Auf der Halbjahrestagung des Deutschen Bühnenvereins erörterten rund 60 Intendant*innen deutscher Theater und Orchester die Frage, wo und wie sie sich in Zeiten politischer Umbrüche positionieren sollten. Auch das Goethe-Institut Tokyo griff das Thema auf und diskutierte im Rahmen der Reihe „theater anders denken“.
Von Goethe-Institut Tokyo
Hintergrund der Diskussion ist die Schließung eines Teiles der Aichi-Triennale, der größten japanischen Kunst-Triennale in Nagoya im August 2019, auf der die Sicherheit der Mitarbeiter*innen und Besucher*innen aufgrund von Gewaltandrohungen nicht mehr gewährleistet werden konnte. Diese Drohungen richteten sich gegen die Präsentation von bereits früher zensierten Werken in einer Sonderausstellung, zum Beispiel eine Arbeit zur Kriegsverantwortung Japans sowie eine Skulptur zu den „Comfort Women“, jenen Koreanerinnen, die den japanischen Soldaten als Prostituierte dienen mussten - beides in Japan höchst umstrittene, von manchen zum Tabu erklärte Themen.
„ReFreedom Aichi“
Die Schließung dieser Sonderausstellung mit den genannten Arbeiten wurde vor allem von den teilnehmenden internationalen Künstler*innen als ein „Einknicken“ der künstlerischen Leitung vor den gewaltandrohenden Beschwerdeträgern gewertet. Sie zogen daraufhin ihre Arbeiten ab. Als anschließend das japanische Amt für kulturelle Angelegenheiten die bereits zugesagte Subvention für die Triennale strich, entwickelte sich eine heftige Debatte zu Fragen der Kunst- und Meinungsfreiheit in Japan. Unter anderem wurde die Initiative „ReFreedom Aichi“ ins Leben gerufen mit dem Ziel, die Sonderausstellung wieder zugänglich zu machen.
Machtverhältnisse im Wandel
„Mit vielen der hier engagierten Künstler und Künstlerinnen arbeiten wir seit langem zusammen,“ so Peter Anders, Leiter des Goethe-Instituts Tokyo: „Letztlich geht es um die Frage, wie sich Machtverhältnisse im öffentlichen Diskurs durch Gewalt und Hass in den sozialen Medien verändern, und welche Konsequenzen das für Kunstschaffende, aber auch für Kultureinrichtungen insgesamt hat.“ Am 25. Januar 2020 stellte der auch in Deutschland tätige, japanische Theaterregisseur Akira Takayama seine Reaktion auf die Vorgänge einem breiten Publikum im Goethe-Institut Tokyo vor.
7 Tage, 700 Anrufe
Takayamas Projekt „J Art Call Center“ entstand als Reaktion auf die Flut der Beschwerdeanrufe an die Stadtverwaltung. Während sich die dortigen Mitarbeiter*innen an ein Handbuch halten mussten, warb Takayama die nötigen Mittel per Crowdfunding ein und brachte 31 Künstler*innen, Kurator*innen, Galerist*innen und Journalist*innen zusammen. Innerhalb von 7 Tagen beantworteten sie über 700 Anrufe. Im „J Art Call Center“ trafen vor allem „sogenannte normale Menschen“ auf das personelle Umfeld der Aichi Triennale. Takayama schilderte, dass er die Anrufer*innen zunächst umstimmen wollte: „Ich habe aber schnell gemerkt, dass das nicht funktioniert. Wie kann ich, der überzeugt ist, dass seine eigene Meinung richtig ist, jemand anderen davon überzeugen, dass er falsch liegt? Deshalb habe ich angefangen, einfach nur zuzuhören.“
Reformerische Kraft
Es war herauszuhören, dass es in der japanischen Konsensgesellschaft schon eine enorme reformerische Kraft darstelle, den Dissens auszuhalten. Entsprechend realisierte die Telefonleitung in „J Art Call Center“ einen zentralen Aspekt von Akira Takayamas Werk: Sie verband Menschen, die sonst in ihrer affirmativen sozialen Blase geblieben wären. Ähnliche diskursive Plattformen hatte der Regisseur bereits in Deutschland mit „McDonald’s Radio University“ und „Wagner Project“ geschaffen.