Das Goethe-Institut
Im Profil

Einst Kulturexporteur, heute globaler Netzwerker: Im Lauf der Geschichte hat sich auch die Ausrichtung des Goethe-Instituts immer wieder geändert. Vom Trachtenballett in den 1960er-Jahren bis zum Postkolonialismusdiskurs der Gegenwart.

Austauschen und zuhören: Abschlusskonferenz der „Museumsgespräche“ in Windhuk 2019.
Wenn 2021 das offiziell 70-jährige Bestehen des Goethe-Instituts gefeiert wird, wird – institutshistorisch gesehen – ordentlich ein Auge zugedrückt. Denn was 1951 stattfindet, als Kulturpolitiker*innen in der Münchner Tengstraße zusammenkommen, um die Arbeit für ein Sprachinstitut aufzunehmen, ist weniger eine Neugründung. Vielmehr handelt es sich um eine Wiederaufnahme, wie ein Blick auf die Frühgeschichte und die Vorgängerinstitution des Goethe-Instituts zeigt:

Die Deutsche Akademie

Der Vorgänger des Goethe-Instituts, die sogenannte Deutsche Akademie, wurde 1925 als „Akademie zur wissenschaftlichen Erforschung und Pflege des Deutschtums“ gegründet. Das Ziel des in München ansässigen privaten Vereins war es, die deutsche Kultur zu erforschen und zu verbreiten und die deutsche Sprache im Ausland zu fördern. Das Ansinnen war durchaus patriotisch geprägt: Vor dem Hintergrund des kurz zuvor verlorenen Ersten Weltkriegs und des daraufhin geschlossenen Versailler Vertrags ging es den Gründungsvätern, allesamt Professoren an der Münchener Universität, darum, „eine geistige Organisation zu begründen, die einem freien deutschen Volkstum helfen will, in zäher und zielbewusster Arbeit seinen Platz an der Sonne wieder zu erringen“, wie es damals hieß.

Die Vereinssatzung machte es nochmals klarer: Die „Pflege des Deutschtums“ und „der nicht-amtlichen kulturellen Beziehungen zum Ausland und der Auslandsdeutschen zur Heimat im Dienste des deutschen Nationalbewusstseins“ – das wünschten sich die Gründer. Zu den Mitgliedern zählten vorwiegend nationalkonservative Bürger*innen, aber auch Künstler*innen wie Thomas Mann und Max Liebermann sowie der Kölner Oberbürgermeister und Präsident des preußischen Staatsrats, Konrad Adenauer. 

Nach der Machtübernahme durch die NSDAP fand in der Akademie das statt, was man rückblickend „Selbstgleichschaltung“ nennen kann: Ohne Aufbegehren oder Kritik ordneten sich die Verantwortlichen dem neuen Regime unter und passten sich ideologisch an. Juden wie Liebermann mussten die Gesellschaft verlassen, ebenso der Zentrumspolitiker Adenauer. Stattdessen wurden Parteimitglieder und regimenahe Personen in die Deutsche Akademie aufgenommen, mit SA-Standartenführer Leopold Kölbl wurde 1938 erstmals ein NSDAP-Mitglied Präsident der Organisation.

1941 wurde die Akademie per Erlass in eine Körperschaft öffentlichen Rechts umgewandelt, womit sie fortan direkt im Dienst des diktatorischen Regimes stand. Dieses nutzte die Strukturen der Akademie für seine Zwecke, investierte in ihre Arbeit und in die Erweiterung ihres Auslandsnetzwerks. Im Zuge der Entnazifizierung wurde die Deutsche Akademie 1945 als ehemalige nationalsozialistische Organisation eingestuft und aufgelöst.

So eine Vergangenheit braucht Aufarbeitung. Eine Beschäftigung mit allen Aktivitäten also, die von 1933 bis 1945 stattfanden, mit allen Inhalten, die vermittelt wurden, und nicht zuletzt mit den Verantwortlichen, die die Arbeit organisierten und vorantrieben. An dieser Aufarbeitung fehlt es in den Anfangsjahren nach dem Ende des Nazi-Regimes und auch noch lange Jahre darüber hinaus. Mehr noch: Vereinzelt finden ehemalige hochrangige Nazifunktionäre sogar Anstellungen im Goethe-Institut, so etwa der SS-Obersturmführer im Reichssicherheitshauptamt Hans Egon Holthusen, dem 1961 die Leitung des Goethe-Instituts New York anvertraut wird.

