Transparenz bei Restitutionsprozessen Die koloniale Vergangenheit in Museen offenlegen
Der Name des Museums, GRASSI Museum für Völkerkunde zu Leipzig, deutet durch die Verwendung des Begriffs „Völkerkunde“ auf einen kolonialen Blick auf die Welt. Teil der Dekolonisierung kann die Umbenennung sein. | Foto (Detail): Arno Burgi © picture alliance / dpa
In Museen befinden sich zahlreiche Objekte, die während der Kolonialzeit geraubt wurden. Viele lagern in Archiven, einige könnten für die Herkunftsgesellschaften traumatisierend oder erniedrigend sein. Wie können Museen für mehr Transparenz sorgen und die Museumsarbeit dekolonisieren?
Die Ankündigung zur Restitution der Benin-Bronzen erfolgte über die Bundesregierung in Absprache mit den Museen, die Objekte aus dem Königreich Benin in ihren Sammlungen haben. Wie viel Entscheidungsmacht hat ein Museum, eigenständig Objekte an die Herkunftsgesellschaft zurückzugeben? Wie verläuft ein solcher Rückgabeprozess?In einer musealen Institution, die klar vom kolonialen System profitiert hat, ist es eine historisch-moralische Notwendigkeit die Benin-Bronzen zu restituieren. Daher sprechen wir uns als Institution auch deutlich für Rückgaben aus.
Die Entscheidung zur Rückgabe der Objekte liegt aber auf Regierungsebene. Wir fungieren dabei beratend und nehmen an den Treffen im Restitutionsprozess teil. Folgend wird über die Rückführungen der Objekte und künftige Kooperationen beraten. Wir sehen die Restitution nicht als Ende eines Prozesses, sondern eher als einen Neuanfang. Wie können beispielsweise Kolleg*innen aus den Staatlichen Ethnographischen Sammlungen Sachsen vom Wissen der Kolleg*innen in Nigeria lernen? Wie könnten gemeinsame Restaurierungsprojekte aussehen? Wie sollte eine Konservierung in Zukunft erfolgen, wenn wir beispielsweise Benin-Bronzen als Leihgabe erhalten würden? Wie kann eine gemeinsame Erzählung Menschen zum Beispiel in Leipzig für die Thematik sensibilisieren?
Das GRASSI Museum für Völkerkunde zu Leipzig hat eine Plattform zur Dekolonisierung, Restitution und Repatriierung erstellt. Aus welchem Anlass haben Sie diese Online-Plattform gegründet und welche Ziele verfolgen Sie mit ihr?
Die Dekolonisierungsplattform zielt darauf ab, Transparenz und Zugänglichkeit zu schaffen. Über diese Plattform können sich Interessierte über laufende und vergangene Repatriierungs- und Restitutionsprojekte informieren und einzelnen Personen oder Communitys ist es darüber möglich, gezielt Anfragen zu stellen – zu Sammlungsbeständen, zu denen wir dann gemeinsam Provenienzrecherchen vornehmen, und zu Repatriierungen, die wir gemeinsam angehen. Repatriierung und Restitution gehören zu den Kernaufgaben unserer Museen. Wir haben in den vergangenen Jahren wichtige Repatriierungen von menschlichen Überresten zum Beispiel nach Hawaii oder Australien vornehmen können. Viele Repatriierungen sind in Vorbereitung, viele stehen noch aus.
Welche Problematiken sehen Sie in Namen von Museen, die beispielsweise den Begriff „Völkerkunde“ erhalten? Wie kann eine inklusivere und zutreffendere Bezeichnung gefunden werden?
Der Begriff „Völkerkunde“ steht auch für eine Geschichte des kolonialen Blicks auf die Welt. Deren kritische Aufarbeitung ist wichtiger Bestandteil unserer Neuausrichtung. Ein Name beeinflusst, wie Menschen das Museum und dessen Arbeit wahrnehmen, ob sie sich als Besuchende oder als Mitwirkende angesprochen und willkommen fühlen. Wir befinden uns in einem Umgestaltungs- und Findungsprozess, der darauf abzielt, das Museum zu einem Netzwerkmuseum, das sich reflexiv mit der eigenen Geschichte beschäftigt und Impulse zu aktuellen und zukunftsrelevanten Fragestellungen gibt, umzuwandeln. Deshalb arbeiten wir zusammen mit unterschiedlichen Stakeholdern an einem neuen Selbstverständnis des Museums. Wer wollen wir sein, wo wollen wir gemeinsam hin?
