Schreibräume

Gedanken über den Zusammenhang von öffentlicher Literaturförderung und tropfenden Wasserhähnen

Münzen im Wasser © Suzi Kim/unsplash

Literaturförderung und die Bedürfnisse der Schreibenden, die auf diese öffentlichen Gelder angewiesen sind, stehen sich zuweilen diametral gegenüber. Woran kann das liegen? Friederike Landau-Donnelly sondiert den Schreibakt und die vermeintlich idealen Bedingungen, um diesen zu realisieren. 

von Dr. Friederike Landau-Donnelly
 
Schrift fließt, flirrt, flitzt durch unser tägliches Leben wie wenige andere menschengemachte Symbole: Werbung für außersaisonale Früchte, politische Appelle und Wahlversprechen, Wegweiser in alle Himmelsrichtungen, Produktbeschreibungen auf dem Smartphone, Straßennamen, antikapitalistische Kritik an Hauswände gesprüht. In diesem quasi-natürlichen Kontext der Begegnung mit Schrift und verschriftlichter Sprache frage ich mich, inwiefern professionelle (oder eher professionalisierte) Menschen, die schreiben, mit dieser Allgegenwart des Geschriebenen umgehen. Oder anders gesagt: Wo und wohin schreiben schreibende Künstler*innen eigentlich, wenn sie schreiben? Und wie beeinflussen bestehende kulturpolitische Förderinstrumente im Literaturbereich die vielfältigen Räume und Orte des Schreibens?

Bevor ich mich diesen zugegebenermaßen großen Fragen zuwende, möchte ich anmerken, dass mein Blick auf institutionelle Bedingungen, die künstlerisch-kreatives Schreiben fördern und stützen (oder eben nicht), notwendigerweise verschwommen ist. Einerseits, weil ich meinen eigenen Lebensunterhalt nicht mit öffentlichen Fördermitteln aus dem Literaturbereich bestreite. Andererseits, weil öffentliche Literaturförderung unwiderruflich mit politischen und somit machtbehafteten Vorstellungen darüber verbunden ist, was ‚guteʻ oder ‚exzellenteʻ Kunst oder Literatur eigentlich ist (oder sein soll), deren unterschwellige und doch folgenreiche Setzungen jedoch hier nicht im Detail besprochen werden können. In diesem Sinne mag mein Essay lediglich ein kurzes Innehalten über Fehlstellungen bestehender Förderinstrumente anregen, und gleichzeitig nach vorne träumen und skizzieren, wie zukunftsgerichtete und bedarfsorientierte Schreibförderung aussehen könnte, die aktuelles Schreiben so fördert, wie es tatsächlich praktiziert wird.  

TROPFEN(D) SCHREIBEN.

Jede*r schreibt hochindividuell – ich schreibe (akademisch) zwischen Terminen über Google Docs auf dem Handy, stehend im Zug, Worte rausquetschend wie die letzten Reste Zahnpasta – oft entstehen erst wesentlich später gerundete Ecken eines Textes, von Argumenten, Narrativen, Poesie. Andere schließen das Handy bei diesem sogenannten Arbeiten weg und halten nichts von produktiver Prokrastination; sie brauchen absolute Stille, Konzentration, Flow in einem abgeschlossenen Raum. Manche Schreiber*innen stehen auf, wenn viele andere noch schlafen; andere schieben Nachtschichten im Halbdunkeln, wenn viele andere schon im Bett sind. Wieder andere begeben sich absichtlich in lärmige Räume, in denen das Grundrauschen den Schreibfluss stimulieren kann.
           