Als die Verantwortlichen den Neuaufbau eines Goethe-Instituts 1951 in die Wege leiten, besinnen sie sich immerhin auf die Umstände, unter denen die Akademie derart politisch und ideologisch vereinnahmt werden konnte, und gründen das Goethe-Institut als eingetragenen Verein. Dies soll das Institut davor schützen, erneut vom Staat instrumentalisiert zu werden. Und umgekehrt zieht auch die Bundesrepublik eine Lehre aus der NS-Zeit, indem sie die auswärtige Kulturpolitik dezentral organisiert und in die Hände von nicht-staatlichen Akteuren, sogenannten Mittlerorganisationen legt. 
 

„Goethe“ bleibt

Der Name „Goethe-Institut“ war damals übrigens nicht neu: Schon in der Deutschen Akademie hatte es eine Abteilung dieses Namens gegeben. Sie war für praktische Angelegenheiten zuständig, bildete ausländische Deutschlehrer*innen aus und erteilte Deutschunterricht im Ausland. Den Namen nun mit umzuziehen, ihn gar zum Haupttitel der neuen Organisation zu machen, war eine wohlüberlegte Entscheidung der Verantwortlichen: Man signalisierte so, dass man mit der neuen Organisation an die Arbeit der Deutschen Akademie – wohlbemerkt vor deren Vereinnahmung durch die Nationalsozialist*innen – anknüpfen wollte. Außerdem erhoffte man sich durch die Namenskontinuität einen Rechtsanspruch auf die Hinterlassenschaft der Akademie als finanzielle Starthilfe.

Außenmauer des Goethe-Instituts in der mexikanischen Hauptstadt Mexiko-Stadt.
Das Orchester Rolf-Hans Müller bei einem Konzert in Bangkok 1972.

Von der Spracharbeit zum Vermittler zwischen den Kulturen

Es sind die 1960er-Jahre, und die Aufgabe des Instituts verändert sich zusehends: Mit dem Ziel an den (Neu-)Start gegangen, ausländische Deutschlehrer*innen im Inland fortzubilden, erweitert sich das Aufgabengebiet nun auch offiziell um die Kulturarbeit im Ausland. Diese ist von Anfang an keine Einbahnstraße. Zwar schickt das Goethe-Institut in den ersten Jahren deutsche Musiker*innen, Autor*innen und Künstler*innen in die Welt, doch kommt es bei diesem Kulturexport häufig auch zu einem Austausch – etwa wenn die Jazz-Band The German All Stars bei ihrer Asientournee mit lokalen Musiker*innen und sogar dem thailändischen König Bhumibol Adulyadej jammt. „Für einen König hat er sehr nett gespielt“, erinnert sich Posaunist Albert Mangelsdorff später an die Saxophon-Künste des Königs.

Alpenglühen on tour

Willkommen in der Ära der Alpenromantik: Nachdem Peter Alexander ein Jahr zuvor mit dem „Weißen Rössl“ filmisch und gesanglich Erfolge feierte, und nur vier Jahre vor dem Kinostart des US-Alpenmusikfilms „Sound of Music“ tourt 1961 in Indien ein bayerisches Trachtenballett umher, samt Bühnenbild mit sattem Alpenglühen. Ausrichter: das Goethe-Institut. „Anregende Wechselwirkungen“ zwischen dem südasiatischen Land und Deutschland und dessen Tanzkulturen verspricht sich der Sonderbeauftragte des Auswärtigen Amtes für die deutschen Kulturinstitute im Ausland, der die Idee von einer Indienreise mitgebracht hat.

Doch der Trachtentrend ist bereits angezählt. Schon bald kommen Dirndl, Jodeleinlagen und Schuhplattler aus der Mode, beweist gar schlechten Geschmack, wer den Alpentopos aufruft, um ein Deutschlandbild im Ausland zu vermitteln. Zu den ersten Kritikern gehört ein Instituts-Interner: Eckart Peterich, kurzzeitig Programmdirektor des Goethe-Instituts, muss sich in seinem Sitz gewunden haben, als er vor Tourstart einer Probe des Trachtenballetts beiwohnt.

Ein Zeitgenosse erinnert sich später, wie der Schriftsteller während der Darbietung vor Missfallen „mehrmals tief seufzte“. Was Peterich, der zuvor die Deutschen Bibliotheken in Mailand und Rom geleitet hat, als würdige Kulturvermittlung vorschwebt, sind Dichter*innenlesungen, Ausstellungen und modernes Theater. Aber tänzerisches Dirndldrehen? Mit ungehindertem Blick auf die Unterhosen der Tänzerinnen gar? Für ihn ist das lediglich ein Ausdruck schlechten Geschmacks. Und so zieht er Konsequenzen: Während die bayerische Ballettgruppe vor ihrer künstlichen Alpenkulisse in Indien Erfolge feiert, reicht Eckart Peterich 1963 in München seinen Rücktritt ein.
 

