Ein unerwünschtes Opfer
Am 6. November jährt sich der Todestag von Walter Krämer zum 75. Mal. Als „Arzt von Buchenwald“ rettete Krämer vielen Mithäftlingen im KZ das Leben. Trotz internationaler Anerkennung blieb ihm lange Zeit eine Würdigung in seiner Heimatstadt Siegen verwehrt. Denn Krämer war Kommunist.
Die Zeit des Nationalsozialismus und der Holocaust gehören zu den zentralen Themen der heutigen Erinnerungskultur in Deutschland. Man ist sich einig, dass der Opfer des NS-Regimes gedacht werden muss, allein schon als Mahnung für die heutige und für kommende Generationen. Doch Opfer ist offenbar nicht gleich Opfer. Auch heute noch.
Der Prager Jude Artur Radvansky war im KZ Buchenwald interniert. Dass Radvansky die NS-Mordmaschinerie überlebte, hatte er auch seinem Mithäftling Walter Krämer zu verdanken: „Walter hat in der Nacht die Kranken und Verwundeten behandelt, so gut er nur konnte. Zu dieser Zeit hatte ich erfrorene Zehen. Als er sah, dass sie operiert werden mussten, hat er mich geheim ins große Lager zum Häftlingskrankenhaus als Leiche überführen lassen, in einer Kammer operiert und mich einige Tage versteckt. Auf diese Weise hat er mir das erste Mal das Leben gerettet. Dabei hat er sein eigenes Leben riskiert. Ähnlich wie mir hat er auch vielen anderen geholfen.“
Im Herbst 1941 wird Walter Krämer in das Außenkommando Goslar gebracht und nur wenige Tage später von der SS erschossen. Seine Asche wird in seine Heimatstadt Siegen überführt und beerdigt.
Vom Schlosser zum Politiker
Walter Krämer wird am 21. Juni 1892 als drittes von acht Kindern im nordrhein-westfälischen Siegen geboren. Das größtenteils protestantische Siegerland war damals eine Hochburg der nationalkonservativen Deutschnationalen Volkspartei (DNVP). Nach seiner Ausbildung zum Schlosser geht Krämer 1910 als Freiwilliger zur Kaiserlichen Marine und beginnt sich für Politik zu interessieren. Nachdem er sich 1918 am Kieler Matrosenaufstand beteiligt hatte, arbeitet er im Siegener Arbeiter- und Soldatenrat und wird Mitglied der USPD, der auch Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg angehörten. Drei Jahre später tritt Walter Krämer der KPD bei und wird zum führenden Funktionär der Partei im Siegerland.
Im Zusammenhang mit der Entdeckung eines Waffenlagers wird er im November 1923 zusammen mit weiteren Siegerländer Kommunisten verhaftet und Anfang 1925 schließlich zu dreieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. Nach seiner Freilassung engagiert er sich weiter als Funktionär der KPD in Siegen, Düsseldorf, Krefeld, Wuppertal, Kassel, Berlin und Hannover, wird Abgeordneter im preußischen Landtag und politischer Sekretär der Bezirksleitung Niedersachsen.
Nach dem Reichstagsbrand Ende Februar 1933 wird Walter Krämer wie zahlreiche andere Kommunisten verhaftet. Wegen Hochverrats verurteilen ihn die Nazis zu dreieinhalb Jahren Gefängnis. Nach Haftende kommt er jedoch nicht frei, sondern wird erneut von der Gestapo festgenommen und schließlich im August 1937 im KZ Buchenwald inhaftiert. Dort ist er als Pfleger im Häftlingskrankenbau tätig. Mit dem umfangreichen medizinischen Wissen, das er sich dort aneignet, rettet Krämer zahlreichen Mithäftlingen das Leben. Bis die SS ihn am 6. November 1941 ermordet.
„Einen Kommunisten ehren?“
Fünf Jahre später, der Zweite Weltkrieg war seit einem Jahr beendet, forderte die KPD in Siegen erstmals, eine Straße nach Walter Krämer zu benennen. Im Folgejahr sollte eine Straße nach dem ehemaligen Siegener Bürgermeister Alfred Fissmer benannt werden, was jedoch von der britischen Militärregierung aufgrund dessen NSDAP-Zugehörigkeit untersagt wurde. Wieder schlägt die KPD Krämer vor, doch der Antrag scheiterte an den Ratsmehrheiten von CDU, SPD und FDP.
