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30 Jahre Goethe-Institut Riga
Eine geballte Ladung Kultur

Goethe-Institut Riga in Marijas iela 13.
Goethe-Institut Riga in Marijas iela 13. | © Goethe-Institut Riga; Illustration: Lote Vilma Vītiņa

Mission Kulturdialog und Verständigung: Im Frühjahr 1993 nahm das Goethe-Institut Riga seine Arbeit auf. In den drei Jahrzehnten seines Bestehens in Lettland hat es sich ständig weiterentwickelt und neu erfunden. Unverändert aber schafft es Räume für den kulturellen Austausch und für Begegnungen zwischen Lett*innen und Deutschen.

Von Alexander Welscher

Am Anfang standen der Mauerfall, die deutsche Wiedervereinigung und die politischen Umwälzungen in Mittel- und Osteuropa: Nach der Öffnung des Eisernen Vorhangs wurde das Goethe-Institut von der Bundesregierung mit der Gründung von Instituten in den ehemaligen Ostblockstaaten beauftragt, die im Kontext des Kalten Krieges lange Zeit ein „gesperrtes Feld“ für deutsche Kultureinrichtungen gewesen waren. Die Außenpolitik des wiedervereinigten Deutschlands sah nun in Mittel- und Osteuropa wichtige Bündnispartner und wollte den Kulturaustausch intensivieren.
 
Der Nachholbedarf war aus deutscher Sicht hoch: Die Zentrale des Goethe-Instituts in München reagierte mit zahlreichen Neugründungen im östlichen Teil Europas – zwischen 1989 und 1994 entstanden zwölf neue Institute. Dabei war viel Improvisationstalent gefragt. Trotz ihrer ideologischen Färbung erwies sich dabei als Vorteil, dass die DDR in Mittel- und Osteuropa bereits mit sogenannten Kultur- und Informationszentren vertreten war, die auch Deutschkurse angeboten hatten. Daraus resultierte ein gewachsenes Interesse an der deutschen Sprache in der Region. Zugleich bildeten speziell in den baltischen Staaten die lange gemeinsame Geschichte und historische Sensibilitäten besondere Rahmenbedingungen für die Tätigkeit des Goethe-Instituts. Die Beziehungen waren und sind nicht unbelastet.

In Lettland nahm das Gētes institūts – so sein lettischer Name – 1993 seine Arbeit in der Hauptstadt Riga auf und betreute bis zur Gründung von Instituten in Tallinn (1999) und Vilnius (1998) anfangs auch die Kultur- und Spracharbeit in Estland und Litauen mit. „Damals ging es darum, Kulturen und Menschen einander anzunähern, die jahrzehntelang getrennt waren. Wir mussten uns wieder kennenlernen”, blickte Rainer Pollack, Kaufmännischer Direktor und Vorstand des Goethe-Instituts, im Oktober 2018 beim 25. Jubiläum des Instituts in Riga auf die Anfänge zurück. „Es ging darum, einen ungeheuren Transformationsprozess zu bewältigen: wirtschaftlich und politisch, aber auch mental, gesellschaftlich und kulturell.