Wie können Objekte aus der Kolonialzeit so gezeigt werden, dass sie die Betroffenen nicht verletzen und gleichzeitig lehrreich sind und zum Diskurs anregen?
Es geht hier ähnlich wie bei der Repatriierung von Vorfahren an ihre Gemeinschaften und der Restitution von Objekten um den Dialog mit den betroffenen Communitys. So können beispielsweise in kollaborativen Projekten Wege entwickelt werden, Objekte weiterhin zu zeigen und deren Geschichten zu erzählen. Darüber hinaus ist es uns wichtig die koloniale Vergangenheit des Museums offenzulegen und kritisch zu reflektieren.
Darüber hinaus haben wir nun eine Flotte von Telepräsenzrobotern. Man kann sich das vereinfacht ausgedrückt vorstellen wie ein Tablet auf Rädern in smart. Der Rest funktioniert wie in einem der digitalen Konferenzprogramme, die viele von uns im Homeoffice nutzen. Nur dass ich neben der Bild- und Tonübertragung noch einen der Roboter selbstständig steuern kann. Die Telepräsenzroboter stehen für Besucher*innen weltweit zu Verfügung und wir haben sie auch angeschafft, damit Vertreter*innen von Herkunftsgemeinschaften allein oder mit unseren Kolleg*innen durch die Ausstellungen oder Depots fahren können. Wir können somit viel direkter und vor allem viel schneller im Kontakt sein und so auch auf Fehler in der Präsentation hingewiesen werden. Das erhöht den Druck, aber natürlich auch die Transparenz. Letztere wird oftmals versprochen, doch die Umsetzung ist unklar. Vielleicht sind Telepräsenzroboter ein Versuch?
Eine Vielzahl von musealen Objekten befindet sich in Archiven und ist der Öffentlichkeit nicht zugänglich. Wie stellen Sie sicher, dass auch diese nicht sichtbaren Objekte zu Diskursen beitragen?
Auch hier ist Transparenz ein großes Stichwort. Seit einigen Jahren sind wir dabei unsere Sammlungsbestände zu digitalisieren und diese in unserer Onlinekollektion zugänglich zu machen. Diese können dort auch kommentiert werden oder die Basis für Anfragen von unterschiedlichsten Communitys oder Forscher*innen sein. Die Schaffung von Transparenz erfolgt über die Digitalisierung der Bestände, der Zusammenarbeit mit Wissenschaftler*innen, aber auch durch die Ermöglichung der digitalen Zugänglichkeit zu Ausstellungsräumen und den Depots. Mithilfe eines neuen Telepräsenzroboters können Vertreter*innen von Herkunftsgemeinschaften zusammen mit uns im Depot Sammlungen sichten. Nicht nur, dass wir uns alle sehen und hören können, sondern auch, dass verschiedene Kameraeinstellungen es ermöglichen, zum Beispiel auch mal ganz nah heran zu zoomen oder Dinge zu sehen, an die der Roboter vielleicht nicht herankommt.
Für einen lebhaften und gleichberechtigten Austausch in Museen sind Besucher*innen mit verschiedenen gesellschaftlichen und kulturellen Hintergründen und aus sämtlichen Altersgruppen unerlässlich. Wie können diese unterschiedlichen Personengruppen erreicht und dazu motiviert werden, in Museen in einen Diskurs miteinander und über die ausgestellten Objekte zu treten? Wie spiegeln sich die Erfahrungen aus diesen Begegnungen in der Ausstellungsplanung wider?
Um unterschiedliche Besucher*innengruppen anzusprechen, gestalten wir meist thematisch unterschiedliche Sonderausstellungen. So haben wir beispielsweise die Sonderausstellung Fantastische Tierwelten als Familienausstellung konzipiert. Die Sonderausstellung Szenen des Lebens hingegen wurde für ein interessiertes Fachpublikum entwickelt. Bei dieser Ausstellung lag der Aspekt aber auch auf der engen Zusammenarbeit mit japanischen Restaurierungskolleg*innen. Re:Orient – Die Erfindung des muslimischen Anderen wurde von zwei Kurator*innen entwickelt, die im Themenspektrum des antimuslimischen Rassismus tätig sind und hier ein ganzes Netzwerk an Akteur*innen und Künstler*innen mitbrachten, die sich sensibel und aus einer „nicht-weißen“ Perspektive mit der Thematik befassten.
