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Ende – Endlich – Endling

Schreiber: Endling
© Eichborn / Canva

Jasmin Schreibers dritter Roman nimmt uns mit auf einen Roadtrip. Die Kulisse: Verlust, Artensterben, politische Repressalien im Jahr 2041. Und ganz viel Flora und Fauna.

Von Anna Berchtenbreiter

„Japp, meine Tante hat eine Weinbergschnecke als Haustier. […] HP14 war vor allem eins: ein Endling. Die Letzte ihrer Art also, das einsame Überbleibsel einer seit Millionen von Jahren andauernden Erfolgsgeschichte, die mit dem Tod dieses kleinen Exemplars ebenfalls zum Erliegen kommen würde.“ HP14, besagte Weinbergschnecke, ist die Namensgeberin des dritten Romans von Jasmin Schreiber, die sowohl Biologin wie auch Schriftstellerin ist.

Repressive Zustände

In ihrem neuesten Buch geht es um Zoe, ebenfalls Biologin und dazu Käferforscherin. Sie kehrt nach Hause zurück, um sich um ihre Schwester Hanna und ihre schrullige Tante Auguste zu kümmern, während ihre Mutter sich in der Reha erholt. Doch das Zuhause ist nach dem Tod des Vaters nicht mehr, wie es einmal war: Die Mutter ist Alkoholikerin, die 16-jährige Schwester verschwindet immer wieder und feiert bis spät in die Nacht, und Tante Auguste verlässt aus Angst vor Keimen und Krankheiten ihre Wohnung nicht mehr. Doch dann verschwindet plötzlich Sophie, Augustes Freundin, und das ungleiche Trio macht sich auf, um sie zu suchen. Was folgt, ist ein Roadtrip von Frankfurt nach Südtirol und Schweden. All dies geschieht im Jahr 2041, das gezeichnet ist von Klimawandel und Artensterben. In Deutschland ist zudem eine rechtspopulistische Regierung an der Macht, die Abtreibungen und Verhütung unter Strafe stellt.

Jasmin Schreiber schreibt über Verlust auf allen Ebenen: von privat bis hin zu global – und trifft damit ins Mark. Sie präsentiert eine Familiengeschichte, die rührend und ein bisschen schräg ist, und zeigt, dass jede*r anders mit Trauer umgeht. Genau deshalb passt auch der Titel Endling so gut: Er ist für die Autorin „das vielleicht traurigste Wort, das sie kennt.“, ein Wort, das „nicht nur einen biologischen oder kulturellen Zustand beschreibt, sondern auch eine tiefe emotionale Bedeutung hat“ (FAZ).

Reisen mit Schnecke

HP14, die Endlings-Schnecke, muss natürlich mit auf die Reise und ist sogar dabei, wenn Zoe, Hanna und Auguste auf die Südtiroler Berge steigen. Dort finden sie längst ausgestorbene Flora und Fauna und ein sagenumwobenes Dorf, in dem nur Frauen wohnen. Männer werden hier seltsamerweise schnell schwer krank …. Sophie ist aber schon weitergezogen, nach Schweden. Dort verirren sich die Protagonist*innen am Ende des Buches im dunklen Wald – in dem sich dasselbe Phänomen zeigt, wie schon in Italien: Ausgestorbene Pflanzen und Tiere sind quicklebendig, und es gibt ein verstecktes Frauendorf. Magie oder doch Wissenschaft? Das lässt die Autorin offen, ihre wissenschaftlich orientierten Figuren sehen das Phänomen jedoch als etwas, das noch nicht erforscht wurde.

Jasmin Schreibers Buch ist dystopisch und doch sehr nah an unserer Realität, was die Geschichte noch einprägsamer macht. Eine Antwort auf die Frage „Was wäre wenn?“ mit einer gehörigen Dosis „Das könnte wirklich so kommen“. Bei aller Düsternis finden sich in Endling aber auch Hoffnungsschimmer – etwa die abgeschiedenen Frauensiedlungen mit intakter Flora und Fauna oder das Online-Untergrundnetzwerk „Nachtschwärmer“, das Frauen reproduktive Gesundheitsberatung anbietet.

Feminismus und Insekten

Das Buch ist auch feministisch. Es geht immer wieder um das Recht am eigenen Körper, um die Kraft, die Zusammenschlüsse von Frauen entwickeln können. Beispiele hierfür sind die besagten reibungslos organisierten Frauendörfer, die ein Rückzugsort für viele sind, die vor den Repressalien der Regierung oder ihrer gewalttätigen Partner fliehen. Oder die Nachtschwärmer, die ein illegales Onlineportal führen und für ihre Untergrund-Tätigkeiten sogar verhaftet werden können. Schreiber zeigt vielseitige weibliche Hauptfiguren und formuliert Sätze, in denen sich viele Frauen wiederfinden können: „Hanna war trotz allem so wild, wie es kleine Mädchen eben immer sind, bevor man anfängt, sie wie Origamipapier zu falten und zu verbasteln, bis sie sich in stille und hübsch anzusehende Schwäne verwandeln.“

Zudem geht es um Familie, um unsere Erde, das Klima, Zusammenhalt, Trauer, Verlust, Widerstand und eben auch Hoffnung. Jasmin Schreiber hat mit Endling einen besonderen Ton getroffen: So bringt einem das Buch viel über Insekten und Biodiversität bei, ist aber nie belehrend. Für solch ein schweres Thema ist es locker, aber nie abwertend geschrieben, es hat mehrere Dimensionen und ist doch klar in seiner Sprache. Tara Wittwer hat Schreibers Werk wohl am besten zusammengefasst: „Ein Roman, der schön ist, verstörend ist – und so vielschichtig feministisch, dass ich nicht wollte, dass er endet.“
 
Jasmin Schreiber: Endling. Roman
Köln: Eichborn, 2023. 334 S.
ISBN: 978-3-8479-0145-7
Diesen Titel finden Sie auch in unserer Onleihe (auch als Hörbuch)

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