Ausdruck und Widerstand  Mit Kunst gegen Rassismus

der Widerstand mit einer Faust
der Widerstand © BP Miller via unsplash.com

Seit dem Ausbruch der Pandemie Anfang 2020 finden mehr antiasiatische rassistische Angriffe in Europa und den USA statt, von verbalen Beschimpfungen bis zum gewalttätigen Überfall. Doch auch der Widerstand wächst.

Die Kunstschaffenden Isaac Chong Wai und Fan Popo leben beide in Berlin und haben mehrere verbale oder körperliche rassistische Angriffe erlebt. Sie reflektierten und reagierten mit ihrer Kunst. Wir trafen die beiden in Berlin und sprachen über antiasiatischen Rassimus in Deutschland und schöpferische Formen des Widerstands in diesen schwierigen Zeiten.
 
Trigger-Warnung: Der nachfolgende Erfahrungsbericht kann dich an bereits erlebte, verletzende und belastende Situationen erinnern.

Isaac Chong Wai

Eines Tages kam ein Mann auf mich zu, es war Unter den Linden. Er wollte etwas von mir stehlen und beleidigte mich rassistisch. Als ich es bemerkte, fing ich an ihn zu beschimpfen. Mein Schreien irritierte ihn, also schlug er mit einer Glasflasche auf meinen Kopf. Ich hatte Glück: Die Glasflasche blieb ganz. Ich bat die Polizei, ein Foto für mich zu machen, um den Zustand meines Gesichts zu dokumentieren, da ich auf einem Ohr nichts mehr hören konnte. Zu Hause machte ich ein weiteres Bild. Ich wollte darüber reflektieren, sowas kann außerdem heilende Wirkung haben. Dann habe ich das Foto als Postkarte ausgedruckt und auf die Rückseite geschrieben: „Im November 2015 hat mich jemand Unter den Linden angegriffen“. Ein Freund schrieb mir daraufhin auf Facebook: „The world is not your friend“. Die Frage Is the World Your Friend? habe ich mir daraufhin wiederholt gestellt und ist der Titel einer Arbeit, die daraus entstanden ist. Manchmal denke ich ja, manchmal nein. Wenn wir die Frage stellen, wissen wir zumindest, dass die Welt existiert. Und es ist wichtig, über die Beziehung zwischen dem Individuum und der Welt nachzudenken.

Diese Welt ist oft unheimlich polarisiert, was sehr gefährlich ist. Wenn wir ein bestimmtes Verständnis von etwas zu haben glauben, dann meinen wir, dass wir Kontrolle ausüben und nach Belieben Kommentare abgeben dürfen. Sogenanntes „Verständnis“ und „Kontrolle“ sind eine selbstgeschriebene, selbstgesteuerte Lüge. Das Erschreckendste ist, dass wir manchmal von unseren eigenen Lügen getäuscht werden. Tatsächlich ist diese Welt nicht nur schwarz und weiß, richtig und falsch. Kunst schafft einen fiktiven Raum, einen freistehenden Raum, einen Raum, wo es eben nicht nur um richtig oder falsch geht.

Wie können wir in diesem Raum mit mehr Menschen gemeinsam vorankommen? Kunst beschäftigt sich mit Abstraktionen und Repräsentationen. Manche Menschen finden Kunst schwer zu verstehen, aber gerade weil viele Dinge auf der Welt schwer zu verstehen sind, stellen wir Fragen. Kunst gibt keine Antworten, aber Menschen können Antworten in der Kunst finden.

Tatsache bleibt: Nicht jeder oder jede hat die gleichen Chancen und Rechte.

Manchmal wurde mir gesagt, dass alle gleich sind: „Warum hältst du am Colorism fest“? Natürlich hoffe ich, dass jeder und jede die gleichen Chancen und Rechte hat. Tatsache bleibt: Nicht jeder oder jede hat die gleichen Chancen und Rechte. Strukturelle Gewalt und institutioneller Rassismus sind das Problem, das wir gemeinsam lösen sollten, anstatt einfach zu sagen: „Wir sind alle gleich”.

Oft findet man es schwierig, sich einen Feind vorzustellen, der keine menschliche Form hat. Wenn es um Themen wie eine Pandemie geht, dann ist es schwierig, dem Virus die Schuld zu geben. Es ist wichtig Mitgefühl zu haben, statt wegen irgendeines erfundenen Grunds einen Vorwurf zu machen. Meine aktuelle Arbeit handelt von Pieta (pietas, 2019) – wie weinen wir? Was ist, wenn der Tod oder die Gestorbenen weinen? Kunst ist ein Weg, um mit unseren eigenen Emotionen umzugehen. Nach dem Lockdown besuchte ich Kunstausstellungen und fühlte mich wirklich getröstet. Obwohl Kunst nicht alles ist, hat sie eine gewisse Kraft für Emotionen, Beobachtungen und das Denken.

