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Shoshana Liessmann
300 Jahre Immanuel Kant

Immanuel Kant in Königsberg
Kant in Königsberg | Illustration von Antje Herzog

Zum 300. Geburtstag im Jubiläumsjahr 2024 wird Immanuel Kant als revolutionärer Denker und bedeutender Philosoph der Aufklärung gefeiert. Gleichzeitig werden sein Ideenkosmos und seine Person kritisch diskutiert. Ein Überblick von Shoshana Liessmann.

Von Shoshana Liessmann

Am 22. April 1724 wurde der Philosoph Immanuel Kant im ostpreußischen Königsberg geboren. Kant stammte aus einer pietistischen Handwerkerfamilie. Nach einer hervorragenden Schulbildung in seiner Heimatstadt (heute Kaliningrad in der Russischen Föderation) ließ der sich mit 17 Jahren an der Universität einschreiben. Ab 1755 war er als angesehener Privatdozent tätig. Seine Fächer umfassten Logik, Metaphysik, Moralphilosophie, Mathematik, Physik, Geografie, Anthropologie, Pädagogik und Natürliche Theologie. Erst 1770, im Alter von 56 Jahren, wurde er zum ordentlichen Professor für Logik und Metaphysik berufen.

Königsberg, damalige Residenz- und Hauptstadt an der Mündung der Pegel in die Ostsee gelegen, war weniger vom höfischen Leben als vielmehr von Bürgertum, Handel und Handwerk geprägt. Mit wenigen Ausnahmen verließ Kant seine Heimatstadt bis zu seinem Tod 1804 nicht, obwohl gerade im 18. Jahrhundert das Reisen als Form persönlicher Bildung hoch im Kurs stand. Kants Wissen über die Welt stammte also nicht aus seiner eigenen Erfahrung, sondern aus der Perspektive unterschiedlicher Reiseberichte. Es überrascht, dass dieser „Sesselreisende“ sich mit der Frage nach Leben auf anderen Planeten beschäftigte und dieses für möglich hielt.

Der tägliche Spaziergang

Die Biografie Kants erscheint wenig ereignisreich, wenn man sie von seinem philosophischen Wirken entkoppelt. Weitläufig bekannt ist sein strikter Tagesablauf mit den täglichen Spaziergängen, die er scheinbar auf die Minute genau beendete. In der pedantischen Routine zeigt sich seine konsequente Disziplin, mit der er sich insbesondere seinen drei Kritiken widmete: Kritik der reinen Vernunft (1781), Kritik der praktischen Vernunft (1788) und Kritik der Urteilskraft (1790). Sie gelten als revolutionärer Wendepunkt der europäischen Philosophie.

Die Tischgesellschaft

Bekannt ist auch Kants Tischgesellschaft, die er 1786 ins Leben rief. Kant war nicht nur zeitlebens ein beliebter Gast, sondern wurde ebenso als guter Gastgeber geschätzt, der regelmäßig einen größeren Zirkel zu sich einlud und damit Geselligkeit und Freundschaften pflegte. Gebildete Frauen wie die angesehene Königsberger Salonnière und Künstlerin Caroline von Keyserlingk fanden an seinem Tisch allerdings keinen Platz, obwohl er selbst deren häufiger Gast im Musenhof der Keyserlingks war.

Sapere aude!

1784 veröffentlichte Kant in der Berlinischen Monatsschrift seinen berühmten Essay „Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?“. Die Frage war ein Jahr zuvor von einem anderen Autor eher beiläufig in einer Fußnote gestellt worden. Kants Antwort enthält eine weiterhin gültige Definition der Aufklärung und deren Wahlspruch: „Sapere aude! Habe Muth, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“ Kant, der in einem absolutistischen System lebte, forderte kritisches Denken ein, also eine moralische Autonomie, die den Menschen aus einer selbstverschuldeten Unmündigkeit führt.

Kant und KI

Vernunft wird dabei zum Prüfstein der Erkenntnis und muss gleichzeitig ihre eigenen Grenzen erkennen. Dabei stellen sich (die weiterhin relevanten) Fragen: Was kann ich wissen? Was soll ich tun? Was darf ich hoffen? Was ist der Mensch? Kant bietet uns seinen Begriff der Freiheit an, der aber nur unter gegenseitiger Anerkennung der Freiheit des anderen funktioniert. In Kants Ideenkosmos gibt es einige aktuelle Anknüpfungspunkte, wie seine Idee des Weltbürgerrechts im Kontext aktueller Migrationspolitik, die Wissensfrage im Zeitalter der Digitalisierung oder seine Überlegungen zur Ästhetik, angewandt auf KI-generierte Kunst.

Kritische Begegnung

Zurecht ist man Kant immer wieder kritisch begegnet. Sein eklatanter Rassismus und Antijudaismus sowie seine herabsetzenden Äußerungen über Frauen sind Gegenstand einer neueren kritischen Debatte um den Philosophen. Die bloße historische Kontextualisierung, die ihn als Mensch seiner Zeit erklärt, genügt nicht, denn die Positionen waren damals keineswegs einheitlich. Wie konnte Kant, der als ein Vordenker der universellen Menschenrechte gilt, zu solchen Haltungen kommen? Belegt ist, dass Kant rund ein Drittel seines Vermögens der Königsberger Zuckerraffinerie vermachte, obwohl schon Zeitgenossen die Kolonialware Zucker aufgrund des damit verbundenen Sklavenhandels und der Ausbeutung ablehnten. Nachvollziehbar also, dass Kant zur strittigen Figur geworden ist, und generell eine Dekolonisierung der europäischen Ideengeschichte eingefordert wird.

Die wissenschaftliche Aufarbeitung hat rassistische, antijüdische und sexistische Strukturen aufgedeckt und darüber hinaus die Widersprüchlichkeit Kants gezeigt. Der Vordenker der Aufklärung war selbst noch kein aufgeklärter Mensch. Unbedingt sollte diese Auseinandersetzung weiter selbstkritisch genutzt werden, um sich auch der Kontinuitäten jener diskriminierenden Denktraditionen bis in die heutige Zeit bewusst zu werden und sie ganz im Sinne der Aufklärung zu überwinden.

Wo feiern?

Bereits 2016 begannen die Vorbereitungen für den Kongress der internationalen Kant-Gesellschaft im Jubiläumsjahr 2024. Der Kongress sollte in Kants Heimatstadt, dem heutigen Kaliningrad, stattfinden. Als im Februar 2022 der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine begann, wurde Kant zu einem der häufig zitierten Philosophen innerhalb der Reflexion dieses Krieges – nicht zuletzt wegen seiner bekannten Altersschrift Zum ewigen Frieden von 1795. Kants moralphilosophische Überlegungen, wie dauerhaft Frieden zwischen den Völkern hergestellt werden kann, beeinflusste 150 Jahre später auch die Charta der Vereinten Nationen. Der Kant-Kongress wurde schließlich nach Bonn verlegt. Doch unter anderen Vorzeichen findet im Jubiläumsjahr auch in Kaliningrad ein Kant-Kongress statt, der die wichtige Frage nach der Vereinnahmung von Philosophen aufwirft.

Das Interesse an Philosophie scheint in den letzten Jahren in Deutschland gestiegen zu sein. Es geht um die menschlichen Fragen des Seins und des Handelns. Vielleicht steckt dahinter auch ein Bedürfnis, die multiplen Krisen, die Polarisierungen und die Herausforderungen unserer Zeit philosophisch zu durchdenken?

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