Etwa 3000 Chinesen lebten nach der Machtergreifung Hitlers 1933 noch in Deutschland. Einige von ihnen versuchten, von den Nationalsozialisten verfolgten Jüdinnen das Leben zu retten. Bis heute ist nur wenig über diese Schicksale bekannt.
Über die chinesisch-jüdischen Beziehungen während des Zweiten Weltkrieges wurde bereits viel geschrieben. Die Aufmerksamkeit galt allerdings bislang fast ausschließlich der jüdischen Emigration nach Shanghai ab 1938. Dabei gab es auch im Dritten Reich chinesisch-jüdische Kontakte, darunter Liebesbeziehungen und sogar Ehen zwischen chinesischen Männern und jüdischen Frauen, über die erst wenig bekannt ist.
„Mischehen“ zwischen Deutschen und Chinesen waren während der NS-Zeit zwar nicht offiziell verboten, in der Praxis waren solche Ehen aber unmöglich. „Die Gesetzgebung zum ‚Schutz des deutschen Blutes‘ wurde – ohne ausdrückliche juristische Regelung – auch auf chinesische Staatsangehörige angewandt“, sagt die Leiterin des Konfuzius-Instituts der Freien Universität Berlin, Dagmar Yu-Dembski, die intensiv zu deutsch-chinesischen Ehen geforscht hat. Anders als Liebesbeziehungen zwischen Juden und Nichtjuden wurden Partnerschaften zwischen chinesischen und deutschen Staatsangehörigen nicht als „Rassenschande“, sondern als „Verstoß gegen die öffentliche Ordnung“ geahndet.
Berlin 1935: Die chinesische Gesandtschaft, Kurfürstendamm 218. | Bundesarchiv, Bild 183-M1115-508 / CC-BY-SA 3.0 Fragen der Eheschließung zwischen Deutschen und Ausländern wurden in der NS-Zeit von der Politischen sowie der Rechtsabteilung des Auswärtigen Amtes bearbeitet. Fast alle der im Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes vorliegenden Fälle versuchter oder tatsächlicher Eheschließungen in der NS-Zeit beschäftigen sich mit den Beziehungen nichtjüdischer deutscher Frauen und chinesischen Männern. Dass jedoch auch eine Reihe von chinesischen und jüdischen Partnern zu Beginn der 1940er Jahre heiraten wollte, geht aus einer Korrespondenz zwischen dem vom Manchukuo-Regime eingesetzten chinesischen Konsul Wang Te-Yin und Heinrich Betz, Generalkonsul im Ostasienreferat der Politischen Abteilung des Auswärtigen Amtes, aus dem Herbst 1942 hervor.
Als Reaktion auf eine entsprechende Anfrage aus dem chinesischen Konsulat, ob Ehen zwischen Chinesen und Juden zulässig seien, teilte Betz im September 1942 mit:
„Die Erfahrung zeigt, dass Ehen zwischen Deutschen und artfremden Ausländern meistens nicht gut ausgehen; sie werden daher als grundsätzlich unerwünscht angesehen. Bezüglich der Judenehen kommt noch hinzu, dass sie gerade jetzt häufig von Juden einzugehen versucht werden, um ihr Vermögen zu verschieben und eine fremde Staatsangehörigkeit zu erwerben, ein Vorhaben, das die deutsche Regierung nicht zulassen kann.“
Tatsächlich hatten chinesisch-jüdische Paare in der NS-Zeit verschiedene Motive, heiraten zu wollen. Das zeigen drei höchst unterschiedliche Fälle.
Marie Jalowicz und Schu Ka Ling
Nicht nur in der jüdischen Gemeinde macht das Gerücht zu Beginn der 1940er Jahre die Runde. Jüdinnen, die einen chinesischen Mann heirateten, so lautet es, könnten einen chinesischen Pass beantragen. In der Folge wären sie vor der Verfolgung durch die Nationalsozialisten geschützt, könnten möglicherweise gar auswandern. Auch Marie Jalowicz hat von diesem Gerücht gehört. Die damals 20-Jährige gehört zu den knapp 80.000 Juden und Jüdinnen, die im Frühling 1942 – unter höchst prekären Bedingungen – noch in Berlin leben. Nur ein Jahr später, als der Großteil der Deportationen aus Berlin in die Konzentrations- und Vernichtungslager abgeschlossen ist, zählt die jüdische Gemeinde in Berlin nur noch 27.000 Mitglieder.