Fan Popo

Als die Pandemie anfing, wurde ich von einem Rassisten mit „Coronavirus“ in der U-Bahn beschimpft und angespuckt. Ich filmte die Handlung und meldete es bei der Polizei. Zwei Wochen später wurde mir mitgeteilt, dass sie das entsprechende Überwachungsvideo nicht finden konnten. Ähnliches ist mir schon mal passiert und ich habe ehrlichgesagt keine Hoffnung auf Hilfe von der Polizei. Ich wollte dann etwas für mich selbst und für die Welt tun. Der deutsche Fernsehsender rbb lud mich ein, zu Hause einen zweiminütigen Kurzfilm zu drehen. Seit der Pandemie wird chinesisches Essen in der Welt stark stigmatisiert. Und immer wenn man mir sehr überzeugt sagte, dass das Virus von chinesischen Fledermäusen ausgehe, fühlte ich mich machtlos.

In Lerne Deutsch in meiner Küche blende ich einige deutsche Wörter und Übersetzungen ins Chinesische ein, zum Beispiel „der Reis“, „die Karotte“, „die Fledermaus“ oder eben „das Virus”. Aber wie genau wurde das filmisch visualisiert und der Zusammenhang deutlich gemacht? Ich meinte zu meinem Editor, dass der Rassist auch das Virus sein könnte. Und schließlich habe ich mich dazu entschieden, meine Videoaufnahme aus der U-Bahn mit den rassistischen Beleidigungen in den Kurzfilm einzuarbeiten.

Meiner Meinung nach ist es sehr effektiv, wenn man kommuniziert, was getan werden kann. Der Zweck des Drehens meiner Filme besteht darin, mit verschiedenen Gruppen und Zuschauerinnen zu kommunizieren und auch mit mir selbst. Nach den verbalen Angriffen in den letzten Jahren kam mir eine Idee. Zusammen mit bi’bak, einem gemeinnützigen Verein und Projektraum mit Sitz in Berlin, plane ich die Kurzfilm-Reihe How Can We See (Each Other) mit Filmen aus China und dem Nahen Osten. Wir hoffen wirklich, dass wir durch dieses Projekt lernen einander zu sehen.

Meiner Meinung nach ist es sehr effektiv, wenn man kommuniziert, was getan werden kann.

Bevor ich nach Deutschland kam, wollte ich meine Auseinandersetzung mit der Identitätspolitik beenden, aber die hier beschriebenen rassistischen Übergriffe zwangen mich dazu, die asiatische Identität in einer fremden Umgebung zu behalten. Es war eine Art Selbstrettung. Auf kreativer Ebene kann meine Arbeit jedoch nicht einfach als Ventil verstanden werden. Das erfordert eine ständige Selbstreflexion, um nicht in meiner eigenen Identität gefangen zu bleiben. Die Intersektionalität des Dialogs und die Komplexität der verschiedenen Identitäten in der Erzählung müssen untersucht werden. Da viele Menschen nur auf einen bestimmten Aspekt der Identität achten oder das Problem starr als Konfrontation zwischen dem Täter und dem Opfer betrachten, benutze ich lieber eine humorvolle Weise und versuche die Beziehungen zu dekonstruieren.

Ich habe später ein Interview des rbb-Reporters Jo Goll auf Instagram geteilt und sehr gute Rückmeldungen erhalten. Viele Asiaten in Deutschland haben sich bei mir bedankt, dass ich über diese Angriffe gesprochen und mich für andere Asiatinnen eingesetzt habe. Unerwartet gab es jedoch nach der Veröffentlichung auf TikTok eine Welle von Beschimpfungen. Einige weiße Deutsche und einige Schwarze Menschen sagten: „Sieh dir an, wie deine Regierung in Guangzhou mit Schwarzen umgeht. Du hast es verdient, hier gescholten zu werden.” Das bringt mich dazu, mehr über die Probleme der Identität nachzudenken. Für die künstlerische Schöpfung braucht man die Reflexion, um den Kreis zu durchbrechen und eine andere Welt zu sehen.

Leider kommen meiner Meinung nach viele Rassisten selbst aus unteren sozialen Schichten. Dies sind natürlich keine Gründe, sich der Verantwortung zu entziehen. Im Gegenteil, wir sollten fragen, wo das gesamte soziale System scheitert, warum nicht alle eine faire Chance haben, und warum wir nicht miteinander kommunizieren.

Gespräche geführt und wiedergegeben von Chen Yun-hua.
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Links zum Thema

Queer Spaces in Berlin | Video-Walk mit Fan Popo
Bundeszentrale für politische Bildung | Antiasiatischer Rassismus in Deutschland
ichbinkeinvirus | Netzwerk gegen Rassismus

 

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