Küsse unterm Kirschbaum
Tschechische Romantik und altgriechische Schundromane
Als er gerade 15 Jahre alt war, wurde sein erstes Theaterstück im Wiener Volkstheater aufgeführt. Aber schon als Schüler hegte der österreichisch-tschechische Jungautor Ondřej Cikán einen weiteren Traum: sein Lieblingsgedicht ins Deutsche zu übersetzen. Den hat er sich nun erfüllt.
„Immer habe ich meinen österreichischen Freunden erzählt, wie schön die tschechische Sprache sei – ich konnte es nur nie beweisen“, erzählt der inzwischen 26-jährige Wiener Student und Schriftsteller Ondřej Cikán. Seit der österreichische Laborverlag im März 2012 seine Übersetzung des Klassikers Máj von Karel Hynek Mácha (1810-1836) veröffentlichte kann Cikán Überzeugungsarbeit leisten.
Das epische Gedicht Máj gilt als wichtigster Beitrag der tschechischen Romantik. Heute erlebt es jährlich eine Renaissance – immer dann, wenn junge Prager Liebespaare am Abend des 1. Mai auf den Petřín wandern. Dort stehen nicht nur die bekannten Kirschbäume, unter denen sich der Tradition zufolge Liebende küssen sollen, sondern auch eine Statue Máchas.
„Ich fand, dass es an der Zeit war, Máchas Epos einem breiteren Publikum vorzustellen – mit einer adäquaten Übersetzung“, erklärt Cikán. 1991, im Alter von sechs Jahren, zog Cikán mit seiner Familie von Prag nach Wien um. In seiner neuen Heimat kam der damalige Viertklässler zum ersten Mal in Berührung mit dem bekannten Epos. „Ich war sofort total beeindruckt“, erinnert er sich. Als sein Deutschlehrer der Klasse ein paar Jahre später Goethes „Erlkönig“ präsentierte, „da habe ich das ziemlich belächelt“, erzählt Cikán. „Die deutsche Sprache der Klassik kam mir noch so einfach vor und ich fand – im Nachhinein natürlich ein bisschen zu Unrecht –, dass die tschechischen Literaten viel schönere Texte geschrieben haben.“
Den lebendigen Rhythmus erhalten
In den existierenden deutschen Übertragungen von Máj konnte Cikán das, was ihn im Tschechischen so beeindruckt hatte, allerdings nicht wieder finden. Gerade die lautmalerischen Elemente, die Máchas Sprache für ihn so sehr auszeichnen, suchte er vergeblich. „Sie sind etwas holprig“, kritisiert der Nachwuchsautor die deutschen „Mai“-Versionen und benennt den aus seiner Sicht wichtigsten Unterschied zwischen der deutschen und der tschechischen Sprache: „Das Tschechische ist viel freier im Rhythmus als das Deutsche. Die bisherigen Übersetzer haben Máj immer in regelmäßige Jamben übertragen. Dabei entspricht das überhaupt nicht dem Charakter des Gedichts, das gar keinen einheitlichen Rhythmus hat. Das Besondere ist gerade, dass Mácha diese unterschiedlichen Betonungen beabsichtigt hat. Ich habe versucht, das nachzumachen und Máchas lebendigen Rhythmus in der Übersetzung zu erhalten.“
Schließlich hat Cikán, der im Februar 2011 seinen ersten Roman veröffentlicht hat, mit der Zeit auch die deutsche Sprache lieb gewonnen. „Nach und nach sind mir die Vorteile des Deutschen aufgefallen. Deutsch ist viel präziser als Tschechisch; man kann viel klarere Begriffe verwenden, um sich auszudrücken.“
Altgriechische Schundromane als Vorbild
Sprache ist Cikáns Leidenschaft. Das stellt man im Gespräch mit dem jungen Schriftsteller sofort fest. Noch befindet sich Cikán in der Abschlussphase seines Studiums mit den Hauptfächern Latein und Altgriechisch. Der Einfluss seines Studiums auf sein künstlerisches Schaffen ist auch Cikáns Romandebüt anzumerken. Menandros und Thaïs basiert auf den „altgriechischen Schundromanen“, wie Cikán die Liebesliteratur der antiken Griechen um das Jahr 0 nennt. Im Stil einer solchen antiken Liebestragödie verfasst, beschreibt Cikán in seinem Roman die Geschichte von Menandros und seiner Verlobten Thaïs, die am Tag ihrer Hochzeit von Piraten geraubt wird. Menandros’ surreale Begegnungen auf der Suche nach seiner Braut und die Dialoge wechseln im Stil. „Mal sind Beschreibungen konsequent in einer – beabsichtigt – künstlich-antiken, mal in zeitgenössischer Sprache verfasst – letzteres vor allem dann, wenn ein Dialog besonders zentral ist und wirkungsvoll inszeniert werden soll“, erläutert Cikán sein ungewöhnliches Konzept.
Seine Stilmittel hat sich der Autor zu einem nicht unwesentlichen Teil von seiner Muttersprache abgeschaut. „Im Tschechischen sind viele sprachliche Techniken, die ich verwende, ziemlich geläufig. Schon allein deswegen könnte ich meine eigenen Texte nicht ins Tschechische übersetzen. Ich habe mir einen Stil angewöhnt, der aus dem Deutschen in klanglicher und sprachlicher Hinsicht so viel wie möglich herauszuholen versucht.“ Etwa so wie der ebenfalls aus Prag stammende Rainer Maria Rilke, der zu Cikáns deutschsprachigen Vorbildern zählt. Und Rilkes Umgang mit der Sprache sei ihm auch bei der Übersetzung des Máj, eine wesentliche Inspiration gewesen.