Erste Veranstaltungen des neugegründeten Goethe-Instituts Riga. Im Bild v.l. ... und Dr. Friedrich Winterscheidt, Institutsleiter (1992 – 1997). Erste Veranstaltungen des neugegründeten Goethe-Instituts Riga. Im Bild v.l. ... und Dr. Friedrich Winterscheidt, Institutsleiter (1992 – 1997). | © Goethe-Institut Riga Die Aufnahmebereitschaft und der Kontakthunger waren groß: Das Goethe-Institut war als Tür zur westlichen Welt und Kultur hochwillkommen. Mit seinen regen Aktivitäten und Veranstaltungen entwickelt es sich schnell zu einer fest verankerten Größe im reichen Kultur- und Geistesleben Lettlands, dessen Volksdichtung und Sangeskunst einst schon Johann Gottfried Herder und andere deutsche Geistesgrößen beeindruckte. Neben der Vermittlung eines zeitgenössischen und facettenreichen Deutschlandbildes, das sowohl Traditionskultur als auch das moderne, weltoffene und innovative Kulturschaffen in Deutschland umfasst, wirbt das Institut seit jeher auch für die deutsche Sprache und ihre Bedeutung für Literatur und Wissenschaft. In den 30 Jahren seines Bestehens hat das Institut unzählige Kulturprojekte unterstützt und für Tausende von Deutschlernenden Kurse und Prüfungen angeboten. April 2011, die deutsche Schriftstellerin Nobelpreisträgerin Herta Müller ist zu Gast in Riga. Im Bild die Lesung aus „Atemschaukel“, v. l. Herta Müller, der Journalist Gints Grūbe, die Politikerin und Abgeordnete des Europäischen Parlaments Sandra Kalniete. April 2011, die deutsche Schriftstellerin Nobelpreisträgerin Herta Müller ist zu Gast in Riga. Im Bild die Lesung aus „Atemschaukel“, v. l. Herta Müller, der Journalist Gints Grūbe, die Politikerin und Abgeordnete des Europäischen Parlaments Sandra Kalniete. | © Zane Meiere Doch leicht hatte es das Goethe-Institut zunächst nicht – die Suche nach passenden Räumlichkeiten zog sich anfangs in die Länge. Mit der Geschichte hatte die aber nichts zu tun. Zur prägenden Rolle der deutschen Kultur und Sprache bekennt man sich in Lettland trotz der dunklen Kapitel in der gemeinsamen Geschichte heute freundlich und unbefangen, nicht wenige Lett*innen sprechen selbst fließend Deutsch. Wiederholt wurde in Lettland auch die wichtige Rolle betont, die Deutsche wie etwa Garlieb Merkel, Gotthard Friedrich Stender oder Ernst Glück in der Zeit der Aufklärung bei der Herausbildung der lettischen Nation und deren Geisteskultur gespielt haben.

Zeitgemäß und an gesellschaftliche Umstände angepasst

Die Aktivitäten des Goethe-Instituts Riga waren in den Anfangsjahren auf den Umbruch und den Übergang der drei Transformationsländer zu freien, demokratischen Gesellschaften zugeschnitten. Dialog und Partnerschaft wurden zu Kernbegriffen der Institutsarbeit, das Eingehen auf die Gegebenheiten der Gastländer zur Richtschnur. Gefördert wurde der demokratische Diskurs ebenso wie Meinungs­ und Kunstfreiheit, Menschenrechte und soziale Gerechtigkeit. „Gemeinsam mit unseren lettischen Partnern haben wir diese Prozesse reflektiert und unterstützt – auch und vor allem mit Mitteln der Kunst und Kultur“, betonte Pollack. Das Institut begleitete die Veränderungen, war Teil davon und trieb sie selbst voran.

Doch dies war und ist nicht immer einfach: Zivilgesellschaftliches Denken ist in Lettland wie in vielen mittel- und osteuropäischen Staaten, die eine fundamentale Transformation durchlebten, nach wie vor im Aufbau und noch nicht in allen Schichten und Teilen der Gesellschaft verbreitet. Die repressive Pädagogik und Erziehung durch das totalitäre Sowjetsystem sowie die jahrzehntelange Gewöhnung an Anpassung, Wohlverhalten und Gehorsam wirken bis heute nach. Noch immer gibt es den Homo sovieticus in Lettland, wie zuletzt auch der im Herbst 2021 veröffentlichte gleichnamige Dokumentarfilm veranschaulichte. Gleichzeitig gibt es eine jüngere Generation, die in den Zeiten des Umbruchs und später geboren wurde. Sie ist wach und auf Neues begierig, will sich mit ihren Ideen einbringen und gestalten. Dazu sucht sie nach neuen Zugängen zu Kunst und Kultur – um sich selbst und andere zu begeistern. Oktober 2007, Lesung "Anna Politkovskaya". Im Bild freie Journalistin Birgit Johanssmeier. Oktober 2007, Lesung "Anna Politkovskaya". Im Bild freie Journalistin Birgit Johanssmeier. | © Goethe-Institut Riga Verstärkt wird die Spaltung der Gesellschaft durch unterschiedliche Sprachgruppen und Informationsräume sowie einer starken Kluft zwischen Stadt- und Landbevölkerung, zwischen Riga und dem Rest des Landes. Hinzu kommt ein ambivalenter Blick auf das deutschbaltische Erbe. Die bedienenden Strukturen und Zielgruppen sind vielfältiger und komplizierter als anderswo. „Die auswärtige Kulturarbeit trifft in Lettland aufgrund der aktuellen und historischen Ausgangsbedingungen auf besondere Herausforderungen. Die Reibungspunkte und unterschiedlichen Perspektiven in der lettischen Gesellschaft machen Kulturarbeit nicht immer einfach. Gleichzeit ermöglicht Kultur aber überall dort einen Dialog, wo auf anderen Ebenen Sprachlosigkeit herrscht“, sagt Arendt Röskens, seit 2020 Leiter des Goethe-Instituts Riga.

