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Lebendige Erinnerung

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Eine junge Deutsche betreut in Olomouc Nazi-Opfer

Die 18-jährige Verena aus München absolviert nach ihrem Abitur einen sogenannten Freiwilligendienst. In Olomouc arbeitet sie im Rahmen des Projekts Živá paměť (Lebendige Erinnerung) mit alten Menschen, die unter dem Nationalsozialismus gelitten haben.

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Verena mit einem ihrer Klienten. Der 85-Jährige aus Olomouc wurde während des Zweiten Weltkriegs zur Zwangsarbeit in Deutschland genötigt. Foto: privat

Warum bist du nicht direkt nach dem Abitur an eine Uni gegangen?

Ich wollte nach der Schule unbedingt ein freiwilliges soziales Jahr machen. Ehrenamtliches Engagement lag mir schon immer am Herzen, sowohl in der Schule oder in meiner Pfarrgemeinde. Das Ganze mit einem Auslandaufenthalt zu verbinden, stellt natürlich einen noch größeren Reiz dar. Man lernt neue Menschen und Kulturen kennen . Durch Bekannte habe ich von der Organisation „Aktion Sühnezeichen Friedensdienste“ erfahren. Ihr Angebot hat mich sehr angesprochen. Sie schicken junge Leute aus Deutschland in die Länder, die unter dem Nationalsozialismus gelitten haben.

Worin genau besteht deine Arbeit hier in Olomouc?

Ich arbeite mit der Organisation Živá paměť zusammen, die sich ebenfalls um Opfer des Nationalsozialismus kümmert. Im Rahmen dieses Projekts besuche ich alte Menschen zu Hause, unterstütze sie im Alltag, helfe ein bisschen beim Putzen, Backen oder Kochen, gehe für sie oder mit ihnen einkaufen, und Ähnliches. Oder ich unterhalte mich einfach mit ihnen, denn oft fehlt ihnen die Gesellschaft.

Wie reagieren deine Klienten auf dich?

Eigentlich bin ich sehr positiv überrascht. Es läuft wirklich gut. Ich habe nur eine Klientin, mit der ich einfach persönlich nicht so gut auskomme. Sie ist sehr kritisch, zum Beispiel wenn ich bei ihr Staub sauge oder so. Ansonsten freue ich mich jeden Tag auf die Arbeit. Wenn ich alle Fenster putzen soll, ist das nicht so schön, aber es ist sehr nett zu sehen, wie sich die Leute darüber freuen. Sie sind auch sehr offen zu mir und reden wirklich viel. Ab und zu zeigen sie mir auch Fotos. Es sind nicht immer nur lustige Geschichte, die sie mir erzählen. Als mir zum Beispiel einer meiner Klienten gesagt hat, dass sein Vater in Ausschwitz umgebracht wurde, sind das Momente, in denen man nicht richtig weiß, was man antworten soll. Ich kann sie nur bewundern, wie fröhlich sie heute sind und wie gut sie mit diesen traurigen Themen umgehen können.

Unterhältst du dich mit ihnen auf Deutsch?

Ja, wenn sie Deutsch können. Ich war erstaunt darüber, wie viele noch sehr gut Deutsch sprechen. Dann habe ich noch zwei Klienten, die kein Deutsch können, mit denen rede ich fast nur auf Tschechisch. Wenn es um einfache Dinge aus dem Alltag geht, funktioniert das irgendwie. Ich kann ihnen erzählen, was ich am Wochenende gemacht habe oder sie sagen mir, was sie gemacht haben. Wenn sie längere Geschichten erzählen, verstehe ich nicht alles, aber sie sind zufrieden, selbst wenn ich nur zustimmend lächle.

Wann hast du überhaupt begonnen Tschechisch zu lernen?

Erst als ich wusste, dass ich nach Tschechien gehe, habe ich einen Anfängerkurs in München absolviert. Dann wurde ein Intensivkurs im Sommer angeboten. Das war eine Woche in Telč in Südböhmen. Das hat mir ziemlich geholfen. Im Alltag habe ich inzwischen kaum noch Probleme, ich kann Essen bestellen, Einkaufen gehen und so weiter. Auch mit den Klienten, mit denen ich nur Tschechisch spreche, komme ich immer besser zurecht, ich verstehe jedes Mal ein bisschen mehr und kann auch ein bisschen mehr sagen. Aber oft ist es auch so, dass ich das Tschechisch gar nicht brauche, denn es gibt hier so viele Leute die Deutsch sprechen, auch unter den Studenten. Sie reden wirklich gerne mit mir Deutsch. Das hätte ich nie gedacht! Tschechisch ist wirklich eine schwere Sprache, z.B. die sieben Fälle lassen mich doch manchmal verzweifeln. Aber ich lerne es gerne, und finde es immer wieder toll, wie sehr sich die Tschechen freuen, wenn ich mit ihnen Tschechisch spreche, auch wenn ich meistens ziemlich viele Fehler mache.

