Übersetzung: Interview mit Robert Lehmeier, 15-09-2022, Nr. 1126, Observator Cultural, Autor: Matei Martin
"Oper - die komplexeste und schönste Kunstform der westlichen Welt"

Artikel im Original

Wie beginnt die Geschichte des Projektes Opera in Your Pocket?

Nach unserem Projekt „Fidelio esti tu“, das zum Beethoven-Jahr 2020 entstand und als Film vorliegt, in dem fünf neue Kurzopern von fünf jungen rumänischen Teams zu erleben sind, haben das Goethe Institut und ich beschlossen, unbedingt weiter zu machen und zeitgenössisches Musiktheater mit einem weiteren Leuchtturm-Projekt in Rumänien zu fördern – „Opera in Your Pocket“. Drei Teams haben die Gelegenheit, ihr Talent mit drei neuen Kurzopern ganz unterschiedlichen Inhalts vorzustellen.

Wie haben Sie mit den rumänischen Teams und die Mentoren für die Produktionen gearbeitet? Was war für Sie die grösste Herausforderung?

Musiktheater ist eine extrem aufwändige und arbeitsteilige Angelegenheit, die einen langen Vorlauf braucht. Alle Räder müssen ineinandergreifen, und das erfordert eine kontinuierliche Kommunikation. In einer Welt, in der die Meisten von uns den ganzen Tag vereinzelt am Schreibtisch vor einem Bildschirm sitzen, ist das eine wie ich finde kulturell sehr wichtige Aufgabe. Mir zu Seite standen Mentoren für die Librettisten (betreut von Theo Herghelegiu), die Komponisten (Dan Dediu) und die Ausstatter (Adrian Damian), ich selbst betreue die Regisseure. Mit der Musikuniversität Bukarest und dem Sonomania-Ensemble unter der Leitung von Simona Strungaru haben wir dankenswerter Weise verlässliche Partner. Nach einem intensiven zweiwöchigen Workshop im Oktober vergangenen Jahres haben wir dann die Inszenierungs-Teams zusammen gestellt.  Im Verlauf der letzten Monate gab es dann doch noch ein paar Veränderungen. Wenn so viele Menschen aus verschiedenen künstlerischen Bereichen zusammen arbeiten, bleibt das nicht aus. Ziel muss ja immer sein, dem Publikum künstlerisch ein bestmögliches Ergebnis zu präsentieren.

Als darstellende Kunst ist Oper universell. Aber wie sind die die drei extrem zeitgemässige, in Rumänien entstandenen Stücke auf anderen Bühnen (z.B. in Deutschland) zu verstehen?

Ich bin kein Fan der Behauptung, Oper wäre ohne Wenn und Aber international. Der kulturelle Kontext und der Hintergrund unseres Publikums sind nicht zu verachtende Faktoren. Auch die Sprache, in der Musiktheater aufgeführt wird, spielt eine entscheidenden Rolle. Wobei ich nach meinen bisherigen Erfahrungen anmerken möchte, dass ich es sehr schade finde, dass es nicht mehr Opern in Rumänisch gibt – eine sehr schöne sangliche Sprache. Trotzdem, wenn man Übertitel zu Hilfe nimmt, ist es schon möglich, ein Publikum auch außerhalb des Ursprungslandes an der Geschichte zu beteiligen. Eines unserer neuen Stücke - „E vina ta“ handelt von einem sehr schmerzlichen Kriminalfall, der in Rumänien sehr präsent ist. Aber auch in Deutschland wäre die Geschichte unbedingt erzählenswert – Behördenversagen und Täter-Opferumkehr sind kein ausschließlich rumänisches Phänomen. Die beiden anderen Opern -“Banii, banii, bannii“ und „Ciorba Primordiale“ stellen Themen vor, die sich phantasievoll und teilweise sehr komödiantisch auf Fragen der menschlichen Existenz beziehen, die überall auf der Welt zu verstehen sind.

Gibt es denn ein Publikum für Musical bzw. Rock-Opera in Bukarest?

Eine interessante Frage: Ich erlebe Bukarest als eine sehr dynamische Metropole mit einer lebendigen Szene. Dass sich junge Menschen in Rumänien nicht automatisch für Musiktheater interessieren, dürfte jedem klar sein. Leider ist Oper allgemein, und meiner Beobachtung nach eben auch in Rumänien, tendenziell eher der Tradition verpflichtet, und ihr Potential allzu oft unter Konventionen verschüttet. In Deutschland  haben wir den unglaublichen Luxus, dass über 80 Theater eine volle Opernsaison anbieten, jede dritte Opernpremiere weltweit findet in Deutschland statt, darunter eine Menge Uraufführungen. Da ist dann für jeden Geschmack etwas dabei. Was ist Oper? Ganz banal das Erzählen von Geschichten mit Musik. Wer keine ausgebildeten Stimmen mag, wird mit dieser Gattung nie warm werden. Alles andere ist dann eine Geschmacks- und Stilfrage, und da bieten Musik und Gesang nahezu unendliche Möglichkeiten. Ich bleibe dabei, zu allererst müssen wir wissen, was wir einem heutigen Publikum erzählen wollen.

Wie klingt die Zukunft für die Oper?

Oper ist für mich – und ich meine es ernst – die komplexeste und schönste Kunstform der westlichen Welt. Zumindest in Europa bauen wir auf einer Tradition auf, die jetzt über 600 Jahre die unterschiedlichsten Formen hervorgebracht hat. Auch wenn die Hauptrolle, die Musiktheater als Unterhaltungsform gespielt hat, Anfang des 20. Jahrhunderts vom Film übernommen wurde, glaube ich an die Kraft und die Sinnlichkeit der Gattung. Mithilfe der Musik und des Gesangs können wir in Erlebnisräume vordringen, die mir jedenfalls keine andere Kunstform so umfassend vermitteln kann. Leider war und ist Oper personal- und kostenintensiv und damit teuer, das war sie immer schon. Umso verantwortungsvoller sollten wir damit umgehen. Sich auf althergebrachten Konventionen auszuruhen, gilt nicht. 
 

Der Opernregisseur Robert Lehmeier ist ein sehr präsenter Künstler auf europäischen Bühnen. Er inszenierte zahlreiche zeitgenössische Aufführungen in Berlin, München, Hamburg, Wien, Barcelona, Braunschweig, Mainz, Schwerin, Osnabrück, Dresden, Wiesbaden usw. Weltweite Bekanntheit erlangte er vor allem mit seiner Oper Angela - einer Nationalsoper über die ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel. 

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