Das Goethe-Institut versucht sich deshalb an einem Spagat – und es gelingt bislang gut. Im Vordergrund steht dabei der Kulturdialog, das Verständnis für Erfahrungen und Standpunkte des anderen. Die Kulturveranstaltungen sollen Neugier aufeinander erwecken und zur Diskussion anregen. „Sie sind einerseits kultureller und künstlerischer Austausch, gleichzeitig bieten sie damit aber Kristallisationspunkte für ein gemeinsames Nachdenken. Sie sind Denkanstöße und reflektieren diejenigen Themen, die uns in Lettland, Deutschland und Europa wichtig sind“, betont Pollack. August 2022, Teilnehmer*innen an dem deutsch-französisch-lettischen Kreativworkshop „Think Un*common“. August 2022, Teilnehmer*innen an dem deutsch-französisch-lettischen Kreativworkshop „Think Un*common“. | © Andra Mara Babre

Modern und am Puls der Zeit


In den bisherigen drei Jahrzehnten seines Bestehens hat das Goethe-Institut Riga vieles verwirklicht. Dabei hat es experimentiert und in großen und kleinen Projekten versucht, Innovationen anzustoßen. Wesentlich dafür war die enge Zusammenarbeit mit lettischen Kulturschaffenden, die das Institut in grenzüberschreitenden Kooperationen mit Kulturschaffenden anderer europäischer Länder zusammen brachte – oft über die Region Mittel- und Osteuropa hinaus, zu der das Goethe-Institut Riga in der institutionellen Organisationsstruktur gehört. Die Abbildung des permanenten Wandels der Gesellschaft in Lettland und Deutschland war dabei immer eines der Hauptanliegen der Kulturarbeit.

Stets hat sich das Institut deshalb mit aktuellen und akuten Themen beschäftigt. Im Zentrum der Arbeit standen immer wieder Fragen von Peripherie und Zentrum, von Migration, Identität und Diversität, Klimaschutz, Erinnerungskultur, gesellschaftlicher Teilhabe sowie in zunehmenden Maße die Auswirkungen der Digitalisierung, Desinformation und der Schutz der liberalen Demokratie. Dies geschieht mit einer Vielzahl unterschiedlicher Veranstaltungen von Konzerten, Theaterproduktionen, Tanzworkshops und Auftritten deutscher Künstler*innen über Foto- und Kunstausstellungen und Filmvorführungen bis hin zu Lesungen, Diskussionen und Vorträgen.

Das Goethe-Institut versucht dem lettischen Publikum dabei immer auch bisher Ungesehenes und Ungehörtes zu präsentieren. Eine intensive Beschäftigung mit deutscher Kultur bot zum Beispiel der 2008 veranstaltete Kulturmonat „O!Vācija“, der im Zuge des deutsch-baltischen Kulturjahres „Essentia Baltica“ stattfand. Das Presse-Echo und die Wahrnehmung in der lettischen Öffentlichkeit waren groß – die Werbekampagne für das mehrwöchige Programm erhielt sogar den wichtigsten lettischen PR-Preis. Viel Aufmerksamkeit und hohes Publikumsinteresse erweckte 2016 auch die aus einer Privatinitiative hervorgegangene Ausstellung „Wahlverwandtschaften“ – es war die erste umfassende Retrospektive zeitgenössischer Kunst aus Deutschland in Riga. Zu sehen gab es insgesamt 77 Werke von mehr als 50 teils weltbekannten deutschen Künstler*innen – darunter etwa Gerhard Richter, Anselm Kiefer oder Jonathan Meese. 