Das Goethe-Institut trotzt politischem Gegenwind

Es soll noch fast ein Jahrzehnt dauern, bis sich ein anderes Kulturverständnis durchsetzt. Spätestens Anfang der 1970er-Jahre wenden sich die Verantwortlichen der Kulturprogramme endgültig zeitgenössischer und auch kritischer Kunst zu: Literarische Werke von Günter Grass und Heinrich Böll werden nun geschätzt, ebenso aktuelle Bildende Kunst wie etwa von Klaus Staeck. Gestützt wird die Neuausrichtung von den „Leitsätzen für die Auswärtige Kulturpolitik“, die Ralf Dahrendorf für das Auswärtige Amt ausarbeitet. Darin fordert der parlamentarische Staatssekretär und studierte Soziologe einen Fokus auf „kulturelle und zivilisatorische Gegenwartsprobleme“ und mahnt an, sich statt auf Selbstdarstellung besser auf einen Austausch mit den Partnern im Gastland zu konzentrieren. Ein Ansatz, den einige Mitarbeiter*innen des Goethe-Instituts schon in den 1960er-Jahren verfolgten. Darum sieht sich das Institut als Pionier für diese Neuausrichtung der auswärtigen Kulturpolitik.

Wie kritisch sich das Institut fortan immer wieder positioniert, zeigen diverse politische Kontroversen, die einige seiner Aktivitäten oder finanziellen Beteiligungen auslösen: So hält Rudolf Augstein, Herausgeber der Zeitschrift Der Spiegel, 1964 am Goethe-Institut Paris einen Vortrag mit dem Titel „Klassische Missverständnisse zwischen den Nachkriegsdemokratien in Frankreich und Deutschland“. Das Auswärtige Amt spricht dem Institut in Folge eine Rüge aus. Noch im gleichen Jahr rückt das Goethe-Institut ins Zentrum einer Bundestagsdebatte, weil es in Rom dem Schriftsteller Golo Mann eine Bühne geboten hat. Dessen Thema: die heikle Frage der Grenze zwischen Deutschland und Polen. Empörte Bundestagsabgeordnete drohen dem Institut daraufhin mit dem Entzug finanzieller Mittel.

Einen öffentlichen Tadel durch den damaligen Außenminister Hans-Dietrich Genscher kassiert das Institut auch zehn Jahre später, als es eine Ausstellung des Künstlers Klaus Staeck mitfinanziert, in der dieser deutsche Politiker*innen satirisch darstellt. Ein Jahr darauf, 1975, reagiert der Deutsche Bundestag mit einer Rüge, weil das Goethe-Institut in Rom einen Abend mit dem Titel des Kästner-Gedichts „Kennst du das Land, wo die Kanonen blüh’n“ veranstaltet. Erich Kästners Gedicht ist eine Parodie des Gedichts „Mignon (Kennst du das Land, wo die Zitronen blühn?)“ von Johann Wolfgang von Goethe mit antimilitaristischer Botschaft.

 

„Bitte in hellen und festlichen Tönen!“

Zu den prominentesten Kritiker*innen der Institutsarbeit gehörte Franz Josef Strauß. Merhmals monierte der CSU-Politiker und langjährige bayerische Ministerpräsident Veranstaltungen, die im Auftrag oder auf Einladung des Goethe-Instituts stattfanden. Besonders scharfe Kritik übte er 1986 in einer programmatischen Rede auf einer Mitgliederversammlung. Seine Forderung: Das Goethe-Institut möge sich auf die Schokoladenseiten des Landes konzentrieren statt sich an einer, wie er sagte, „düsteren Götterdämmerungspalette“ zu bedienen. Auch ein Vorbild hatte er dafür im Blick: Die Bundesrepublik solle sich doch wie die DDR in „hellen und festlichen Farbtönen“ im Ausland präsentieren. Der zuständige Außenminister Genscher widersprach. Und das Goethe-Institut behielt seinen Kurs bei.

CSU-Politiker Franz Josef Strauß mit Klaus von Bismarck, Präsident des Goethe-Instituts, bei einer Mitgliederversammlung 1986.
Das globale Netzwerkfestival: 2019 fand das zweite Kultursymposium Weimar unter dem Motto „Die Route wird neu berechnet“ statt.

