AUTOMAT
Wir üben nicht, wir nehmen auf

Automat
AUTOMAT | © Martin Walz

Jochen Arbeit lebt seit 1980 in Berlin und gehörte der Künstlerbewegung Geniale Dilletanten an. Nachdem er sich 1983 als Gitarrist der erfolgreichen Band Die Haut anschloss, wurde er 1997 offizielles Mitglied der berühmten Avant-Garde Noise Band Einstürzende Neubauten.
 

Erzähl uns etwas über Automat – über die Mitglieder, die Entstehung der Band und darüber, wie ihr komponiert und produziert.

Automat ist ein Trio aus Berlin mit den Mitgliedern Arbeit, Färber und Zeitblom. Am Anfang haben wir nur für das Radio aufgenommen. Unser Aufnahme- und Produktionsansatz ist es mit elektronischer Begleitung live im Studio zu spielen, was zu spontanen Kompositionen, oder auch Improvisation, führt. Wir üben nicht, wir nehmen einfach auf. Und meistens benutzen wir schon die ersten Aufnahmen für die Produktion. Die letzte Platte Plus-Minus haben wir innerhalb von drei Tagen aufgenommen, ein Tag Overdubs und am Ende schneidet unser Produzent alles zusammen.

Von Dub beeinflusst

Einer der Haupteinflüsse eurer Musik ist Dub. Einige Leute behaupten, für Künstler die keinen Reggae-Hintergrund haben, wäre es schwer, diese Art von Musik zu „fühlen“. Was begeistert euch an Dub?

Ich bin mit Dub und Reggae aufgewachsen. In den frühen 1970ern hatte ich einen Freund in der Nachbarschaft, etwa in meinem Alter, elf oder zwölf Jahre - der bekam Dub-Platten aus London geschickt. Da hörte ich zum ersten Mal Dub. Das war anders, als alles was ich bislang gehört hatte. In den 1980er Jahren waren Punk, Dub und Old-School Reggae in allen Berliner Clubs und Bars zu hören, zusammen mit all dem anderen, was sich damals da abspielte. Dub begleitet mich also schon lange, und durch die Arbeit mit Automat wächst meine Begeisterung stetig weiter.

Automat ist vorwiegend eine instrumentale Band. An eurem Debutalbum haben aber auch drei bekannte Gast-Sängerinnen mitgewirkt: Blixa Bargeld, Lydia Lunch und Genesis P-Orridge.  In einigen Veröffentlichungen wurde diese Zusammenarbeit als „A real Berlin affair“ beschrieben – bietet Berlin noch immer einen fruchtbaren Boden für künstlerische Experimente, so wie in den 1980ern?

Nein. Die Stadt ist jetzt anders. Dieses Berlin existiert nicht mehr. Wenn man jung ist, kann man diese besondere Dynamik der Stadt vielleicht noch irgendwo finden. Aber es ist nicht mehr so einfach einen Platz zu finden, an dem man sich ausprobieren kann, Dinge erfahren kann. Heute ist alles kommerzialisiert. In den 1980ern dachte niemand daran, mit Musik Geld zu verdienen, das war nicht möglich. Es gab keinen Markt für unsere Kunst. Galerien waren für uns nicht zugänglich. Wir mussten alles selbst erfinden. Die Idee der Selbstorganisation ist immer noch die Antriebskraft hinter dem, was ich mache und ich hoffe, dass sich dieser Ansatz auch heute noch in meiner Arbeit zeigt. Diese künstlerische Einstellung wurde zu einer Art Lebensphilosophie für mich.

Kreative Prozesse und das Publikum

Was Geniale Dilletanten machten, wurde von deinen Zeitgenossen als komisch und bizarr wahrgenommen. Einige Jahre später organisiert das Goethe-Institut als Kurator hierzu eine internationale Ausstellung. Woran merkt das Publikum, ob es etwas zu sehen oder zu hören bekommt, das dann viele Jahre später noch relevant ist?

Das weiß ich nicht. Es ist nicht möglich zu sagen, was bleibt und was nicht, während man es gerade tut, besonders wenn man jung ist  - und wir waren damals alle sehr jung. Außerdem denkt man über all diese Dinge gar nicht nach, wenn man sie gerade macht. Man muss es einfach probieren und sein Bestes geben. Meiner Erfahrung nach ist es im kreativen Prozess nicht hilfreich darüber nachzudenken, wie das Publikum darauf reagieren wird. Aber ich muss zugeben, dass es sich etwas merkwürdig anfühlt, ein historisch relevanter Teil der Kultur geworden zu sein, mit etwas, was so lange zurück liegt und was in der Tat komisch und bizarr war. Vielleicht könnte man sagen, wir waren unser Zeit voraus, was für Musik, Kunst und eigentlich alles ein wichtiger Faktor ist.

Abgesehen von deinen Musikprojekten, wirkst du auch schon lange in experimentellen Kunstprojekten mit, wie Tanz und Performance. Erzähl uns mehr darüber.

Ich habe eine Produktionsfirma namens AADK mit zwei Künstlern/Tänzern. Abraham Hurtado kommt aus Spanien. Vania Rovisco aus Portugal. Beide waren Mitglieder der Meg Stuart Dance Company und starteten 2005 eine Residenz an der Volksbühne. Wir haben uns nachts in Bars getroffen und uns über unsere Arbeit ausgetauscht. Dabei fanden wir schnell heraus, dass wir in der Musik und im Tanz eine ähnliche Arbeitsweise teilen, und zwar die der Improvisation. Also fingen wir an, stundenlang in Galerien zu performen und organisierten über sieben Jahre Festivals, ohne jegliche Unterstützung. Diese Dynamik, diese Energie und die Intensität hat mich sehr an das erinnert, was wir damals in den 1980ern gemacht haben. Ich habe es als sehr erfrischend empfunden einen anderen Weg des Ausdrucks und der Arbeit zu finden. 2012 sind die beiden Künstler in ihre Heimatländer zurückgekehrt. Abraham leitet ein Kunstzentrum in Blanca, Spanien. Vania arbeitet als Kuratorin in Lissabon, Portugal. Wir treffen uns noch häufig und arbeiten zusammen. Außerdem habe ich in den letzten zehn Jahren Musik geschrieben für Tanz und andere Performances, wann immer möglich.



AUTOMAT
Instrumentalband aus Berlin mit Jochen Arbeit (Einstürzende Neubauten, Die Haut), Achim Färber (Project Pitchfork, Prag) und Georg Zeitblom (Sovetskoe Foto).