Nachhaltig nach Afrika – ohne Safari und tanzende Zulus
Das Start-up „Mingle Africa“ bietet Studien- und Bildungsreisen nach Uganda, Tansania und Südafrika an – jenseits eurozentrischer Klischees. Damit wollen sich die Gründerinnen Nora Witt und Tatjana Spähn nicht nur von herkömmlichen Reiseanbietern, sondern auch von bei Abiturienten beliebten Freiwilligen-Programmen abgrenzen. Im jádu-Interview spricht Nora Witt über Afrika-Stereotype, nachhaltiges Reisen und über das Crowdfunding für ihr Start-up.
Nora, mit „Mingle Africa“ wollt ihr ein Gegenmodell zu bestehenden Afrika-Reiseveranstaltern entwerfen. Wo liegt das Problem bei den herkömmlichen Anbietern?
Wir haben im Wesentlichen zwei große Kritikpunkte. Zum einen ist da der Nachhaltigkeitsaspekt. Vom Tourismus in afrikanische Länder profitiert bisher kaum die jeweilige Bevölkerung, sondern der größte Teil des Profits geht an die einschlägigen internationalen Hotelketten. Zum anderen stört uns vor allem die Vermarktung des afrikanischen Kontinents durch diese Anbieter. In der Werbung für Afrika-Reisen werden die immer gleichen Stereotype bedient. Dabei entsteht ein oft sehr verklärtes Bild des Kontinents. Afrika besteht immer aus Landschaft, Safari und tanzenden Zulu-Kriegern. Wer eine Bildungsreise nach Rom unternimmt, erhält dort eine Einführung in antike Geschichte, Kunst, Philosophie – all das wird bei herkömmlichen Reisen nach Afrika meist völlig ausgeblendet. Im Gegenteil wird ein ganzer Kontinent auf eurozentrische Klischees reduziert.
Euer Angebot konzentriert sich bisher auf drei Länder: Uganda, Tansania und Südafrika. Wie kommt es zu dieser Auswahl?
Wir legen Wert darauf, zunächst Reisen in Länder zu veranstalten, in denen wir selbst längere Zeit gelebt haben und die wir sehr gut kennen. Wir glauben, dass dies die entscheidende Voraussetzung ist, um wirklich tiefgründige Studienreisen anbieten zu können, die es auf dem touristischen Markt bislang kaum gibt.
Ihr bezeichnet euer Start-up auch als „nachhaltigen Reiseveranstalter“. Besteht da nicht schon ein Widerspruch – in Fernreisen und Nachhaltigkeit?
Natürlich schicken auch wir unsere Touristen nicht in Schlauchbooten nach Afrika. Allerdings haben wir auf unserer Webseite einen Kompensationsrechner verlinkt, mit dem die Kunden ihren ökologischen Fußabdruck, der bei ihrer Reise entsteht, berechnen können. Wir weisen auf der Homepage außerdem auf Möglichkeiten hin, die entstandene Umweltbelastung zu kompensieren, etwa über die gemeinnützigen Organisationen MyClimate oder atmosfair. Zudem kann man bei uns keine Kurztrips buchen. Die Mindestdauer unserer Reisen beträgt 15 Tage. Auf der Studienreise selbst vermeiden wir schließlich Inlandsflüge. In Südafrika zum Beispiel werden größere Strecken per Zug zurückgelegt. Städte lassen wir unsere Touristen per Fahrrad oder zu Fuß erkunden. Unser Verständnis von Nachhaltigkeit bezieht sich aber nicht nur auf den ökologischen Aspekt. Nachhaltigkeit wird leider häufig ausschließlich auf ökologische Aspekte bezogen. Ein nachhaltiges Unternehmen sollte aber alle drei Dimensionen von Nachhaltigkeit beachten: die ökologische, ökonomische und soziale. Worum es uns vor allem geht, ist die soziale Nachhaltigkeit.
Was bedeutet das konkret für eure Reisen?
Das bedeutet, dass die lokale Bevölkerung auch wirklich von unserem Tourismus profitieren soll. Das heißt, dass es sich bei den Unterkünften auf unseren Reisen nicht um internationale Hotels handelt, sondern um wirklich lokale Betriebe. Den Großteil der Unterkünfte, in denen wir unsere Touristen unterbringen, kennen wir außerdem selbst. In den Ländern, in denen es ein gutes Zertifizierungssystem gibt, achten wir darauf, dass unsere lokalen Partner nachhaltigkeitszertifiziert sind – das trifft zum Beispiel auf unseren Partner Abang in Südafrika zu. Dort können wir dank dieser Zertifikate auch darauf achten, Reisen mit Unterkünften anzubieten, in denen eine umweltgerechte Verpflegung gewährleistet ist.
