Umsiedlungsprogramm für Wildtiere „Der Klimawandel hat die Lage dramatisch verschärft“

Ein Bürstenschwanz-Bettong (Kleingkänguruh), im Hintergrund zwei Personen
Umsiedlung eines Bürstenschwanz-Bettongs, einer Kleinkänguruh-Art | Foto (Detail): © Australian Wildlife Conservancy

Australiens Tierwelt ist einzigartig, doch viele Arten sind bedroht. Das Umsiedlungsprogramm von Australian Wildlife Conservancy (AWC) kämpft mit Erfolg um ihren Erhalt.

Frau Anson, AWC betreibt das größte Umsiedlungsprogramm für Wildtiere in Australien. Um welche Tierarten geht es?

Wir haben uns auf kleine und mittelgroße Säugetiere spezialisiert. In den vergangenen Jahren habe ich die Umsiedlung mehrerer gefährdeter Beuteltierarten überwacht, darunter Bilby, Numbat und Bettong. Unsere acht eingezäunten Schutzgebiete sind über den ganzen Kontinent verteilt und umfassen auch eine Insel in Westaustralien. Eines der größten ist das Newhaven Wildlife Sanctuary im Northern Territory, wo wir aktuell mindestens neun bedrohte Arten wieder ansiedeln. Insgesamt hat AWC in den vergangenen zwei Jahrzehnten fast 7.000 Exemplare von 32 bedrohten Arten in Gebiete gebracht, in denen sie eine gute Überlebenschance haben.

Wäre es nicht einfacher und sicherer, die Tiere dort zu schützen, wo sie leben?

Ja, natürlich! Die Umsiedlung ist nur ein Teil unserer Strategie. Viele unserer Säugetierarten sind aus ihren historischen Verbreitungsgebieten verschwunden und heute extrem selten. Mithilfe der Umsiedlungen können wir die Populationen dort wieder aufbauen, wo sie früher lebten. Die australische Tierwelt ist einzigartig: 80 Prozent der einheimischen Säugetierarten kommen nirgendwo sonst auf der Welt vor. Gleichzeitig haben wir die höchste Aussterberate bei Säugetieren – ein trauriger Rekord. In den vergangenen 200 Jahren sind 34 Säugetierarten ausgestorben, und das sind nur die, von denen wir wissen.

Was sind die Gründe dafür?

Erstens die Hauskatzen und Füchse, die von europäischen Siedlern nach Australien gebracht wurden. Einige Landbesitzer wollten die Fuchsjagd nicht aufgeben, als sie hierherkamen! Diese Raubtiere breiteten sich schnell aus und wurden zu einem katastrophalen Problem für die kleinen Säugetiere. Weitere Bedrohungen sind der Verlust von Lebensraum und die Auswirkungen von schlecht gemanagten Bränden. Der Klimawandel hat die Situation dramatisch verschärft. In den vergangenen Jahren gab es in Australien mehr und verheerendere Waldbrände und Überschwemmungen als je zuvor. Geschrumpfte und isolierte Tierpopulationen sind durch solche Katastrophen besonders gefährdet.

Wie schützen Sie die Tiere in ihrem neuen Lebensraum vor diesen Bedrohungen?

Wir siedeln sie in einem landesweiten Netz aus eingezäunten Gebieten und auf einer Insel an. In Newhaven wurde ein 44 Kilometer langer katzensicherer Schutzzaun errichtet, der ein Gebiet von fast 9.500 Hektar umschließt. AWC betreibt in ihren Schutzgebieten auch Brandmanagement: Wir setzen zur richtigen Jahreszeit kleine Feuer ein, um größere, zerstörerische Brände zu verhindern. Ähnliche Techniken werden von den australischen Indigenen schon seit Tausenden von Jahren angewandt.

Wie genau läuft das Verfahren zur Umsiedlung einer Art ab?

Zunächst sammeln wir umfassende biologische Informationen über die Art, auf deren Grundlage die Suche nach einem geeigneten Gebiet beginnt: Wie groß muss der Lebensraum sein, gibt es genügend Nahrungsquellen, wo finden die Tiere Unterschlupf, welchen Bedrohungen sind sie dort ausgesetzt und wie können diese begrenzt oder beseitigt werden? Das Projekt kann nur erfolgreich sein, wenn alle diese Fragen zufriedenstellend beantwortet sind. Sobald der Lebensraum gefunden ist, stimmen wir die Pläne mit den regionalen Regierungen und anderen Naturschutzbehörden ab. Im nächsten Schritt überlegen wir, wie viele Tiere aus welchen Populationen umgesiedelt werden sollen. Es ist wichtig, dass die Tiere aus mehreren verschiedenen Populationen stammen, damit die genetische Vielfalt erhalten bleibt.

Und dann stellen Sie Fallen auf?

