Zwischen Tradition und queerer Identität Kambodschas „First Gay Dance Company“
Prumsodun Ok hilft einem Tanzschüler mit einer Pose | Foto (Detail): © Kay Nara
Traditioneller Khmer-Tanz und queere Identitäten: das ist die Grundlage für Prumsodun Oks Tanzkompanie. Er hat in Kambodscha die erste schwule Tanzkompanie gegründet.
In einem lichtdurchfluteten Zimmer schallen die rhythmischen Stimmen der Tänzer im Gleichklang. Im gemeinsamen Takt stampfen sie abwechselnd das linke und rechte Bein auf den Boden, während sie Arme und Hände kunstvoll verdrehen. Was mit seinen Terracotta-Fliesen und dem bunt geschmückten Altar wie ein Tanzstudio anmutet, ist in Wahrheit das Wohnzimmer von Prumsodun Ok. Der in den USA geborene Kambodschaner ist vor sieben Jahren in dieses Apartment in Phnom Penh, in Kambodscha, gezogen, um seine Tanzkompanie NATYARASA zu gründen. Seine Gruppe ist schon in Deutschland und Japan aufgetreten, eine Tour durch die USA ist geplant. Die Mitglieder der Gruppe teilen allesamt eine Vorliebe für den Volkstanz Kambodschas, dem sogenannten Khmer Classical Dance oder auch Robam Preah Reach Trop, der aufwändige Kostüme erfordert und sich durch feine, langsame Handbewegungen auszeichnet. Der Tanz, der ursprünglich nur der reichen und königlichen Bevölkerung vorbehalten war, gilt als höchstes kulturelles Gut der Bevölkerung und wird traditionell nur von Frauen getanzt. Das Besondere: Prumsodun Oks Tänzer sind nicht nur Männer, sondern auch schwul.In einer Gesellschaft, die mehrheitlich dem eher toleranten Buddhismus folgt, sind gleichgeschlechtliche Paare keine Seltenheit auf den Straßen. In Kambodscha ist die gleichgeschlechtliche Ehe allerdings nicht legalisiert und das soziale Stigma ist noch immer vorherrschend. Vor allem in ländlicheren Regionen kann ein öffentliches Outing dazu führen, aus der Familie und Gesellschaft verstoßen zu werden. Trotzdem fühlt sich Ok in seinem Heimatland als queerer Mensch wohl: „Es ist wirklich spannend, die Menschen sind oft schockiert, wenn ich ihnen erzähle, dass ich mich hier als schwuler Mann sicherer fühle als in Amerika.“
Seit seiner ersten Reise nach Kambodscha im Jahr 2008 hat sich die LGBTQ+-Community stark verändert. Sie ist sichtbarer geworden, die Menschen drücken ihre Identität freier und öffentlicher aus und viele Initiativen setzen sich für gleiche Rechte ein. „Ich glaube Kategorien wie ‚queer‘ können uns eine Stimme und damit Macht verleihen. Trotzdem müssen wir aufpassen, dass sie nicht zu einem Käfig werden, in dem wir uns selbst einsperren“, sagt Ok, der in seiner Kompanie vor allem das Tanzen in den Vordergrund der Gruppe stellt.
Kombination aus traditioneller Khmer-Kultur und queeren Identitäten
Trotzdem vermarktet NATYARASA sich als „First Gay Dance Company“ und trifft damit einen Nerv: Die Kombination aus traditioneller Khmer-Kultur und queeren Identitäten scheint vielen Menschen wie ein Widerspruch. Doch Ok, der sich intensiv mit klassischem Tanz und seiner Entstehungsgeschichte beschäftigt hat, sieht eindeutige Übereinstimmungen: „Wir haben nicht besonders viele Dokumente auf Khmer, aber die wenigen, die wir haben, reichen bis ins 13. Jahrhundert zurück. Im reimke, einem der wichtigsten klassischen Dramen, gibt es einem Abschnitt, in dem ein kdoy, also jemand, der weder weiblich noch männlich ist, damit beauftragt wird, auf die Heldin aufzupassen. Das ist eine Machtposition und ein Privileg.” Die Tatsache, dass die alten Texte ohne die binäre Geschlechtsaufteilung funktionieren, sieht Ok als Beweis dafür, dass queere Menschen, die sich nicht mit klassischen Geschlechterrollen identifizieren, schon immer Teil der Gesellschaft waren.Im Herzen von Phnom Penh bildet der studierte Filmemacher mittlerweile schon die zweite Generation an Tänzern aus, die sich in professionelle Künstler und junge Nachwuchstalente aufteilen. Diese bringen nicht immer passende Vorkenntnisse mit: „Ich finde die Tänzer nicht, ich mache sie hier zu Tänzern. Meine Aufgabe als Lehrer ist es, die Kunst in ihnen zu erwecken. Den Moment in ihren Augen zu erkennen, wenn sie endlich verstanden haben, warum sie tun, was sie tun. Dann verkörpern sie Schönheit.”
Ganz besonders fällt Khuoen Chay auf. Erst als sein Lehrer nach dem Ausklingen der Musik das Zeichen gibt, lässt er die Schulterblätter erschöpft zusammensacken und entspannt den Körper. Zwischen den Tanzeinheiten wischt er sich den Schweiß von der Stirn und versorgt alle mit Wasser. Der großgewachsene 25-Jährige kam 2019 in die Kompanie. Davor hat er in einem ländlich geprägten Außenbezirk der Hauptstadt gelebt und die Tanzgruppe nur als Außenstehender wahrgenommen: „Ich wusste, dass es NATYARASA gab, aber ich traute mich nicht, Teil davon zu werden. Meine Familie unterstützte mich zu dem Zeitpunkt nicht und ich hatte Sorge, allein zu sein. Jetzt weiß ich: Diese Arbeit hier ist mein Traum und ich kann es schaffen!“ Khuoen ist einer der erfolgversprechendsten Tänzer der Kompanie und plant im Sommer nach Thailand zu ziehen, um auch international erfolgreich zu werden. Über seine Zeit in der Kompanie zieht er eine positive Bilanz: „Als ich herkam, dachte ich, Tänzer zu sein ist einfach. Aber hier habe ich gelernt, dass nichts schwerer ist, als ein Künstler zu sein. Ich musste hart arbeiten, denn normalerweise trainieren klassische Tänzer von Kindheit an. Trotzdem würde ich die Kompanie gegen nichts in der Welt eintauschen“, bekennt der junge Mann.
Was sich Ok aufgebaut hat, trifft allerdings nicht nur auf Zuspruch. Vor allem die ältere Generation der Kambodschaner*innen stößt sich sehr an der Verbindung von traditionellen Elementen und schwuler Kultur. Initiativen, die die Schließung der Kompanie fordern, waren besonders zu Beginn sehr aktiv. Doch inzwischen begeistert Oks Tanzkompanie auch jene demografischen Schichten, die sich nicht in der queeren Identität der Gruppe repräsentiert sehen: „Die Älteren erkennen den Wert meiner Kunst. Selbst wenn sie bestimmte Entscheidungen nicht nachvollziehen können oder gutheißen, schätzen sie mich als Lehrer. Dass wir eine schwule Tanzkompanie sind, finden manche nicht gut, aber sie unterstützen unsere Anstrengungen, die klassische Khmer-Kultur weiterzutragen“, erzählt Ok.