Wuhan  Wenn man am Friedhof Wartenummern ziehen muss

Eingang des Biandanshan-Friedhofs
Eingang des Biandanshan-Friedhofs © Heji Weekly

Als ich in der Schlange wartete, stand hinter mir ein altes Ehepaar um die 70, sie kauften ein Grab für ihren verstorbenen Sohn.

Friedhof: Um eine Nummer zu ergattern, muss man sehr früh kommen

Ich wohne in Qiaokou, einem der besonders schwer vom Coronavirus betroffenen Stadtteile. Das ist nicht weit vom Biandanshan-Friedhof, mit dem Auto über den Fluss nur zehn Minuten. Die Asche meiner Mutter habe ich noch nicht abgeholt, wir wollen erst ein Grab aussuchen. Das Wohnviertel ist schon benachrichtigt und mit dem Bestattungsunternehmen haben wir auch einen Termin gemacht. Was die Beerdigung angeht, können wir jetzt sowieso keine Verwandten einladen, also warten wir, bis die Epidemie vorbei ist, viele können ja im Moment gar nicht das Haus verlassen.

Ich bin heute um 5 Uhr morgens zum Friedhof gekommen, um eine Nummer zu bekommen, gestern wurden 70 ausgegeben, heute 80, um 7:30 gab es schon keine mehr. Manche Angehörigen mussten dreimal kommen, bis sie endlich alle Formalitäten erledigen konnten. Das Wohnviertel hat festgelegt, dass nur zwei Angehörige zusammen kommen dürfen, ich bin mit meiner Schwester hier. Wir haben eine Grabstelle für 78.800 Yuan ausgesucht, während der Corona-Epidemie Verstorbene bekommen 30 Prozent Rabatt, also 54.500 Yuan. Die Sperrung von Wuhan wird erst am 8. April aufgehoben, dann ist das Totengedenkfest Qingming bereits vorbei. Einige Angehörige lagern ihre Urnen beim Friedhof, das ist auf drei Monate befristet, bis dahin wird Wuhan ja wohl wieder geöffnet sein.

Meine Mutter verstarb am 17. Februar, da war sie noch keine 71. Als der Anruf vom Krankenhaus kam, lag ich selber noch im Dongxihu-Containerhospital. Meine Schwester fuhr ins Krankenhaus, um die Sterbeurkunde und die Kaution abzuholen, den Leichnam hat sie nicht mehr gesehen, der wurde direkt zum Krematorium transportiert, selbst die nächsten Verwandten durften nicht dabei sein. Zurück blieben nur ein iPhone, die Versichertenkarte und ihr Personalausweis. Nachdem die desinfiziert waren, haben wir die Sachen ein paar Tage später ausgehändigt bekommen, zusammen mit ein paar privaten Besitztümern, einem Radio und so weiter.

Als ich in der Schlange wartete, stand hinter mir ein altes Ehepaar um die 70, sie kauften ein Grab für ihren verstorbenen Sohn. Sie erzählten mir, dass ihr Sohn drei Tage nachdem er Fieber bekommen hatte gestorben war. In den Händen hielten sie eine Kopie seines Personalausweises, er war Jahrgang 1977, nur ein Jahr jünger als ich. Ich konnte nicht weiter fragen, es war zu traurig.

Mit ihnen war noch eine Bekannte gekommen, eine ältere Frau, die ihren Mann verloren hatte. Sie hatten erst wenige Worte gewechselt, als die Frau auch schon in Tränen ausbrach. Solche Familien gibt es viele, und manche Familien haben mehrere Todesfälle zu beklagen, zum Beispiel die des Regisseurs Chang Kai. 23. März nachmittags, Eingang des Biandanshan-Friedhofs, Ausgabe und Lagerung von Urnen 23. März nachmittags, Eingang des Biandanshan-Friedhofs, Ausgabe und Lagerung von Urnen | © Heji Weekly

Im Krankenhaus: Szenen schlimmer als in der Hölle

Vom 5. bis 8. Februar stand ich jeden Tag für meine Mutter in der Schlange der Fieberambulanz des Krankenhauses Nr. 4. Dabei habe ich die Leute drum herum gut kennengelernt, selbst mit Gesichtsmaske erkennt man sich inzwischen sofort. Mir selbst ging es relativ gut, ich hatte keine Symptome, aber meinen Bruder und meine Schwester konnte ich nicht an meiner Stelle kommen lassen, weil meine Kinder in der Zeit bei denen waren.

Es war schon nicht schlecht, dass meine Mutter überhaupt ihre Spritze bekommen konnte, aber wenn sie damit fertig war, konnte ich mich praktisch gleich wieder anstellen, denn es dauerte jedes Mal etwa zehn Stunden, bis man dran war. Jeden Morgen stand ich um drei Uhr auf, trank nicht mal einen Schluck Wasser, nahm die Maske nicht ab, stand bis nachmittags drei, vier Uhr in der Schlange, kam gegen fünf, sechs Uhr wieder nach Hause, aß und trank schnell was und schlief vor Erschöpfung sofort ein.

Jeden Tag sah ich Menschen sterben, von Würde war keine Rede mehr. Einmal starben vier innerhalb von zwei Stunden, zwischen sechs Uhr nachmittags und acht Uhr abends, ich selbst war gerade zur Behandlung im zweiten Stock; erst wurden zwei bestätigte COVID19-Fälle von oben heruntergetragen, dann brachen zwei Kranke praktisch neben mir zusammen, und im ersten Stock waren am Nachmittag auch schon zwei verstorben. Die Leute, die im Krankenhaus starben, ohne den PCR-Test gemacht zu haben, tauchen in der Corona-Sterbestatistik gar nicht auf.

