennai, München, Singapur, Shenyang und London gelebt. Für ihn ist Heimat kein fester Ort. „Heimat ist für mich Essen, Freunde und Familie“, sagt er. Einsam fühle er sich selten, aber er vermisse oft genau diese drei Dinge. „Ich empfinde Einsamkeit eher als Teil des fehlenden sozialen Umfeldes. Ich spüre dieses Gefühl vor allem an schlechten Tagen – wenn das Wetter mies ist oder es im Job nicht läuft. Dann wünsche ich mir manchmal meine Gruppe Freunde, einfach um abzuschalten.“
Doch Subash sieht auch Vorteile: „Die begrenzten sozialen Kontakte geben mir Raum, meinen Hobbys nachzugehen und sie zu vertiefen.“
Japan ist die neue Heimat für Sofia. Vor zehn Monaten ist die Chinesin nach Tokyo gezogen. Ihre größte Herausforderung war es, eine Wohnung zu finden. „Japaner vermieten ungern an Ausländer. Als wir unsere Wohnung suchten, fühlte ich mich das erste Mal wirklich einsam – geradezu fremd.“
Doch Sofia ließ sich nicht entmutigen. Unterschiedliche Strategien helfen ihr, sich in Japan einzuleben: „Wir schauen chinesische Filme, kochen zu Hause chinesisch und das gibt uns ein Gefühl von Heimat. Gleichzeitig lernen wir Japanisch und schauen lokale Sendungen, um die Kultur besser zu verstehen.“
Für Sofia ist Sprache der Schlüssel zur Integration. „Sprache vereint Menschen, erweitert deinen Horizont und überwindet Grenzen. Je mehr ich lerne, desto wohler fühle ich mich hier.“
Auch Experten empfehlen Expats, aktiv nach Möglichkeiten zu suchen, sich in die lokale Gemeinschaft einzubinden. Ob Sportvereine, Sprachkurse oder kulturelle Veranstaltungen – jede Interaktion kann helfen, das Gefühl der Isolation zu verringern. Auch digitale Netzwerke bieten Unterstützung. Plattformen wie InterNations verbinden Expats weltweit und schaffen Räume für Austausch und Gemeinschaft.
Das emotionale Gepäck der Rückkehr
Interessanterweise endet das Gefühl der Einsamkeit nicht immer mit der Rückkehr in die Heimat. Viele Expats erleben einen sogenannten „Reverse Culture Shock“. Das Gefühl, sich im eigenen Land plötzlich fremd zu fühlen, ist keine Seltenheit.
Barbara erinnert sich an ihren letzten Besuch in Deutschland: „Es fühlte sich seltsam an. Freunde hatten sich verändert, Gespräche drehten sich um Themen, mit denen ich nichts mehr anfangen konnte. Ich merkte, dass ich mich entfremdet hatte – nicht nur von ihnen, sondern auch von meiner alten Heimat.“
Der Reverse Culture Shock kann sogar intensiver sein als der ursprüngliche Kulturschock beim Auswandern. Manche Expats berichten von einem Gefühl der Entwurzelung und dem Verlust ihrer eigenen Identität. „Manchmal weiß ich nicht mehr genau, wo ich hingehöre“, bestätigt Juane. „Weder hier noch dort fühle ich mich richtig zu Hause.“
Einsamkeit als Chance
Die Erfahrungen der Expats zeigen, dass es Strategien gegen Einsamkeit gibt. Und dass sie eine Einladung sein kann, neue Wege zu gehen, kreative Lösungen zu finden und sich selbst besser kennenzulernen. Das Expat-Leben lehrt, offener und mutiger zu sein. Es geht nicht darum, das Alte hinter sich zu lassen, sondern das Neue willkommen zu heißen.
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Einsam, zweisam, gemeinsam – Eine Chronik der Hoffnung
Einsamkeit ist eines der drängendsten gesellschaftlichen Probleme unserer Zeit. Weltweit beschäftigen sich Experten und Regierungen mit den Auswirkungen von Einsamkeit und Isolation auf Gesundheit, Wohlbefinden und sozialen Zusammenhalt. Und sie reagieren. Mit Analysen, mit Strategiepapieren, ja sogar mit eigenen Einsamkeitsministern und -beauftragten. Auch die Bandbreite an staatlichen wie privaten Initiativen und Programmen, an technologischen Innovationen und gemeinschaftsorientierten Projekten ist groß. Sie alle eint ein Ziel: soziale Kontakte zu fördern und Einsamkeit zu bekämpfen. Das Goethe-Institut China bringt an dieser Stelle Menschen aus China und Deutschland zum Thema Einsamkeit ins Gespräch, beleuchtet unterschiedliche Perspektiven, stellt Ideen und Visionen vor und wagt auch den Blick über die Ländergrenzen hinaus. In den kommenden zwei Jahren präsentieren wir in loser Folge Beiträge aus der Chronik der Hoffnung.
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Text: Erdmuthe Hacken
März 2025