Mit dem Verbot der KPD 1956 fanden die Anstrengungen um eine Würdigung Krämers in seiner Heimatregion vorerst ein Ende. „Die Gegner einer Umbenennung waren immer in den etablierten Parteien zu finden. Da spielte es auch keine Rolle, ob es schwarz-gelbe oder rot-grüne Koalitionen waren. Es fanden sich immer Mehrheiten gegen eine Würdigung. Antikommunismus steckt dahinter. Einen Kommunisten ehren? Das konnte und durfte nun mal nicht sein“, erklärt Joe Mertens vom VVN-BdA Siegerland-Wittgenstein (Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten), der sich seit 1996 als Initiator und Mitgestalter verschiedener Initiativen, Veranstaltungen und Kampagnen, für die Würdigung Walter Krämers einsetzt. Ganz anders sah es etwa in der DDR aus, wo unter anderem zwei Medizinische Fachschulen nach ihm benannt wurden. In Israel verleiht die Gedenkstätte Yad Vashem Walter Krämer sogar den Titel „Gerechter unter den Völkern“.
Im Siegerland kommt trotz verschiedener Vorschläge und Aktionen erst 1996 Schwung in die politische Diskussion, als sich der AStA der Universität Siegen und die Siegener Falken mit Unterstützung durch die Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit in eine Platzbenennungsdebatte einschaltet und dabei auch eine Unterschriftensammlung startet. „Unsere Gedenkveranstaltungen zu runden Geburts- und Todestagen, unsere alljährliche Gedenkveranstaltung zum Jahrestag der Befreiung, die auch immer zu Walter und Liesel Krämers Grab führt, waren und sind wichtige Kontinuitäten. Den Stein endgültig ins Rollen gebracht haben wir dann 2010 mit unserer Initiative Walter Krämer endlich ehren! Höhepunkt war ein großes Symposium mit dem Historiker und Faschismusforscher Kurt Pätzold und dem Buchenwaldexperten Ulrich Peters“, so Joe Mertens. Wieder werden Unterschriften gesammelt und medienwirksam an den Siegener Bürgermeister übergeben.
Zutiefst verinnerlichter Humanismus
So haben die Aktivitäten über die Jahrzehnte einen wichtigen Anteil daran, dass es schließlich doch noch zu einer Ehrung Walter Krämers in seiner Heimatstadt kommt. In einem offenen Brief schreibt der ehemalige Mithäftling Günter Pappenheim 2010 deutliche Worte an den Bürgermeister: „Walter Krämers Leben steht für moralische Integrität, politische Geradlinigkeit und zutiefst verinnerlichten Humanismus. Er ist eine herausragende Persönlichkeit, an die in Siegen angemessen und würdig erinnert werden sollte, weil sie sich der faschistischen Diktatur nicht beugte. Wir meinen, dass der internationalen Ehrung durch posthume Verleihung des Titels Gerechter unter den Völkern eine lokale Entsprechung folgen muss.“
2012, also 71 Jahre nach der Ermordung Krämers, beschließt der Rat der Stadt Siegen endlich mehrheitlich den Vorplatz des Siegener Kreisklinikums Walter-Krämer-Platz zu nennen. Eine Eintragung ins Straßenverzeichnis, wie es der VVN-BdA Siegerland-Wittgenstein gerne gesehen hätte, oder gar die Umbenennung der Klinik bleiben aus. Die Fürsprecher Krämers aber machen weiter: „Am Ende sind wir mit der Geschichte aber selbstverständlich noch nicht. Wir haben nach wie vor unsere eigenen Vorstellungen. Und die Zeiten machen eine Erinnerung an einen Kerl wie Walter Krämer notwendiger denn je.“
Die Verwendung des Zitates von Artur Radvansky erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Arbeitskreises der NS-Gedenkstätten und -Erinnerungsorte in NRW e.V.