Dr. Stevie Schmiedel, Geschäftsführerin von Pinkstinks, einer Protest- und Bildungsorganisation gegen Sexismus und Homophobie, engagiert sich mit der Plattform Werbemelder*in gegen sexistische Werbung. Ein Gespräch über die deutsche Werbelandschaft, toxische Männlichkeitsbilder und progressive Geschlechterrollen.
yì magazìn: Wie viele Einreichungen mit Hinweisen zu sexistischer Werbung treffen täglich bei Ihnen ein?Dr. Stevie Schmiedel: Uns erreichen fünfzig Einreichungen die Woche. In den letzten zwei Jahren waren es insgesamt fünftausend Einsendungen. Das ist ungefähr sieben Mal so viel, wie die Einreichungen, die der Deutsche Werberat erhält. Das heißt, den Leuten ist die Werbemelder*in inzwischen bekannter, als der Deutsche Werberat. Bei uns erhalten sie auch schneller ein Feedback. Die Einreichung wird schnell einsortiert und mit Einschätzungen von uns online gestellt. Außer der Öffentlichkeit, die wir dadurch erzeugen, können wir nicht viel mehr leisten. Wir können dazu einen Shitstorm im Internet auslösen, aber wir haben keine Rüge, wie der Deutsche Werberat oder keine rechtlich bindenden Instrumente. Trotzdem: alleine dass wir mit diesem Thema öffentlich präsent sind, ist schon ein ganz wichtiger Schritt getan.
Die Gleichstellungsministerkonferenz der Länder (GFMK) hatte dem Deutschen Werberat im Juni 2019 attestiert „in Deutschland die wichtigste Instanz zur Sichtbarmachung sexistischer Werbung“ zu sein. Inwiefern unterscheidet sich ihre Arbeit der Werbemelder*in und der des Deutschen Werberates?
Der Werberat stellt nicht jede Werbung, die ihm zugesendet wird online, sondern er spricht erst mit Institutionen und versucht sie so dazu zu bekehren, die Werbung vom Markt zu nehmen. Wir machen das anders, wir haben dafür auch gar kein Personal, die Institutionen einzeln anzurufen. Wir zeigen einfach, was uns gemeldet worden ist und sagen auch, ob es rechtmäßig gemeldet worden ist oder nicht. Das ist der Unterschied und deshalb werden wir auch als Denunzianten beschimpft, was natürlich Quatsch ist. Wo wir doch zeigen, dass sich Leute über eine Werbung aufregen, aber eine Gesetzesnorm diese Werbung gar nicht vom Markt nehmen könnte. Das deshalb die Werbung als stereotyp eingeordnet wird und nicht als sexistisch. Ich denke, dass die Kommission der Gleichstellungsbeauftragten den Deutschen Werberat als so wichtig eingestuft hat, weil sie ein Verbot von sexistischer Werbung fordert. Also, dass der Werberat zwar wichtig ist, aber nicht ausreicht, weil wir nach wir vor noch sexistische Werbung haben. So habe ich diese Einstufung verstanden.
Was müsste sich ändern, dass man gemeinsam stärker zusammenarbeitet?
Der Werberat müsste dringend mehr Werbung für sich selber machen. Den Werberat kennt kaum jemand und der Werberat müsste selber mehr für das Thema sensibilisieren. Wir haben zum Beispiel eine Kampagne mit fünf großen Hamburger Werbeagenturen gemacht, wie das Handwerk selbst Werbung erstellen kann, ohne ins sexistische Fettnäpfchen zu treten. Das sind eigentlich Aufgaben, die der Deutsche Werberat her durch den ZAW (Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft) gut finanzieren könnte. Das ist eigentlich verrückt, dass das ein kleiner spendenfinanzierter Verein in Hamburg macht und nicht die millionenschwere Lobby der Werbeindustrie, die doch selber dafür sorgen müsste, dass es weniger Sexismus in der Werbung gibt, damit Initiativen wie wir nicht Gesetzesnorm und weiteres fordern.
Welche Fälle sexistischer Werbung an LGBTQ haben Sie im Team diskutieren müssen?