Äußerst beliebt beim lettischen Publikum waren seit Gründung des Goethe-Instituts auch deutsche Filme. Wurden zu Beginn noch Filme und Filmreihen im Veranstaltungssaal des Goethe-Instituts gezeigt, hat sich die Programmarbeit im Laufe der Jahre hin zu Kollaborationen mit lettischen Partnern aus dem Filmbereich und die Stärkung lokaler Strukturen entwickelt. So ist das seit 2005 jährlich in Zusammenarbeit mit dem Internationalen Filmfestival Riga veranstaltete Filmprogramm mit aktuellen deutschen Kinostreifen nach wie vor ein Publikumsmagnet. Abseits des roten Teppichs gibt es Diskurse zu den drängenden Fragen, die sich dem Kino als Ganzem, aber auch der Filmindustrie in Deutschland und Lettland im Speziellen stellen.

Auch in anderen Bereich – sei es Musik, Theater oder bei Kunstprojekten – war das Goethe-Institut nie nur reiner Exporteur deutscher Kultur. Stets ging es immer ebenso darum, kulturelle Entwicklungen, Trends und Diskussionen, die in Lettland stattfinden, nach außen zu tragen. Diese „Zweibahnstraße des öffentlich geförderten Kulturaustausches“, wie es der Generalsekretär und Vorstand des Goethe-Instituts Johannes Ebert umschreibt, hat sich angesichts veränderter gesellschaftlicher und politischer Rahmenbedingungen mehr und mehr verändert.  Längst ist man dabei von der statischen Auffassung von Kultur und Nationalität abgerückt. Oktober 2020, Institutsleiter Arendt Röskens und die Leiterin des Riga International Film Festivals, Liene Treimane, bei er Präsentation des Filmes „Undine“ von Christian Petzold im Kino Splendid Palace. Oktober 2020, Institutsleiter Arendt Röskens und die Leiterin des Riga International Film Festivals, Liene Treimane, bei er Präsentation des Filmes „Undine“ von Christian Petzold im Kino Splendid Palace. | © Goethe-Institut Riga

Den Blick in die Zukunft gerichtet


Mit der globalen Entwicklung hin zu einer multipolaren Weltordnung hat sich auswärtige Kulturpolitik in den vergangenen Jahren stark gewandelt, und mit ihr die Arbeit des Goethe-Instituts Riga. Der Grenze zwischen Innen und Außen in der Kulturpolitik werde durchlässiger und der Kulturaustausch stärker als ein Austausch in viele Richtungen verstanden. Alte Muster nationalen kulturpolitischen Handelns sollten überwunden und die internationalen Kulturbeziehungen in den Vordergrund gestellt werden, meint Ebert, der in seiner langen Karriere selbst auch schon einmal in Lettland tätig war. In den Anfangszeiten des Goethe-Instituts Riga war er von 1994 bis 1995 Referent für die Spracharbeit – ein weiterer wichtiger Schwerpunkt der Tätigkeit des Instituts.

Nötig sei ein Ansatz, der an die multipolare Welt angepasst ist. „Das zeitgemäße Modell der Kultur- und Bildungspolitik in Zeiten der Globalisierung ist deshalb eher ein multidimensionales Geflecht. Es besteht aus einer scheinbar unendlichen Zahl von kulturellen Akteur*innen, die durch unendlich viele Wege, Synapsen und sich verästelnde Verbindungen verknüpft sind“, umschreibt es Goethe-Generalsekretär Ebert. „Je stärker, zahlreicher und offener diese Kanäle, desto wirksamer sind die Impulse und die Nachhaltigkeit der internationalen Verständigung, die wir für globalen Austausch und Stabilität brauchen.“