Das Goethe-­Institut als globaler Vernetzer

Die Welt ist eine andere, seitdem in New York zwei entführte Passagierflugzeuge die Türme des World Trade Centers zu Fall gebracht haben. Hatte Kulturarbeit von jeher den Austausch von Menschen über politische, geografische und kulturelle Grenzen hinweg zum Ziel, ist dieser Aspekt fortan bedeutsamer denn je: Völkerverständigung, die Vermittlung von Werten, Fragen der Demokratieförderung und die Verwirklichung der Menschenrechte – darauf wollen sich die auswärtigen Kulturpolitiker*innen nun noch stärker konzentrieren.

Doch sind die Ereignisse des 11. September 2001 nicht Auslöser, sondern vielmehr Beschleuniger einer neuen Programmatik, die in Deutschland bereits 1999 ausgearbeitet wurde. In der sogenannten „Konzeption 2000“ formulierte die Kulturabteilung des Auswärtigen Amts Grundsätze für die künftige Kulturarbeit im Ausland, verwies etwa darauf, wie schnell sich in Zeiten der Globalisierung die internationalen Beziehungen und Abhängigkeiten der Länder wandeln, auch getrieben durch die neuen digitalen Kommunikations- und Informationswege. Die Welt, das steht fest, sei nun ein „globales Dorf“, und das Auswärtige Amt will sich hier „durch eine kritische Wertediskussion und eine aktive Rolle im Bereich des Wissensmanagements wie auch des kultur- und informationspolitischen Dialogs einbringen“, wie das Amt in dem Regierungspapier festhält.

Praktisch schlägt sich die neue Richtung am Goethe-Institut in einer stärkeren Nutzung der neuen Medien nieder, im Aufbau eines Internetauftritts und dem Vorantreiben einer weltweiten „Informations-, Lern- und Wissensgesellschaft“. Viele Programme und Veranstaltungen thematisieren nun Konfliktprävention, stellen den Dialog mit der islamischen Welt in den Mittelpunkt sowie die Förderung von demokratischen Werten.

Die stärkere Vernetzung des „globalen Dorfes“ spiegelt sich auch in einer Neuausrichtung der Programmarbeit des Goethe-Instituts wider. Nachdem in den ersten beiden Jahrzehnten vor allem die Präsentation deutscher Kultur im Ausland im Vordergrund stand und in den 1970er-Jahren von einer binationalen und partnerschaftlichen Zusammenarbeit abgelöst wurde, setzt das Goethe-Institut seit der Jahrtausendwende und vor allem ab den 2010er-Jahren auf multinationale und multiperspektivische Ansätze – es wird zum globalen Netzwerker.

So etwa schon 2008, als das Goethe-Institut europäische Dramatiker*innen dazu aufruft, in ihrem jeweiligen Land dem gesellschaftlichen Wandel nach dem Mauerfall nachzuspüren. Unter dem Titel „After the Fall“ entstehen so 16 Theaterproduktionen in 15 europäischen Ländern. Für ein solches grenzüberschreitendes Projekt, das Zerfall und Befreiung, Tabuisierung und Nationalismus, Ausgrenzung und Einheit aus vielen europäischen Perspektiven thematisiert, sind die Kenntnis der Länder und eine Vernetzung mit den Kulturszenen vor Ort gefragt – Attribute, die das Goethe-Institut ausmachen.
 
Diese Vorteile und Stärken des Instituts prägen dessen Kulturarbeit und den Aufbau und die Pflege von Plattformen bis in die Gegenwart, etwa bei der gemeinsam mit der Siemens Stiftung initiierten Plattform „Music In Africa“, die es afrikanischen Musiker*innen ermöglicht, sich untereinander zu vernetzen. Auch beim Verhandeln kolonialer Fragen hat es sich das Goethe-Institut zur Aufgabe gemacht, den Stimmen aus den betroffenen Ländern eine Plattform zu bieten, um sie in den Debatten in Deutschland und Europa hörbar zu machen.

So lädt das Online-Magazin „Latitude“ zum globalen Austausch über koloniale Machtverhältnisse, deren Folgen und Überwindung ein, und beim gleichnamigen digitalen Festival diskutieren 2020 Intellektuelle und Künstler*innen aus Afrika, Lateinamerika, Asien und Europa über Rassismus, Identität und Erinnerungskultur. Gerade vor dem Hintergrund der eigenen Vor- und Frühgeschichte des Goethe-Instituts ist dieses Sichtbarmachen anderer Perspektiven, aber auch das selbstkritische Zuhören unabdingbar, um auch in Zukunft eine an Werten und aktuellen Themen orientierte, fruchtbare globale Kulturarbeit zu leisten.
 
Autorin: Romy König