Die ältere Frau, die morgens um acht verstarb, war um die 70 gewesen. Sie hatte sich noch in der Nacht in die Schlange gereiht, hatte ihre Spritze bekommen und war keine zwei Schritte gegangen, als sie umfiel und nicht mehr wiederbelebt werden konnte. Ihre zwei Söhne, die etwa in meinem Alter waren, besorgten ein Laken, in das sie sie einwickelten. Abgeholt wurde sie erst abends um neun.

Es gab weder genug Personal noch Fahrzeuge, vor Ort war nur ein einzelner Wachmann, der für die Sicherheit zuständig war. Der Wagen vom Bestattungsinstitut transportiert normalerweise nur einen Leichnam, jetzt aber acht. Als ich an jenem Tag nach draußen ging, um eine Zigarette zu rauchen, sah ich einen containerartigen Wagen, mit dem sieben, acht Leichen weggefahren wurden. Dieser Anblick war schlimmer als die Hölle. 24. März vormittags, Biandanshan-Friedhof 24. März vormittags, Biandanshan-Friedhof | © Heji Weekly

Im Containerkrankenhaus: Zurückgewiesen nach einer Nacht des Kampfes

Die Nacht des 6. Februar war extrem aufreibend, außerdem regnete es noch die ganze Zeit. Nachts um ein Uhr kam die Nachricht vom Vertreter des Wohnviertels, er habe für mich und meine Mutter Plätze im Hanjiang-Containerkrankenhaus beim Messezentrum in Wuhan organisiert. Ich fragte ihn, wie die medizinische Versorgung da sei, Medizin, Spritzen usw. Er antwortete, da gäbe es alles. Um seine Aufgabe als erledigt abhaken zu können, trug er mir auf, ich solle bei der Aufnahme sagen, die Symptome meiner Mutter seien nicht schlimm und sie sei noch nicht 63 Jahre alt. Damit war ich nicht einverstanden. Als wir ankamen, erfuhren wir, dass es eine Altersbegrenzung für die Aufnahme gab und Patienten mit schweren Symptomen nicht aufgenommen wurden. Und wir hatten auch noch nicht wenige Taschen dabei.

Wir setzten uns wieder ins Auto, ich fuhr. Meine Mutter und ich waren beide positiv getestet worden, sie war schon betagt und hatte ziemlich schwere Symptome, außerdem ist sie blind. Inzwischen war es drei Uhr in der Nacht. Es blieb nichts anderes übrig, als mit meiner Mutter zur Ambulanz im Krankenhaus Nr. 4 zu fahren, damit sie eine Spritze bekam. Der behandelnde Arzt sagt mir, dass es mit meiner Mutter in ihrem Zustand jederzeit zu Ende gehen könnte. Morgens um acht Uhr waren wir wieder zu Hause. Ich wohnte in einer Wohnung mit meinen Eltern und meiner Frau, wir waren also nicht in Quarantäne. Mein Vater hustete die ganze Zeit und meine Frau zeigte auch leichte Symptome. Aber da meine Eltern beide blind sind, brauchen sie jemand, der sie versorgt. Wir mussten also bei ihnen bleiben.

Ich denke, ich habe mich angesteckt, als ich meine Mutter ins Krankenhaus brachte. Meine Symptome waren aber nicht schwer, ich hätte ins Containerkrankenhaus gehen können oder woanders in Quarantäne, aber das ging nicht, weil ich mich ja um meine Mutter kümmern musste. Sie bekam am 28. Januar Fieber, am 1. Februar machte sie in der Bezirksklinik einen CT-Scan. Der Arzt meinte, es könne sich um eine Virusgrippe handeln, ich fragte ihn, ob er ihr eine Spritze geben könne, aber er sagte, sie solle sich zu Hause auskurieren, das würde reichen. Zwei Tage später ging es ihr trotz Medikamenten nicht besser, ich brachte sie noch einmal zur Bezirksklinik, die uns weiter in die Ambulanz des Krankenhauses schickten.

Ich weiß nicht mehr genau, wann ich positiv getestet wurde, als erstes ging ich damit zu unserem Bezirksbüro und zu unserer Hausverwaltung, um ihnen die Situation zu erklären. Damals klebte am Eingang unseres Viertels noch ein Schild mit der Aufschrift „virusfrei“, ich sagte also allen Bescheid, sie sollten aufpassen, das war alles, was ich tun konnte, aber das Schild hängt bis heute da und es kam auch nie jemand, um unser Haus zu desinfizieren. Das Nachbarschaftskomitee hat zwei Hocker vor seinen Eingang gestellt, damit niemand mehr hinein kann.

Der Ort für die Quarantäne ist ein kleines Hotel in der Nähe, aber für mich kam das nicht in Frage, weil ich meine Mutter ins Krankenhaus begleiten musste. Am 9. Februar bekam meine Mutter endlich ein Bett im Krankenhaus, und ich begab mich ins Dongxihu-Containerhospital. Am 17. Februar morgens um 9 Uhr verstarb meine Mutter nach erfolgloser Behandlung.     |    

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