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Sprechstunde – die Sprachkolumne
Die Kunst der Beleidigung

Illustration: Eine Person in seitlicher Ansicht, in der einen Hand ein Mikrofon, die andere mit erhobenem Zeigefinger hochgereckt, ärgerlicher Gesichtsausdruck, gezackte Sprechblase
Die Sprache selbst ermöglicht Dialektik, ihre Sprecher, scheint es, halten diese nicht immer aus | © Goethe-Institut e. V./Illustration: Tobias Schrank

Wer kann denn heute noch stilvoll beleidigen?, fragt Jagoda Marinić. Ist doch weder Harmoniesucht konstruktiv noch aggressives Schimpfen. Sie empfiehlt, sich auf die Eigenheiten deutscher Grammatik zu besinnen – die es erleichtern, pointiert zu diskutieren und Widersprüche auszuformulieren.

Von Jagoda Marinić

Sprache wird insbesondere dort interessant, wo sie beleidigen soll, kann oder darf. Die Kunst der Beleidigung erfordert ein feines Sprachgefühl des Sprechers, er muss scharfe Gedanken präzise formulieren können.

Nun ist das Beleidigen in unserer Zeit schwierig geworden, weil sich zwei Lager entwickelt haben: Für die einen ist jeder Versuch einer Beleidigung keine Kunst, sondern eine Unart. Sie schwören auf Harmonie, wurden von Facebook und anderen sozialen Medien schlichtweg dahingehend geprägt, dass es für sie nur Thumbs-Up oder Schweig! als Meinungsäußerung gibt. Jede noch so kleine Kritik bringt diese Harmoniesucht-Geister ins Schwitzen, oft säuseln sie selbst in den harmlosesten Gesprächen, als könnte ein kleines Dezibel zu viel Anwesende verletzen und als müsste jeder so sprechen, dass er bloß niemandem auf die Füße tritt oder irgendwelche imaginierten fleißigen Ameisen unter dem Stein aus der Arbeit reißt.

Weichspüler contra Brachialgemüter

Diese Säusler sind die Weichspüler der Sprache: Bitte jedes Wort einmal dämpfen, Gedanken bitte stets entschärfen, sie könnten p-o-l-a-r-i-s-i-e-r-en! Einen Sprach- und Kulturkritiker wie Karl Kraus hätten solche Harmoniesprachverhunzer keine zwei Sätze lang ertragen. Einen Kurt Tucholsky dreimal nicht. Vermutlich ist das harmonistische Sprachgebaren gar kein Gegenwartsproblem, sondern ein kulturelles, schrieb der gesellschaftskritische Publizist und Satiriker Tucholsky schon 1919: „Wenn einer bei uns einen guten politischen Witz macht, dann sitzt halb Deutschland auf dem Sofa und nimmt übel.“

Womit wir wieder einmal bei den Zwanzigerjahren des vorherigen Jahrhunderts wären und der leidvollen anderen Seite der Medaille, dem anderen Lager: Dessen Vertretern eigen ist die kunstlose Beschimpfung, die manche Brachialgemüter an jeder noch so unangebrachten Stelle anbringen, weil sie ihre Grundaggression loswerden möchten. Diese Personen machen sich nicht einmal die Mühe, eine ungewöhnliche Wendung oder lustvolle Alliterationen zu suchen, mit denen sie ihr Gegenüber herausfordern könnten. Stattdessen landen sie umgehend bei Fäkalausdrücken, öffnen beschmutze Schubladen, in die sie ihre Gegner gerne passgenau einsargen würden. So schreien manche „Kriegstreiber!“, wenn jemand darauf hinweist, die Ukraine wäre ohne Waffenlieferungen dem russischen Aggressor ausgeliefert. Das ist kein Argument, sondern nur eine stillose Beschimpfung. Und Frauen werden gerne mit diversen H-Wörtern attackiert – dabei sind Huren und Hexen doch ehrenvolle Wesen. Die Beleidigung geht meist ohne Vorwarnung über in die Zuschreibung einer Weltanschauung, mit der jemand diffamiert werden soll.  

Ambivalentes sagen und aushalten können

Sprache ist ein diskursives Werkzeug. Sie ermöglicht uns, Diskussionsräume zu öffnen und Widersprüche auszuhalten. Nicht umsonst gibt es im Deutschen zahlreiche Wege, Nebensätze anzuschließen und insgesamt eine komplizierte Grammatik, die Nuancierungen erlaubt. Die Sprache selbst ermöglicht Dialektik, ihre Sprecher, scheint es, halten diese nicht immer aus. Man könnte zwei sehr unterschiedliche Perspektiven im Mund und im Geist gleichzeitig ausbuchstabieren, ohne diese gegeneinander ausspielen zu müssen. Gerade das Deutsche mit seinen Schachtelsätzen, die so oft verlacht werden, böte das sprachliche Rüstzeug für Ambivalenz und Ambiguität.

Stattdessen wird - aus allen politischen Lagern - mit abwertend gemeinten Begriffen um sich geworfen. Man spricht von Nazis, Apartheid, Genozid, um nur einige dieser Schlagwörter zu nennen. Die Drastik der Begriffe erschwert das Gesprächsangebot, sorgt letztlich für das Gegenteil: Verteidigungshaltung statt Austausch. Ließe sich vielleicht lernen, wieder spielerisch und kunstvoll, manchmal gar zart ad hominem, zu beleidigen, so, dass niemand das Gesicht verlöre? Könnte man dabei gleichzeitig lernen, im Austausch der Argumente feingeistig, offen und respektvoll zu bleiben? Was wir brauchen, ist eine Kultur der scharfen Spitzen bei gleichzeitiger Anerkennung, dass angesichts der Komplexität der Welt die einfache Antwort, bei der alle nicken, nicht zu finden sein wird. Es könnte die gepflegte Sprache sein, die uns helfen würde, diese schwierige Lage etwas erträglicher zu erleben.

Sprechstunde – Die Sprachkolumne

In unserer Kolumne „Sprechstunde“ widmen wir uns alle zwei Wochen der Sprache – als kulturelles und gesellschaftliches Phänomen. Wie entwickelt sich Sprache, welche Haltung haben Autor*innen zu „ihrer“ Sprache, wie prägt Sprache eine Gesellschaft? – Wechselnde Kolumnist*innen, Menschen mit beruflichem oder anderweitigem Bezug zur Sprache, verfolgen jeweils für sechs aufeinanderfolgende Ausgaben ihr persönliches Thema.

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