Rosinenpicker
Eine Sache der Wahrnehmung

Martin Suters neuer Roman hat alles, was gute Unterhaltung braucht. Wie passend, dass gerade Urlaubszeit ist. Unterm Sonnenschirm am Meeresstrand oder in der Hängematte im Garten lässt sich die Geschichte um eine kurz vor der Hochzeit verschwundene Frau mit Genuss verschlingen.

Von Swantje Schütz

Melody nennt sich die junge Frau, nach der Dr. Peter Stotz sein halbes Leben lang gesucht hat. Und das sind immerhin über 40 Jahre. Stotz ist alt und krank, die Ärzte geben ihm nicht mehr lange. Noch immer beschäftigt ihn das schon lange zurückliegende Verschwinden der um einiges jüngeren Melody kurz vor der teuren, aufwendig vorbereiteten Hochzeit mit dem reichen, älteren Mann.

Wurde sie von ihrem Bruder entführt und zurück in die marokkanische Heimat gebracht? Der kranke Dr. Stotz weiß es angeblich 40 Jahre später noch immer nicht. Was ist mit der einzigen Liebe seines Lebens geschehen, deren Porträts und künstlerische Stickereien sein großes Haus von unten bis oben schmücken?

So viele Geheimnisse

Um Ordnung in seine Vergangenheit zu bringen, bevor er das Zeitliche segnet, engagiert Stotz einen jungen, arbeitslosen Juristen namens Tom. Mit größter Diskretion soll dieser Helfer kartonweise Dokumente sortieren und den Nachlass des alten Herrn samt seiner vielschichtigen Vergangenheit vorbereiten. Denn Dr. Stotz war Schweizer Nationalrat, erfolgreicher Geschäftsmann, Strippenzieher in Politik und Gesellschaft, eine bekannte Persönlichkeit.

Vielleicht hat Stotz Tom aber auch nur engagiert, damit er ihm zuhört und Gesellschaft leistet? Denn es war part of the deal, dass der junge Mann in das prächtige Haus mit der hervorragend kochenden, italienischen Haushälterin und dem zurückhaltenden Butler einziehen musste. Einen großen Teil des Buches nehmen übrigens die sehr verlockend klingenden, italienischen Gerichte ein – passenderweise empfiehlt der Autor in der Danksagung das vor nicht allzu langer Zeit erschienene Kochbuch der Inhaberin eines Feinkostgeschäftes, mit dem die aufgeführten Köstlichkeiten nachzubereiten sind.

Während zahlreicher Kamingespräche und ebenso zahlreicher Gläschen exquisiten Alkohols berichtet Stotz, auf welche Wege und in welche Länder er sich begeben hatte, um seine geliebte Melody zu finden. Erfolglos bis zum Schluss?

Erwartungen klar erfüllt

„Martin Suter versteht es, unterhaltsam und spannend zu schreiben.“ So könnte das Resümee dieser Buchempfehlung lauten. Oder aber so, und deutlich begeisterter: Ich liebe die Bücher dieses Autors! Danke für so viel Lesefreude, für fantasievolle und nie langweilige Geschichten! Für Wendungen der feinsten Art, Paukenschlag und Donnerhall, für Lesestoff, der einen tagelang begleitet. Der Wochen später immer wieder aufploppt und einen grübeln oder schmunzeln lässt. Auch für Melody gilt: Möglicherweise kommt es ganz anders, als es sich zu Beginn des Werkes langsam und gemütlich anbahnt, das darf hier in den Raum gestellt werden. Mehr aber nicht. Ein klassischer Suter, einfach lesen, bitte!
 
Rosinenpicker © © Goethe-Institut / Illustration: Tobias Schrank © Goethe-Institut / Illustration: Tobias Schrank © Goethe-Institut / Illustration: Tobias Schrank
Martin Suter: Melody. Roman
Zürich: Diogenes, 2023. 336 S.
ISBN: 978-3-257-07234-1
Diesen Titel finden Sie auch in unserer Onleihe (auch als Hörbuch)

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