25. November 2020
Begrüßung „UNIDAS: Frauen im Dialog“
Begrüßung durch die Präsidentin des Goethe-Instituts Prof. Dr. Carola Lentz
Sehr geehrte Frau Staatsministerin Müntefering,
Liebe Teilnehmer*innen,
sehr geehrte Damen und Herren,
es ist schon vierzig Jahre her, als ich das erste Mal nach Südamerika reisen konnte. Auf den ersten längeren Besuch im Hochland von Ecuador folgte bald, Anfang der 1980er Jahre, ein zweijähriger Aufenthalt. Als junge Doktorandin untersuchte ich die Arbeitsmigration von indianischen Kleinbauern, deren Landbesitz nicht ausreichte, um ihre Familie zu ernähren. Eine meiner wichtigen Erkenntnisse: Die Arbeitsmigration hat die Geschlechterbeziehungen durchgerüttelt. Während die Männer auf den Zuckerrohrplantagen arbeiteten oder ihr Glück als Kleinhändler in den Städten versuchten, hielten die indianischen Frauen im Hochland die Stellung. Sie beackerten die Felder, kümmerten sich um die Kinder, verdienten zusätzliches Geld durch Handarbeiten und verteidigten den guten Namen der Familie im Dorf. Nicht immer brachten die Männer bei ihren Heimatbesuchen die ersehnten Konsumgüter und Geldeinkommen mit. Manche hatten an der Küste eine Geliebte oder zweite Familie und kamen höchst selten nach Hause. Andere konnten mit dem neuen Selbstbewusstsein ihrer Frauen als Haushaltschefinnen nicht recht umgehen und forderten mit Gewalt die alte Unterordnung ein. Auch wenn die indianischen Frauen selbst in die Städte migrierten, etwa als Hausmädchen oder Kleinhändlerinnen, war das keine Garantie für gleichberechtige Partnerschaften, im Gegenteil. Sexuelle Ausbeutung durch Dienstherren, aber auch unzuverlässige Ehemänner waren gang und gäbe.
Umso mehr war ich beeindruckt, mit welchem Selbstbewusstsein meine indianischen Gesprächspartnerinnen in diesem schwierigen Umfeld agierten. Sie „standen ihren Mann“ in der Landwirtschaft im Dorf ebenso wie in der Stadt. Sie hielten unter Freundinnen und Nachbarinnen engen Kontakt, um sich gegenseitig zu unterstützen. Und wenn die Männer auf Heimaturlaub kamen, simulierten sie manchmal Demut und Anpassung, um Konflikte zu vermeiden. Letztlich verfolgten sie aber hartnäckig ihre eigenen Projekte und förderten vor allem die Bildung ihrer Töchter, damit es der neuen Frauengeneration besser ergehen sollte. Von diesem Wechselspiel von taktischer Unterordnung und selbstbewusstem Auftreten konnte auch ich als Frau aus einer anderen Gesellschaft eine Menge lernen, wie mir schnell klar wurde. Und meine Visionen und die meiner indianischen Gesprächspartnerinnen von einem respektvollen Umgang der Geschlechter miteinander lagen gar nicht so weit auseinander.
Inzwischen hat sich vieles verändert. Überall sind die Frauen in Ecuador und generell Südamerika noch viel selbstbewusster geworden, und die neue Generation ist besser ausgebildet und gerüstet für die Herausforderungen der Zukunft. Die jungen Frauen haben viel von dem umgesetzt, was meine Gesprächspartnerinnen in den 1980er Jahren erträumt haben. Dennoch liegt noch eine große Wegstrecke vor uns. Eine chancengleiche, geschlechtergerechte und sichere Gesellschaft: um diese Vision zu realisieren, braucht es auch heute kluge Strategien. Und um solche Strategien zu entwickeln, haben Frauen aus Südamerika und der Karibik und aus Deutschland im vergangenen Jahr unter Schirmherrschaft von Deutschlands Außenminister Maas das Netzwerk UNIDAS gegründet. Diesem Netzwerk haben sich mittlerweile viele Mitglieder und Partnerorganisationen aus Südamerika, der Karibik und Deutschland angeschlossen. Auch das Goethe-Institut war von Beginn an mit dabei. Es hat das Netzwerk vor Ort in Brasilien betreut und einige Veranstaltungen zu Schwerpunktthemen durchgeführt sowie Frauen-Initiativen unterstützt.
