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Berlinale Blogger*innen 2024
„Dostoevskij“ – Die bitteren Erzählungen der D’Innocenzo-Brüder

Eine Szene aus „Dostoevskij” von Damiano & Fabio D’Innocenzo
Eine Szene aus „Dostoevskij” von Damiano & Fabio D’Innocenzo | Foto (Detail): © Sky Studios Limited, Sky Italia S.r.l., Paco Cinematografica S.r.l. (2023)

Fabio und Damiano D’Innocenzo feiern bei den Berliner Filmfestspielen die Weltpremiere einer makabren Noir-Serie. Ein Thriller voller Schmerz und Selbsterkundung.

Von Sara De Pascale

Die D’Innocenzos zurück in Berlin

Nach vier Jahren präsentieren die D’Innocenzo-Brüder wieder eines ihrer Werke auf der Berlinale. Die Sky-Original-Serie Dostoevskij wird in der Sektion Special gezeigt. Mit dem russischen Schriftsteller Fjodor Dostojewski hat die Handlung übrigens nichts zu tun: Es geht stattdessen um einen getriebenen Polizisten, der die Verbrechen eines gewalttätigen Serienkillers untersucht. An den Tatorten finden sich lange, detaillierte Briefe, die den Mord in allen Einzelheiten schildern – daher bekommt der Mörder den Spitzname Dostoevskij verpasst. Die Serie läuft demnächst in den italienischen Kinos, anschließend auf Sky und Now TV.

Der Abend der Kinopremiere

In der Pause registriere ich die Anzahl der Italiener*innen im Saal: Es sind etliche, aber nicht allzu viele. Aufgeführt wird die Serie im Kino International, eines der größten Lichtspielhäuser Berlins.

In den hinteren Reihen, auf den allerletzten Mittelplätzen, sitzen die Regisseure und Teile der Besetzung. Während der Pause – die Serie wird in voller Länge gezeigt, mit einer zehnminütigen Pause nach den ersten zweieinhalb Stunden – begrüßt Damiano D’Innocenzo einige Freunde. Er umarmt einen Mann mit den Worten: „Hey, wir haben 3:0 gewonnen!“, und zählt die Namen der Fußballspieler auf, die im Match gestern Nachmittag für den Verein AS Roma Tore geschossen haben.

Unterdessen wird anderswo getuschelt. Ich höre Italienisch, vielleicht von Kritiker*innen, vielleicht von Fans, die kaum hörbar diskutieren. Das einzige Wort, das ich von ihrer Unterhaltung aufschnappe, ist scrittura, „Schreibweise“; dann die Phrase è nello stile loro, „das entspricht ihrem Stil“.

Außerhalb des Kinos zünden die Raucher*innen ihre Zigaretten an. Jemand mit einem „PRESS“-Schild am Kragen erzählt großspurig von den Filmproduktionen, an denen er arbeitet, nicht ohne einige bedeutende Namen fallen zu lassen. Jemand anderes stellt Fragen. Ein junger Mann, der vermutlich heute Nachmittag die Shorts – die Berlinale-Sektion für Kurzfilme – besucht hat, wagt sich vor: „Naja, die Balkanländer produzieren fünf Filme pro Jahr, aber die sind halt alle gut. Nicht wie bei uns, wo sie 120 Filme raushauen, aber fast nur schlechte.“

Auf dem Weg zurück in den Kinosaal sehe ich einige Männer in Maßanzügen vor mir die teppichbespannten Treppen hinaufsteigen. Erst da, als ich aufblicke, wird mir klar: Wow, ich nehme an einer ungekürzten D’Innocenzo-Weltpremiere teil! Ich will mich gerade auf meinem Platz niederlassen, da höre ich wieder einen der beiden Regisseure johlen: „Ist nicht wahr – wir haben 3:0 gewonnen!“

Die Dimension der Innerlichkeit

Vielleicht ist es das, was mir an den D’Innocenzo-Brüdern gefällt: dieser Grad des Realen, eine Dimension, die auch ihren Filmen eingeschrieben ist. Sie zeigen laufend ihren eigenen Blickwinkel, und das so geschickt, dass man gar nicht merkt, wann man angefangen hat, diesen einzunehmen. Nach einer Weile denkt man sich: Die haben mich reingelegt! Ich bin in ihrer Geschichte, ich denke in ihren Mustern, und sie haben mich einfach so dazu gebracht.

Damiano sagt, um die noch verstreut herumstehenden Zuschauer*innen zum Hinsetzen zu bewegen: „Hier muss man Englisch sprechen. Ah, der Film beginnt gleich. The movie is starting, come on, please!“ Es ist das römischste Englisch, das ich je gehört habe.

Umwerfendes Ergebnis nach zwei Jahren Arbeit

Kompliment an alle! Dostoevskij ist in der Tat – wie die D’Innocenzos es bezeichnet haben – ein Roman. Und zwar eines jener guten, reizvollen Bücher, wo man beim Lesen nicht die Buchstaben sieht, die sich abwechseln und Wörter bilden, sondern nur Bilder, die zuhauf fließen, reichlich und schmerzhaft. Zwei Jahre sind in die Planung und Umsetzung dieser Serie geflossen.

Vieles von dem, was man zu sehen bekommt, stößt einen ab, dreht einem den Magen um, erzeugt ein überwältigendes Gefühl von Scham und Unbehagen. Wie übrigens auch vieles von dem, was uns im wirklichen Leben widerfährt. Und in ebendiesem natürlichen, zyklischen Rhythmus geht es immer weiter.

Es ist eine abscheuliche Geschichte von Menschen, die sich selbst hassen und in ihrem Selbsthass Böses in der Welt säen. Böses, das – wie die D’Innocenzo-Brüder nicht müde werden zu betonen – in den alltäglichsten Dingen steckt, in den Geheimnissen der ganz normalen Leute. Sie selbst tun nichts weiter, als es mit Kino anzureichern.

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