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Tonabnehmer
Geschlagen vom Mitklatschwillen

Cindy und Bert auf einer Yacht im Sonnenschein
Bei Cindy und Bert ging es nicht immer um Sehnsucht nach dem sonnigen Süden | © picture alliance / Sammlung Richter

Visionäre Lieder, die erst später den Ton der Zeit treffen, drohen im Hier und Jetzt oft zu verhallen. So geschieht es 1971 auch dem Stück Der Hund von Baskerville des Schlager-Duos Cindy & Bert. An ihm lässt sich eine Geschichte erzählen, die von deutscher Romantik bis in die Gegenwart und von Völklingen im Saarland bis nach Beverly Hills, Kalifornien, reicht.
 

Von Linus Volkmann

Es ist eine Szene wie aus einer Pannenvideo-Sammlung: Ein Mann lässt sich auf einen Stuhl fallen, die Kamera hat ihn nur zufällig im Bild. Der Stuhl neigt sich bedenklich nach hinten, ein letzter Versuch das Gleichgewicht zu halten - vergebens: Die Schwerkraft tut ihr Werk.

Es ist das Jahr 2002, wir befinden uns in Beverly Hills und der Mann, der gerade unfreiwillig vor den Kameras von MTV auf den Hintern gestürzt ist, ist niemand Geringeres als der britische Wahlamerikaner Ozzy Osbourne. Für die global erfolgreiche Reality-TV-Serie The Osbournes wird dies ihr wohl ikonischster Moment. Mit Ozzys Umfaller kommt aber auch das Prinzip des internationalen Superstars auf dem Boden der Tatsachen und in einer neuen Ära an: Statt um Überhöhung dreht sich ab der Jahrtausendwende alles um die Trivialisierung. Der gestürzte Zeremonienmeister des Hardrocks zetert, die Filmcrew gluckst, einer der Familienhunde wedelt mit dem Schwanz.  

Ozzy Osbourne und Tochter Kelly sitzen auf thronähnlichen Stühlen Nicht immer fest im Sattel: Ozzy Osbourne (hier mit Tochter Kelly bei "Wetten, dass..?", 2003) | © picture-alliance / Sven Simon

Drehen wir die Zeit dreißig Jahre zurück. Das Jahr 1970. Black Sabbath treten bei einer der damals zentralsten Musiksendungen auf, dem englischen Top Of The Pops. Die Band strahlt Kraft und Gefährlichkeit aus, Sänger Ozzy Osbourne fällt nicht, sondern erweist seinem Spitznamen „Mad Man“ alle Ehre. Das Lied dazu heißt Paranoid und stammt vom gleichnamigen Black Sabbath-Album. Dieser düstere, atemlose Rock ist Teil des Zeitgeists der Siebzigerjahre und steht auch in Deutschland hoch im Kurs. Die darin mittransportierte Coolness der englischen und amerikanischen Rock-Acts scheint für die hiesige Musikszene schier unerreichbar.

Denn deutschsprachige Musik - Ost wie West – ist in jener Zeit vornehmlich von Schlager geprägt. Roy Black findet sich in jenem Paranoid-Jahr 1970 zwei Monate an der Spitze der Single-Charts mit einem Song namens Dein schönstes Geschenk. In der DDR prägen ebenfalls Wohlfühl-Stücke wie Links von mir, rechts von mir - ein Duett zwischen Frank Schöbel und Chris Doerk - den Eskapismus in der Popmusik.

Jüngere Generationen, die sich für Beatmusik abseits von besänftigenden Poesiealbumtexten interessieren, schauen zwangsläufig über den Kanal und über den Atlantik. Es gibt nur wenige Interpret*innen, die versuchen der deutschen Schlagerhegemonie neue Spielräume abzutrotzen. Ein bis heute einzigartiger Versuch jenseits von Szene- und Untergrundmusik stammt von dem Duo Cindy & Bert: sie covern Paranoid kurz nach dessen Veröffentlichung. 1971 erscheint ihre deutschsprachige Version mit dem Titel Der Hund von Baskerville.
 

Bei einigen Leser*innen dürfte hier etwas klingeln, stellten die Eheleute Jutta und Norbert Berger aus Völklingen im Saarland doch einen der erfolgreichsten Acts der Siebziger Jahre dar. Als Cindy & Bert verkaufen sie über 10 Millionen Tonträger, ihr größter Hit ist Immer wieder sonntags aus dem Jahr 1973. Sie stehen für den gefälligen Gebrauchsschlager jener Post-Wirtschaftswunder-Epoche und sind ein Wohlfühlort für die Spießer von nebenan, die bei der Arbeit im Garten gern auch mal eine Melodie vor sich hin pfeifen. Doch so kanonisch Immer wieder sonntags sein mag - immerhin hat sich sogar eine langlebige Schlagersendung in der ARD danach benannt – das weitaus faszinierendere Stück ist Der Hund von Baskerville.