Genau. Die gefangenen Exemplare werden auf Krankheiten untersucht und mit Peilsendern versehen, bevor sie in den neuen Lebensraum entlassen werden. In manchen Fällen, wenn die Wildpopulation einer Art bereits so stark geschrumpft ist, dass wir nur noch sehr wenige Exemplare fangen können, schalten wir ein kurzes Zuchtprogramm ein – die meisten kleinen australischen Säugetiere vermehren sich schnell.  Das Ganze kann ein bis zwei Jahre dauern.

Und dann ist das Projekt abgeschlossen?

Nein, auch die anschließende Überwachung dauert mehrere Jahre. Mithilfe der Peilsender können wir überwachen, in welchem Zustand sich die Tiere befinden, wie aktiv sie sind, ob sie sich fortpflanzen – sogar, wer mit wem den Bau teilt! Nur ein einziges Mal mussten wir eine Umsiedlung wegen einer schweren Hitzewelle absagen, die die Tiere zu sehr gestresst hätte. Ansonsten waren unsere Projekte durchweg erfolgreich.

Welche Tierarten wollen Sie als nächstes umsiedeln?

Wir planen gerade für 2023 die Wiederansiedlung des Golden Bandicoot in Newhaven und des Western Quoll in Mount Gibson. Es gibt noch viele weitere Arten, die von einer Umsiedlung profitieren könnten. In einer Studie über bestehende Schutzgebiete listet ein Team von sieben australischen Universitäten fast 30 bedrohte Arten auf, darunter mehrere Wallaby-Arten, kleine Bettongs, Possums und Baumrattenarten. In der Studie wird auch empfohlen, so schnell wie möglich mehr und größere Schutzgebiete zu schaffen.

Die Umsiedlung von Tier- und Pflanzenarten wird in der Wissenschaft sehr kontrovers diskutiert. Wie kann man verhindern, dass die Neuankömmlinge anderen Tieren oder Pflanzen schaden, vielleicht sogar andere Arten verdrängen?

Diese Frage spielt für uns eine sehr wichtige Rolle! Vor der Umsiedlung schauen wir uns die Gebiete auch in dieser Hinsicht sehr genau an, um sicher zu sein, dass die Ressourcen für die Tiere ausreichen. Natürlich verändert sich ein Ökosystem, wenn eine Tierart hinzukommt. Aber in unseren Projekten sind diese Auswirkungen sogar vorteilhaft: Bilbys zum Beispiel bauen weit verzweigte Höhlen und lockern beim Graben den Boden auf, was gut für die Vegetation ist. Sie verbreiten Pflanzensamen, wenn sie sich durch die Landschaft bewegen. Und in ihren Tunneln finden andere kleine Säugetiere Schutz, wenn es draußen sehr heiß oder sehr kalt ist. In Australien besteht mittlerweile ein breiter Konsens, dass Umsiedlungen von Tierarten ein notwendiger Teil von Naturschutzmaßnahmen sind, um das Artensterben aufzuhalten.

Kann man immer sicher sein, dass der Nutzen die Risiken überwiegt? Eine andere australische Tierschutzorganisation will gefährdete südafrikanische Breitmaulnashörner über den Indischen Ozean fliegen und in Australien aussetzen ...

Die Umsiedlung von Tieren in ein völlig anderes Ökosystem würde ich nicht unterstützen! Die Arten, die wir umsiedeln wollen, waren in Australien früher weit verbreitet. Die Risiken sind daher überschaubar und wir können sie gut vorhersehen und kontrollieren. Inzwischen haben wir auch viel Erfahrung gesammelt und lernen ständig dazu – auch von anderen Projekten, denn es gibt weltweit immer mehr Beispiele für die Umsiedlung bedrohter Tier- und Pflanzenarten. Das Artensterben hat sich in einem so erschreckenden Tempo beschleunigt, dass ich es für das größte Risiko halte, nichts zu tun!
 

Unterstützte Migration

„Unterstützte Migration“ (engl. „managed relocation“/„assisted colonization“/„assisted migration“/„translocation“) ist die planmäßige Umsiedlung bedrohter Tiere oder Pflanzen in ein anderes Habitat, in dem sie gute Überlebensbedingungen haben. Schon vor Jahrzehnten wurde Wölfe im Yellowstone-Nationalpark und Schwarzbären in Arkansas erfolgreich wiederangesiedelt. Seit einiger Zeit gibt es verstärkt Bestrebungen, bedrohte Arten auch in Gebieten anzusiedeln, in denen sie früher nicht heimisch waren. Begründet wird dies mit den Auswirkungen des Klimawandels auf die Lebensräume, an die sich viele Arten nicht schnell genug anpassen können. Insbesondere diese Form der unterstützten Migration wird von vielen Forschenden wegen zu hoher Risiken abgelehnt: Die neu angesiedelten Arten könnten durch eingeschleppte Krankheiten oder unkontrollierte Vermehrung andere Tiere und Pflanzen verdrängen und ganze Ökosysteme aus dem Gleichgewicht bringen.