Die Andernacher Bäckerjungen
Die Linzer und Andernacher waren verfeindet und die Linzer haben die Andernacher immer als „Siebenschläfer“ (Andernacher Siebenschläfer) bezeichnet, weil sie angeblich so lange geschlafen haben. Eines Tages beschlossen die Linzer, Andernach im Morgengrauen zu überfallen. Allerdings waren die Bäckerjungen natürlich schon wach und wollten den Turmwächtern ihre Brötchen bringen, waren also auf der Stadtmauer. Dort haben sie die „Feinde“ kommen sehen. Da die Zeit zu kurz war, noch Hilfe zu holen, haben sie kurzerhand die Bienenkörbe der Turmwächter heruntergeschmissen, was natürlich für die Linzer sehr unangenehm war, weil sich die kleinen Tierchen in den Rüstungen kräftig gewehrt haben. Somit waren die Feinde verjagt und zogen ab. Noch heute sieht man im Andernacher Rheintor zwei ziemlich verwitterte Figuren, die diese Bäckerjungen darstellen sollen.
Diese Geschichte wurde von einer 58-jährigen Fremdsprachenassistentin berichtet, die selbst gebürtige Andernacherin ist und die Legende somit seit Kindestagen schon des Öfteren zu hören bekam. Ursprünglich basiert die Erzählung auf drei historischen, von einander völlig unabhängigen Ereignissen im Zeitraum von 1365 bis 1591, die aber alle direkt oder indirekt mit der Fehde zwischen den beiden Städten Linz und Andernach zu tun haben. In der Bäckerjungensage wurden diese Begebenheiten schließlich zusammengeführt und verdichtet:
Die Andernacher Bäckerjungen
Die Andernacher schlafen lange;
Im Schlafe schlägt man keinen tot;
Doch vor den Linzern weicht ihr bange
Zur Seite, weil euch Todschlag droht.
Einst hatte zwischen Andernachern
Und Linzern lange Krieg getobt;
Ihr wißt, daß mit den Widersachern
Noch heut kein Mädchen sich verlobt.
„Gesegnen wirs den Siebenschläfern!“
Hieß es zu Linz beim Morgenschein.
„Wohlauf, so soll den faulen Schläfern
Das letzte Brot gebacken sein.“
Die Rechnung ohne Wirt zu machen
Das widerrät ein altes Wort.
Denn wenn auch alles schläft, so wachen
Die Bäcker doch am faulsten Ort.
„Den Bäckern dürfen wir vertrauen;
Sie stehn, das Brot zu backen, auf;
Wenn sie den Feind von fern erschauen,
So wecken sie uns in den Kauf.“
Hierbei blieb eins nur unerwogen;
Daß Bäcker auch und Bäckerskind
Nicht aus der Ferne hergezogen,
Nein, selber Siebenschläfer sind.
Wenn sie das Brot gebacken haben,
So liegen sie davor gestreckt,
Am Morgenschlummer sich zu laben,
Wenn schon der Feind die Zähne bleckt.
Den Linzern wär der Streich gelungen,
Sie äßen Andernacher Brot,
Wenn nicht zwei fremde Bäckerjungen
Den Meistern halfen aus der Not.
Sie waren auf den Turm gelaufen
Und standen, frischen Honigs satt;
Da sahen sie den Linzer Haufen,
Der überrumpeln will die Stadt.
Doch als sie jetzt ans Stadtthor rücken,
Was war der Bäckerknaben Gruß?
Die Bienenkörb in tausend Stücken
Schleudern sie ihnen vor den Fuß.
Da stechen ungezählte Summer,
Und hundert töten einen Mann;
Gewiß, da zog die beste Nummer,
Wer noch mit heiler Haut entrann.
Die Jungen zerren an den Glocken,
Auf stehn die Andernacher Herrn;
Sie finden in die Milch zu brocken,
Doch keinen Feind mehr nah und fern.
„Wir hatten trefflich uns gebettet;
Ja, solche Wacht empfahl Vernunft;
Und hat kein Bäcker uns gerettet,
So thats die junge Bäckerzunft.“
Kommt ihr ins Thor, ihr seht inwendig
Noch heut die Bäckerjungen stehn.
Und halten sie die Wacht beständig,
Kein Linzer läßt sich leicht mehr sehn.
Quelle: Karl Simrock, „Rheinsagen - aus dem Munde des Volkes und deutscher Dichter“; Zehnte Auflage, Eduard Weber's Verlag (Julius Flittner), Bonn 1891