ein weißer mann erklärt mir, dass ich tippfehler gemacht habe

leere Bühne mit Stühlen © Suzi Kim/unsplash

Wenn wir von deutschsprachiger Literatur sprechen, wird alles Schaffen außerhalb von Deutschland nicht selten ausgespart. Hannah K Bründls Text bereichert mit einer österreichischen Perspektive auf Literaturförderinstrumente und Ausschlussmechanismen.

von Hannah K Bründl
mit der begründung, das preisgeld solle einer*einem autor*in in weniger gut situierter lage zugute kommen, lehnt kim de l‘horizon den hermann-sudermann-preis 2023 ab [1] – 6000 euro, die mit den worten ausgelobt werden, dass rund „80 prozent der autor*innen heute noch nicht allein von ihrer schriftstellerischen arbeit leben“ könnten. es handelt sich um einen preis, um den sich nicht beworben werden kann, der einfach zuerkannt wird, und zwar an eine schreibende person in offenbar finanziell prekärer lage.

während ich das schreibe, bin ich müde, so müde. auf welche weise soll ein text begonnen werden, von dem allen klar ist, wie er nur ausgehen kann?

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die grenzen des prinzips, kunstwerke wie sportliche leistungen zu messen, zeigen sich in ihren ausschlusskriterien. fördersysteme von wettbewerben, preisen und stipendien tragen nicht nur zur verschärfung bestehender konkurrenz und verfestigung struktureller ungerechtigkeiten bei, sondern sind beweggrund für klassismus, misogynie und rassismus.
die vorhandenen arrivierten literaturpreise und aufenthaltsstipendien wurden, ähnlich des thomaskreislaufes [2], mehrheitlich von weißen cis-hetero männern mit dem gedanken an eben jene als auszuzeichnende geschaffen. es sind heute immer noch ihre räume: weiße räume mit strenger hierarchie; akademisierte räume, (deutschland-)deutsch-sozialisiert; und räume, für die man sich anreise und teilnahme konkret finanziell leisten können muss.

ich versuche einen anfang:
der leiter eines verlages, der literaturnobelpreisträgerinnen vertritt, äußert auf einer öffentlichen podiumdiskussion, frauen könnten eben schlechter schreiben und erhielten darum seltener preise.

oder:
ein bekannter autor, der die laudatio auf meinen siegertext halten soll, fragt, ob mein freund diesen an meiner statt geschrieben habe. die stadt überreicht ihm einen strauß schnittblumen.
                                                                  
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menschen unter 35 jahren dürfen nachwuchsförderung in anspruch nehmen, während jene, die – durch job, care-arbeit oder fehlende ermutigung – aus sicht von fördergeber*innen „verzögert“ mit dem schreiben begonnen haben, hören müssen, dass es bereits zu spät sei.
eine altergrenze, die die (vor-)jury vor überlastung bewahren soll, hält sich hartnäckig. mit nonchalance, wie sie nur im prozess des othering der fall sein kann, wird eine künstler*innenidentiät mit geradlinigem karrierweg aus der weißen bürgerlichkeit insinuiert. wer diesem weg nicht gefolgt ist, hat pech, denn die meisten türen des betriebs öffnen sich auf einladung.


die vorsätzliche begrenzung der einreichungszahl scheint wohl auch ausschlaggebend für die wahl mancher modi: ausgeschrieben wird wenige wochen vorab für einen umfang von über 30 seiten, oft mit themenvorgabe. einreichen dürfen schreibende bisweilen auch nicht selbst. sie tauschen agency zugunsten eines vorschlags oder empfehlungsschreibens durch stakeholder*innen – fallweise agentur, verlag, schreibschule, literaturhaus, kritiker*innen oder ehemalige gewinner*innen. privilegien und netzwerke werden also vorausgesetzt: was in jedem anderen beruf als korruption gelten würde, ist den auswahlverfahren im kunst- und literaturbetrieb schlichtweg eingeschrieben.

