Umweltschutz und Technologie „Eine Renaissance der Natur“
Können moderne Technologien gewinnbringend eingesetzt werden, um den Naturschutz zu fördern und verlorenes Vertrauen wieder herzustellen? Der Software-Ingenieur David Dao ist dieser Überzeugung und hat deshalb den gemeinnützigen Fond GainForest ins Leben gerufen. Im Gespräch berichtet er von seinem persönlichen Verhältnis zur Natur, der Entstehungsgeschichte von GainForest und dem großen Einfluss indigener communities auf seine Arbeit.
David Dao, GainForest steht für den Einsatz moderner Technologien wie künstliche Intelligenz, um zum Schutz der Natur beizutragen. Sie selbst haben eine Vergangenheit im Silicon Valley, einem Ort, der kaum Assoziationen mit unberührter Natur auslöst - wie kam es zu der Idee, Technologie und Naturschutz zusammenzubringen?
Das stimmt, im Silicon Valley selbst ist nicht viel Natur, wobei es etwas außerhalb in der Bay Area wirklich sehr schön ist. Für den Klimawandel interessiere ich mich seit meiner Schulzeit. Als ich im Gymnasium war, habe ich Al Gores Film Eine unbequeme Wahrheit angeschaut, der mich ziemlich schockiert hat. Die ursprüngliche Heimat meiner Eltern ist im vietnamesischen Regenwald und ich selber bin im Schwarzwald aufgewachsen. Dadurch waren Wald und Klimawandel für mich schon immer miteinander verknüpft. Die Zündung kam dann, als ich aus dem Silicon Valley raus bin, weil ich etwas Gutes mit meinen Fähigkeiten bewirken wollte. Ich bin für viele Monate durch Asien gereist, habe während dieser Zeit mit lokalen communities gelebt und mich ganz zufällig für einen Hackathon der Vereinten Nationen beworben. Und plötzlich hat es bei mir Klick gemacht: meine Arbeit im Silicon Valley, wo wir viel mit Künstlicher Intelligenz (KI) gearbeitet haben, die communities, der Wald – ich habe festgestellt: man könnte eigentlich KI einsetzen, um den Wald zu beobachten und zu schützen. Aus diesem Hackathon ist vor fünf Jahren GainForest entstanden und seitdem hat die Idee uns nicht losgelassen.
Welche konkreten Einsatzmöglichkeiten gibt es für moderne Technologien, um herkömmliche Formen des Naturschutzes zu ergänzen und möglicherweise zu verbessern?
Als moderne Gesellschaft sind wir nicht wirklich mit der Natur verbunden und deswegen ist Naturschutz häufig unterfinanziert. Daher müssen die Gelder, die wir haben, effizient eingesetzt werden. Für den Schutz des Waldes heißt das: Wälder wie der Amazonas sind gigantisch, daher muss man verstehen, welche Regionen sind am gefährdetsten, welche bedürfen besonderem Schutz? KI kann dabei helfen, Vorhersagen zu machen, wo Gefahren einer illegalen Abholzung drohen und wo die besten Chancen bestehen, um Bäume anzupflanzen und um CO2 aus der Atmosphäre zu ziehen. Man kann mit Algorithmen aber auch eine Abschätzung des Wertes von Natur erstellen. Für Investitionen ist es immer wichtig, den Wert von Dingen zu kennen. Mithilfe von Technologie kann genau bewertet werden, welche „Leistung” ein Wald erbringt – wie viel Wasser gereinigt wird, wie viel Sauerstoff produziert wird – und das alles hat einen Marktwerkt für die Gesellschaft, den kann man mit Algorithmen genau bemessen kann.
Ein wichtiges Konzept, mit dem GainForest arbeitet, ist der Einsatz vertrauensfördernder Technologien? Inwiefern kann Technologie zu einem erhöhten Vertrauen beitragen, während vielen Menschen das Vertrauen in Technologie und insbesondere in die großen multinationalen Technologiekonzerne fehlt?
Wir verlieren Vertrauen in Technologiekonzerne, weil diese Monopole sind. Google beherrscht unsere Suchen, Facebook beherrscht unser Social Media. Das muss aufgebrochen werden - wie in einer fairen und guten Gesellschaft muss geteilte Verantwortung und gegenseitige Beobachtung garantiert sein. Eine solche Dezentralisierung von Macht war eigentlich die Grundidee des Internets. Bei GainForest machen wir es so: am Anfang vertraut man unseren Algorithmen, unseren Bewertungen und Bemessungen. Aber auf lange Sicht ist unsere Plattform offen für alle, um eigene Algorithmen einzubringen. Derzeit haben wir intern ein Stipendienprogramm laufen mit dem wir Forscher*innen aus dem globalen Süden unterstützen - aus Afrika, Südamerika, Südostasien - die häufig keine Stimmen haben im Technologiesektor. Mit dem Programm wollen wir Anreize schaffen, damit sie ihre eigenen Modelle erstellen und ihre eigenen Daten sammeln, die wir dann auf der Plattform - natürlich mit Hinweis auf die Ursprünge der Datensätze - veröffentlichen. Wir hoffen, dass GainForest dadurch als Plattform dezentraler wird und mit der Zeit von den Leuten beherrscht wird, die Algorithmen entwickeln und Daten sammeln. Wir stellen außerdem aus Gründen der Transparenz alle Rohdaten, mit denen wir arbeiten, auf die Blockchain, und hoffen, durch diese Transparenz der Algorithmen und durch offenen Code wieder mehr Vertrauen in Technologie schaffen können, das vielfach verloren gegangen ist.
