Villa Kamogawa in Berlin
Türstopper, Schallplatte und Eimer auf Reisen

Michael Hirschbichler, Kurator der Austellung „Villa Kamogawa in Berlin“.
Michael Hirschbichler, Kurator der Austellung „Villa Kamogawa in Berlin“. | Foto (Ausschnitt): © Matteo Fieni

130 Stipendiat*innen konnten in zehn Jahren schon in der Künstler*innen-Residenz Villa Kamogawa arbeiten. Für das Jubiläum war pandemiebedingt besondere Kreativität gefragt – das Endprodukt wird ab 28. April 2022 in der Ausstellung „Villa Kamogawa in Berlin“ präsentiert. Kurator Michael Hirschbichler war 2019 selbst Resident der Villa Kamogawa. Er berichtet von seinen Erfahrungen vor Ort und gibt Einblicke in die Ausstellung.

Was erwartet Besucher*innen der Ausstellung „Villa Kamogawa in Berlin“?

Michael Hirschbichler: Im Zentrum der Ausstellung stehen Arbeiten von 73 ehemaligen Stipendiat*innen der Villa Kamogawa. Dabei handelt es sich jedoch nicht um fertige Kunstwerke. Da das zehnjährige Jubiläum der Villa Kamogawa, das im vergangenen Jahr stattfand, von der Pandemie überschattet wurde, stellte sich uns die Frage, wie eine Ausstellung unter diesen besonderen Umständen aussehen könnte. Für Personen war es nicht möglich nach Japan zu reisen, aber Dinge konnten die Grenzen auf dem Postweg nach wie vor überqueren. Zugleich war es uns wichtig, die besondere Situation einer Künstler*innen-Residenz zu reflektieren – und den Fokus somit mehr auf das Prozesshafte zu richten als auf fertige Werke. Hieraus entstand die Idee, die bisher 130 Stipendiat*innen einzuladen, uns in einem Paket der Deutschen Post ein „Verbindungsstück“ zu schicken. Solche „Verbindungsstücke“ – japanisch: つなぐモノ語り (tsunagu mono gatari) können jedwede Dinge sein, mit denen wir alltäglich zu tun haben und die aus dem ein oder anderen Grund bedeutungsvoll werden – als Fundstücke oder Erinnerungsstücke, als Gegenstände, die einen bestimmten Eindruck bewahren oder hervorrufen, ein Gefühl, eine Stimmung oder ein Verhältnis. Besonders interessiert hat uns die Tatsache, dass diese Objekte mit dem Leben und den Biografien von Künstler*innen verflochten sind, und dass sie kulturelle Erfahrungen und Zugänge, persönliches Erleben und künstlerische Arbeit, Personen und Institutionen, Situationen und Begebenheiten miteinander verknüpfen.

Matthias Hoch, Japan Skizzen, 2014
Matthias Hoch, Japan Skizzen, 2014 |

Auf die Einladung hin erhielten wir von 73 Künstler*innen unterschiedlichste Stücke: Kleidungsstücke, Lebensmittel, Geschirr, Zahnpasta, Bücher, einen Kompass, Stickereien, Schmuck, Musikinstrumente, Visitenkarten, Vasen und Schalen, einen Eimer, einen Türstopper (mit Handlungsanweisung), Pflanzenteile, ein Wörterbuch, Stifte, eine Tragtasche, Schallplatten, Proben und Versuche aus dem künstlerischen Arbeitsprozess (sozusagen im Werden begriffene Werke – Modelle, Zeichnungen, Fotografien etc.) und einiges mehr. Die in der Ausstellung versammelten Dinge lassen an ein zeitgenössisches Kuriositätenkabinett denken, oder an eine ethnologische Sammlung. Und in der Tat ist ein solcher ethnologischer Blick lohnend, der sich auf die zahlreichen persönlichen und kulturellen Verwicklungen richtet, in die die Verbindungsstücke eingebunden sind. Auch wenn Dinge strenggenommen weder sprechen noch handeln, können sie zum Sprechen und Handeln Anlass geben. Einen derartigen Anlass möchte die Ausstellung bieten und dazu anregen, anhand der gezeigten Stücke den Zwischenraum zwischen Material und Erzählung, zwischen Alltag und Kunst sowie zwischen kulturellen Positionen zu erkunden.