Die Adresse in der Neuen Jakobstraße sucht Marie Jalowicz deshalb aus Verzweiflung auf. Zuvor hat sie erfahren, dass dort viele Chinesen leben sollen. Tatsächlich öffnet ihr ein chinesischer Mann die Tür. Lin Shu Ka – oder Schu Ka Ling, wie er in Deutschland genannt wird – ist deutlich älter als Marie. 1906 in China geboren, kam er 1933 nach Deutschland. Knapp zehn Jahre später spricht er, so erinnert sich Marie Jalowicz-Simon viele Jahrzehnte später in ihren Memoiren, noch immer gebrochenes Deutsch – Interaktionen der marginalisierten chinesischen Gemeinde mit der deutschen Mehrheitsgesellschaft sind in der NS-Zeit selten. Trotzdem hat auch Lin Shu Ka von dem Gerücht gehört. „Scheinehe kostet 40.000 Mark“, erklärt er Marie. („Ganz genau weiß ich den Betrag nicht mehr, aber es war eine irrsinnige, für mich völlig unerschwingliche Summe“, wird diese später schreiben.) Es dauert nicht lange, bis Lin Shu Ka einlenkt. Er erklärt sich zu einer kostenlosen, „richtigen Heirat“, wie er sagt, bereit.
Dazu wird es nicht kommen. Die deutschen Behörden erteilen Marie Jalowicz keine Heiratsgenehmigung. Auch die Wege der beiden trennen sich schnell. Wenige Monate, nachdem sie Lin Shu Ka kennengelernt hat, entgeht Marie in sprichwörtlich letzter Minute der Deportation; den Holocaust überlebt sie im Untergrund. Lin Shu Ka wird noch im Juni 1942 verhaftet. Bis August 1943 ist er Häftling im KZ Sachsenhausen. Ob seine Entlassung aus dem KZ mit einem Brief seines Bruders Lin Tsin Juj, der das Auswärtige Amt schriftlich um die Freilassung seines Bruders bat, in Zusammenhang steht, lässt sich anhand des überlieferten Materials ebenso wenig klären wie die Frage, ob seine Inhaftierung mit der Beziehung zu Marie Jalowicz zu tun hatte. Letzteres liegt aber zumindest nahe.
Lin Shu Ka gehörte zu den wenigen Chinesen, die nach Kriegsende in Deutschland bleiben und nicht in ihre Heimat zurückkehrten.1967 stirbt er, im Alter von nur 61 Jahren, in Bremerhaven.
Gertrude Schönfeld und Tscheng Ke Tsei
Ein noch tragischeres Ende nahm der Fall von Gertrude Schönfeld und Tscheng Ke Tsei. Das in Wien lebende Paar hat ein gemeinsames Kind, den am 14. Dezember 1941 geborenen Ranse Schönfeld. Anfang 1942 beantragen Gertrude und Tscheng bei den Behörden eine Eheschließung. Adolf Eichmann, als Referatsleiter im Reichssicherheitshauptamt einer der Hauptorganisatoren des Holocaust, schaltet sich persönlich in den Fall ein, nachdem Gertrude Schönfeld eine Bescheinigung der chinesischen Botschaft vorlegt, derzufolge sie die chinesische Staatsangehörigkeit besitzt – die ihr eine Eheschließung mit Tscheng Ke Tsei ermöglichen würde.
„Ich halte diese Bescheinigung für fingiert“, schreibt Eichmann im Juni 1942 an das Auswärtige Amt. Eichmann weiter: „Die Jüdin Schönfeld besitzt nach wie vor die deutsche Staatsangehörigkeit. Bevor ich ihre Abschiebung nebst ihrem am 14.12.1942 geborenen Kinde, dessen Vater der chinesische Staatsangehörige Tscheng Ke Tsei ist, veranlasse, bitte ich um Mitteilung der dortigen Auffassung.“
Gertrude Schönfeld und ihr Sohn werden am 14. September 1942 von der Gestapo aus ihrer Wohnung in der Grossen Sperlgasse in Wien abgeholt und ins Vernichtungslager Maly Trostinec deportiert. Nur vier Tage später werden Mutter und Sohn dort ermordet. Von Tscheng Ke Tsei verliert sich nach Eichmanns Schreiben jede Spur.
Charlotte Chen, geb. Landsberger und Ting Yu Chen
Der einzig bekannte Fall, in dem eine chinesisch-jüdische Eheschließung während der NS-Zeit wohl glückte, ist zugleich der mysteriöseste. Ein Grabstein auf dem jüdischen Friedhof in der Berliner Heerstraße erinnert an das Paar, das laut Dagmar Yu-Dembski in den 1940er Jahren heiratete, wodurch Charlotte Chen der Deportation entging. Wie ihnen das gelang, und wie die gebürtige Charlotte Landsberger und Ting Yu Chen, ein katholischer Chinese aus Qingtian in der Provinz Zhejiang, sich kennenlernten, wird wohl für immer ein Rätsel bleiben. Das eint sie mit vielen der unbekannten chinesisch-jüdischen Schicksale, die in den Korrespondenzen zwischen dem chinesischen Konsulat und dem Auswärtigen Amt in den 1940er Jahren nur angedeutet werden.
Die drei Fälle eint vor allem ihre fragmentarische Überlieferung. Eine ausgesprochen schlechte Quellenlage erschwert die Forschung zu dem Thema. Helfen könnten vor allem Zeitzeugen – oder Nachfahren von chinesisch-jüdischen Paaren aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges.
März 2020