Die Single wird heute auf der Resale-Plattform Discogs für bis zu 300 Euro gehandelt. Die Zahl der Interessenten übersteigt die Zahl der Angebote um das sechsfache. Zählt man die YouTube-Views der diversen Baskerville-Versionen zusammen, kommt man in die Millionen. Was ist das also bloß für ein Stück? Die Musik stellt einfach eine Kopie des englischen Originals dar. Cindy & Bert machen aus dem basslastigen Rocksound keine konsumerable Blümchen-Version mit Volksmusik-Anmutung. Doch der Text indes ist keine Übersetzung, viel mehr eine unheilschwangere Räuberpistolen-Miniatur, die zwischen Arthur Conan Doyles Sherlock Holmes-Erzählungen und schwüler deutscher Romantik flimmert.
 

Nebel zieht in dichten Schwaden
Übers Moor von Forest Hill
Grün-gespenstisch grinst ein Irrlicht
Es ist Nacht in Baskerville

Die frühen Cindy & Bert sind damit ihrer Zeit voraus, ihr Text stellt nicht weniger als einen Perspektivwechsel im deutschen Schlager dar. Der Blick richtet sich nicht mehr nach Süden, wie es in unzähligen Songs dieser Ära üblich ist: Peter Kraus‘ Capri-Fischer oder Conny Froebess‘ Zwei kleine Italiener sind dafür nur einige Beispiele. Wo sonst deutschsprachige Musik als Verstärker von diffuser Sehnsucht und konkreter Urlaubsbegeisterung fungiert, verlaufen sich Cindy & Bert im englischen Moor, das bei ihnen aber immer auch nach Goethes Erlkönig klingt.

Beim zeitgenössischen Publikum fällt der Hybrid aus deutscher Romantik und englischer Rockmusik allerdings durch. Der Song wird kaum mehr als ein Achtungserfolg, kann keine Platzierung in den Charts aufweisen. Vielmehr wird er dem späteren Weg des Duos lediglich als Antithese nützlich sein.

„Unser Produzent hat uns überzeugt, dass wir sowas wie Immer wieder sonntags bräuchten. Er hatte gesagt, ‘wenn das nicht euer größter Hit wird, dann werden wir nur Musik produzieren, die bei euch an erster Stelle steht.‘ [...] Aber ich muss sagen, das ist kein Verbiegen gewesen, sondern wenn man für das Publikum da ist und man merkt, man macht so vielen Menschen Freude, das hat uns dann selbst Spaß gemacht“, erzählt Cindy Berger in einem Interview. Und wenn sie dabei leicht wehmütig davon spricht, diesen Erfolg lieber mit Songs, die anders klangen“ erreicht zu haben, ist klar, sie meint vor allem auch den Hund.

Denn Cindy & Bert wollten internationalen Rock auf Deutsch übersetzen und Ozzy-Osbourne-Flair in der ZDF-Hitparade verbreiten. Die Idee war gut, doch die (deutsche) Welt noch nicht bereit. Fortan hängen sie ihr Alleinstellungsmerkmal also an den Nagel und liefern genauso erfolgreiche wie heute vergessene Songs ab, die Titel tragen wie Spaniens Gitarren, Rosen aus Rhodos oder Wenn die Rosen erblühen in Malaga.
 

Und es traut sich keine Seele
In das dunkle Moor hinein
Jeder zittert um sein Leben
Wer wird wohl der Nächste sein?

In der Erinnerungskultur manifestieren sie sich so als jene konventionellen Schlagerakteure, die sie 1971 mit Der Hund von Baskerville noch zu überflügeln suchten. Schaut man auf die Genealogie vergleichbarer, späterer Musik, ist es nicht zu gewagt zu behaupten, dass Cindy & Bert mit diesem Stück den erfolgreichen deutschsprachigen Gothic der ausgehenden Achtziger und Neunzigerjahre vorweggenommen haben. In einer latent schwülstigen Subkultur geprägt von Acts wie Umbra Et Imago, Das Ich oder Goethes Erben hätte auch diese obskure Coverversion von Black Sabbath gut gepasst.

Übrigens: Am Ende ihrer Karriere sind Cindy & Bert ihrem einstigen Helden Ozzy Osbourne erneut nah. Genau wie jener sich seinen verblassenden Ruhm mit Reality TV versilbern lässt, muten sich kurz darauf auch die beiden Saarländer*innen eine 24/7-Kameraüberwachung zu: 2006 ziehen sie ins Big Brother-Dorf bei RTL2 ein. Doch wie schon mit ihrer Ozzy-Adaption 1971 können sie wieder nicht an die Strahlkraft des englischen Originals heranreichen. Dafür sind sie aber zumindest auch nie dermaßen auf den Hintern gefallen wie jenes.
 

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