„Nie dasselbe, aber immer schön“
Cirk La Putyka wurde 2009 gegründet und ist inzwischen zum größten zeitgenössischen Zirkus Tschechiens angewachsen. Im Sommer erwischt man keinen der Artisten zum Interview – wohl aber die Theaterwissenschaftlerin Veronika Štefanová, die an ihrer Promotion über Cirk La Putyka schreibt.
Was unterscheidet Cirk La Putyka von anderen Zirkussen?
Es war die erste tschechische Gruppe, die sich selbst offiziell als Zeitgenössischen Zirkus bezeichnet hat. Zwar waren sie in Tschechien nicht die ersten mit der Idee, Zirkuskunst mit Theaterkunst zu kombinieren – beispielsweise gibt es schon einige Jahre das Festival Letní Letná, das eine ganze Reihe ausländischer Gruppen, die Neuen Zirkus machen, nach Prag brachte. Sich als Gruppe aber in die Kategorie „Zeitgenössischer Zirkus“ einzureihen – das war neu in Tschechien. 2009 hatte Cirk La Putyka die erste Aufführung. Damit brach das Eis sozusagen: nicht nur die Tschechen fanden es vor allem witzig, auch im Ausland hat man sich für die tschechische Interpretation des Neuen Zirkus begeistert. Das Besondere an Cirk La Putyka ist auch, dass die Artisten anfangs gar keine professionellen Akrobaten waren, sondern Schauspieler und Sportler, die sich neu ausprobieren wollten.
Was bedeutet das auf die Performances bezogen?
Die ersten Mitglieder des Cirk La Putyka waren keine Akrobaten, sondern Schauspieler und Tänzer. Sie sind mit Akrobatik nicht wie gelernte Zirkusleute von klein auf vertraut. Das hat Vor- und Nachteile. Zuerst ist es für die Darsteller natürlich schwer gewesen, sich die Bewegungen anzueignen. Denn im Zirkus muss jede Bewegung sitzen, Tricks müssen jedes Mal gleich ablaufen, sonst funktioniert es nicht. Darin haben sie sich aber geübt, viel Energie und Zeit in diese vollkommen neue Ausbildung investiert.
Auf der anderen Seite ist es natürlich toll, dass durch die eigentlichen „Professionen” der Darsteller des Cirk La Putyka frische Inszenationsmöglichkeiten und -ansätze hereinkommt, dass der Zirkus eine theatrale Seite bekommt, eine Art dramatischer Zirkus, der auch unglaublich witzig sein kann – nicht nur ästhetisch ansprechend.
Als ich dich um das Interview gebeten habe, warst du überrascht, dass ich mich für Cirk La Putyka interessiere – ist das denn nicht üblich?
... dass du als Ausländerin nach dem tschechischen zeitgenössischen Zirkus fragst, meinst du? Das ist ziemlich ungewöhnlich. Für viele Tschechen ist der Neue Zirkus einfach selbstverständlich geworden. Sie mögen es und sind neugierig. Sie gehen einfach hin und sehen sich das an. Die Ausländer wissen oft gar nicht, dass Tschechien auch für den traditionellen Zirkus bekannt war. Der hat bei uns eine lange Geschichte: er war während des Kommunismus verstaatlicht, aber paradoxerweise war er damals auf seinem Zenit. Nach der Revolution wurde er wieder privatisiert und heute interessiert sich kaum jemand wirklich dafür; Gelder bekommt er nicht, es geht um kommerzielle Unternehmen, die von Eintrittsgeld und kommerziellen Veranstaltungen leben. Der Cirk La Putyka hingegen ist ein künstlerisches Ensemble. Das tschechische Kulturminiterium hat zwar keinen speziellen Fond für den Neuen Zirkus, er wird aber als Bewegungstheater und Tanz unterstützt.
Wie extrem geht es bei Cirk La Putyka zu? Werden auch gefährliche Kunsttücke gezeigt?
Auf jeden Fall, vor allem weil sich Cirk La Putyka auch Disziplinen wie teeterboard oder Trampoline im Programm hat. Aber der Sinn der Sache ist keinesfalls auf die bestehende Gefahr hinzuweisen. Das Extreme spielt im zeitgenössischen tschechischen Zirkus eigentlich keine bedeutende Rolle. Wer besonders gefährliche Hochseilkünste sucht, ist eher im traditionellen Zirkus gut aufgehoben, in dem es darum geht dem Publikum das Risiko vorzuführen, um dafür Bewunderung und Applaus zu ernten. Das ist auch in Ordnung, deswegen wurde ja der traditionelle Zirkus gegründet.
Im Neuen Zirkus geht es um den ästhetischen Eindruck und und die Akrobatik ist dabei das Ausdrucksmittel. Interessant ist, wie die Darsteller des Neuen Zirkus die Bewegungen selbst wahrnehmen, nämlich eher als physisches Theater. Manchmal sagen sie, es sei mehr Tanz als Zirkus, manchmal mehr Drama als Zirkus: es ist nie dasselbe, aber immer schön.
An welchen Vorbildern aus dem Ausland orientiert sich Cirk La Putyka?
Natürlich baut die Gruppe auf den Wurzeln des zeitgenössischen Zirkus auf: dem Cirque Nouveau, den es ja schon seit den 1970er Jahren in Frankreich gibt. Aber vor allem organisatorisch hat Tschechien und auch Cirk La Putyka das west- und nordeuropäische Vorbild vor Augen: im Gegensatz zu Ländern wie eben Frankreich, Skandinavien, Italien, Spanien oder Großbritannien gibt es in Tschechien keine spezielle Zirkusausbildung. Das wünschen sich hier natürlich alle, obwohl ich persönlich genau den Ursprung aus der Theaterwelt so interessant finde. Im internationalen Vergleich nimmt Cirk La Putyka demnach eine besondere Stellung ein, sie haben es auch „ohne“ geschafft.
Also hat Cirk La Putyka inzwischen einen Namen in der internationalen Szene?
Ja, auf jeden Fall. Sie kooperieren zum Beispiel mit einem Ensemble von Maksim Komaro aus Finnland, das ist ein berühmter Jongleur. Und auch mit Schweden und Franzosen haben gemeinsame Projekte: Lacrimae und CARE. Und dann sind da die ganzen Auftritte an den verschiedensten Orten auf der ganzen Welt von Sydney und Shanghai bis Edinburgh und Marseille.
Wenn man sich so lange und so intensiv mit Zirkus beschäftigt wie du, hat man dann nicht selbst das Verlangen, einmal mitzumachen?
Den Zirkus kann ich höchstens als eine Hobby betreiben. Und das kann ich allen wirklich nur empfehlen. In Tschechien gibt es glücklicherweise einige Möglichkeiten für Amateure, um sich schulen zu lassen. In Prag ist es zum Beispiel Cirqueon – Das Zentrum für den neuen Zirkus, in Brno Cirkus LeGrando. Wer aber ein professioneller Artist werden will, muss viel früher anfangen, am besten schon in der Kindheit. Allerdings gibt es auch unter den Profis Talente, die mit dem Zirkus erst als Erwachsene angefangen haben.