Das Goethe-Institut habe in diesem multipolaren System nun die „Funktion eines Ermöglichers und Verteilers“ und gebe in seinem weltweiten Netzwerk Impulse in alle Richtungen. In seiner Arbeit tritt es dabei heute nun nicht mehr nur als deutsches Kulturinstitut auf, sondern auch als europäische Einrichtung. Grundlegendes Ziel sei dabei nach dem Verständnis von Ebert immer, Zugänge zu erweitern und so zu einer globalen Verständigung beizutragen. Dies wird auch von lettischen Kulturschaffenden als wesentlicher und wichtiger Punkt bei ihrem kreativen Miteinander mit dem Goethe-Institut Riga empfunden.

Beispielhaft für diesen Ansatz in der Kulturarbeit steht die lettische Oper „Banuta“ von Alfreds Kalnins, die die anlässlich des 100. Jahrestages ihrer Erstaufführung und im Rahmen des 100. Jubiläums der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Lettland und Deutschland im Jahr 2021 neu inszeniert wurde. Sie veranschaulicht, wie orientiert am lokal-regionalen (zeit)historischen Kontext aktuelle Themen aufgegriffen und in die gesellschaftliche  Debatte eingebracht werden können. Für die lettisch-deutsche Koproduktion haben die Regisseurin Franziska Kronfoth vom Musiktheaterkollektiv „Hauen und Stechen“ und der Dramaturg Evarts Melnalksnis eng zusammengearbeitet und ein zeitgenössisches Gemeinschaftswerk geschaffen, welches die Handlung von Krieg, Flucht und Fremdenfeindlichkeit zeitgenössisch interpretiert. Die Neuinszenierung wurde in Lettland und Deutschland aufgeführt. Fragment aus dem Opernfilm “Baņuta”. Regisseur: Evarts Melnalksnis; Schauspeler: Truppe Kvadrifrons. Fragment aus dem Opernfilm “Baņuta”. Regisseur: Evarts Melnalksnis; Schauspeler: Truppe Kvadrifrons. | Foto: Toms Šķēle

Kulturpolitik unverzichtbar für europäischen Zusammenhalt

Inhaltlich nimmt auch die Stärkung und Vernetzung der Zivilgesellschaft einen immer größeren Raum ein. Demokratie, auch im Sinne von gesellschaftlicher Teilhabe, wird in der Arbeit des Goethe-Instituts immer zentraler, mit einem starken Fokus auf ein vereintes Europa. Das Institut engagiert sich für einen auf kultureller Vielfalt basierenden europäischen Kulturraum und tritt für den fundamentalen Wert der Freiheit als Kern des europäischen Gedankens ein. Dabei thematisiert es aber auch explizit dessen Brüche, Krisen und Ambivalenzen und die damit verbundenen Ängste und Unsicherheiten. Angesichts vieler globaler Herausforderungen, gelte es den europäischen Zusammenhalt nach innen und außen zu festigen, betonte die Präsidentin des Goethe-Instituts, Carola Lentz, in ihrer Rede bei der Eröffnung des neuen Institutsgebäudes in Riga im September 2021. Dazu bedürfte es mehr Dialog und Austausch statt Abkapselung und Abschottung.