Ich denke, dass es viel Sexismus gegen Männer gibt, die gerade deshalb funktionieren, weil alles, was nicht typisch traditionell männlich ist, leicht dem Spott unterworfen wird. Und da sind wir schnell bei Homophobie, denn letztendlich gehen Feminismus und Homophobie immer zusammen. Die toxischen Männlichkeitsbilder, die wir so kritisieren, funktionieren deshalb, weil wir nach wie vor eine unglaubliche Panik in der Gesellschaft vor der Verschwulung oder der Verweichlichung haben. Ich denke dahinter ist immer der Gedanke „Ein Mann ist nur ein richtiger Mann wenn…“ und alles was davon abweicht wird dann für Werbung benutzt, um sich über Leute lustig zu machen. Das sind dann nicht direkt Schwulenwitze, sondern eher Witze über unfähige Männer. Und trotzdem könnte man da eine Verbindung ziehen.
Wie nehmen Sie in Deutschland geschlechterdiskriminierende Werbung in China wahr?
Gar nicht. Wir beschäftigen uns nicht international mit Werbung, das schaffen wir leider nicht. Das wäre total spannend auch da zu schauen. Wir tauschen uns schon mit anderen Ländern oder Institutionen aus, ob es mehr oder weniger sexistische Werbung gibt, aber China ist dann doch sehr weit weg für uns. Wir schauen dann eher in das europäische Ausland. Hier gibt es Fälle, in denen Asiat*innen in der Werbung diskriminiert werden. Ich denke da an eine Werbung in diesem Jahr für den Baumarkt Hornbach von der Kreativ-Agentur Heimat, in der die Asiatin eine Unterhose eines Handwerkers aus dem Automaten zieht und an dieser schnüffelt. Das bescheuerte Bild, dass sich Asiat*innen, besonders Männer, benutzte Schlüpfer aus dem Automaten besorgen, entstand aufgrund einer Fehlinformation und war eine kurze Sache in Japan, die auf gar keinen Fall für den Mainstream gilt und trotzdem von uns Europäer*innen zum Mainstream gemacht worden ist. Also ganz klar ein rassistisches Klischee, das Heimat umgedreht hat mit der Frau sozusagen, die an der Unterhose schnüffelt. Insofern ist es schwer, es als klar sexistisch einzuordnen, aber es ist auf jeden Fall rassistisch und diskriminierend. Der andere Fall ist eine Pizzawerbung mit der Asiatin, die als fernöstliche Versuchung angeboten wird, die ewig schon in Deutschland kursiert, mehrfach vom Werberat gerügt wurde und trotzdem nach wie vor sich auf der Pizzawerbung befindet. Also sehr nervig, aber auch ein typisches Klischee, die süße, kleine Asiatin, die dann kurz mit der Pizza zusammen verspeist wird.
EASA - European Advertising Standards Alliance – ist die Dachorganisation aller europäischen Werbemelder*innengremien. "Cross-border complaints" können also grenzüberschreitende Beschwerdeverfahren einleiten. Welche Strukturen bedarf es, um zukünftig mit der Werbemelder*in länderübergreifend, zum Beispiel auch in China geschlechterdiskriminierende Werbung anzugehen?