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Verena ist in nur einem halben Jahr heimisch geworden in Olomouc. Foto: privat

Warum hast du dich überhaupt für Tschechien entschieden? War das deine eigene Entscheidung?

Ich wollte zuerst unbedingt nach Russland gehen. Dann war ich aber bei einem Auswahlseminar, auf dem alle Länder vorgestellt wurden. Ich habe mir Tschechien angeschaut und gedacht: „warum eigentlich nicht“. Ich habe mich an einige schöne Urlaube erinnert, die wir da gemacht haben. Und ich habe auch an meinen Opa gedacht, der Sudetendeutscher ist und manchmal noch schlecht über die Tschechen redet wegen der Vertreibung. Und ich wollte dazu beitragen das Unrecht des 20. Jahrhunderts wieder gut zu machen. Das klingt natürlich sehr übertrieben, aber das war auch ein Kriterium.

Wie haben deine Eltern und Freunde reagiert, als du ihnen mitgeteilt hast, dass du ein Jahr in Tschechien verbringst?

Meine Eltern haben mich wirklich unterstützt. Bei den Freunden war die Reaktion eher zurückhaltend. Die haben mich kopfschüttelnd gefragt: „Tschechien? Wirklich? Was machst du da?“ Aber ich schreibe einen Blog über meine Eindrücke und viele wollen jetzt zu Besuch kommen.

Wie sieht es mit dem Wohnen aus? Wo und mit wem wohnst du?

Zuerst habe ich in einer Studenten-WG gewohnt, die zwar schön war, aber wir waren zu dritt in einem Zimmer. Ich weiß, dass das hier normal ist, aber ich konnte mich daran nicht gewöhnen. Jetzt habe ich ein schönes Einzelzimmer in einer Dreier-WG. Meine Mitbewohnerinnen sind Tschechinnen, die ein bisschen Deutsch sprechen. Wir reden meistens eine Mischung aus beiden Sprachen, wobei das Tschechische immer mehr wird. Einer Mitbewohnerin gebe ich Deutschunterricht, da sie es für ihre Arbeit braucht.

War es schwer für dich, neue Kontakte zu knüpfen? Was machst du eigentlich in deiner Freizeit?

Am Anfang war das schon schwierig, aber mittlerweile habe ich schon nette Leute kennen gelernt, vor allem durch ein Tandem-Programm. Ein Mädchen, das über dieses Programm kenne, hat mir bei der Wohnungssuche sehr geholfen. Ich treffe mich oft mit meinen Tandempartnern und habe durch sie auch noch andere Leute kennengelernt. Ich reise auch viel in Tschechien, weil die Bahnpreise im Vergleich mit Deutschland sehr niedrig sind und ich natürlich möglichst viel vom Land sehen will.

Du bist jetzt ein halbes Jahr in Tschechien. Wenn du ein Halbzeit-Fazit ziehensolltest, was würdest du sagen? Hast du die Entscheidung irgendwann bereut?

Es ist tatsächlich schon mehr als ein halbes Jahr vergangen, seit ich Olomouc zum ersten Mal sah… Das kann ich gar nicht glauben! Ich sehe das Ende nun schon auf mich zurasen, obwohl es ja noch 5 Monate sind. Die Anfänge hier waren wirklich nicht ganz einfach, aber inzwischen fühle ich mich richtig wohl und heimisch. Ich kenne mittlerweile viele nette Leute und finde es jedes Mal irgendwie toll, wenn ich, die ich ja eigentlich die Fremde bin, andauernd Bekannte auf der Straße treffe. Die Arbeit macht immer noch sehr viel Spaß und die alten Leute wachsen einem trotz ihrer Macken ziemlich ans Herz. Auch wenn es natürlich manchmal Schwierigkeiten gab, habe ich die Entscheidung nie bereut! Aus schwierigen Situationen lernt man und erfreuliche gibt es ja auch sehr viele, und die machen mich glücklich!

Das Interview führte Pavlína Šrajtrová

Copyright: Goethe-Institut Prag
Mai 2012
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