Nur wenn das europäische Projekt auch jenseits der politischen Eliten gelebt und vorangebracht wird, kann es nach Ansicht von Lentz gelingen, die aktuellen Herausforderungen zu bewältigen. Dazu zählte sie Autoritarismus, Illiberalismus und die Zunahme rechtsradikaler und populistischer Gruppierungen. Auch Fragen des Klimaschutzes, die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie und die Zunahme weltpolitischer Konflikte stellten die europäische Solidarität auf die Probe, sagte die Goethe-Präsidentin in Riga. Darauf müssten gemeinsam Antworten entwickelt werden. September 2021, Festrede von Carola Lentz, Präsidentin des Goethe-Instituts, zur Eröffnung des neuen Institutsgebäudes. September 2021, Festrede von Carola Lentz, Präsidentin des Goethe-Instituts, zur Eröffnung des neuen Institutsgebäudes. | @ Goethe-Institut Riga; Foto: Kaspars Garda „Welche Rolle kann Kulturpolitik in diesem schwierigen Prozess der außenpolitischen Neuorientierung spielen? Ich bin überzeugt, dass Kultur- und Spracharbeit, wie sie das Goethe-Institut und andere europäische Kulturmittler leisten, unverzichtbar sind, um die europäischen Zivilgesellschaften miteinander zu vernetzen“, betonte Lentz in ihrer Rede. „Um die europäische und nationale staatliche Außenpolitik gesellschaftlich zu unterfüttern, aber auch kritisch zu begleiten oder gar zu verändern, braucht es diese gesellschaftliche Vernetzung – das Mit- und Voneinander-Lernen, durch gemeinsame künstlerische Produktionen, intellektuellen Austausch, kooperative Erinnerungskulturarbeit und vieles mehr.“

Wie das erfolgen kann, hat das Goethe-Institut Riga bereits wiederholt bewiesen. Das 2015 in Zusammenarbeit mit dem Ģertrūdes ielas teātris auf die Bühne gebrachte Theaterprojekt „Tanjas Geburtstag“ verfolgt etwa das Ziel, einen gemeinsamen politischen, kulturellen und sprachlichen Raum zu schaffen. Die interaktive Aufführung ist eine Art Erinnerungsabend, bei dem die unterschiedlichen individuellen und kollektiven Sichtweisen auf persönliche und politische Ereignisse in der Geschichte Lettlands als Erzählungen dramaturgisch arrangiert und inszeniert werden. Damit versucht das mittlerweile mehrmals erfolgreich in Lettland und Deutschland aufgeführte Stück, die Basis für eine gemeinsame Zukunft zu bilden, in der kulturelle Vielfalt und Inklusion selbstverständlich sind. November 2016, Premiere des Theaterstücks "Tanjas Geburtstag", Regisseur Mārtiņš Eihe. Das Theaterstück wurde im Rahmen des Projektes „Deine Erinnerungen für die Zukunft Lettlands“ in Zusammenarbeit mit Historikern und Jaunais Ģertrūdes Theater entwickelt. November 2016, Premiere des Theaterstücks "Tanjas Geburtstag", Regisseur Mārtiņš Eihe. Das Theaterstück wurde im Rahmen des Projektes „Deine Erinnerungen für die Zukunft Lettlands“ in Zusammenarbeit mit Historikern und Jaunais Ģertrūdes Theater entwickelt. | © Goethe-Institut Riga / Kaspars Garda Das in Zusammenarbeit mit der Theatergruppe „Kvadrifrons“ entstandene Theaterprojekt „Fake News“ (2019) dagegen thematisierte das immer relevanter gewordene Thema der Desinformation, während sich das vom Auswärtigen Amt geförderte und mit dem Kunstfestival Survival Kit durchgeführte Projekt „Kommunalka“ (2020) mit einer offene Plattform für Gespräche, kreativen Workshops, Performances und einer interaktiven, demokratischen Theaterproduktion vorrangig an junge russischstämmige Letten und Lettinnen richtet. Beide Aufführungen verfolgen das Ziel, das kritische Denken sowie die politische Bildung und Teilhabe zu fördern.

Digitalisierungsschub und Ukraine-Krieg

Nicht erst seit der Covid-Pandemie bilden hybride und digitale Formate einen immer wichtigeren Bestandteil der Arbeit des Goethe-Instituts. Dabei gilt es, die Chancen der Digitalisierung wahrzunehmen und gleichzeitig über mögliche gesellschaftliche und politische Auswirkungen kritisch zu reflektieren. Die Kreativindustrie und die Vernetzung von maßgeblichen Akteuren sind hierbei mittlerweile ein wichtiger Teil der Programmarbeit geworden, sei es bei der Vernetzung der lettisch-deutschen Games-Szene wie im Game Jam „Slow Culture“ (2021), oder im „Sustainable Design Lab for Urban Development“ für Designer*innen, welches das Goethe-Institut in Zusammenarbeit mit dem dänischen Kulturinstitut als Beitrag zur Internationalisierung der Kultur- und Kreativwirtschaft in der Ostseeregion 2021 veranstaltet hat. Auch in dem zentralen Themenfeld der Erinnerungskultur werden neue Formate ausprobiert, wie die App für das Smartphone „Deutsche Spuren Lettland“.

