Wie man einen allmächtigen Kraken besiegt
Der Film Im Schatten ist die Geschichte des neuen tschechischen Krimis
Tschechien im Herbst 2012: der Film Im Schatten (Ve stínu) hat das Land medial im Griff. Der Filmstart der mit Spannung erwarteten Detektivgeschichte wurde von einer massiven Werbekampagne begleitet. Bereits im Vorfeld wurde gemunkelt, es handele sich um einen besonders gelungenen Streifen, der auch europa- und weltweit punkten könnte. Auch die tschechischen Rezensenten sparten nicht mit entsprechend hohen Bewertungen. Darüber hinaus hat sich die tschechische Film- und Fernsehakademie entschlossen, die düstere Geschichte ins Rennen um den Oscar zu schicken. Ist der Film wirklich so gut?
Bevor im Frühjahr 2011 die Dreharbeiten begannen, waren Regisseur David Ondříček und Produzent Kryštof Mucha vier Jahre lang damit beschäftigt, das nötige Geld aufzutreiben. Der Drehbeginn wurde zweimal verschoben. Drehbuchautor Marek Epstein arbeitete das Buch siebzehnmal um. Das Budget von umgerechnet etwa 2,8 Millionen Euro musste schließlich auch aus ausländischen Quellen gespeist werden. So entstand eine tschechisch-slowakisch-polnisch-israelische Koproduktion. Auch der europäische Filmfonds Eurimages stellte Mittel zur Verfügung. Ist somit auch ein „europäischer“ Film entstanden, der ein internationales Publikum anspricht und nicht nur ein provinzieller Streifen, der für das ausländische Publikum unverständlich bleibt?
Detektiv im Trenchcoat
Im Mittelpunkt des aufwendig gestalteten Krimis, der sich in der stalinistischen Tschechoslowakei der 50er Jahre des 20. Jahrhunderts abspielt, steht der Polizei-Hauptmann Hakl (Ivan Trojan). Dieser untersucht einen scheinbar banalen Diebstahl in einem Juweliergeschäft. Der Einbruch mutiert aber schnell zu einem äußerst delikaten Fall, für den sich auch die höchsten Ebenen des kommunistischen Staatsapparates zu interessieren beginnen. Bei dem Vorfall handelt es sich nämlich um eine Operation des regierenden Establishments, mit dem Ziel, eine Gruppe jüdischer Bürger anzuschwärzen. Die Staatssicherheit übernimmt Hakls Fall und der geheimnisumwobene Polizei-Spezialist aus der DDR, Major Zenke (gespielt von Sebastian Koch, bekannt aus dem Oscar prämierten Streifen Das Leben der Anderen). Dieser zieht auch noch in das gleiche Haus, in dem Hakl mit seiner Ehefrau und einem gemeinsamen kleinen Sohn wohnt. Der Workoholic Hakl beißt sich jedoch in den Fall fest und beginnt, auf eigene Faust zu ermitteln.
Der Kern der Story klingt also nicht unbedingt kompliziert. Ondříček belebt die Figur des Trenchcoat-Ermittlers, der eine Zigarette nach der anderen raucht und kein Problem damit hat, jederzeit den familiären Abendbrottisch zu verlassen, um seiner Arbeit nachzugehen. Der grandiose Hakl-Darsteller Ivan Trojan ist mit seiner Leistung ein ganz heißer Anwärter für den Tschechischen Löwen (ein tschechischer Film-Preis, Anm. d. Red.) ist. Die Stilisierung der Figur wird durch die Gesamtstilisierung des Films noch verstärkt. Im Schatten knüpft an die Tradition des Film noir an: Gezeigt wird ein heruntergekommenes Prag, durch dessen triste Straßen unentwegt ein penetranter Regen peitscht, knarrende Hausflure versinken wegen Stromausfalls im Dunkeln und in den Betriebskantinen speisen Gauner, die sich nach dem Kartenspiel draußen im Hof eine Schlägerei liefern. Das deprimierende Grau wird dazu noch vom allumfassenden kommunistischen Moloch verstärkt. Regisseur Ondříček ist es perfekt gelungen, das alles auf die Leinwand zu bringen. Im Schatten sieht zunächst einmal großartig aus. Die ausgegeben Millionen sind zu sehen: die Illusion der 50er Jahre ist bemerkenswert und die Ausstattung ist eine Feier des Perfektionismus. Was die absolute Detailversessenheit des Handwerks angeht, erreichen Ondříček und Co. Weltniveau.
Die eigentliche Krimi-Story hat allerdings kein Weltniveau. In einem Interview mit dem Regisseur klang an, dass er bei der Arbeit an diesem Film auch David Finchers Thriller Seven im Kopf gehabt habe – was natürlich entsprechende Erwartungen an dramaturgische Raffiniertheit und Handlungsstringenz auslöst. Der Story-Verlauf des Films ist allerdings sträflich geradlinig, es gibt keinerlei Handlungsknoten, und somit läuft die Geschichte ohne besonderes Überraschungsmoment ihrem Höhepunkt entgegen. Eine Steigerung der dramatischen Intensität findet kaum statt, und so kann der Film auch nicht hundertprozentig begeistern. Das liegt vielleicht auch an der erwähnten mehrfachen Überarbeitung des Drehbuchs sowie an der Tatsache, dass die finale, für die Premiere vorbereitete Version noch einmal umgeschnitten wurde, was den Filmstart um ein halbes Jahr verzögerte.
(Un)politisch
Obwohl Im Schatten in der politisch explosiven Atmosphäre vor der Währungsreform 1953 spielt und auch das Thema der konstruierten Schauprozesse gegen Menschen, die das Regime als unbequem empfand, angesprochen wird, kann er nicht als politisches Drama bezeichnet werden. In jedem Augenblick bekennt sich der Film zur Tradition des Thrillers, des Krimis, im Mittelpunkt stehen starke Figuren und eine Geschichte, die vor allem spannend sein will. Das ist durchaus erfrischend. Die Hauptbotschaft des Films könnte sich dann „nur“ auf die bildliche Veranschaulichung des Schreckens der kommunistischen Machtausübung oder die Abwesenheit eines Rechtstaates beschränken.
Ondříček sagt mit seinem Film in dieser Hinsicht aber noch etwas mehr: „Papa, wie kannst du einen Kraken besiegen, wenn er unbesiegbar ist?“, fragt Hakls Sohn seinen Vater. „Schwer, aber wenn wir es immer und immer wieder versuchen werden, können wir ihn vielleicht schwächen, und irgendwann taucht jemand auf, der ihn besiegt“, antwortet Hakl. Das ist banal. Es gilt allerdings immer und überall, nicht nur in der Tschechoslowakei der 50er Jahre des 20. Jahrhunderts. Und es funktioniert. Die pathetische Schlussszene über die „Geburt eines Helden“ stört deshalb überhaupt nicht.
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