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Interview
Jesper Festin

Jesper Festin,  Übersetzer
Foto: Therese Korritter /Albert Bonniers fölag/Weyler förlag

Jesper Festin arbeitet seit 2016 als belletristischer Übersetzer und hat seither etwa 20 Titel aus dem Deutschen ins Schwedische übersetzt - zuletzt gerade Judith Hermanns hochgelobten Roman Daheim. In diesem Interview erzählt er, wie er zum Übersetzen kam und welchen deutschen Schriftsteller*innen aus dem 20. Jahrhundert er am liebsten übersetzen würde.


Wie kam es, dass du Übersetzer deutscher Belletristik wurdest?

Der Grundstein wurde, wenig überraschend, in der Schule gelegt, genauer gesagt in der Oberstufe, wo ich und einige andere, die auch Deutsch als sogenannte B-Sprache gewählt haben, eine ausgezeichnete Deutschlehrerin bekamen, die mit ihrem bewährten Unterrichtsstil die ganze grundlegende Grammatik in unsere empfänglichen dreizehn- bis fünfzehnjährigen Köpfe einprägte, bevor sie in Rente ging. Durch die gute Wahl des Gymnasiums Katedralskolan in Uppsala bekam ich die Möglichkeit, während der Gymnasialzeit in einer so genannten “Deutschen Klasse” fast jeden Tag Deutsch auf dem Stundenplan zu haben, was auch authentische Begegnungen mit der deutschsprachigen Kultur in Form von Schüleraustauschen mit Klassen in Hamburg und der Schweiz beinhaltete. Und diese Grundlage war ausschlaggebend dafür, dass ich einige Jahre später mit dem Studium der Germanistik an der Humboldt-Universität in Berlin begann, das wiederum zu einem Studium der literarischen Übersetzung an der Valand-Akademie in Göteborg führte. In diesem Sinne sind mein Werdegang und mein Weg dorthin, wo ich heute bin, ziemlich formal geprägt. Ich wurde allerdings schon immer von einem Interesse an Sprache und einer Faszination für das geschriebene Wort angetrieben, und es ist lange her, dass ich etwas anderes als genau das machen wollte.

Was war dein allererster Übersetzungsauftrag?

Der allererste Auftrag war ein Bilderbuch für Kinder von Lilli L’Arronge, das in meiner schwedischen Übersetzung den Titel Jag stor du liten (Kabusa, 2015) erhielt. Das Buch ist in Reimform geschrieben und enthält nur ein paar Wörter pro Seite, man kann sich also nirgendwo verstecken. Ein unterhaltsamer Einstieg in den Beruf und eine großartige Übung, mit der ich in meinem aufkeimenden freiberuflichen Feuereifer viel Zeit verbracht habe. Im Zusammenhang mit einem der Seminarwochenenden in Göteborg, wo ich 2014 studierte, traf ich die Verlegerin Kerstin Aronsson auf einen Kaffee und diskutierte mit ihr über den Text. Sie las meine Übersetzung laut vor zum Kaffee und fand sie sehr stimmig - den Kindern von Freund*innen nach zu urteilen, die das Buch erhalten und immer wieder gelesen haben, scheint es immer noch so zu sein.

Das erste Buch für Erwachsene landete Ende 2015 auf meinem Schreibtisch: Sacha Batthyanys Und was hat das mit mir zu tun?, ein Auftragswerk von Svante Weyler und seinem Verlag. Er wollte es selbst übersetzen, merkte aber, dass er es nicht schaffen würde, was für mich eine einmalige Gelegenheit war, die ich sofort nutzte. In der gleichen Woche kündigte ich meinen Teilzeitjob als Übersetzer von Produktdatenblättern für Gastronomieküchengeräte und Schweißmaschinen. Seitdem übersetze ich hauptberuflich Literatur in unterschiedlichen Formen und habe es nie bereut. Bis heute bin ich Svante sehr dankbar für sein erklärtes Ziel, neue, unerfahrene Übersetzer*innen mit geeigneten Manuskripten zu versorgen und so den Wiederaufschwung des Berufsstandes zu fördern. Ich hatte das Glück, einer derjenigen zu sein, die diese Chance bekamen.

Als Übersetzer hast du lange Zeit in Berlin gelebt, bist jetzt aber wieder zurück in Uppsala. Wie sieht ein typischer Übersetzungstag bei dir aus? Gibt es Routinen, auf die du nicht verzichten kannst?

Mir gefällt der Gedanke, die Freiheit und Mobilität, die der Beruf bietet, zu nutzen. Deshalb arbeite ich gerne regelmäßig an anderen Orten als an meinem Schreibtisch, der sich seit einiger Zeit, wie du richtig gesagt hast, in Uppsala befindet. Nach Berlin kehre ich immer noch regelmäßig in größeren Abständen zurück, manchmal, um eine*n der Autor*innen zu treffen, mit denen ich zusammenarbeite (sie leben fast alle dort), manchmal, um fertige Manuskripte für die Veröffentlichung zu redigieren, wie es letztens bei den drei Büchern von Peter Handke der Fall war, die kürzlich beim Verlag Faethon erschienen sind. In dieser Phase kann es nützlich sein, die Umgebung zu wechseln und den Text ein letztes Mal in einem neuen Licht zu lesen.