Eure Crowdfunding-Kampagne auf EcoCrowd läuft noch bis 9. Januar. Was passiert mit dem Geld, das ihr dort eintreibt?
Das Crowdfunding dient in erster Linie dazu, unser Eigenkapital für den Kredit zu erhöhen. Wir sind bisher mit 12.000 Euro Eigenkapital so aufgestellt, dass wir einen Kredit über 70.000 Euro erhalten. Von diesem Geld fließt ein Großteil in erste Investitionen, die bei einer Unternehmensgründung nötig sind, zum Beispiel die Webseite und das Marketing.
Wie seid ihr auf den Namen „Mingle Africa“ für euer Start-up gekommen?
„Mingle“ bedeutet so viel wie „sich unter die Leute mischen“. Genau das wollen wir mit unserem Reiseangebot erreichen: Die gerade bei Afrika-Reisen leider typische Distanz zwischen Reisenden und Einheimischen zu überbrücken. Es ist zum Teil schockierend zu beobachten, dass Touristen sechs Wochen in einem afrikanischen Land verbringen können, ohne in Kontakt mit einer schwarzen Person zu kommen – außer vielleicht, wenn sie von ihr bedient werden. In Südafrika, wo sich dieser tiefe Graben ja teilweise auch noch immer durch die Gesellschaft zieht, ist dieses Phänomen besonders sichtbar. Leider manifestieren sich deshalb bei organisierten Afrika-Reisen häufig eher bestehende Rassismen als dass sie sich abbauen.
Neben euren Studienreisen habt ihr auch Bildungsreisen für eine sehr junge Zielgruppe im Angebot. Für 18 bis 25-Jährige bietet ihr einen „Campus“ in Uganda, Tansania und Südafrika an. Was ist darunter zu verstehen?
Ein Angebot in dieser Form gibt es auf dem deutschen Reiseveranstalter-Markt bislang noch gar nicht. Einen Markt dafür müssen wir uns also erst schaffen. Bei der Entwicklung des „Campus“ als Reiseformat haben wir uns an den typischen Uni-Exkursionen orientiert, an denen Tatjana und ich während unseres Studiums der geographischen Entwicklungsforschung in Bayreuth teilgenommen haben. Das wollen wir jetzt auch für ein jüngeres Publikum anbieten und damit vor allem ein Gegenmodell zu sogenannten Volunteer-Programmen sein. Auf dem Campus finden Seminare und Workshops statt, die wir mit lokalen Partnern vor Ort organisieren. Das ist uns sehr wichtig: Es ist nicht unser Ansatz, in ein Land zu gehen, um irgendjemandem etwas beizubringen. Im Gegenteil: Wir bringen die Teilnehmer in die Situation, von lokalen Experten und Partnern zu lernen. Im Vorfeld der Reise findet außerdem ein langes Vorbereitungsseminar in Deutschland statt, in dem es um kulturelle Fettnäpfchen und Rassismen geht, aber auch um die Erwartungshaltung, mit der wir in ein Land reisen. Das ist der große Unterschied zu den beliebten Volunteer-Programmen.
Inwiefern sind diese Volunteer-Programme problematisch?
Das typische Volunteer-Programm verläuft in etwa so, dass junge Menschen nach dem Abitur für vier Wochen nach Südafrika reisen und dort mit Kindern Fußball spielen. Mein wesentlicher Kritikpunkt daran ist: Bei einem so kurzen Aufenthalt bleibt man einfach Tourist. Sich herauszunehmen, in dieser Zeit einer anderen Gesellschaft etwas „beibringen“ zu können, halte ich für vermessen. Zudem stellt sich die Frage: Was kann ein so junger Mensch aus Deutschland an Expertise mitbringen, die nicht vor Ort auch vorhanden ist? Ich habe letztes Jahr in der Vorbereitung auf den Campus einige Volunteers in Südafrika interviewt und war schockiert von vielen Antworten, die ich bekommen habe. In einem Interview hat sich eine Abiturientin beispielsweise darüber beschwert, dass der Lehrer, mit dem sie dort zusammenarbeitete, ihre Kritikpunkte nicht umgesetzt habe. In so einer Reaktion kommt das verbreitete Vorurteil zum Ausdruck, in Afrika gäbe es keine Experten. Die Frage ist doch, warum ein ausgebildeter Lehrer die Kritikpunkte einer 18-Jährigen umsetzen sollte. Mein Eindruck war, dass sich auch bei dieser Art des Reisens eher bestehende Vorurteile bestätigen als dass ein Verständnis für Gemeinsamkeiten hergestellt wird. Zudem kommt auch hier der verklärte Hilfsgedanke zum Vorschein, den eine echte Entwicklungszusammenarbeit eigentlich überbrücken sollte. Die Welt wird nicht gerettet, wenn man mal vier Wochen mit einem afrikanischen Kind Fußball spielt.