Was zeichnet die Villa Kamogawa aus?

Michael Hirschbichler: Die Villa Kamogawa ist zunächst ein Haus am Fluss inmitten von Kyoto mit sehr schönen Künstler*innenapartments, das es deutschen Kulturschaffenden ermöglicht, für eine Zeit von drei Monaten in Japan zu leben und sich auf je eigene Art mit dem dortigen Umfeld auseinanderzusetzen. Neben der finanziellen Unterstützung ist das wichtigste hierbei, dass man dies nicht alleine tun muss, was besonders im Fall Japans eine große Herausforderung wäre. Was die Villa Kamogawa besonders auszeichnet, ist ein Team vor Ort, das bei täglichen Belangen und bei der künstlerischen Arbeit unterstützt, das bei Recherchen hilft und Kontakte herstellt. Diese Unterstützung habe ich persönlich als sehr wichtig und besonders wertvoll empfunden. Darüber hinaus ist man nicht allein, da jeweils vier Stipendiat*innen zusammen in der Villa Kamogawa leben – mit allen Vor- und Nachteilen, die ein solches Zusammenleben bietet.
Villa Kamogawa in Kyoto.
Villa Kamogawa in Kyoto. | Foto: © Noriko Sawai/Goethe-Institut
Sie selbst waren 2019 Stipendiat der Villa Kamogawa. Was waren Ihre persönlichen Höhepunkte während Ihrer Zeit dort?

Michael Hirschbichler: Für mich war der Aufenthalt an der Villa Kamogawa insofern besonders, als ich kurz zuvor Vater geworden war. Ein Höhepunkt bestand für mich daher zunächst darin, dass meine Familie für einen Teil der Zeit mitkommen durfte. Das ist bei vielen Residenzprogrammen leider immer noch schwierig oder unmöglich. Dementsprechend intensiv und positiv bleibt die Zeit in Kyoto in meiner Erinnerung. Ich denke auch gerne an die gemeinsamen Abendessen, Ausflüge und Unternehmungen mit meinen Mitstipendiat*innen Leni Hoffmann, Lea Letzel und Jacopo Salvatori zurück. Ein inhaltlicher Höhepunkt sind für mich ferner die intensiven Eindrücke, die ich bei meinem tage- und nächtelangen Aufenthalt an verschiedenen Geisterorten gewonnen habe. Mein Projekt in Kyoto bestand darin, mich mit dem mit Geistervorstellungen aufgeladenen mythologischen Grund der zeitgenössischen Stadt auseinanderzusetzen.

Hinterlässt ein solcher Austausch tatsächlich Spuren in den Werken von Künstler*innen?

Michael Hirschbichler: Auch wenn es kitschig oder aus Sicht der Kulturförderung idealisiert klingen mag, bin ich davon überzeugt, dass ein solcher Austausch tatsächlich Spuren in Künstler*innen und ihren Werken hinterlässt. Ganz allgemein gesagt: Jede Lebenserfahrung hinterlässt ihre Spuren, auch wenn diese nicht immer gleich deutlich zutage treten. Wichtig ist es, diese Prägung nicht exotisierend zu begreifen – in dem Sinn, dass die Werke der Stipendiat*innen in der Folge irgendwie „japanischer“ seien, oder etwas in dieser Richtung. Aber Künstler*innen-Residenzen bieten in jedem Fall einen Raum, um Erfahrungen zu machen, die man nicht machen könnte, wenn man zu Hause bliebe – Erfahrungen, die man sich im wörtlichen Sinn er-fahren (bzw. er-laufen, er-fliegen oder sonst wie er-reisen) muss. Dabei kann es sich um flüchtige alltägliche Eindrücke, Geschmäcker, Gerüche, Begegnungen, Situationen etc. handeln, um Freundschaften und Beziehungen für’s Leben, um mitunter tiefgreifende ästhetische Erfahrungen, um Themen, die man für lange Zeit weiterverfolgt usw. Genau um solche Erfahrungen und Beziehungen, die irgendwo zwischen Kunst und Leben stattfinden und die nicht materiell eingefangen werden können, die jedoch mit bestimmten Dingen und Situationen in Zusammenhang stehen und die sich längerfristig in künstlerischen Werken niederschlagen, geht es in der Ausstellung.
 
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