Schreiben wir neben dem Alltag, oder ist Schreiben Alltag? Organisieren wir Alltag um das Schreiben herum, oder organisiert der Alltag die übrige Zeit und Energie fürs Schreiben? Wie nah beieinander sind Schreiben und ein langsam herannahendes Schreien? [1] 


Angesichts unsteter und heterogener Praktiken für (professionelles?) Schreiben bieten zeitlich begrenzte bzw. normierte Förderinstrumente (zum Beispiel für bestimmte Genres, Themen, Menschengruppen etc.) schreibenden Künstler*innen genau das – Begrenzungen und Normierungen, die ihren individuellen, zusammengewürfelten und -gestapelten Lebensrealitäten nicht unbedingt entsprechen. Der Druck, in einem bestimmten Zeitraum nachweislich ‚produktiv‘ zu werden (etwa während eines Stipendiums oder einer residency), lässt unberücksichtigt, wie viele Schritte und Phasen, oder wie viele einzelne Wörter, langsam wie Tropfen eines lecken Wasserhahns entstehend, es manchmal braucht, um Sätze zu erschaffen, ganz zu schweigen von Szenen, storylines, Regieanweisungen. Natürlich sind die (mehr oder weniger post-)pandemischen, hyperflexiblen und -mobilen Individuen der neoliberalisierten, zeitlich-räumlich entgrenzten, globalisierten Postpostmoderne schon die ganze Zeit produktiv, durch #selfcare (Selbstfürsorge), #newwork und #WFH (Work from Home). Nichtsdestotrotz sind Lebensbedingungen und -realitäten, die schreibendes Arbeiten mit sich bringt, vielfältig: Schreibende Eltern können residencies nicht wahrnehmen, weil die damit verbundenen ortsgebundenen Aufenthalte nicht für eine ganze Familie eingerichtet sind oder alleinerziehende Schreibende nicht wissen, wohin mit dem Kind oder den Kindern (siehe die brillanten Einsichten und Appelle von Writing with Care / Rage[1], einem Kollektiv schreibender Mütter); schreibende Künstler*innen sind anderer Sprachen mächtig als jenen, in denen die Antragsunterlagen formuliert sind; schreibende Künstler*innen (re)produzieren Textprodukte, die auf vielfache Art und Weise verwertbar, wertvoll sind und zugleich entwertet werden können. Was ist in diesem Wirrwarr an Praktiken des künstlerisch-kreativen Schreibens dann ‚förderwürdig‘? Soll öffentliche Kulturförderung im Literaturbereich Alltagsentlastung für schreibende Künstler*innen bieten, die in aktuellen orts- oder produktgebundenen Förderlogiken derzeit keinen Vorrang haben, oder lieber den nächsten Spiegel-Bestseller hervorbringen? Schließen sich die beiden Szenarien überhaupt aus? Wie und von wem könnte öffentliche Literaturförderung weiterentwickelt werden, um (bisher) vernachlässigte Lebensrealitäten einzuschließen?

STATT GESETZTEN FÖRDERRÄUMEN …

Die Phasen und Grenzen zwischen Fördermodalitäten sind wesentlich weniger eindeutig, als die Förderstrukturen dies häufig darstellen: Ab wann ist man nicht mehr young oder emerging? Welche Ein- und Ausschlüsse sollen hier für Menschen produziert werden, die schreiben wollen? Welches schreibende Fördersubjekt (mein Software-Wörterbuch kannte nur den Begriff „Förderobjekt“, ich habe das Subjekt jetzt mal eingefügt) wird angenommen und wie weit ist diese Annahme entfernt von der Alltagsrealität schreibender Menschen? Im öffentlichen Förderwesen besteht generell eine leicht schizophrene und bei Weitem nicht reziproke Beziehung zwischen Geförderten und Fördernden. Aktuelle Förderbedingungen prägen das künstlerische Arbeiten stark, wohingegen die schreibende künstlerische Praxis wenig Einfluss auf die Formen und Ausgestaltung von Förderinstrumenten nimmt. Bezüglich der einseitig gerichteten Beziehung lässt sich beobachten, dass sich Antragstellende in potenziellen Förderkontexten oft aufgerufen, inspiriert oder gar genötigt sehen, sich und ihr Schaffen als größer oder kleiner, bedürftiger oder dekorierter, internationaler oder lokalverankerter, innovativer oder konservativer darzustellen, als sie dies in anderen Momenten selbst ausdrücken würden. Was würde eigentlich gewonnen oder was verloren gehen, wenn öffentliche Förderung eher die bereits bestehende künstlerische Praxis (noch einmal – individuell, teils hochgradig unsystematisch, vielleicht cringe und unromantisch) unterstützen würde? Dies soll nicht als Aufruf zu anarchischem Gießkannenprinzip verstanden werden, sondern auf Parametern und Prüfung auf Verhältnismäßigkeit fußen. Aber gerade in Anbetracht von Fördermodalitäten, die individuell und alltagstauglich wären, entsteht potenziell der Eindruck, dass die Schreibenden gewinnen und eigentlich niemand sonst etwas verlieren würde.
 