November 2021, Diskussion "Weltraumträume in Ost und West" im Rahmen des Anti-Dystopischen Kongresses. Im Bild  Georg Seeßlen, Deniss Hanovs und Elīna Reitere. November 2021, Diskussion "Weltraumträume in Ost und West" im Rahmen des Anti-Dystopischen Kongresses. Im Bild Georg Seeßlen, Deniss Hanovs und Elīna Reitere. | Screenshot © Goethe-Institut Die zunehmende Bedeutung des digitalen Raums macht sich nicht nur in der Programmarbeit bemerkbar, sondern auch im Goethe-Institut selbst. Mit dem Bezug der neuen Räumlichkeiten im Bergs Basar im Herbst 2021 wurde in Riga ein modernes Institutskonzept umgesetzt, welches die neuen Zeiten reflektiert: Statt Einzelbüros gibt es nun mobile und flexible Arbeitsplätze sowie Kreativbüros, in denen Mitarbeiter*innen verschiedener Fachbereiche zusammenarbeiten. Online-Sprachkurse ergänzen als fester Bestandteil die Spracharbeit, und auch die neu gestaltete Bibliothek bietet neue zeitgemäße Formate: CDs wurden durch kuratierte Spotify-Listen ersetzt und DVDs durch Streamingangebote, und das physische Angebot durch E-Books in der Onleihe erweitert. 

Der Corona-bedingte Sprung in den digitalen Raum kommt dem Goethe-Institut jetzt auch zugute bei der Unterstützung von ukrainischen Kriegsflüchtlingen. So wurden kurz nach Beginn des russischen Angriffskriegs kostenlose Online-Deutschkurse sowie zusätzlich auch digitale Selbstlernkurse für die zahlreichenden Schutzsuchenden angeboten, die aus der Ukraine nach Lettland gekommen sind. In der Bibliothek des Goethe-Instituts können sie mit Büchern ukrainischer und ausländischer Autor*innen in ukrainischer Übersetzung ein Stück Heimat in der Ferne finden, Vorlesestunden sollen Kindern ukrainischer Geflüchteter das Ankommen in der Fremde erleichtern und  neue Bekanntschaften schließen lassen. Auch mehr ukrainische Kunst und Kultur wird in Zusammenarbeit mit lettischen Partnern gezeigt – sei es im Kino, Theater oder auf anderen Bühnen. Die Solidarität ist groß. September 2022, Rigas Bürgermeister Mārtiņš Staķis im Interview mit dem Moderator des Berliner Radiosenders Radio Eins, Knut Elstermann, während der live-Radiobrücke im Goethe-Institut Riga. September 2022, Rigas Bürgermeister Mārtiņš Staķis im Interview mit dem Moderator des Berliner Radiosenders Radio Eins, Knut Elstermann, während der live-Radiobrücke im Goethe-Institut Riga. | © rbb radioeins / Beate Kaminski Dazu kommen Projekte wie die Radiobrücke Riga, bei der zwei Radioprogramme des Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) vier Tage aus Lettland berichteten. Gesendet wurde live aus einem improvisierten Studio aus dem Goethe-Institut. Einen zentralen Aspekt der Berichterstattung bildeten die Auswirkungen von Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine auf die lettische Gesellschaft und Kultur. Mit Hilfe von zahlreichen Studiogästen wurde dabei ein vielschichtiger Einblick in die Lebenswirklichkeit der Lett*innen gegeben und ein Stimmungsbild aus einem Land vermittelt, in dem eine starke russischstämmige Minderheit lebt. Dabei wurde auch nicht verschwiegen, welche Probleme in Riga als multi-ethnischer Stadt entstehen und wie der Krieg gegen die Ukraine das Verhältnis zu Russland verändert.
 

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