Über einen Tag gesehen leiste ich fast immer im letzten Drittel des Tages die meiste und beste Arbeit. Spätestens um Mitternacht schalte ich normalerweise ab. Ich habe mehrere Jahre gebraucht, um diesen Rhythmus zu akzeptieren, aber jetzt weiß ich, dass ich so funktioniere. Manchmal fahre ich zu einer bestimmten Hütte in der Region Bergslag, vor allem, wenn die Abgabe näher rückt. Die Arbeitssitzungen dort hinterlassen in der Regel einen so starken Eindruck, dass ich mich hinterher beim Redigieren und Korrekturlesen leicht daran erinnern kann, welche Passagen mit dem Wald um die Ecke geschrieben wurden.

Die häufigste tägliche Routine sind übrigens Hunderte von Suchvorgängen im Wörterbuchdienst svenska.se der Schwedischen Akademie, um zu überprüfen, ob das eigene Sprachgefühl einen nicht getäuscht hat.

Du hast mehrere Titel übersetzt, die eine Übersetzungsförderung vom Goethe-Institut erhalten haben, Bücher von Autor*innen wie Daniel Kehlmann, Marion Poschmann, Sasha Marianna Salzmann und zuletzt Judith Hermann. Gibt es unter diesen übersetzten Titeln einen, der dir besonders im Gedächtnis geblieben ist oder der dich besonders glücklich gemacht hat?

Ich erinnere mich gern an die Arbeit an all diesen Büchern, die in gewisser Weise das Rückgrat dessen bilden, was ich veröffentlicht habe. In den Jahren 2018 und 2019 (den sogenannten Mann-Jahren) habe ich der Reihe nach Salzmann, Poschmann und Kehlmann übersetzt. Es handelt sich um drei ganz unterschiedliche Texte mit verschiedenen Herausforderungen und Eigenheiten, und ich erinnere mich, dass der gesamte Prozess sehr anregend und unendlich interessant war. Ich hatte sowohl Poschmann als auch Kehlmann schon seit Jahren gelesen und gemocht, bevor ich die Chance bekam, ihre Bücher zu übersetzen. Daniel Kehlmann besuchte auch im Zusammenhang mit der Veröffentlichung des Buches (Tyll, Bonniers 2019) Stockholm. Dort trat er zusammen mit Gunnar Bolin und Peter Englund auf der Bühne des Kulturhuset in Årsta auf, was besonders erfreulich war, da der Roman während des Dreißigjährigen Krieges spielt und Englunds Ofredsår eine ausdrücklich benannte Inspirationsquelle für Kehlmann (wie übrigens auch für den Übersetzer) war.

Was übersetzt du derzeit?

Tobias Hürters Das Zeitalter der Unschärfe. Es ist eine faszinierende und reichhaltige Wissenschaftsgeschichte der Entwicklung der Physik in den Jahren 1895–1945, als die Welt dank neuer Entdeckungen und Fortschritte sozusagen “unscharf” wurde. Hürter erzählt in lebendiger Prosa die Geschichte von Albert Einstein und Niels Bohr, von Werner Heisenberg, Erwin Schrödinger und vielen anderen, von ihren Auseinandersetzungen und Aktivitäten vor dem dramatischen Hintergrund der Zeitgeschichte.

Für mich ist es wichtig, zwischen unterschiedlichen Arten von Literatur zu variieren, von Romanen über Kinderbücher bis zu Sachliteratur. Jede Textart hat ihre eigenen besonderen Herausforderungen und Reize.

Wenn du die Wahl hättest, das Gesamtwerk eines*einer deutschsprachigen Autor*in zu übersetzen, welches wäre es?

Uwe Johnson. Sein Werk gehört zu den großen deutschsprachigen Werken des zwanzigsten Jahrhunderts, die in schwedischer Sprache größtenteils noch immer nicht vorhanden sind. Vor allem sein Debüt Mutmassungen über Jakob aus dem Jahr 1959 und sein Meisterwerk Jahrestage, das zwischen 1970 und 1983 in vier Bänden erschienen ist, sollten in jeder Literatursprache verfügbar sein, die etwas auf sich hält. Aus Jahrestage habe ich einen Auszug für die 2021 erschienene Online-Anthologie Baltic Sea Library übersetzt, die als Teil der langfristigen Einflussnahme gesehen werden kann, die nötig ist, um einen Verlag zu überzeugen, ein solches Monsterprojekt in Angriff zu nehmen.

Und zum Schluss: Hast du gute Tipps für neue Übersetzer*innen von Belletristik, die du weitergeben kannst?

Nehmt an Seminaren, Workshops, Messen und anderen Veranstaltungen teil, bei denen ein Austausch zwischen Übersetzer*innen, Verleger*innen und Autor*innen stattfindet. Vor allem zu Beginn der Karriere, aber auch später. Auf diese Weise kann man nicht nur sein sprachliches Fachwissen erweitern, sondern auch die Branche kennenlernen und die so wichtigen Verlagskontakte knüpfen. Außerdem lernt man auf diese Weise andere Übersetzer*innen aus verschiedenen Teilen der Welt kennen, und in einem Beruf, in dem man in der Regel lange Zeit ganz auf sich allein gestellt ist, kann die Bedeutung von Kollegialität nicht unterschätzt werden.

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