… OFFENE SCHREIBRÄUME?

Eine gleichzeitig gute und schlechte Nachricht: Schreiben geht im Grunde genommen überall. Mag diese Einsicht einerseits befreien und ermutigen, kann sie andererseits den Status der oben angesprochenen Förderwürdigkeit in Frage stellen – à la „Wenn das von überall geht, warum muss ich dafür nach Gelsenkirchen fahren?“. In urbanen Kontexten steigender Mieten, knapper Atelierräume und verstreuter Familien-, Beziehungs- und Arbeitskonstellationen fallen enge Vorstellungen von Schreiborten in sich zusammen, werden übergangsweise zusammengeschustert. In immer restriktiveren No-Laptop-Cafés, in denen vielleicht noch ein Gnadentisch für die geballte Kreativität übrig geblieben ist, kommen die Arbeitenden, Denkenden, Schreibenden, die zu Hause kein steuerlich absetzbares Arbeitszimmer besitzen, zusammen, oder weichen auf städtische Bibliotheken aus. In ländlicheren Gegenden mag die räumliche Enge weniger Probleme bereiten; hier kommen jedoch andere Herausforderungen hereinspaziert –  (fehlender) Austausch mit Kolleg*innen, Vermittler*innen, Veranstalter*innen, Verlagen sowie weiteren Akteur*innen des Literaturbetriebs, und Zugang zu Recherchematerial, weitere Anfahrtswege zu alltäglichen Infrastrukturen, die die Netto-Arbeitszeit verkürzen etc. Am Ende des Tages sind die physischen Orte, an denen geschrieben wird, vielleicht gar nicht so relevant wie die alltäglichen, gedanklichen, zufälligen und mikropolitischen Räume, die Schreiben ermöglichen. Und die könnten durch entgrenztere Literaturförderung wahrscheinlich nur größer werden.


[1] Webseite des Kollektivs Writing with CARE / RAGE: https://care-rage.de/ueber-das-kollektiv/, zuletzt abgerufen 06.12.2023.


 

Über die Autorin

Dr. Friederike Landau-Donnelly

Dr. Friederike Landau-Donnelly (*1989) ist politische Theoretikerin und Stadtsoziologin. Derzeit arbeitet sie als Assistenzprofessorin für Kulturgeografie an der Radboud Universiteit in Nijmegen. In ihrer Dissertation Agonistic Articulations in the ‚Creative‘ City – On New Actors and Activism in Berlin’s Urban Cultural Politics beschäftigte sie sich mit der politischen Organisation freischaffender Berliner Künstler*innen. In den vergangenen Jahren gab sie den raumtheoretischen Sammelband [Un]Grounding – Post-Foundational Geographies sowie den kulturpolitischen Sammelband Konfliktuelle Kulturpolitik heraus. Friederike erforscht die Schnittstelle zwischen politischer Theorie und Raum in (künstlerischen) Interventionen, umstrittenen Denkmälern und Museen. Friederike schreibt Gedichte als #PoeticAcademic.

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