Der ethische Umgang mit Daten ist eine zentrale Frage für die zukünftige Arbeit mit KI-basierten Technologien. Wie geht GainForest mit der Problematik von Bias in bestehenden Datensätzen und Modellen um?
Ich beende gerade mein Doktorat an der ETH Zürich und eine der wichtigsten Erkenntnisse, die wir publiziert haben, ist die folgende: die derzeitigen zentralen Algorithmen, die wir haben, um beispielsweise zu messen, wo wie viel Biomasse in einem Wald ist, sind natürlich auf den Daten basierend entwickelt worden, die wir haben. Und die meisten Daten, die wir derzeit haben, sind noch immer aus Nordamerika und Europa, wodurch die Algorithmen natürlich verzerrt sind. Man sieht das ganz klar, dass wenn man eine Vorhersage macht, dass diese derzeit super funktioniert im Kontext der USA und für große Flächen, aber sehr schlecht für kleine Flächen in Südamerika und überhaupt nicht für Afrika. Und das ist natürlich problematisch, denn wenn du Algorithmen für communities im globalen Süden einsetzen möchtest, dann kannst du ja nicht sagen: „Sorry, unser Algorithmus funktioniert sehr schlecht für euch, Pech gehabt!” Wir sponsern deshalb aktiv Forschung in diesen Regionen und geben Geld aus, um die Infrastruktur in unseren Pilotregionen in den Philippinen, in Afrika und in Südamerika zu verstärken. Die einzige Art und Weise, Bias zu bekämpfen, ist, einen gerechten Datensatz zu erstellen und dazu gehört es auch, die beteiligten Menschen fair zu bezahlen und in die Projekte zu integrieren.
Ihrer gesamten Arbeit liegt der Ansatz zugrunde, von den traditionellen Verwalter*innen der Natur zu lernen („learning from nature’s stewards“). Warum ist eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe mit indigenen Bevölkerungen so wichtig?
Ich glaube, in unserem Technologie-Sektor fehlt es besonders an Demut. Wir denken immer wir haben alle Lösungen für diese Welt, aber das stimmt nicht. Oft entwickeln wir etwas und merken danach erst, dass es von anderen Regionen auf der Welt nicht benutzt wird. Wir müssen Dinge entwickeln, die auch benutzt werden, aber dafür müssen wir erstmal verstehen, was eigentlich gebraucht wird. Es war für uns von Anfang an wichtig, nicht einfach unsere Vorurteile zu implementieren. GainForest selbst würde auch gar nicht existieren ohne den communities. Nachdem wir das Hackathon-Projekt gewonnen haben, war es für uns erstmal zu Ende. Erst durch die Zusammenarbeit mit der indigenen Bevölkerung, den Kayapó, konnten wir unser Projekt wirklich realisieren. Wir waren begeistert darüber, dass wir als Team daran arbeiten konnten, wie wir die Kayapó community bei der Naturschutzarbeit unterstützen können. Zunächst mussten wir aber sehr viel von ihnen lernen.
Haben Sie konkrete Beispiele dafür, inwieweit das Projekt von dem Weltbild und den Ideen der indigenen Gruppen, wie den Kayapó im brasilianischen Amazonasgebiet, profitieren konnte?
Wir haben am Anfang, zum Speichern der Datengruppen, eine Blockchain benutzt, die nicht so energieeffizient war. Damit sind wir erstmal auf große Kritik von den communities gestoßen und mussten umdenken: Technologie ja, aber nicht um jeden Zweck. Wir haben dann die Plattform geändert und sind auf eine energieeffiziente Blockchain umgestiegen. Das war die erste direkte Lektion, die wir gelernt haben. Die zweite Lektion haben wir gelernt, als wir ein Modell entwickelt haben, wo wir jede Person bezahlen wollten. Je mehr Bäume man in die App einträgt, desto mehr Geld würde man bekommen. Aber dann kam die Rückmeldung von den communities, dass es nicht schlau ist, jede einzelne Person zu bezahlen, weil dann ein Wettbewerb entsteht. In der Kultur der Kayapó arbeiten alle zusammen, ohne Wettbewerbsgedanken. Das hat uns auch stark zum Nachdenken bewegt. Derzeit haben wir deshalb eher ein hierarchisches System, wo wir den Ältesten vertrauen, die die Organisation führen und das Geld fair verteilen. Das sind so Sachen, die lernt man nicht, wenn man einfach nur vor dem Computer sitzt. Am Ende des Tages ist das wirklich mein Lieblingsteil der Arbeit: vor Ort die Natur zu erleben, aber auch mit den communities zu kommunizieren und zu verstehen, was sie wirklich brauchen und wie man die Gelder am effizientesten verteilen kann.