Ich denke, dass da eine Werbemelder*in total überfordert wäre, weil wir sexistische Werbung auf einer Deutschlandkarte verorten. Dort erfährt man, wo die Werbung hängt, wo sie gesichtet wurde, wo man sie sich ansehen kann oder ob sie da nun nicht mehr hängt. Es ist daher eine sehr lokale Angelegenheit. Aber was dringend geschehen muss ist, dass eine European Advertising Standards Authority international Sexismen thematisiert und länderübergreifend kommuniziert. Ich denke das ist wichtig und es ist natürlich auch genauso wichtig, dass wir im Westen mit gutem Vorbild vorangehen. Für ein China, das im Moment wirtschaftlich explodiert und sich entwickelt, ist natürlich interessant, da von deutschen oder englischen Praxisbeispielen zu lernen. Insofern ist dieser internationale Kontakt zum Austausch so wichtig um zu gucken, okay ihr seid schon länger in diesem Wirtschaftsbereich auf dem Markt, ihr habt die am besten finanzierte Werbelobby, was können wir von euch lernen. Was für Shitstorms können uns in Zukunft erreichen und wie seid ihr dagegen vorgegangen, gerade in den USA, die natürlich eine noch viel längere Werbegeschichte haben als wir. Dort ist ja nicht umsonst unter Obama die Kampagne #SeeHer entstanden, in der sich verschiedenen Größen, wie Unilever, Nestle usw. zusammengeschlossen haben und sich gesagt haben, dass in ihrer Werbung mehr starke Frauen zu sehen sein müssen. Außerdem wird in Cannes nun der Glass Lion vergeben, also der Löwe, der die Geschlechterrollenstereotype bricht. Das sind die guten Beispiele aus der Praxis, die vom chinesischen Markt übernommen werden könnten. Denn auch da werden durch den steigenden Wohlstand auch Frauenrechte mehr thematisiert werden. Und dem kann man ja schon vorbeugen, indem man solche Initiativen übernimmt.
Wenn Sie eine Anfrage einer Firma, dessen Werbung sie kritisiert haben, erhalten würden, wären Sie offen mit ihnen eine Werbe-Kampagne mitzugestalten?
Auf jeden Fall, das würde ich auf gar keinen Fall ablehnen, weil wir mit unserer siebenjährigen Erfahrung genau einschätzen können, inwieweit es nur um social washing geht, oder man durch unsere Mitwirkung etwas lernen möchte. Wir waren schon bei großen Agenturen, die starke rassistische oder sexistische Fauxpas gemacht haben, denen haben wir sofort unsere Beratung angeboten und die ist sehr auf offene Ohren gestoßen, einfach weil die Menschen vor Ort gesagt haben, sie haben es wirklich nicht verstanden, was daran sexistisch oder rassistisch sein soll. Ganz oft denken auch große Firmen, wenn es nicht so gemeint ist, dann kann das ja nicht rassistisch sein oder sexistisch. Die Agenturen sind oft überrascht, dass man von uns eine wohlgemeinte Beratung bekommt, die nicht mit dem Zeigefinger daherkommt. Dann zu merken, dass das wirklich das Unternehmen beeinflusst und solche Kampagnen nicht mehr auftreten, ist eine Bereicherung.
Wie müsste der Prozess gestaltet werden, damit Ihr Produkt Ihren Vorstellungen für die Werbung entsprechen würde?
Das ist ganz schwer zu sagen. Erstens muss man davon ausgehen, dass Werbende keine ethischen Verpflichtungen haben. Natürlich kann ich Ihnen erzählen, wie ich die perfekte Werbung sehe, die würde aber meinen eigenen Vorstellungen von Geschlechtergerechtigkeit in einer Welt, in der ich gerne leben möchte, entsprechen. Wir sind aber alle sehr verschieden und ich glaube, dass Produzenten von Werbung heute, gerade für große Marken, alle Menschen in den Blick nehmen müssen. Heute eine gute Werbung zu machen, die nicht zu sehr moralisch rüberkommt, eine Werbung, die mit gehobenem Zeigefinger sagt: „Ihr müsst aber als Mann im Haushalt mithelfen“, funktioniert immer besser, wenn es versteckter rüberkommt und mit mehr Witz. Ich glaube, generell geht es darum zu zeigen, dass es wahnsinnig schwer ist, Werbende davon zu überzeugen, ethisch und moralisch tätig zu werden und für progressive Geschlechterrollen und gegen Homophobie zu werben, wenn es sich aber auf der anderen Seite verkaufen lässt. Insofern ist es einfach viel wichtiger, dass wir alle gemeinsam Druck ausüben. Dass wir gemeinsam sichtbar sind in unseren Protest durch Plattformen wie Pinkstinks zum Beispiel, durch öffentliche Briefe, durch Protest im Netz, damit die Unternehmen unsere Meinung mit aufnehmen müssen, damit wir als Konsument*innen sichtbar sind. Das ist das allerwichtigste.
Die Fragen stellte Silvan Hagenbrock.
Dezember 2019