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das framing von konkurrenz beginnt bereits bei der pressemitteilung. ich lese, „die autor*innen treten mit dem ziel an, sich den preis zu sichern“. es sind meine kolleg*innen, es sind freund*innen und vertraute, doch die institution sorgt aktiv für vereinzelung. die namen der mitnominierten dürfen mir auch auf nachfrage vorab nicht offenbart werden. ich sehe sie zum ersten mal online, die liste an teilnehmenden. sie ist weiß und männlich-gelesen, die meisten waren an einer schreibschule. ich bin als einzige in österreich wohnhaft. aus der schweiz, aus luxemburg, aus anderen gebieten des deutschsprachigen raumes angereist kommt niemand.


ein weiterer anfang:
ich fahre zu einem preis, der auf wikipedia als „[mit] der wichtigste wettbewerb für deutschsprachige literatur-neuentdeckungen“ beschrieben wird. das verpflegungsgeld reicht weit nicht für anreise und übernachtung. im schreibstudium muss ich extra-aufgaben leisten, um die fehlstunden für meinen ersten kontakt mit dem betrieb auszugleichen.

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insbesondere bewerbe, bei denen autor*innen live vor einer jury lesen sollen, empfinde ich als anachronistisch. dass der wettbewerbsgedanke, der einer männlich-kapitalistischen logik des sich-besiegens entstammt, für literarische produktion letztlich wenig produktiv ist, wird im prinzip der öffentlichen textbesprechung augenscheinlich: bewertungskriterien der performanz, die als conscious oder unconscious bias in die entscheidung miteinfließen mögen, schließen per se autor*innen aus, die neurodivers sind oder bestimmte fähigkeiten nicht mitbringen können. entwürdigung durch auf lebenszeit berufene jurys, die spektakel für ein publikum bieten sollen, werden normalisiert. protagonist*innen nicht nur des wettbewerblichen bühnen-settings sind klar organisator*innen und bewertende. es ist der alte „gladiator*innenkampf“ [3], der stolz einer machtposition.

oder:
während meiner lesezeit gibt es keine sitzmöglichkeit – die bühne ist räumlich fall vollständig mit dem langen jurytisch ausgelastet. von dort herab erklärt mir ein weißer mann, dass in meinem nominierten text tippfehler zu finden seien.     

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literaturförderung hätte das potential, eine vielfalt an noch unbekannten stimmen zu popularisieren, marginalisierte positionen zu stärken und nachteilige startvoraussetzungen zu mindern. stattdessen zeigt sich das bekannte preiskarussell [4] : wer hat, dem wird gegeben.

oder:
das österreichische startstipendium für literatur, das lyrik, essay und roman und damit zwei gattungen mehr als der deutsche buchpreis zulässt, wird als nachwuchsstipendium an eine person vergeben, die bereits zu den meist-rezipierten gegenwartsautor*innen gehört. die altersgrenze von 35jahren wird dabei strikt eingehalten.

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wie jede andere künstlerische szene funktioniert auch der literaturbetrieb letztlich nach marktlogiken. es ist der hund, der die größte chance auf adoption zu haben scheint, in den das tierheim noch impfkosten investiert. doch der wunsch nach inklusiven, gewaltfreien bereichen und solidarität bis hin zum kollektiven schreiben ist groß unter den autor*innen. bei wettbewerben, an denen ich teilnehmen durfte, wird von kandidat*innen häufig die idee des preissplittings als symbol diskutiert. immer noch sind es, wie an kim de l’horizons erwähntem großmut ersichtlich, die autor*innen, bei denen die verantwortung für ein umdenken liegt, die einander die hand reichen, die ihre eigene förderbedürftigkeit kritisch überprüfen müssen, weil jurys, kulturabteilungen und institutionen es nicht tun.

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zu ändern gäbe es viel, um sicherzustellen, dass der zu beginn beschriebene fall von institutioneller unterstützung eine ausnahme bleibt. förderungen müssten transparent nach bedürftigkeit vergeben werden.[5] festivals und formate, in denen empathische begegnung möglich ist und aufmerksamkeit für literatur dennoch erreicht werden kann, wären alternativen zu verleihungen.
nominierungspauschalen anstatt erst-gemeinsame-textwerkstatt-den-preis-gewinnt-aber-nur-eine*r-formate sind ein konkreter weg, um konkurrenzverhalten abzubauen.
jurys, deren zusammensetzungen dringend diverser werden müssen, könnten einem turnus folgen und sich eines codes of conduct verpflichten, um die vergaben inklusiver zu gestalten. förderungen sollten breit und niederschwellig zur selbsteinreichung ausgeschrieben werden. sie sollten explizit FLINTA*, (post-)migrantische, Schwarze und autor*innen of color ansprechen sowie im ablauf (insbesondere bei residenzen) lebensrealitäten von in anstellung arbeitenden, care-verpflichteten und be_hinderten autor*innen anerkennen. die praktik, nutzungsrechte des eingereichten werkes zu behalten, sollte schlicht eingestellt werden.


oder: mit einem kollektiv aus zehn autor*innen, künstler*innen und dramaturg*innen versuchen wir einen denkraum, überlegen, wie nachhaltige, inklusive und faire literaturförderung in einer pluralistischen gesellschaft aussehen könnte. denn die missstände des betriebs müssen in nachfolgende generationen nicht weitergetragen werden.