Wir versuchen die Netzwerke vielfältig und auf verschiedenen Ebenen zu knüpfen. Mal aktivistisch, mal künstlerisch, mal fachlich. Alles zusammen ergibt genau die Synergien, die wir benötigen, für eine auch internationale Relevanz und natürlich auch im Hinblick auf unsere Zukunftsvision Re.Inventing GRASSI. Hier wird es ein Young Museum geben, einen Weg, der sich die gesamte Ausstellung durchzieht und zusammen mit Kids und Jugendlichen gedacht wird. Unser Vermittlungsteam ist hier auf Achse, verlässt das Museum, geht zum Beispiel hinaus in die Stadtteile, um auch diejenigen zu erreichen, die sonst nicht ohne Weiteres in das Museum kommen. Wir werden im nächsten Jahr auch einen sogenannten Dritten Ort schaffen: zum Ausruhen, Einmischen, Mitgestalten oder Beobachten. Da kommen dann Initiativen zu uns und bleiben für eine Weile um hier vor Ort zu arbeiten. Das alles wird ohne Eintritt funktionieren, denn auch Eintrittskosten können für viele eine Barriere sein. Diesen Ort erarbeiten wir gerade, im Sinne des Netzwerkes, mit dem Studiengang Art Education and Curatorial Studies der Zürcher Hochschule der Künste.
Auch die Niederlande, Ihr Heimatland, waren maßgeblich an der Kolonialisierung des globalen Südens beteiligt und arbeiten ihre Kolonialgeschichte auf. Was können deutsche Museen diesbezüglich von den Niederlanden lernen?
Die Niederlande haben eine viel längere Kolonialgeschichte als Deutschland und die Niederlande haben sogar bis heute Gebiete in „Übersee“. Ich finde das Wort „lernen“ in dem Kontext daher etwas problematisch.
Aber es stimmt, dass die Niederlande seit 1949 mit der Unabhängigkeit Indonesiens und 1975 mit der Unabhängigkeit von Suriname sich schon deutlich länger und tiefergehend als postkoloniale Gesellschaft haben definieren müssen als Deutschland, wo erst seit einigen Jahren die postkoloniale Debatte in den Feuilletons sichtbar ist. Generell positionieren sich Museen schon seit den Siebzigern stärker gesellschaftspolitisch. Museen werden weniger als Forschungseinrichtungen wahrgenommen, sondern stärker als Bildung- und Vermittlungsorte. In dieser paradigmatischen Wende befindet sich Deutschland zurzeit.
Das koloniale Erbe und seine Konsequenzen betreffen das Hier und Jetzt und müssen gesamtgesellschaftlich verhandelt werden. Museen müssen einen wichtigen Beitrag dazu leisten. In den Niederlanden gehen Museen davon aus, dass die Erinnerung an Sklaverei nicht nur Anliegen der Gemeinschaft der Nachkommen von versklavten Menschen sein darf, sondern auch und ganz besonders der Nachkommen ehemaliger Sklavenhalter*innen.
Die Fotoalben von Offizier Georg Ludwig Rudolf Maercker, der in den Generalstab des Etappenkommandos der Schutztruppe ins heutige Namibia versetzt wurde, werden beispielsweise im Museum für Völkerkunde Dresden nur zugeschlagen gezeigt. Nach welchen Kriterien entscheiden Sie, ob gewisse Objekte gar nicht oder nur in eingeschränkter Weise gezeigt werden?
Die Fotoalben wurden im Zuge der Sonderausstellung Sprachlosigkeit – Das laute Verstummen im Japanischen Palais geschlossen gezeigt. Wir sehen es in unserer Verantwortung, dass heilige Dinge, die ursprünglich nur für bestimmte Personengruppen oder Anlässe gedacht waren, aber auch Objekte, die wie im Falle der Fotoalben die kolonialen Machtverhältnisse und Gewaltkontexte offensichtlich zeigen, nicht im vollen Umfang auszustellen oder sie mit Hinweisen zu versehen. Als Institution, die Dinge beherbergt, die aus kolonialen Kontexten stammen und deren Betrachtung schmerzvolle Emotionen auslösen kann, ist es unsere Aufgabe, diese Dinge den Herkunftsgemeinschaften zur Verfügung zu stellen und sie entscheiden zu lassen, wie sie präsentiert werden können.
Dieses Interview wurde schriftlich geführt. Die Fragen stellte Juliane Glahn, Volontärin in der Onlineredaktion des Goethe‑Instituts in München.
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