Interview 5 plus 1
„Schriftsteller kann man nicht einfach werden“

Saša Stanišić
Foto (Ausschnitt): © Katja Sämann

Der Autor Saša Stanišić begibt sich in seinem Roman Herkunft auf die Spuren seiner eigenen Geschichte. Er ist unter anderem Träger des Preises der Leipziger Buchmesse und des Deutschen Buchpreises.

Herr Stanišić, gibt es einen bestimmten Ort, an dem Sie am liebsten schreiben?

Ich kann an vielen Orten gut schreiben, hier in Hamburg etwa in der Bibliothek des Fachbereichs Biologie, in Belgien in einem Dorf namens Vollezele am Waldrand, in Venasque, Frankreich, im Haus einer guten Freundin mit Blick auf den Mt. Ventoux, zu Hause auf dem Sofa, Notebook auf dem Schoß. 
 
Erinnern Sie sich an einen konkreten Auslöser, der Sie zum Schreiben bewogen hat, oder würden Sie es eher als natürlichen Verlauf ihres Lebens beschreiben, Schriftsteller geworden zu sein? 

Ich habe als Kind und Jugendlicher viel Freude beim Lesen gehabt und wollte irgendwann diese Freude für andere beschaffen. Leider kann man nicht einfach Schriftsteller „werden“, man verdient normaler Weise nicht viel, der Beruf hat nicht mehr den Wert, den er früher mal hatte, ich kann mich glücklich schätzen, dass ich noch immer vom Schreiben leben kann, das ist keine Selbstverständlichkeit.
 
In Ihrem Buch Herkunft erzählen Sie viel aus Ihrem Leben, es ist sehr persönlich. Unter anderem beschreiben Sie die Demenzerkrankung Ihrer Großmutter Kristina. War es schwierig für Sie,  über solch persönliche Dinge zu schreiben? 

Ja und nein, jedenfalls nicht viel anders als über andere Themen zu schreiben. Man schöpft als Autor*in aus einem Fundus voller Informationen, die können persönlicher Art sein, Familienerzählungen zum Beispiel, die können ausgedacht und konstruiert sein oder aber recherchiert - letztlich geht es darum, mit diesen Informationen einen Satz zu formulieren, der gut ist, und dann noch einen, der gut zum ersten passt, und noch einen, der eine Bedeutung schafft oder ein feines Bild, und am Ende ist eine Geschichte da oder viele Geschichten.
 
Sie schreiben unter anderem, dass Ihnen Zugehörigkeit wichtig ist. Ist Zugehörigkeit etwas Gegebenes, Passives oder kann man sie sich aktiv erarbeiten? 

Alles drei. Zugehörigkeit ist auf jeden Fall etwas Persönliches, etwas, das man willentlich für sich beansprucht. Und solange man dabei andere nicht ausschließt und ausgrenzt oder auch marginalisiert, ist diesem Anspruch jede Möglichkeit offen. Man kann also für sich beanspruchen, „von Geburt an“ zu den Rothaarigen zu gehören, man kann sich aber auch die Haare stets färben, man kann auch sagen, Haare sind der Teufel, ich verbrenne sie in einer Schüssel, man kann Haare sammeln, Haare essen, dem Club „Mützenträger e.V.“ beitreten, alles machbar. Es wäre nur gut, wenn man für das, was man für sich wählt, nicht kleingemacht wird, nicht angegriffen, nicht abgeschoben. 
 
Spätestens wenn man Ihr Buch gelesen hat, wird klar, dass Herkunft sich nicht nur auf Herkunftsorte beschränkt, sondern auch eine nicht-örtliche Dimension hat. Haben Ihnen die Reisen an Orte Ihrer Vergangenheit trotzdem dabei geholfen, Herkunft grundsätzlich besser zu verstehen oder fassen zu können? 

Reisen ist großes Privileg. Sich leisten können, Kapazitäten haben für Orte und Zeitgebrauch. In der eigenen Vergangenheit herumschaufeln auch. Einen Ort persönlich als den Ort beanspruchen, der eine Vergangenheit erzählt, die vielleicht die eigene ist, auch. Das Zusammenzufassen geht dann tatsächlich am besten – vor Ort.
 
Plus 1: Wenn Sie nicht Schriftsteller geworden wären, welchen anderen Beruf hätten Sie sich auch vorstellen können? 
 
Lehrer?