Bibliographie

1 Vgl. N.N.: Berlin: Kim de l’Horizon erhält den Hermann-Sudermann-Preis. In: Theater der Zeit, 08.05.2023, https://tdz.de/artikel/a80f1e38-7ee2-43cc-b671-43e38cf6981a (zuletzt abgerufen 14.10.2023).

2 Allbright-Stiftung: „Ein ewiger Thomas-Kreislauf? Wie deutsche Börsenunternehmen ihre Vorstände rekrutieren, 31.03.2017, https://www.allbright-stiftung.de/aktuelles/2019/6/17/der-neue-allbright-bericht-ein-ewiger-thomas-kreislauf- (zuletzt abgerufen 16.11.2023).

3 Mirjam Wittig: Regeln für die Auswahl! In: logbuch-suhrkamp.de, https://www.logbuch-suhrkamp.de/mirjam-wittig/regeln-fuer-die-auswahl/ (zuletzt abgerufen 26.10.2023).

4 Vgl. Carolin Amlinger: Schreiben. Eine Soziologie literarischer Arbeit. Berlin: Suhrkamp 2021, S.433

5 Vgl. Martina Hefter: Stipendien und Preise: Was wir tun könnten. In: lyrikkritik.de, https://www.lyrikkritik.de/workshop/offene-akademie-martina-hefter/ (zuletzt abgerufen 17.10.2023).


Weiterführende Literatur

Konstantin Ames, Alexander Estis, Selene Mariani, Eva Müller, Slata Roschal, Nora Zapf: Offene Akademie. In: lyrikkritik.de, https://www.lyrikkritik.de/workshop/offene-akademie-roschal-estis-mariani-ames-zapf-mueller/ (zuletzt abgerufen 14.10.2023).

Iuditha Balint, Julia Dathe, Kathrin Schadt, Christoph Wenzel (Hg.): Brotjobs & Literatur, Berlin 2021.

Katharina Bendixen, David Blum, Barbara Peveling, Sibylla Vričic Hausmann (Hg.): Other writers need to concentrate, Berlin 2023.

Kaśka Bryla: Konkurrenz und Kanon. In: PS – Politisch Schreiben 1/2015, https://www.politischschreiben.net/ps-1/konkurrenz-und-kanon (zuletzt abgerufen 14.10.2023).

Son Lewandowski, Svenja Reiner: temporär & prekär – Der Literaturpolitik-Podcast: Wettlesen, Literaturpreis(geben) & Konkurrenz, Folge 3. In: 54books, 12.06.2023, https://54books.podigee.io/7-temporar-prekar-der-literaturpolitik-podcast-wettlesen-literaturpreisgeben-konkurrenz-folge-03 (zuletzt abgerufen 14.10.2023).

Max Czollek: Verschlossenes Land. Gedanken zum gegenwärtigen Lyrikbetrieb. In: faustkultur.de, 30.03.2023, https://faustkultur.de/literatur-portraets/verschlossenes-land/ (zuletzt abgerufen 26.10.2023).

Caroline Guhlmann: Studie zur Einkommenssituation von Dichter*innen in Deutschland, https://www.netzwerk-lyrik.org/files/upload/diskurs_pdfs/lyrik_einkommen_2017.pdf (zuletzt abgerufen 14.10.2023).

Undercurrents (Hg.): Literatur und Care, Berlin 2023.

Über die Autorin

Hannah K Bründl

geb. 1996, ist autorin und dramatikerin.
ihre texte wurden in zeitschriften und in anthologien publiziert, zu mehreren preisen eingeladen und mit stipendien gefördert. 2020 entstand das im kollektiv geschriebene und selbstproduzierte hörspiel es gibt diese namen/es gibt diese wut, das bei deutschlandfunk kultur und srf zwei ausgestrahlt wurde.
hannah lebt in wien. zuletzt erschien ihr gedichtband mit titel Mother_s bei roughbooks.
www.hannahbruendl.com
 

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