Ein Gespräch mit Calvin Ratladi A Gathering In A Better World
„A Gathering In A Better World“ möchte ein weltweites Netzwerk für Künstler*innen mit Behinderungen im Tanz schaffen, für die es nach wie vor kaum Strukturen oder Angebote gibt. Ein Interview mit Calvin Ratladi über die Kuration der Johannesburger Ausgabe des Projekts.
Calvin Ratladi Calvin Ratladi: So etwas Fantastisches wie dieses Projekt habe ich in meiner gesamten Karriere noch nicht gemacht. Ich arbeite bei A Gathering mit unglaublichen Künstler*innen zusammen. Ich beschäftige mich intensiv mit der Sichtbarmachung ihrer Geschichten und ihrer Arbeit. Ich bin an einem Gespräch interessiert, das über Inklusion hinausgeht. Es geht darum, wie wir uns gegenseitig zur Menschlichkeit zurückbringen. Meiner Meinung nach existiert ein historisches System, wie wir bestimmte Körper sehen und wie bestimmte Körper wahrgenommen werden sollen, wenn wir ihnen begegnen. Ich weigere mich, die Darstellung zu glauben, dass unsere Definition von Behinderung in Afrika gewalttätig ist. Das ist eine Darstellung, die konstruiert wurde.
Calvin Ratladis Arbeit erstreckt sich über eine ganze Reihe von Bereichen. Der interdisziplinäre Künstler arbeitet als freischaffender Produzent, Regisseur, Autor, Schauspieler/Performer, Choreograf, Feldforscher, Dramaturg, Kurator und Kulturmanager für verschiedene Ensembles, Organisationen und Institutionen, darunter William Kentridges Centre for the Less Good Idea. Neben seiner Vielseitigkeit wird Ratladi auch hochgeschätzt für sein Engagement für Identität, Körperpolitik in der Postkolonialität sowie dafür, Menschen mit Behinderungen eine Stimme zu geben.
Calvin Ratladi: Menschen mit Behinderungen wurden lange von der Teilnahme an der Gesellschaft ausgeschlossen – zudem wurde die Geschichte von Menschen mit Behinderungen noch nicht geschrieben. A Gathering wird zu einer Chance, diese Teilnahme zu reklamieren und zu dokumentieren, was uns historisch gesehen verweigert wurde. Ich habe in meiner Karriere nie ‚inklusive‘ Werke gemacht – ich habe meinen Körper verhandelt, ohne meine Existenz zu verhandeln. Das geht auf meine Praxis zurück – es ist mir als Künstler gelungen, nicht als behinderter Künstler gesehen zu werden, insbesondere, wenn ich auf der Bühne bin – ich bin in der Lage, meinen Körper zu verschlucken, als Mensch gesehen zu werden, und meinen Körper dorthin zu bringen, wo er zum magisch-realistischen Wesen oder zur Methapher wird.
Die Johannesburger Ausgabe von „A Gathering“ vernetzt Kunstschaffende mit Behinderungen aus dem subsaharischen Afrika in einer Serie von Workshops, Masterklassen, Gesprächen (Podcasts), Kollaborationen, Texten und der Produktion neuer Arbeiten. Das Projekt versteht sich als experimenteller, performativer und spielerischer Raum für Austausch und Dialog zwischen Kunst- und Kulturschaffenden, deren Praxis sich mit sozialer Gerechtigkeit und Behinderung beschäftigt. Im Gespräch über seinen eigenen künstlerischen Prozess verrät Calvin Ratladi, was er über sein Handwerk gelernt hat.
Calvin Ratladi: Meine Haltung ist die, in erster Linie Schüler zu sein. Ich versuche Verbindungen herzustellen, die auf Erfahrungen beruhen, wo ich innerhalb des soziopolitischen Umfelds hineinpasse. Ich frage mich, wie ich mir selbst treu bleiben kann. Was macht einen guten Regisseur aus? Was lässt einen annehmen, dass die eigene Auffassung etwas Besonderes ist? Das ist der Punkt, an dem du deine Erfahrung und deinen Blickwinkel, von dem aus du die Welt siehst, einbringen und authentisch sein musst – und dich mutig einlassen musst auf eine Reise.
Ich bin neugierig, welche Entscheidung hinter dem Wort „gathering“ steckt. In Calvin Ratladis Erklärung schimmert die Vision durch, die hinter seinem Ansatz steht.
Calvin Ratladi: Die Absicht dahinter, es ein gathering, ein Zusammenkommen zu nennen, ist folgende: Wenn wir in Afrika zusammenkommen, tun wir das zu sakralen, rituellen, zeremoniellen Zwecken – und das ist hier nicht anders – hier werden wir Teil eines Rituals, durch das wir uns selbst in das Konzept der Menschlichkeit zurückverhandeln. Wenn wir kommen, um zusammen zu sein, kommen wir aus diesen Gründen. Wir sind nicht hier, um euch anzubetteln – bitte kommt und koexistiert mit behinderten Menschen. Ihr kommt, um behinderte Menschen in ihrer Brillanz zu sehen. Der größte Traum dieses Zusammenkommens ist die daraus hervorgehende Publikation. Wissenschaftler*innen sind eingeladen, dabei zu sein und Beiträge zu schreiben – jedes Jahr soll bei einem Gathering eine neue Publikation entstehen, um das Archiv weiter anzureichern. Das ist wirklich ein ganz wunderbares Projekt.
Über das Projekt
„A Gathering in a Better World“ (TGIABW) richtet vom 1. bis 5. März 2023 eine fünftägige interdisziplinäre Serie von Workshops und Masterklassen in Johannesburg aus. Diese Workshops und Masterklassen richten sich an Kunst- und Kulturschaffende, die an einer für alle inklusiven Praxis und Performance interessiert sind. TGIABW hat externe Kunstschaffende und Praktizierende aus unterschiedlichsten Feldern eingeladen, Teil des Programms zu sein. Das Programm an Workshops und Masterklassen wird neben anderen Disziplinen Theatermachen, Schreiben, Choreografie, Design, Bewegung und Tanz beleuchten und von namhaften Praktizierenden und Pädagog*innen aus Südafrika und Mosambik präsentiert. Das geplante Resultat ist die Präsentation eines Konzepts für eine neue Live-Performance, die während der Workshops und Masterklassen entwickelt und bei einer öffentlichen Aufführung vorgestellt wird. An der Präsentation sind renommierte Kunstschaffende wie Hlengiwe Lushaba Madlala, Chuma Sopotela, Nadine McKenzie, Andile Vellem, Teresa Phuti, Thulane Chauke, Nceba Gongxeka, Sello Sebotsane, Anathi Conjwa, Siphenati Mayekiso und Calvin Ratladi beteiligt.