Dazu gehört auch das UNIDAS-Frauenhaus „Respeita as Minas“ in Salvador da Bahia. Die Initiative dazu kam von Sibel Kekilli, der großartigen Schauspielerin und Botschafterin von Terre des Femmes, die auf Einladung des Goethe-Instituts Stipendiatin an der Vila Sul in Salvador war. UNIDAS hat das Frauenhaus gemeinsam mit dem Frauenministerium Bahia und mit Unterstützung des Goethe-Instituts unterstützt. Das Haus ist ein offener Ort und Schutzraum für Frauen, in dem sie sich austauschen, aber auch im Rahmen von berufsbildenden Maßnahmen weiterbilden können. Derzeit ist es wegen der Corona-Pandemie geschlossen, aber wir hoffen auf baldige Wiedereröffnung. Gerade in Zeiten von COVID-19 sind Frauenhäuser dieser Art besonders wichtig, denn die Pandemie trifft Frauen besonders hart. Die Quarantäne-Maßnahmen erhöhen außerdem das Risiko für Frauen und Kinder, zu Hause Opfer von körperlichen Übergriffen zu werden.
Die Nähe zu den Menschen vor Ort ist für die Arbeit des Goethe-Instituts charakteristisch. Einen besonderen Stellenwert hat die Zusammenarbeit mit Akteuren und Organisationen der Zivilgesellschaft, die für aktuelle und künftige politisch-soziale Entwicklungen von entscheidender Bedeutung sind. Dies gilt auch und in besonderem Maß für den Kampf für eine chancengleiche, geschlechtergerechte und sichere Gesellschaft. Dabei sind Strategien zur Umsetzung dieser Vision schlagkräftiger, wenn sie das Potential grenzüberschreitender Netzwerke nutzen. Wir Frauen können enorm viel voneinander lernen und sollten den Schatz unterschiedlicher Erfahrungen in verschiedenen Ländern und Regionen heben! Und in Zeiten von Corona können wir zumindest im digitalen Raum die Chance grenzüberschreitender Begegnungen und Plattformen nutzen, um Ideen und Aktivitäten auszutauschen.
Die Konferenz, die heute in Salvador de Bahia und parallel in Berlin startet, will genau dies leisten. Sie verhandelt Themen wie „Intersektionalität“—also die Frage, wie Geschlecht mit anderen Differenzen wie etwa soziale Klasse, Hautfarbe, Nationalität oder Ethnizität zusammenwirkt. Weitere Themen sind unter anderem „Frauenrechte und Gleichstellung von Frauen“ und „Gewalt gegen Frauen“. Erfahrungsaustausch und intellektuelle Durchdringung dieser Problemfelder im internationalen Austausch sind wichtige Voraussetzungen praktischer Politik. Die gesellschaftlich-politischen Rahmenbedingungen mögen in verschiedenen Ländern unterschiedlich sein. Durch das gegenseitige Lernen und Unterstützen wollen wir aber gemeinsam der Vision einer chancengleichen und geschlechtergerechten Gesellschaft näherkommen.
Den Organisator*innen ist es gelungen, sehr diverse Perspektiven zusammen zu bringen. Ich bin sicher, dass diese verschiedenen Erfahrungshintergründe die Diskussionen enorm bereichern werden.
Ich freue mich auf einen spannenden und produktiven Austausch und wünsche Ihnen alle eine erfolgreiche Konferenz, mit vielen neuen Kontakten und Ideen und ermutigenden Perspektiven für eine gemeinsame Zukunft — auf dem Weg zu einer geschlechtergerechten Gesellschaft.