Umweltschutz und das Bewahren von Lebensraum sind zentral für die kulturelle Identität der Kayapó. Inwieweit können hieraus Impulse für die globale Umweltschutz-Bewegung entstehen?
Ich bin immer traurig, wenn ich auf die COP gehe und die Leute reden über die indigenen communities, aber im Panel sitzen mal wieder nur Leute aus Europa. Ich glaube, man kann wirklich viel von ihnen lernen, aber der erste Schritt ist sie auch wirklich einzuladen. Das ist wieder das Problem des Mangels an Demut im Technologie-Sektor. Wir denken, wir können über jeden reden und jeden vertreten, aber ich glaube nicht, dass ich in einem Panel über indigene Völker und deren Wissen berichten kann. Das ist einfach so eine andere, aber zugleich faszinierende Weltanschauung. Ich finde, dass wir als Gesellschaft derzeit eine Renaissance der Natur erleben. Besonders in der Pandemie haben wir die Natur wieder langsam schätzen gelernt und trotzdem sind wir noch stark von der Natur entbunden. Eine Sache, die ich immer gerne ausprobiere, ist die Augen zu schließen und mir Natur vorzustellen. In Deutschland und Europa sehen die meisten Leute Flüsse, Berge oder Wälder, aber keine Menschen. Aber wenn die indigenen Völker die Augen schließen, dann sehen sie sich selbst. Ich finde das richtig stark! Das kann man von ihnen lernen. Immer wieder zurück zur Natur zu finden, eine Bindung zu schaffen, eine Brücke zu bauen. Weil wenn man sich von der Natur getrennt fühlt, dann schätzt man sie auch nicht wirklich.
Herr Dao, Sie waren kürzlich beim Weltklimagipfel COP27 in Sharm el Sheikh. Welche Ideen nehmen Sie von dort für ihre eigene Arbeit mit GainForest in den kommenden Jahren mit?
Seit unserem ersten Klimagipfel vor fünf Jahren, haben wir als Team jeden Weltklimagipfel besucht. Leider haben wir auch gesehen, dass sich, zumindest in Bezug auf den CO2 -Anstieg, nicht viel geändert hat. Man sieht auch ganz oft, dass die Akteure viel versprechen, aber nicht viel liefern. Das ist etwas, was unsere Arbeit bei GainForest ganz besonders motiviert. Wir müssen einfach messen können, was sich ändert. Wir dürfen Leuten nicht nur das Wort abkaufen, sondern wir müssen wirklich mit transparenten Daten und Algorithmen argumentieren können, um zu zeigen, dass viele Versprechen einfach nicht umgesetzt werden. Das Ziel von GainForest ist es deshalb, transparente, globale Daten bereitzustellen. Eine Sache gibt mir aber Hoffnung. Es gibt eine Gruppe, die in den Weltklimagipfeln der letzten fünf Jahre extrem viel erreicht hat: Junge Aktivist*innen. Sie haben selbst Programme erstellt, um Delegierte aus dem Globalen Süden, die normalweise nicht genug Geld haben, um überhaupt zur Klimakonferenz zu fliegen, zu finanzieren. Sie haben außerdem hunderte von Delegierten aus indigenen Völkern auf die Weltklimakonferenz gebracht, sie trainiert und ihnen eine Stimme gegeben. Ich glaube, der Wandel entsteht, weil sich ganz viele Leute weigern, einfach nur zu warten, dass irgendwas passiert, sondern jetzt die Initiative ergreifen. Das ist auch die Mission von GainForest. Je weniger Zeit wir haben, desto mehr müssen wir selbst handeln. Mal sehen, was wir in den nächsten Jahren noch erreichen können.
Vielen Dank! Das ist doch eine schöne hoffnungsvolle Note, mit der wir rausgehen.
Hintergrund
GainForest ist eine interdisziplinäre und internationale gemeinnützige Vereinigung mit Sitz in Zürich. Sie besteht aus Ingenieur*innen, politischen Entscheidungsträger*innen und Forscher*innen aus Deutschland, den USA, dem Vereinten Königreich, Indonesien und Argentinien.
Ziel von GainForest ist es, die Zerstörung der Natur rückgängig zu machen und insbesondere der globalen Entwaldung entgegenzuwirken. Hierfür werden Technologien wie Künstliche Intelligenz (KI) und Drohnen eingesetzt, um schützenswerte Naturräume zu analysieren, kategorisieren und ihren Wert für die Gesellschaft sichtbar zu machen.
Im Zentrum der Arbeit von GainForest steht ein gemeinschaftsbezogener Ansatz, der eine gleichberechtigte Zusammenarbeit mit indigenen communities vorsieht. Ziel ist es, von indigenen Methoden des Naturschutzes zu lernen sowie menschenwürdige und nachhaltige Arbeit für vom Klimawandel bedrohte Bevölkerungen zu schaffen.